OGH vom 27.04.2005, 3Ob18/05a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer, Dr. Zechner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Staatsanwaltschaft Wien, Wien 8, Landesgerichtsstraße 11 (AZ 93 NSt 223/03t), wider die beklagten Parteien 1. Ljiljana J*****, vertreten durch Mag. Christoph Dunst, Rechtsanwalt in Wien, und 2. Jasmin O*****, Arbeiter, *****, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in Wien, wegen Nichtigkeit der Ehe, infolge Revision der zweitbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 44 R 312/04i-43, womit infolge Berufung der zweitbeklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom , GZ 6 C 75/02v-37, bestätigt wurde, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die klagende Partei erhob die Ehenichtigkeitsklage gemäß § 23 EheG mit der Behauptung, die zwischen den Beklagten am geschlossene Ehe habe ausschließlich den Zweck gehabt, dem Zweitbeklagten die Möglichkeit zu verschaffen, problemlos eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung und damit eine Anwartschaft auf den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft zu erlangen. Die Aufnahme einer ehelichen Gemeinschaft sei von den Beklagten nie beabsichtigt gewesen und auch nicht erfolgt.
Während die Erstbeklagte diese Behauptungen als richtig zugestand, wandte der Zweitbeklagte ein, die Ehe sei zwischen den Beklagten tatsächlich vollzogen worden, sie hätten längere Zeit hindurch in einer echten ehelichen Lebensgemeinschaft gelebt und seien auch nach außen als Ehepaar aufgetreten. Die Ehefrau habe auch beim Erstgericht eine Ehescheidungsklage zu Protokoll gegeben.
Das Erstgericht erklärte die zwischen den Streitteilen geschlossene Ehe gemäß § 23 EheG für nichtig. Es traf folgende wesentliche Feststellungen:
Der am in Jugoslawien geborene Zweitbeklagte und die am in Jugoslawien geborene Erstbeklagte schlossen am vor einem Standesamt in Österreich die Ehe. Während die Erstbeklagte österr. Staatsangehörige ist, ist der Zweitbeklagte bosnischer Staatsbürger. Sie lernten einander im September 2000 in der Wohnung der Schwester der Erstbeklagten kennen. Damals war der Zweitbeklagte noch mit einer Frau in Bosnien verheiratet, mit der er drei Kinder hat. Er kam mit der Absicht nach Österreich, hier eine Frau zu finden und zu heiraten, damit er durch die Eheschließung eine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung für Österreich erhalten könnte; dies deshalb, um seine Frau und die drei Kinder in Bosnien versorgt zu wissen. Als er der Erstbeklagten bei ihrem ersten Treffen von seinem Vorhaben erzählte, entschloss sich diese aus Mitleid mit der Familie des Zweitbeklagten, ihn zu heiraten. Dessen damalige Frau ist die Kusine des Ehemannes der Schwester der Erstbeklagten. Diese Schwester hatte die Beklagten an jenem Abend zusammengebracht, weil sie auch über die Absichten des Erstbeklagten informiert war. Sie standen damals unter Zeitdruck, weil der Zweitbeklagte eben noch verheiratet war und sein Visum nur bis Gültigkeit hatte. Er erreichte, dass seine Ehe in Bosnien am geschieden wurde. Bereits am bestellten die Beklagten das Aufgebot. Vor der Eheschließung sahen sich die Beklagten „ca. zwei Mal". Sie hatten vereinbart, dass die Erstbeklagte für ihre Bereitschaft, die Ehe mit dem Zweitbeklagten einzugehen, 100.000 S erhalten sollte. Weiters war geplant, dass die Ehe drei Jahre dauern sollte. Einige Tage vor der Eheschließung vereinbarten sie, dass der Zweitbeklagte zur Erstbeklagten in deren Wohnung ziehen werde, da er damals nur eine Dienstwohnung hatte, in der er nicht bleiben konnte. Tatsächlich zog er nach der Eheschließung zu ihr und wurde dort auch angemeldet. Zum Zeitpunkt der Eheschließung bestand die Absicht der Beklagten darin, dass einziger Zweck der Eheschließung sein sollte, dem Erstbeklagten eine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung in Österreich und damit verbunden eine Anwartschaft auf den Erwerb der österr. Staatsbürgerschaft zu verschaffen. Tatsächlich lebten sie gemeinsam bis Ende Jänner 2001 in der Mietwohnung der Erstbeklagten. Dabei kam es auch zu sexuellen Kontakten, wobei beide die „Idee dazu" hatten. Im Rahmen seiner Beweiswürdigung führte das Erstgericht noch aus, dass zum Zeitpunkt der Eheschließung die Absicht auf eine Scheinehe gerichtet gewesen sei.
In seiner rechtlichen Beurteilung sah die Erstrichterin im Anschluss an die jüngere Rsp des Obersten Gerichtshofs eine Ehe auch dann für nichtig an, wenn sie zu dem Zweck geschlossen worden sei, dem Mann die Führung des Namens der Frau oder den Erwerb der Staatsangehörigkeit der Frau zu ermöglichen; ebenso, wenn sie - ohne die Absicht, eine Lebensgemeinschaft zu beginnen - ausschließlich oder zumindest überwiegend zu dem Zweck geschlossen worden sei, dem Fremden den unbeschränkten Aufenthalt in Österreich und/oder den unbeschränkten Zugang zum österr. Arbeitsmarkt zu ermöglichen, selbst wenn nach der Erfüllung der Voraussetzungen der Erwerb der österr. Staatsbürgerschaft nicht angestrebt werde. Es sei dabei auf den Zeitpunkt der Eheschließung abzustellen. Die dargestellte Absicht müsse bei beiden Ehegatten vorliegen. Im vorliegenden Fall habe es sich um eine geschäftliche Vereinbarung gehandelt. Es sei unerheblich, dass nachträglich eine Vermischung derart eingetreten sei, dass die Beklagten einige Monate gemeinsam gewohnt und auch Geschlechtsverkehr miteinander gehabt hätten. Eine Heilung nach § 23 Abs 2 EheG sei schon mangels ausreichender Ehedauer nicht eingetreten.
Die zweite Instanz bestätigte dieses nur vom Zweitbeklagten angefochtene Urteil.
Sie sah die Feststellungs- und Beweisrüge als nicht berechtigt an.
In rechtlicher Hinsicht räumte das Berufungsgericht dazu ein, dass abweichend von anderen Fällen einer Scheinehe die Beklagten im vorliegenden Fall nach Schließung der Ehe eine eheliche Gemeinschaft begründet hätten, die nicht nur vorgetäuscht gewesen sei. Es bewirke aber auch die unmittelbar auf die Eheschließung folgende Begründung einer ehelichen Lebensgemeinschaft die Heilung einer nichtigen Ehe nicht, weil dafür eine mindestens fünf Jahre dauernde eheliche Lebensgemeinschaft erforderlich sei. Die Entscheidung SZ 61/262 lasse es für den Ausschluss der Nichtigkeit genügen, dass die eheliche Lebensgemeinschaft begründet werden solle, woraus zu schließen sei, dass die Absicht auf Begründung der ehelichen Lebensgemeinschaft vor dem Abschluss der Ehe ausreiche. Hier stehe nur fest, dass die gemeinsame Absicht bestanden habe, in der Wohnung der Erstbeklagten zusammenzuziehen. Es habe aber nicht festgestellt werden können, dass die Absicht auf Begründung einer ehelichen Lebensgemeinschaft bestanden habe.
Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil Rsp zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehle, in dem die tatsächliche Begründung einer ehelichen Lebensgemeinschaft im umfassenden Sinn unmittelbar nach der Eheschließung erfolgt sei, offenbar entstanden aus der tatsächlichen Nahebeziehung. Zwar liege Nichtigkeit iSd herrschenden Interpretation des § 23 Abs 1 EheG vor. Es erscheine aber auch die Auslegung des Gesetzes dahin möglich, dass der enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Eheschließung und der Begründung der ehelichen Lebensgemeinschaft ausreiche, den Ausschluss der Nichtigkeit zu bewirken.
Die Revision des Zweitbeklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nach § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Zulässigkeit der ordentlichen Revision, die vom Zweitbeklagten billigend zitiert werden, begründen das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht. Das Berufungsgericht ist - auch nach seiner eigenen Auffassung - von der Rsp des Obersten Gerichtshofs zu § 23 Abs 1 EheG nicht abgewichen, was auch der Revisionswerber einräumt. Dieser macht auch gar nicht geltend, dass die von der Berufungsinstanz als bloß denkbar bezeichnete abweichende Interpretation die richtige wäre, sondern versucht lediglich unzulässigerweise im Revisionsverfahren die Sachverhaltsfeststellungen anzugreifen, wenn er geltend macht, es sei nur schwer nachvollziehbar, dass die Ehegatten gänzlich unterschiedliche Rechtsfolgen zu tragen hätten, wenn sie die Absicht zur Begründung einer ehelichen Gemeinschaft bereits bei der Eheschließung oder erst einen Tag oder einige Tage später gehabt hätten.
Diese Ausführungen bieten insgesamt keinen Anlass, von der stRsp des Obersten Gerichtshofs abzugehen, wonach es für die Frage der Nichtigkeit der Ehe nach § 23 Abs 1 EheG ausschließlich auf den Zeitpunkt der Eheschließung ankommt (EFSlg 48.716, 51.561, 57.075). Demgemäß wurde auch bereits wiederholt ausgesprochen, dass der spätere Wegfall der Nichtigkeitsvoraussetzungen nur unter den in § 23 Abs 2 EheG angeführten Umständen, also bei qualifizierter Dauer der ehelichen Gemeinschaft nach der Eheschließung in Betracht kommt (EFSlg 48.716, 57.075). Das entspricht auch der Lehre (etwa Schwind, Eherecht 130 f; Schwimann in Schwimann2 § 23 EheG Rz 1 und 2; Stabentheiner in Rummel3 § 23 EheG Rz 1 und 2 je mwN der Rsp). Demgemäß ist die Beurteilung des Berufungsgerichts in keiner Weise zu beanstanden und bietet keinen Anlass zur Überprüfung der eindeutigen Rsp.
Der Schwerpunkt der Revision liegt allerdings in der Darlegung angeblicher Verfassungswidrigkeit des § 23 EheG wegen damit verbundener Ausländerdiskriminierung sowie Unsachlichkeit der Fünfjahresfrist nach § 23 Abs 2 EheG und von dessen Abweichen von der einfacheren Konvalidationsmöglichkeit nach § 22 Abs 2 EheG. Weiters rügt der Zweitbeklagte die Unsachlichkeit des Scheinehetatbestandes überhaupt unter Berufung auf angebliche forensische Erfahrung (des Rechtsvertreters des Genannten ?) über den angeblichen Missbrauch der Bestimmung durch Ehepartner und durch die Praxis der Ausländerrechtsbehörden.
Damit vermag aber der Zweitbeklagte das Vorliegen erheblicher Rechtsfragen nicht darzustellen.
Was zunächst den zuletzt genannten Grund angeht, wird damit nicht einmal versucht, eine Verfassungswidrigkeit gesetzeskonform darzustellen; es handelt sich weitgehend um rechtspolitische bzw ins Anekdotische abgleitende Darlegungen. Auch eine Verfassungswidrigkeit wegen Verletzung des Gleichheitsgebots zeigt der Revisionswerber nicht auf. Abgesehen vom Nichtigkeitsgrund des § 21 EheG, der im vorliegenden Fall überhaupt nicht zur Debatte steht, lässt der Zweitbeklagte den grundlegenden Unterschied zwischen den Nichtigkeitsgründen des § 22 Abs 1 und des § 23 Abs 1 EheG außer Acht. Während die erstgenannte Bestimmung die Geschäftsunfähigkeit eines Ehegatten sanktioniert, setzt § 23 Abs 1 EheG wie dargelegt voraus, dass beide Verlobte im Zeitpunkt der Eheschließung gar nicht die Absicht hatten, eine eheliche Lebensgemeinschaft zu begründen, also einen „scheineheähnlichen Tatbestand" (Schwimann, aaO Rz 1). Es wollten also beide Ehepartner in Wahrheit kein dem Wesen einer Ehe entsprechendes Verhältnis herstellen. Im Gegensatz dazu ist im Regelfall des § 22 Abs 1 EheG nur ein Partner betroffen, in dessen Hand es der Gesetzgeber nach Abs 2 dieser Norm gibt, nach dem Wegfall der Geschäftsunfähigkeit seinen Ehefortsetzungswillen zu erkennen zu geben und damit die Heilung zu bewirken. Da nur die Willensfreiheit des bei der Eheschließung geschäftsunfähigen Ehegatten Schutzobjekt ist, kann in der relativ einfachen Heilungsmöglichkeit dieses Nichtigkeitsgrunds einerseits und den sehr strengen Voraussetzungen des § 23 Abs 2 EheG andererseits eine unsachliche Differenzierung und damit eine Verfassungswidrigkeit nach Art 7 B-VG nicht erkannt werden. Auch eine Ausländerdiskriminierung nach Art 14 EMRK ist nicht ersichtlich, stimmt doch schon die behauptete Prämisse nicht, der Nichtigkeitsgrund richte sich in der nunmehrigen Praxis ausschließlich gegen Ausländer. Dabei übersieht der Revisionswerber, dass die Nichtigkeit einer Ehe notwendigerweise beide Partner trifft, die bei der sogenannten „Staatsangehörigkeitsehe" wie auch in der heute häufigen Form der „Aufenthalts- oder Arbeitsbewilligungsehe" notwendigerweise unterschiedlicher Nationalität sein müssen, demnach in gleicher Weise auch den inländischen Ehepartner. Überdies hindert § 23 EheG Ausländer in keiner Weise daran, eine gültige Ehe zu schließen. Dass Art 12 EMRK nicht den Sinn haben kann, bloße Scheineheschließungen zu schützen, bedarf keiner weiteren Begründung.
Die Revision ist zurückzuweisen.