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OGH vom 16.03.2007, 6Ob16/07g

OGH vom 16.03.2007, 6Ob16/07g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Pimmer als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Dr. Birgit L*****, vertreten durch Dr. Christine Kolbitsch ua Rechtsanwältinnen in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei Univ. Doz. Dr. Martin F*****, vertreten durch Dr. Helga Wagner, Rechtsanwältin in Wien, wegen Erlassung einer einstweiliger Verfügung gemäß § 382b EO, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 43 R 632/06v-24, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom , GZ 3 C 53/06d-15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird dahingehend abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 266,69 (darin 44,45 EUR USt) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, die mit EUR 333,12 (darin EUR 50,52 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens sowie die mit EUR 399,74 (darin EUR 66,62 USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Streitteile sind seit verheiratet. Der Ehe entstammt die am geborene Tochter Karoline. Seit ist ein Ehescheidungsverfahren anhängig. Hauptmieter der Ehewohnung in ***** Wien, *****, ist der Beklagte. Die eheliche Wohngemeinschaft ist seit November 2005 aufgehoben, als der Beklagte aus der Ehewohnung auszog.

Die Klägerin beantragte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382b EO. Der Beklagte habe wiederholt seit März 2005 angekündigt, wieder in die Ehewohnung zurückzukehren, um die Klägerin „fertig zu machen", „zur Sau zu machen" bzw ihr „die Hölle heiß zu machen", bis sie freiwillig ausziehe. Insgesamt übe der Beklagte gezielten psychischen Druck auf die Klägerin aus, um ihren Willen im Scheidungsverfahren zu brechen. Am sei der Beklagte tatsächlich wieder in die Wohnung eingezogen. Sofort nach dem Einzug habe er versucht, die Klägerin in eine Auseinandersetzung zu verwickeln und solcherart den angekündigten Psychoterror zu entfalten.

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Dabei nahm es im Wesentlichen folgenden Sachverhalt als bescheinigt an:

In den vergangenen eineinhalb Jahren kam es häufig zu Diskussionen und Beschimpfungen zwischen den Streitteilen. Am 13., 21. und kam es zu mehreren telefonischen und persönlichen Gesprächen zwischen den Streitteilen, die durchwegs vom Beklagten initiiert waren und bei denen er die Klägerin zu überzeugen versuchte, die Ehewohnung aufzugeben. Der Beklagte äußerte unter anderem; er werde ihr einen jahrelangen Prozesskrieg liefern, wenn sie nicht ausziehe, und er habe dafür den längeren Atem; er werde die Klägerin bei der Staatsanwaltschaft und dem Dekanat anzeigen, da sie ihre Habilitation erschlichen und Datendiebstahl im Internet begangen habe; er werde versuchen, ihre Existenz zu zerstören, nachdem sie versuche, dies bei ihm zu tun; ihre gemeinsame Tochter werde unter dem Streit leiden; wenn er wieder einziehe, werde die Klägerin sich vermehrt über Gespräche mit ihm aufregen müssen; sie würden sich dann beide ein bis zwei Jahre lang anstinken und die letzte Basis zerstören; er werde mit Händen und Füßen kämpfen müssen, mit lauteren und unlauteren Mitteln, er werde den Rechtsstreit ausweiten und er mache jetzt Krieg.

Weiters beschimpfte der Beklagte die Klägerin in den Gesprächen wiederholt und wurde öfters sehr laut. Die Klägerin reagierte in den Gesprächen sehr zurückhaltend. Bei den persönlichen Gesprächen war fallweise die gemeinsame Tochter anwesend.

Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das Erstgericht ergänzend aus, es sei den Angaben des Beklagten zu folgen, wonach es auch regelmäßig zu Beleidigungen des Beklagten und dessen Familie von Seiten der Klägerin komme.

Rechtlich würdigte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahingehend, dass die bescheinigten Gesprächsinhalte und die Versuche der häufigen Kontaktaufnahme keine erhebliche Beeinträchtigung der Gesundheit der Klägerin bewirkten. Das Verhalten des Beklagten diene auch vom Empfängerhorizont aus betrachtet vornehmlich der Erzielung einer Einigung und nicht der Ausübung von psychischem Druck („Psychoterror"). Insgesamt habe das Verhalten des Beklagten kein Ausmaß erreicht, das die einschneidende Maßnahme der einstweiligen Verfügung nach § 382b EO angemessen erscheinen lasse. Das Rekursgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung. Wenngleich es sich um einen Grenzfall handle, falle das Verhalten des Beklagten unter den Begriff des „Psychoterrors", zu dessen Hintanhaltung das Rechtsinstitut der einstweiligen Verfügung gemäß § 382b EO geschaffen worden sei. Es sei bemerkenswert, dass der Beklagte trotz der ruhigen Reaktion der Klägerin in lange dauernden wiederholten Gesprächen immer wieder auf verschiedenste Art und Weise betont habe, „Krieg" gegen die Klägerin mit „lauteren und unlauteren Mitteln" führen zu wollen. Dabei sei der Beklagte auch nicht davor zurückgeschreckt, diese Auseinandersetzungen vor der vierjährigen Tochter der Streitteile zu führen. Besonders gravierend erscheine die „Perseveranz" des Beklagten.

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Beklagten ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden §§ 402, 78 EO,§ 526 Abs 2 ZPO) - Ausspruch des Rekursgerichtes im Interesse der Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit zulässig; er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 382b Abs 1 EO hat das Gericht einer Person, die einem nahen Angehörigen durch einen körperlichen Angriff, eine Drohung mit einem solchen oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten das weitere Zusammenleben unzumutbar macht, auf dessen Antrag unter anderem das Verlassen der Wohnung aufzutragen, wenn die Wohnung der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Antragstellers dient. Neben der physischen wird somit vom Gesetz auch die psychische Integrität geschützt. Es soll deshalb auch ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten („Psychoterror") die Ausweisung ermöglichen, wenn es eine Schwere erreicht, die die strenge Maßnahme der einstweiligen Verfügung angemessen erscheinen lässt (Erl RV 252 BlgNR 20. GP 8; 1 Ob 65/04x; Sailer in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO § 382b Rz 5).

2. Maßgeblich für die Beurteilung der Unzumutbarkeit weiteren Zusammenlebens nach § 382b EO sind Ausmaß, Häufigkeit und Intensität des die psychische Gesundheit beeinträchtigenden Verhaltens. Je massiver das dem Antragsgegner zur Last fallende Verhalten auf die körperliche und seelische Integrität des Opfers eingewirkt hat, je schwerwiegender die unmittelbaren Auswirkungen und die weiteren Beeinträchtigungen des Antragsgegners sind und je häufiger es zu solchen Vorfällen gekommen ist, desto eher wird unter den maßgeblichen Umständen des Einzelfalles von einer Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens auszugehen sein. Je leichtere Folgen das Verhalten des Antragsgegners gezeitigt hat, je länger es - ohne weitere einschlägige „Vorkommnisse" - zurückliegt und je mehr sich der Antragsgegner in der Folge bewährt hat, desto eher wird man hingegen dem betroffenen Ehegatten das weitere Zusammenleben zumuten können. Von Bedeutung ist allerdings stets nicht ein Verhalten, das der Durchschnittsmensch als „Psychoterror" empfände, sondern die Wirkung eines bestimmten Verhaltens gerade auf die Psyche des Antragstellers (SZ 71/118; 9 Ob 286/01a; 1 Ob 65/04x). Die Wegweisung darf jedoch in keinem Fall eine unangemessene Reaktion auf das Verhalten des Antragsgegners sein (Zechner, Sicherungsexekution und einstweilige Verfügung 174; 1 Ob 65/04x).

3. Der Oberste Gerichtshof hat schon mehrfach zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO wegen „Psychoterrors" Stellung genommen. Die Entscheidung 1 Ob 244/01s betraf einen Fall, in dem der Mann die Ehefrau zu Boden stieß und leicht verletzte, sie bei einer anderen Gelegenheit auf ein Bett geworfen, sich auf sie gesetzt, sie an beiden Handgelenken festgehalten und mit ihren eigenen Händen ins Gesicht geschlagen sowie ihr einen Schlag gegen die Schulter versetzt hat. Bei einem weiteren Anlass drohte er, ein Fenster einzuschlagen, nachdem ihm die Frau den Einlass verwehrt hatte. In diesem Fall hob der Oberste Gerichtshof die Entscheidungen der Vorinstanzen auf, weil die weitere Feststellung, das Verhalten des Mannes gegenüber der Frau sei bedrohlich, wenn sie nicht seinen Wünschen entspreche, nicht ausreichend konkretisiert sei.

In der Entscheidung 9 Ob 286/01a stellte der Oberste Gerichtshof die einstweilige Verfügung des Erstgerichtes wieder her. Diese Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in dem der 17-fach einschlägig vorbestrafte Ehemann die Ehewohnung von Nachbarhäusern aus beobachtete und die Antragstellerin fortwährend kontrollierte und überwachte. Sie lebte in ständiger Angst und traute sich nicht mehr, das Haus zu verlassen, weil ihr der Antragsgegner wiederholt mit dem Auto nachfuhr. Einmal versuchte er auch, mit einem Schlosser und vier Bekannten das Zylinderschloss der Ehewohnung aufzubohren. In der Entscheidung 1 Ob 65/04x erblickte der Oberste Gerichtshof in den Feststellungen der Vorinstanzen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Ehemann mit seinen Handlungen die Ehefrau zu „zermürben" versuche. Das Versperren des Garagentores oder das behindernde Parken des Autos seien in ihrer Intensität auch unter Berücksichtigung subjektiver Empfindlichkeit beträchtlich davon entfernt, als „Psychoterror" eingestuft werden zu können. Nach der Entscheidung des erkennenden Senates 6 Ob 229/06d reicht der Umstand, dass sich der Mann von der Frau völlig abwandte und seiner eigenen Wege ging, mag dies für die Ehefrau auch massiv belastend sein, für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382b Abs 1 EO nicht aus.

4. Auch die zweitinstanzliche Judikatur verlangt weitere relevante Verhaltensweisen, etwa die Unterhaltung ehewidriger Beziehungen in der Ehewohnung (LGZ Wien EFSlg 35.160) oder ein mehrfaches Bedrohen des Ehegatten mit dem Umbringen (LG Salzburg EFSlg 102.510) oder die Durchführung des Geschlechtsverkehrs mit dem Ehegatten gegen dessen Willen (LGZ Wien EFSlg 112.570). Schon nach der früheren Rechtslage wurde die Aufforderung an den Ehegatten, sich umzubringen, als ausreichend angesehen (1 Ob 711/77 = MietSlg 29.002).

5. Die bloße nicht näher differenzierte Bezeichnung eines bestimmten Verhaltens als „Psychoterror" erübrigt nicht eine Auseinandersetzung mit dem Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 382b Abs 1 EO. Nach dieser Bestimmung rechtfertigt nicht die Ausübung von „Psychoterror" schlechthin die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach der zitierten Gesetzesstelle, sondern nur dann, wenn dadurch die psychische Gesundheit des Antragstellers erheblich beeinträchtigt wird. Bei der Prüfung des Vorliegens einer erheblichen Beeinträchtigung im Sinne des Gesetzes ist nicht die Empfindung eines Durchschnittsmenschens, sondern die konkrete Wirkung eines bestimmten Verhaltens gerade auf die Psyche des Antragstellers wesentlich (9 Ob 286/01a; 1 Ob 65/04x).

6. Im vorliegenden Fall erreicht weder das Verhalten des Ehemannes noch die Reaktion der Ehefrau ausreichendes Gewicht, eine erhebliche Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes der Klägerin im Sinne des § 382b Abs 1 EO annehmen zu können. Die mit einem Scheidungsverfahren üblicherweise verbundenen Auseinandersetzungen und die daraus allenfalls resultierende nervliche Belastung ist jedenfalls noch keine erhebliche Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit (6 Ob 229/06d). Würde man eine einstweilige Verfügung auch in einem Sachverhalt wie dem vorliegenden erlassen, würde die Ausnahmeregelung des § 382b Abs 1 EO zu einer Routinemaßnahme in einem Großteil aller Scheidungsverfahren, zumal nach den Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen es auch regelmäßig zu Beleidigungen des Beklagten von Seiten der Klägerin kommt.

Damit war aber in Abänderung der Entscheidung des Rekursgerichtes die antragsabweisende Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen. Die Entscheidung über die Kosten des Provisorialverfahrens gründet sich auf § 393 Abs 1 EO,§§ 41 und 50 ZPO iVm § 78 EO.