OGH vom 29.11.2018, 2Ob182/18f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. K***** S*****, als Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der H***** GmbH & Co KG (*****), gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Finanzamt *****), vertreten durch die Finanzprokuratur, wegen Feststellung zweier Insolvenzforderungen (Streitwert 30.047,77 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 88/18v-10, womit das Urteil des Landesgerichts Wels vom , GZ 1 Cg 74/17b-6, und das dem Urteil vorausgegangene Verfahren aus Anlass der Berufung der klagenden Partei als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird in Bezug auf das Hauptbegehren bestätigt. Die auf dieses Begehren entfallenden Kosten des Verfahrens der Vorinstanzen werden gegeneinander aufgehoben.
Hingegen wird der angefochtene Beschluss in Bezug auf das Eventualbegehren aufgehoben und dem Berufungsgericht wird insofern die Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei aufgetragen.
Die Kosten des Rekursverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Text
Begründung:
Die beklagte Republik Österreich meldete im Insolvenzverfahren der Schuldnerin unter anderem folgende Forderungen an:
-Lohnsteuer von 18.672,27 EUR für die Zeit vor Insolvenzeröffnung als unbedingte Insolvenzforderung, dies aufgrund eines nach Insolvenzeröffnung, aber vor der Prüfungstagsatzung ausgestellten vollstreckbaren Rückstandsausweises (ON 64);
-Lohnsteuer von 11.375,50 EUR als bedingte Insolvenzforderung für den Fall der Ausschüttung einer „Verteilungsquote“ (offenkundig für nicht ausgezahlten Lohn) an die Arbeitnehmer oder an den Insolvenz-Ausfallgeldfonds (ON 65).
Der Insolvenzverwalter bestritt diese Forderungen. Nach der Prüfungstagsatzung erließ das Finanzamt auch für die zweite Forderung einen Rückstandsausweis.
Mit der hier zu beurteilenden Prüfungsklage beantragt der die Feststellung, dass die genannten Forderungen „erloschen sind und in dieser Höhe jeweils nicht zu Recht bestehen“, hilfsweise, dass diese Forderungen „keine Insolvenzforderungen darstellen und somit nicht zu Recht bestehen“. Schuldner der Lohnsteuer sei nur der Arbeitnehmer; eine Schuld des (hier insolventen) Arbeitgebers entstehe erst mit der Erlassung eines Haftungsbescheids. Da kein solcher Haftungsbescheid erlassen worden sei, bestehe „auch keine Forderung von Seiten der Finanzverwaltung gegenüber der Schuldnerin“. Vielmehr sei die Lohnsteuer von den Dienstnehmern einzuheben. Da der Arbeitgeber für nicht abgeführte Lohnsteuer ohne Haftungsbescheid nicht hafte, habe die Finanzverwaltung insofern keinen Teilnahmeanspruch. „Daher“ sei der gegenständliche Sachverhalt in einem Prüfungsprozess und nicht im Verwaltungsverfahren abzuhandeln.
Die beantragte die Abweisung der Klage. Ein Haftungsbescheid sei nicht erforderlich, weil die Forderung nach § 14 Abs 2 IO jedenfalls mit Insolvenzeröffnung fällig geworden sei. Damit sei auch der Teilnahmeanspruch entstanden. Der die Abgabepflicht auslösende Sachverhalt habe sich vor der Insolvenzeröffnung verwirklicht. Auch der Verwaltungsgerichtshof nehme an, dass der Anspruch des Bundes schon mit Verwirklichung des Haftungstatbestands entstehe und nicht erst mit Erlassung des Haftungsbescheids, der nur die Grundlage für das Geltendmachen der Haftung sei. Mit der Nichtabfuhr sei der Anspruch „zivilrechtlich bedingt“ entstanden. Das gelte auch für die Lohnsteuer von Löhnen, die der Schuldner vor Insolvenzeröffnung zahlen hätte müssen, aber nicht gezahlt habe. Den allenfalls bedingten Charakter der Forderung hätte der klagende Insolvenzverwalter „richtigstellen“ müssen; eine Prüfungsklage komme dafür nicht in Betracht.
Das wies die Klage ab. Nach § 110 Abs 2 IO habe im Fall einer vollstreckbaren Forderung der Bestreitende zu klagen. Die Vollstreckbarkeit müsse allerdings nach einer jüngeren Lehrmeinung auch bei einer Abgabenforderung schon im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung vorliegen. Das sei hier nicht der Fall. Damit sei der Kläger nicht aktiv legitimiert, was von Amts wegen aufzugreifen sei.
Das hob aus Anlass der Berufung des Klägers das Urteil des Erstgerichts samt dem vorangegangenen Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück.
Gehöre die Sache nicht auf den Rechtsweg, so entscheide das Insolvenzgericht nur über die Rangordnung der Forderung, Streitigkeiten über deren Richtigkeit gehörten demgegenüber vor die zuständige Behörde. Letzteres gelte auch dann, wenn – wie hier – die Eigenschaft einer Forderung als Insolvenzforderung bestritten werde. Damit sei der Rechtsweg unzulässig, was aus Anlass der Berufung wahrzunehmen sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der , mit dem er eine stattgebende Sachentscheidung, hilfsweise eine Aufhebung in eine der Vorinstanzen anstrebt. Er bestreite nicht die Richtigkeit der Forderung, sondern deren Qualifikation als Insolvenz- oder Masseforderung der Beklagten. Von dieser Qualifikation hänge der Teilnahmeanspruch der Beklagten ab, der vom Gericht und nicht von der Abgabenbehörde zu beurteilen sei.
Die beantragt in der , dem Rekurs nicht Folge zu geben. Der Kläger wehre sich in der Sache gegen das Bestehen der angemeldeten Forderung, worüber die Verwaltungsbehörde zu entscheiden habe.
Rechtliche Beurteilung
Der ist (§ 519 Abs 1 Z 1 ZPO) und .
1. Nach § 110 Abs 3 IO sind Streitigkeiten über die Richtigkeit einer öffentlich-rechtlichen Forderung von der zuständigen Verwaltungsbehörde, solche über deren Rang aber vom Insolvenzgericht zu entscheiden. Den Rangstreitigkeiten sind dabei Streitigkeiten über die „Forderungsart“ gleichzuhalten (Konecny in Konecny/Schubert, § 110 KO Rz 5; G. Kodek in Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht IV4 § 110 Rz 47; 5 Ob 103/72 EvBl 1972/350; nur scheinbar anders, da ausschließlich auf die Formulierung des Klagebegehrens abstellend, 5 Ob 460/58 = RISJustiz RS0065650). Das entspricht der Rechtslage außerhalb des Prüfungsverfahrens: Auch bei Vorliegen eines gegen den Insolvenzverwalter ergangenen Bescheids hat das Insolvenzgericht zu entscheiden, ob eine nach diesem Bescheid vollstreckbare Forderung eine Masse- oder doch nur eine Insolvenzforderung ist (8 Ob 155/03g RdU 2004, 161 [im Ergebnis, nicht jedoch zur Zulässigkeit des Rechtswegs krit Kerschner/Wagner]; RISJustiz RS0064683). Die Beurteilung dieser Frage durch die Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichte bindet das Insolvenzgericht daher nicht. Nichts anderes kann gelten, wenn die Qualifikation einer Forderung im Prüfungsverfahren nach den § 102 ff IO strittig ist.
2. Der Rechtsweg ist daher nur bei Streitigkeiten über die Richtigkeit einer öffentlichrechtlichen Insolvenzforderung ausgeschlossen. Ob eine solche Streitigkeit vorliegt, ist – wie auch sonst bei der Prüfung der Rechtswegzulässigkeit – aufgrund der Klagebehauptungen zu beurteilen; dabei ist nach allgemeinen Grundsätzen nicht allein der Wortlaut des Begehrens, sondern auch die Natur (das Wesen) des geltend gemachten Anspruchs maßgebend (RISJustiz RS0045718, RS0045584, RS0045644). Entscheidend ist nicht, worauf sich der Kläger formal stützt, sondern ob nach dem Inhalt der Klage ein privatrechtlicher Anspruch erhoben wird oder nicht (8 ObA 7/16m).
3. Auf dieser Grundlage trifft die angefochtene Entscheidung in Bezug auf das zu. Denn damit macht der Kläger – wenngleich ohne schlüssige Begründung in der Klagserzählung – das der angemeldeten Forderungen geltend. Dabei handelt es sich ohne Zweifel um ein Bestreiten der Richtigkeit der Forderung. Ebenso wie ein entsprechender Einwand in der Einzelexekution (§ 35 Abs 2 Satz 5 EO) gehört diese Frage daher nicht auf den Rechtsweg. Eine Umdeutung des Begehrens im Sinn des möglicherweise Gewollten kommt nicht in Betracht, da die Beklagte auf die Unschlüssigkeit hingewiesen und der Kläger darauf (nur) mit dem Formulieren eines Eventualbegehrens reagiert hat. In Bezug auf das Hauptbegehren ist der angefochtene Beschluss daher zu bestätigen.
4. Anders verhält es sich beim auf Feststellung, dass die angemeldete Forderung sei.
4.1. Schon der Wortlaut dieses Begehrens („keine Insolvenzforderungen“) zielt auf eine Entscheidung über die Forderungsart. Dies wird auch durch das Klagevorbringen gestützt: Der Kläger macht geltend, dass die angemeldeten Forderungen keine Insolvenzforderungen seien, weil die Abgabenbehörde den Haftungsbescheid (§ 224 BAO; dazu zuletzt 3 Ob 155/16i JBl 2017, 128 [krit König]) nicht vor der Insolvenzeröffnung erlassen habe. In der Sache ist damit ausschließlich strittig, ob Insolvenzforderungen vorliegen, ob die Beklagte also zur Zeit der Insolvenzeröffnung (§ 51 Abs 1 IO) über einen – allenfalls mit Erlassung des Haftungsbescheids aufschiebend bedingten (§ 16 IO) oder durch Insolvenzeröffnung fällig werdenden (§ 14 Abs 2 IO) – vermögensrechtlichen Anspruch gegen den Schuldner verfügte oder nicht. Die Frage, welche Folgen eine Verneinung dieser Frage hätte, ist im Verfahren nach den § 102 ff IO nicht zu prüfen.
4.2. In diesem Zusammenhang ist zwar vorfrageweise zu beurteilen, ob eine Lohnsteuerforderung gegen den Arbeitgeber tatsächlich erst mit Erlassen des Haftungsbescheids nach § 224 BAO entsteht. Selbst wenn man das aber – wie zuletzt in 3 Ob 155/16i – bejahen sollte (vgl dazu aber die kritische Anmerkung von König, JBl 2017, 129 ff), folgte daraus noch nicht, dass hier nicht doch betagte oder (wohl eher) mit der Erlassung des jeweiligen Haftungsbescheids aufschiebend bedingte Insolvenz-forderungen vorliegen könnten (vgl zum weiten Bedingungsbegriff des Insolvenzrechts 10 Ob 23/03k; weiters G. Kodek, Bedingte Anmeldung und bedingte Forderung – Versuch einer Klärung, in Konecny, Insolvenz-Forum 2015 [2016] 55 [57]: die Forderung müsse vor Insolvenzeröffnung „angelegt“ und ihr Entstehen „wahrscheinlich“ sein). Dabei handelt es sich um eine genuin insolvenzrechtliche Frage, die als Streit über die Forderungsart auf den Rechtsweg gehört.
5. Aus diesen Gründen hat der Rekurs teilweise Erfolg.
5.1. Der angefochtene Beschluss ist in Bezug auf das Hauptbegehren zu bestätigen, in Bezug auf das Eventualbegehren ist er aber aufzuheben, und dem Berufungsgericht ist insofern die Entscheidung über die Berufung des Klägers aufzutragen. Dabei wird insbesondere die Frage der Aktivlegitimation zu prüfen sein (vgl dazu Konecny in Konecny/Schubert, § 110 KO Rz 26; G. Kodek in Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht IV4 § 110 Rz 47).
5.2. Die diese Entscheidung tragenden Erwägungen können wie folgt zusammengefasst werden:
Der Streit über die Frage, ob eine Abgabenforderung als (allenfalls bedingte oder betagte) Insolvenzforderung zu qualifizieren ist, ist einem Rangstreit iSv § 110 Abs 3 IO gleichzuhalten und gehört daher auf den Rechtsweg.
6. Zu den Kosten des Verfahrens
6.1. Aufgrund der teilweisen Abänderung der angefochtenen Entscheidung ist auch deren Kostenausspruch neu zu fassen. Die Entscheidung gründet sich insofern auf § 51 Abs 2 ZPO: Da die Beklagte nicht auf die Unzulässigkeit des Rechtswegs hingewiesen hat, trifft auch sie ein Verschulden an der Fortführung des Verfahrens über das Hauptbegehren (3 Ob 101/16y). Die auf dieses Begehren entfallenden Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz sind daher gegeneinander aufzuheben.
6.2. Die Kostenentscheidung für das Rekursverfahren gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO. Durch die Rekursbeantwortung kam es zu einem Zwischenstreit über die Zulässigkeit des Rechtswegs. Da die Parteien darin je zur Hälfte obsiegt haben, sind auch dessen Kosten gegeneinander aufzuheben.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0020OB00182.18F.1129.000 |
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