OGH vom 19.12.2006, 1Ob266/06h

OGH vom 19.12.2006, 1Ob266/06h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Manuela M*****, Deutschland, vertreten durch Tramposch & Partner, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei mj. Amar T*****, geboren am *****, vertreten durch Dr. Andreas Kolar, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 5.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 2.000 EUR), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 307/06p-14, womit die Berufung der beklagten Partei (Berufungsinteresse 1.250 EUR sA Leistung, 1.000 EUR Feststellung) gegen das Zwischenurteil des Bezirksgerichts Reutte vom , GZ 3 C 23/06f-8, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Gericht zweiter Instanz die neuerliche Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Bezirksgerichts Reutte vom , GZ 3 C 23/06f-8, unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens. II. Die Rekursbeantwortung der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrt auf Grund der Folgen der bei einem Schiunfall am erlittenen Körperverletzung 5.000 EUR sA an Schmerzengeld und die Feststellung der Haftung des Beklagten „für sämtliche zukünftige Schäden" aus diesem Ereignis.

Der an jenem Unfall als Snowboarder beteiligte Beklagte wendete unter anderem ein, das Verschulden am Unfall treffe allein die Klägerin. Das Erstgericht verkündete in der Verhandlung vom mündlich das „Grundurteil" über „die grundsätzlich hälfteteilige Haftung des Beklagten für alle Unfallfolgen". Nach dieser Verkündung meldete in der Verhandlung keine der Parteien das Rechtsmittel der Berufung an. Mit Schriftsatz vom (auch Datum der Postaufgabe) meldete die Klägerin ein solches Rechtsmittel an. Daraufhin fertigte das Erstgericht das in der Verhandlung vom verkündete Zwischenurteil über den Anspruchsgrund aus. Eine Ausfertigung dieses Urteils samt einer Abschrift des Protokolls über die Verhandlung vom wurde den Parteien am zugestellt. Mit dem am zur Post gegebenen Schriftsatz vom zog die Klägerin „die mittels Schriftsatz vom angemeldete Berufung" zurück. In der Folge gab der Beklagte am eine Berufung zur Post und beantragte, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass er „dem Grunde nach der Klägerin gegenüber für ein Viertel von dieser am ... kausal erlittenen Schäden" hafte.

Das Gericht zweiter Instanz wies diese Berufung als verspätet zurück und sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Die Verspätung des Rechtsmittels ergebe sich daraus, dass der Beklagte „nach Verkündung des (nunmehr) angefochtenen Urteils weder in der Tagsatzung vom noch innerhalb der 14-tägigen Frist ab Zustellung () des Protokolls über diese Tagsatzung an seinen Vertreter das Rechtsmittel der Berufung angemeldet" habe. Da das Erstgericht die verspätete Berufung nicht zurückgewiesen habe, müsse sie das Berufungsgericht zurückweisen. Dieser Beschluss sei gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO anfechtbar.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Beklagten ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO ungeachtet des Werts des Entscheidungsgegenstands zweiter Instanz und des Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zulässig (RIS-Justiz RS0043893); er ist auch berechtigt.

Zu Punkt I. des Spruchs:

1. In der Entscheidung 4 Ob 135/03m (= EvBl 2003/171) sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass § 461 Abs 2 ZPO iVm § 417a ZPO die Vereinfachung der Urteilsausfertigung und den damit verknüpften Beschleunigungseffekt bezwecke. Die frühere Herbeiführung der Rechtskraft der Sachentscheidung sei dagegen nicht als weiterer Zweck dieser gesetzlichen Regelungen anzusehen. Es widerspreche daher deren Zweck, wenn das Gericht die gleichzeitige Zustellung der Protokollsabschrift über die Verhandlung, in der das Urteil mündlich verkündet worden war, und des bereits vollständig ausgefertigten Urteils veranlasse, anstatt - nach dem jeweiligen Parteiverhalten innerhalb der Frist für die Berufungsanmeldung - entweder eine ausführliche oder eine gekürzte Urteilsausfertigung herzustellen. Entspreche das Verhalten des Gerichts dem nach einem der schriftlichen Ausfertigung vorbehaltenen Urteil gebotenen Vorgehen, so sei eine Partei zur zwecklosen Anmeldung einer Berufung nicht verpflichtet. Bei richtigem Verständnis des Sinns der Bestimmungen der §§ 461 Abs 2, 417a ZPO sei demnach § 461 Abs 2 ZPO einschränkend dahin auszulegen, dass „es im Fall der gleichzeitigen Zustellung des (mündlich verkündeten und bereits ausgefertigten) Urteils und der Protokollabschrift jener Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung, in der das Urteil verkündet wurde, einer Berufungsanmeldung nicht bedarf, sondern binnen der gesetzlichen Frist (§ 464 Abs 1 ZPO) ab Urteilszustellung Berufung erhoben werden kann". Damit werde die bereits in der Entscheidung 8 Ob 591/93 erzielte Lösung fortgeschrieben. Der erkennende Senat tritt diesen Erwägungen zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit der Berufung gegen ein mündlich verkündetes Urteil bei (ebenso Pimmer in Fasching/Konecny² IV/1 § 461 ZPO Rz 13).

2. Im angefochtenen Beschluss wurde auf die zuvor erläuterte Rechtslage nicht Bedacht genommen. Vor deren Hintergrund hatte der Beklagte keine Verpflichtung zur Berufungsanmeldung, wurde doch seinem Bevollmächtigten eine Urteilsausfertigung mit vollständigen Entscheidungsgründen gleichzeitig mit einer Abschrift des Protokolls über die Verhandlung zugestellt, in der das Erstgericht das Zwischenurteil über den Anspruchsgrund mündlich verkündet hatte. Die Berufung des Beklagten gegen dieses Urteil wurde innerhalb der Berufungsfrist nach § 464 Abs 1 ZPO zur Post gegeben. Somit ist spruchgemäß zu entscheiden. Der Kostenausspruch gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

Zu Punkt II.:

Der Oberste Gerichtshof hält daran fest, dass das Verfahren auf Grund eines Rekurses gegen einen Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem es die Berufung ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückwies, jedenfalls dann einseitig ist (RIS-Justiz RS0043760, RS0098745), wenn die Entscheidung über das Rechtsmittel - wie auch hier - nicht von der Verwertung eines durch eine Partei beigebrachten Beweises, sondern von der Wahrnehmung einer bereits aktenkundigen Tatsache abhängt (2 Ob 31/06g; 2 Ob 201/05f). Demzufolge ist die Rekursbeantwortung der Klägerin zurückzuweisen.