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OGH vom 29.09.1987, 4Ob560/87

OGH vom 29.09.1987, 4Ob560/87

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith, Dr.Petrag, Dr.Kodek und Dr.Niederreiter als weitere Richter in der Vormundschaftssache des mj. Helmut H***, geboren , vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck, Jugendwohlfahrt-Außenstelle Schwanenstadt, als Amtsvormund infolge Revisionsrekurses des Amtsvormundes gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wels als Rekursgerichtes vom , GZ. R 140/87-71, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Schwanenstadt vom , GZ. P 140/82-66, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluß des Rekursgerichtes wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Text

Begründung:

Das Erstgericht erhöhte den vom Vater des am unehelich geborenen Helmut H*** zu leistenden Unterhalt auf Antrag des Amtsvormundes nach Erhebungen über die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen ab von S 1.550 auf S 2.700 monatlich.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters gegen die Auferlegung S 2.000 monatlich übersteigender Unterhaltszahlungen statt und wies das Mehrbegehren ab.

Es stellte fest, daß dem Minderjährigen mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck, Jugendwohlfahrt-Außenstelle Schwanenstadt, vom freiwillige Erziehungshilfe (§ 9 JWG; § 24 Abs 1 oö JWG) durch Unterbringung im Kinderheim Seefeld, Gemeinde Steinbach am Attersee, gewährt wurde. Die Kosten dieser Maßnahme trägt vorläufig der Sozialhilfeverband Vöcklabruck (§ 4 JWG; § 7 Abs 2 oö JWG). Ob und wie weit der Minderjährige oder dessen Eltern zur Kostentragung heranzuziehen sind, wird erst in einem gesonderten Verfahren festgestellt werden. Der Minderjährige befindet sich seit in diesem Heim. Die Kosten der Unterbringung betragen seit S 300, seit S 340 täglich und werden zur Gänze vom Sozialhilfeverband Vöcklabruck bestritten. Die Mutter des Minderjährigen ist zu einem monatlichen Rückersatz von S 700 verpflichtet. Dem Vater wurde eine Anzeige gemäß § 52 Abs 1 des oö Sozialhilfegesetzes LGBl 1973/66 (oö SHG) nicht zugestellt. Das Rekursgericht war der Ansicht, daß das Einkommen des Unterhaltspflichtigen auch ohne Überstundenvergütungen ausreiche, um den Unterhaltsbedarf des Kindes in der nunmehr geltend gemachten Höhe zu decken. Der Rekurs des Vaters sei jedoch aus folgenden Gründen berechtigt: Die Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes, auf die gemäß § 7 oö SHG jedermann Rechtsanspruch habe, sei zwar keine Erbringung von Unterhaltsleistungen für den Unterhaltspflichtigen, sondern die Erfüllung einer eigenen, dem Sozialhilfeträger durch Gesetz auferlegte Verpflichtung. Soweit aber die Unterhaltsbedürfnisse auf Grund einer öffentlichen Verpflichtung zur Gänze von einem Dritten gedeckt würden, könne der Unterhaltsberechtigte keinen Unterhaltsanspruch gegen einen zivilrechtlich Unterhaltspflichtigen mehr stellen, weil ein Anspruch auf Doppelversorgung nicht zustehe.

Ob dem Sozialhilfeträger Regreßansprüche gegen die Eltern des Kindes, für das Sozialhilfe gewährt werde, zustünden, sei für die Beurteilung der Frage, ob das Kind einen Unterhaltsanspruch gegen seine Eltern geltend machen könne, unmaßgeblich. Daß die Unterhaltsbedürfnisse des Kindes durch die erbrachten Sozialhilfeleistungen nicht zur Gänze befriedigt wurden, habe der Amtsvormund nicht behauptet. Ein Übergang der Unterhaltsansprüche des Kindes auf den Sozialhilfeträger sei mangels einer schriftlichen Verständigung der Eltern gemäß § 52 oö SHG nicht erfolgt; daher könne auch der Sozialhilfeträger die Unterhaltsansprüche nicht im eigenen Namen geltend machen. Dem Kind stehe somit ein Unterhaltsanspruch nicht zu, so daß der Erhöhungsantrag, soweit der erstgerichtliche Beschluß nicht in Rechtskraft erwachsen sei, abzuweisen gewesen sei.

Gegen diesen Beschluß erhebt der Amtsvormund Revisionsrekurs mit dem Antrag, den Beschluß des Erstgerichtes zu "bestätigen" (richtig: wiederherzustellen).

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Frage, wie weit gesetzlich vorgesehene Sozialhilfeleistungen, der Geltendmachung eines Unterhaltsanspruches an sich entgegenstehen, keine bloße Frage der Bemessung des gesetzlichen Unterhaltes ist (EFSlg 39.220; 3 Ob 603/86; ähnlich SZ 55/129).

Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Der unterhaltsberechtigte Minderjährige befindet sich infolge Gewährung freiwilliger Erziehungshilfe in einem Kinderheim; durch diese Unterbringung wird sein Lebensbedarf jedenfalls weitgehend gedeckt (daß die für den Minderjährigen im Heim erbrachten Leistungen dessen Unterhalt nicht zur Gänze deckten, wird erstmals im Revisionsrekurs behauptet). Die Kosten dieser, den Lebensbedarf des Minderjährigen ganz oder jedenfalls weitgehend sichernden Leistungen trägt vorläufig der Fürsorgeverband Vöcklabruck. Er erbringt damit, wie das Rekursgericht zutreffend erkannt hat, keine Unterhaltsleistungen für den Unterhaltspflichtigen, sondern erfüllt eine eigene, dem betreffenden Rechtsträger durch Gesetz auferlegte Verpflichtung (EFSlg 37.620). Es geht daher nicht um die Frage, wie weit durch die Erfüllung einer fremden Schuld diese untergeht oder die Forderung gegebenenfalls auf den Leistenden übergeht (§§ 1358, 1422 ABGB), sondern um die Frage, ob die mit der Unterhaltsleistung inhaltsgleiche Fürsorgeleistung auf den Unterhaltsanspruch anzurechnen ist und diesen damit zum Erlöschen bringt. Ohne ergänzende gesetzliche Vorschriften würde eine solche Anrechnung zur Entlastung der Unterhaltsverpflichteten, die Nichtanrechnung aber zur Doppelversorgung des Unterhaltsberechtigten führen. Der Gesetzgeber bedient sich verschiedener rechtstechnischer Mittel, um dies zu verhindern: Entweder wird die Drittleistung auf den Anspruch angerechnet, dieser (insoweit) zum Erlöschen gebracht und dem Drittleistenden ein eigener Anspruch (Regreß, Ersatz, Erstattungsanspruch etc) gegen den Verpflichteten wegen dessen Befreiung von der Schuld eingeräumt, oder es wird die Drittleistung nicht auf den Anspruch angerechnet und bestimmt, daß dieser Anspruch auf den Drittleistenden im Wege der Legalzession übergeht, was das Weiterbestehen des Anspruches zur Folge hat (vgl dazu für das Schadenersatzrecht Koziol, Haftpflichtrecht2 I 208; die Problematik ist bei Drittleistungsfällen auf anderen Rechtsgebieten im wesentlichen dieselbe).

Auf den vorliegenden Fall ist nicht § 52 oö SHG anzuwenden, sondern die einschlägigen Bestimmungen des gemäß § 71 Abs 5 oö SHG unberührt gebliebenen oberösterreichischen Jugendwohlfahrtsgesetzes.

§ 8 Abs 2 oö JWG (inhaltsgleich § 4 Abs 3 JWG) bestimmt, daß dann, wenn durch eine Maßnahme der Jugendfürsorge dem Minderjährigen der Unterhalt gewährt wird und ihm für die Zeit dieser Unterhaltsgewährung gegen einen Dritten ein Rechtsanspruch auf Geldleistungen zur Deckung des Unterhalts oder ein Rentenanspruch öffentlich-rechtlicher Natur zusteht, dieser Rechtsanspruch im Ausmaß der erwachsenden Kosten auf die den Unterhalt gewährende öffentlich-rechtliche Einrichtung übergeht, wenn und sobald die Behörde, die eine solche Maßnahme durchführt, dem Dritten die Unterhaltsgewährung schriftlich anzeigt. Außerdem bestimmt § 7 Abs 1 Satz 2 oö JWG, daß im Falle des Unvermögens des Minderjährigen zur Kostentragung die zu seinem Unterhalt gesetzlich verpflichteten Personen im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht die Kosten zu tragen haben (ebenso § 4 Abs 1 JWG). § 8 Abs 2 oö JWG nimmt - ebenso wie ähnliche Bestimmungen anderer Landessozialhilfegesetze (und Landesjugendwohlfahrtsgesetze) (anders des stmk SHG: 7 Ob 766/81) - bezüglich der Ersatzpflicht für Aufwendungen für Jugendfürsorge (Sozialhilfe) keine klare Trennung zwischen Unterhaltspflichtigen einerseits und "Dritten" andererseits vor. Als "Dritte" gelten hier auch die unterhaltspflichtigen Angehörigen, so daß der Übergang gemäß § 8 Abs 2 oö JWG auch Unterhaltsansprüche gegen Angehörige erfaßt. Hiefür spricht, daß die Fassung der Legalzessionsvorschrift des § 8 Abs 2 oö JWG - ebenso wie die anderer Landesjugendwohlfahrts- und Sozialhilfegesetze - der früheren Bestimmung des § 21 a FürsPflV nachgebildet ist, die die Formulierung "Rechtsansprüche gegen einen Dritten auf Leistung zur Deckung des Lebensbedarfes" verwendet hatte; in § 25 a FürsPflV wurde dem Fürsorgeverband "unbeschadet seiner Ersatzansprüche nach § 21 a FürsPflV" (dh neben den übergegangenen Rechtsansprüchen des Hilfsbedürftigen) unter bestimmten Voraussetzungen auch noch ein eigener Ersatzanspruch gegen bestimmte Angehörige eingeräumt. In der Judikatur zu § 21 a FürsPflV wurden dementsprechend auch unterhaltspflichtige Angehörige als "Dritte" angesehen und der Übergang gesetzlicher Unterhaltsansprüche auf den Fürsorgeträger angenommen (zB SZ 28/33; SZ 42/28).

Die Besonderheit der Legalzession nach § 4 Abs 3 JWG, § 8 Abs 2 oö JWG (und zahlreicher ähnlicher landesgesetzlicher Legalzessionsnormen im Bereich des Sozialhilfe- und des Jugendwohlfahrtsrechts) liegt darin, daß der Rechtsübergang nicht selbsttätig mit der Erbringung der Leistungen durch den Rechtsträger eintritt (wie etwa nach § 1358 ABGB), sondern aufgeschoben bleibt, bis der Rechtsträger dem Dritten die Unterhaltsgewährung schriftlich anzeigt. Auch dieses rechtstechnische Mittel geht auf § 21 a Abs 1 und 2 FürsPflV zurück. Diese Regelung hat aber zur Folge, daß der Unterhaltsanspruch des Minderjährigen gegen den Unterhaltspflichtigen im Umfang der vom Rechtsträger gewährten Unterstützung weder erlischt noch sofort selbsttätig auf den Rechtsträger übergeht, sondern bis zur Anzeige des Rechtsträgers an den Dritten aufrecht bleibt; wäre der Unterhaltsanspruch erloschen, könnte er nicht später auf den Rechtsträger übergehen. Solange der Rechtsträger (Sozialhilfeträger) nicht den Übergang von Unterhaltsansprüchen des Minderjährigen (bzw. Sozialhilfeempfängers) an ihn durch schriftliche Anzeige an den leistungspflichtigen Dritten bewirkt hat, kann der Minderjährige (bzw. Sozialhilfeempfänger) im eigenen Namen Unterhaltsansprüche geltend machen (so zutreffend LG Salzburg, , ÖA 1984, 71). Der vom Obersten Gerichtshof wiederholt ausgesprochene Rechtssatz, daß eine Person, deren Unterhaltsbedürfnisse auf Grund einer öffentlichen Verpflichtung zur Gänze von einem Dritten gedeckt werden, schon deswegen keine Unterhaltsansprüche gegen einen zivilrechtlich Unterhaltspflichtigen stellen kann, weil ihr ein Anspruch auf Doppelversorgung nicht zusteht (SZ 22/118; EFSlg 32.941, 37.619, 37.620; SZ 55/129) kann daher dort nicht angewendet werden, wo der Gesetzgeber durch Anordnung (aufgeschobener) Legalzession ausdrücklich das Weiterbestehen des Anspruches des Unterhaltsberechtigten vorausgesetzt hat. In der Stammentscheidung SZ 22/118, auf die sich die spätere Judikatur berufen hat, war dies nicht der Fall: Der dort zitierte § 68 JWV enthielt keine Legalzessionsvorschrift. Die von der Judikatur befürchtete Doppelversorgung des Unterhaltsberechtigten tritt auch bei aufgeschobener Legalzession regelmäßig nicht ein, weil es der den Lebensbedarf gewährende Rechtsträger jederzeit in der Hand hat, den Rechtsübergang zu bewirken. Kann er aber die entsprechenden Ersatzleistungen (wie z.B. bei Überweisung durch den Amtsvormund des Unterhaltsberechtigten) auch so problemlos hereinbringen, dann wird er darauf verzichten.

Die Unterhaltsansprüche des Kindes sind daher entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes nicht erloschen.

Zufolge der Rechtsmittelbeschränkung des § 14 Abs 2 AußStrG steht dem Obersten Gerichtshof die Unterhaltsbemessung funktionell nicht zu (JBl 1980, 382; EFSlg 34 970/2; SZ 54/53). Eine Zurückverweisung der Sache an das Rekursgericht aus diesem Grunde ist jedoch im vorliegenden Fall entbehrlich, weil das Rekursgericht bereits ausgesprochen hat, daß die Leistungsfähigkeit des Vaters ausreicht, um den erhöhten Unterhaltsbedarf des Kindes zu decken. In Stattgebung des Revisionsrekurses ist daher der erstgerichtliche Beschluß sofort wiederherzustellen.