OGH vom 19.04.2018, 4Ob29/18w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** EAD, *****, vertreten durch Ing. DDr. Hermann Wenusch, Rechtsanwalt in Rekawinkel, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Johannes Leon, Rechtsanwalt in Wien, wegen 41.456,73 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 1 R 80/17t-15, womit der Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom , GZ 5 Cg 5/17h-9, teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse des Erstgerichts und des Rekursgerichts in dessen Punkt 2 des Beschlusstenors werden in Ansehung der Klagsforderungen von 16.867,08 EUR, 5.072,30 EUR, 7.107 EUR sowie 8.619,50 EUR, insgesamt 37.665,88 EUR, sowie im Kostenpunkt aufgehoben. Die Rechtssache wird insofern an das Erstgericht zurückverwiesen, dem die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund aufgetragen wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.363,45 EUR bestimmten Kosten des Zwischenstreits über die Zuständigkeit binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin ist eine nach bulgarischem Recht errichtete Kapitalgesellschaft mit Sitz in P*****, Bulgarien. Die beklagte GmbH hat ihren Sitz in Österreich.
Mit E-Mail vom schickte die Klägerin der Beklagten einen „Distributionsvertrag“ und einen „Vertrag über die Nutzung der Marke T*****“. Sie gab dazu an, dass „wir die Verträge brauchen, damit wir die Internetverkäufe starten“. Am richtete die Klägerin neuerlich an die Beklagte (zu Handen E***** P*****) ein E-Mail und führte aus: „Ich schicke dir den Vertrag mit den Kommentaren unsererseits. Ich habe sie unmittelbar unter den Kommentaren von E***** eingegeben. Wenn du Fragen hast, stehe ich zu deiner Verfügung.“
Mit E-Mail vom gab die Klägerin bekannt, sie habe am bestätigt, dass„der Vertrag mit den letzten Änderungen, die wir kommentiert haben, in Ordnung ist“. Die Beklagte stimmte dem Distributionsvertrag zu.
Art 23 eines – von den Parteien unstrittig nicht unterfertigten – Distributionsvertragstextes enthält eine Schiedsklausel, wonach alle Streitigkeiten, die aus dem Vertrag entstehen oder die sich auf ihn beziehen, zur Entscheidung an das Schiedsgericht bei der Europäischen Juristischen Kammer, Sofia, Bulgarien, heranzutragen seien, welches endgültig und verpflichtend für beide Seiten entscheide; das „anlegbare materielle Recht in Verbindung mit vorliegendem Vertrag“ sei das bulgarische.
Die (hier) Beklagte brachte am – nach Einbringung der vorliegenden Klage – gegen die (hier) Klägerin einen Antrag auf Schlichtung bei der Europäischen Juristischen Kammer, Sofia, Bulgarien, über einen Schlichtungsbetrag von 41.456,73 EUR ein.
Die Klägerin begehrte mit am eingebrachter Klage von der Beklagten aus insgesamt neun Rechnungen für zu verschiedenen Zeitpunkten erfolgte Warenlieferungen aufgrund zu verschiedenen Daten erfolgter Bestellungen insgesamt 41.456,73 EUR sA. Es gebe weder Schiedsvereinbarung noch Vertriebsvertrag. Die Beklagte habe erst nach Zustellung der Mahnklage ein Schiedsverfahren bei einem unzuständigen bulgarischen Schiedsgericht anhängig gemacht.
Die Beklagte wandte Unzulässigkeit des Rechtswegs und Unzuständigkeit des Erstgerichts ein und beantragte Klagszurückweisung. Aufgrund der Schiedsvereinbarung nach Art 23 Abs 2 des Distributionsvertrags sei ein Schiedsgericht in Bulgarien zuständig, ein Schiedsverfahren sei auch bereits anhängig. Der Klagsforderung würden Gegenforderungen von 132.999,25 EUR entgegengehalten.
Das Erstgericht führte eine abgesonderte mündliche Verhandlung über die Einreden durch, erklärte in der Folge den Rechtsweg für unzulässig und wies die Klage zurück. Sowohl Bulgarien als auch Österreich seien Vertragsparteien des Europäischen Übereinkommens
über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit (BGBl 1964/107). Demnach sei eine „Schiedsvereinbarung“ eine Schiedsklausel in einem Vertrag oder eine Schiedsabrede, sofern der Vertrag oder die Schiedsabrede von den Parteien unterzeichnet oder in Briefen, Telegrammen oder Fernschreiben, die sie gewechselt hätten, enthalten sei, und im Verhältnis zwischen Staaten, die in ihrem Recht für Schiedsvereinbarungen nicht die Schriftform fordern würden, jede Vereinbarung, die in den nach diesen Rechtsordnungen zulässigen Formen geschlossen sei. Gemäß § 577 Abs 2 ZPO seien die Bestimmungen der §§ 583 f ZPO auch dann anzuwenden, wenn der Sitz des Schiedsgerichts nicht in Österreich liege oder noch nicht bestimmt sei. Nach § 583 Abs 1 ZPO müsse die Schiedsvereinbarung entweder in einem von den Partien unterzeichneten Schriftstück oder in zwischen ihnen gewechselten Schreiben, Telefaxen, E-Mails oder anderen Formen der Nachrichtenübermittlung enthalten sein, die einen Nachweis der Vereinbarung sicherstellten. Hier liege ein nicht unterfertigter Vertriebsvertrag vor, der die Schiedsvereinbarung enthalte. Im Korrespondenzweg sei von der Klägerin festgehalten worden, dass dieser Vertrag in Ordnung sei; „dass die Beklagte dem Schiedsvertrag zustimmte, ist unstrittig und sie beruft sich auch darauf“. Damit sei eine gültige und wirksame Schiedsvereinbarung getroffen worden. Ein Schiedsverfahren sei zwar anhängig, jedoch sei zuerst das Gericht angerufen worden und die Gerichtsanhängigkeit daher bei Anrufung des Schiedsgerichts bereits gegeben gewesen. § 584 ZPO folge dem Grundsatz, dass dem zuerst angerufenen Forum, sei es Gericht oder Schiedsgericht, vorläufig die Klärung der Zuständigkeitsfrage („Kompetenz-Kompetenz“) selbst zukomme; eine „Aussetzung“ im Sinn einer Unterbrechung bis zur Entscheidung durch das Schiedsgericht komme nicht in Betracht. Zu beachten sei jedoch, dass vor dem Gericht und dem Schiedsgericht zwar Ansprüche aus demselben Vertrag, nicht aber idente Ansprüche vorlägen. Zwar sei Parteienidentität mit umgekehrten Parteirollen gegeben, Gegenstand des schiedsgerichtlichen Verfahrens sei ein Teil der im gerichtlichen Verfahren geltend gemachten Gegenforderungen. Das Gericht habe daher unabhängig von der Entscheidung des Schiedsgerichts seine Zuständigkeit zu beurteilen. Da eine Schiedsgerichtsvereinbarung vorliege, sei der Rechtsweg unzulässig.
Das Rekursgericht gab in Punkt 2 seiner Entscheidung dem Rekurs der Klägerin in der Hauptsache erkennbar nicht Folge. Es verneinte behauptete erstinstanzliche Verfahrensmängel, erachtete die Beweisrüge als nicht gesetzmäßig ausgeführt und teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichts, dass aus den Feststellungen über die Korrespondenz der Parteien eine Schiedsvereinbarung iSd § 583 Abs 1 ZPO ableitbar sei. Rekursvorbringen im Zusammenhang mit mangelnden Vollmachten der Parteien sei als Neuerung unbeachtlich.
Die Klägerin beantragte, den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig zu erklären, und verband dies mit der Ausführung des ordentlichen , in dem sie die Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses beantragt.
Nachdem der unmittelbar dem Obersten Gerichtshof vorgelegte Revisionsrekurs der Klägerin in Ansehung der Klagsforderungen von 95 EUR, 2.378 EUR, 889,34 EUR, 109, 51 EUR sowie 319 EUR als jedenfalls unzulässig zurückgewiesen worden war (4 Ob 167/17p), ließ das Rekursgericht nachträglich den ordentlichen Revisionsrekurs in Ansehung der Klagsforderungen von 16.867,08 EUR, 5.072,30 EUR, 7.107 EUR sowie 8.619,50 EUR (insgesamt 37.665,88 EUR) zu, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob die Bestätigung eines eine Schiedsklausel enthaltenden, nicht unterfertigten (Vertriebs)Vertrags per EMail den Formerfordernissen des § 583 Abs 1 ZPO genüge.
Die Beklagte beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig; er ist auch berechtigt.
1. Der Oberste Gerichtshof ist nur Rechts- und nicht Tatsacheninstanz (RIS-Justiz RS0043414 [T14]; RS0002399 [T2]). Fragen der Beweiswürdigung und bereits im Rekursverfahren erfolglos geltend gemachte Verfahrensmängel erster Instanz können an den Obersten Gerichtshof nicht herangetragen werden (RIS-Justiz RS0042903 [T2, T 7, T 8, T 10]; RS0069246 [T1, T 2]; RS0043414 [T11]; RS0042963).
2. Mit der Einrede einer Schiedsvereinbarung wird eine (prorogable) Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts geltend gemacht (RIS-Justiz RS0039844; vgl RS0045292). Dem zunächst angerufenen Gericht kommt vorläufig die Klärung der Zuständigkeitsfrage („Kompetenz-Kompetenz“) selbst zu; es hat aufgrund der Unzuständigkeitseinrede des Beklagten das Vorliegen der behaupteten Schiedsvereinbarung inhaltlich und nicht bloß prima facie auf ihre Existenz hin zu prüfen (5 Ob 72/16y mwN).
3. Nach § 583 Abs 1 ZPO muss eine Schiedsvereinbarung entweder in einem von den Parteien unterzeichneten Schriftstück oder in zwischen ihnen gewechselten Schreiben, Telefaxen, E-Mails oder anderen Formen der Nachrichtenübermittlung enthalten sein, die einen Nachweis der Vereinbarung sicherstellen.
Die Bestimmung nennt somit zwei gleichrangig zu bewertende alternative Möglichkeiten des Abschlusses einer Schiedsvereinbarung, nämlich einerseits in der Form eines „unterzeichneten“ Schriftstücks, andererseits in der Form „gewechselter Schreiben“. In letzterem Fall ist unabhängig vom gebrauchten Medium keine Unterschriftlichkeit erforderlich (18 OCg 1/15v = RIS-Justiz RS0130220).
4.1. Dass eine beiderseits unterfertigte Urkunde vorliegt, wurde weder behauptet noch festgestellt.
4.2. Die Beklagte hat die von ihr behauptete Schiedsvereinbarung auf die zweite Alternative und nur auf die von ihr vorgelegten Urkunden gestützt.
4.3. Aus den nur aus Urkunden und dem Parteivorbringen abgeleiteten Feststellungen der Vorinstanzen, wonach die Klägerin „dem Distributionsvertrag“ zugestimmt habe, lässt sich aber weder ableiten, auf welche Fassung dieses Vertrags sich dies bezogen haben soll, noch dass dies in der von § 583 Abs 1 ZPO gebotenen Form geschehen wäre.
Zwar blieben die Feststellungen zu Beilage ./2 unbekämpft, wonach sich die Klägerin in einem Mail vom , abgesandt anscheinend von ihrem Mitarbeiter M***** D*****, zusammengefasst dahin geäußert hat, der (Vertriebs-)Vertrag sei mit bestimmten – inhaltlich aus dem Mail nicht ableitbaren – Korrekturen „in Ordnung“; wann solle er geschickt werden. Eine zustimmende Antwort der Beklagten konkret darauf ist aber gerade nicht festgestellt. Es liegt somit kein Wechsel von Schreiben iSd § 583 Abs 1 zweite Alternative ZPO vor.
Aus der Urkunde Beilage ./2 (insbesondere deren Original und der daraus ersichtlichen Mailabfolge) ist ersichtlich, dass ein M***** M***** dieses Mail am selben Tag dahin beantwortete, die Klägerin solle „im Prinzip“ eine Vertragsurkunde schicken, damit sie zusammen mit anderen (hier anscheinend nicht relevanten) Dokumenten unterfertigt werden könne. Weiters ergibt sich aus Beilage ./2, dass M***** M***** diesen E-Mail-Verkehr sechzehn Monate später an die Office-E-Mail-Adresse der Beklagten mit dem Betreff „Vertrag“ (im Original: „Dogovor !!!!!!!!!!!!!!!!!!“) weiterleitete.
Insgesamt ist auch aus diesen Vorgängen nicht zu erschließen, dass die Parteien schon vor bzw ohne Unterfertigung im Sinne der zweiten Alternative des § 583 Abs 1 ZPO durch den bloßen Wechsel von E-Mails an eine Schiedsvereinbarung gebunden sein wollten.
5. Mangels Erfüllung einer der alternativen Voraussetzungen des § 583 Abs 1 ZPO ist daher im vorliegenden Fall keine Schiedsvereinbarung nachgewiesen. Daraus folgt, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen im noch anhängigen Umfang ersatzlos zu beheben waren und das Erstgericht diesbezüglich das gesetzmäßige Verfahren durchzuführen haben wird.
6. Eines Eingehens auf von der Revisionsrekurswerberin geltend gemachte Mängel des Rekursverfahrens bedarf es damit nicht.
7.1. Der vorliegende Streit über die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ist ein Zwischenstreit (5 Ob 72/16y; RIS-Justiz RS0035955), in dem für die insofern abgrenzbaren Kosten Ersatz zu leisten ist.
7.2. Da die Einschränkung der Verhandlung auf diese Frage im Laufe der einzigen – eine Stunde dauernden und eingangs auch dem Vortrag der Schriftsätze in der Hauptsache gewidmeten – Verhandlung vom erfolgte und die Schriftsätze davor ebenfalls auch der Erstattung von Vorbringen in der Hauptsache gedient hatten, bestehen die abgrenzbaren Kosten des Zwischenstreits nur aus jenen des Rechtsmittelverfahrens.
In diesem ist die Klägerin mit knapp über 90 % ihres Begehrens durchgedrungen, sodass sie nach §§ 50, 43 Abs 2 erster Fall ZPO auf Basis von 37.665,88 EUR (Ansatz nach TP 3B 1.017,90 EUR und nach TP 3C 1.221,60 EUR) ihre Rekurs- (1.528,95 EUR) und Revisionsrekurskosten (1.834,50 EUR) ersetzt zu erhalten hat.
7.3. Umsatzsteuer für die anwaltlichen Leistungen des Klagevertreters war nicht zuzusprechen, denn Leistungen eines österreichischen Rechtsanwalts für ausländische Parteien unterliegen nicht der österreichischen Umsatzsteuer. Verzeichnet der österreichische Anwalt im Prozess – kommentarlos – 20 % Umsatzsteuer, so wird im Zweifel nur die österreichische Umsatzsteuer angesprochen (§ 54 Abs 1 ZPO). Ist die Höhe des ausländischen (hier: bulgarischen) Umsatzsteuersatzes nicht allgemein bekannt, kann die zu entrichtende ausländische Umsatzsteuer nur zugesprochen werden, wenn im Kostenverzeichnis Entsprechendes behauptet und bescheinigt wird (vgl 4 Ob 109/15f; RIS-Justiz RS0114955 [insbes T 4, T 7, T 9]). Dies war hier nicht der Fall.
7.4. Sonstige im Rechtsmittelverfahren erstattete Schriftsätze waren überflüssig (vgl RIS-Justiz RS0041666) und nicht zu honorieren.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00029.18W.0419.000 |
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