OGH vom 05.07.2011, 4Ob27/11s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Erwin Köll, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei T***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Joachim Stock, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 36.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom , GZ 2 R 2/11b 10, womit der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom , GZ 59 Cg 189/10k 4, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art 5 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinien 84/450/EWG, 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG sowie der Verordnung (EG) Nr 2006/2004 (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) dahin auszulegen, dass bei irreführenden Geschäftspraktiken iSd Art 5 Abs 4 dieser Richtlinie eine gesonderte Prüfung der Kriterien des Art 5 Abs 2 lit a der Richtlinie unzulässig ist?
II. Das Verfahren über das Rechtsmittel der klagenden Partei wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.
Text
Begründung:
I. Sachverhalt
Beide Streitteile betreiben Reisebüros; sie organisieren und vermitteln Schulschikurse oder Winterurlaube von Schülergruppen aus dem Vereinigten Königreich in Österreich.
In der englischsprachigen Verkaufsbroschüre der Beklagten waren bestimmte Unterkünfte durch auffällige „exklusive“ Zeichen gekennzeichnet. Nach den Erläuterungen bedeutete die Bezeichnung eines bestimmten Hotels als „exklusiv“, dass dieses Hotel in einem fixen Vertragsverhältnis zur Beklagten stehe und zu den angegebenen Terminen nicht von einem anderen Reiseveranstalter angeboten werde. Auch in der Preisliste fanden sich derartige Hinweise auf die exklusive Reservierung für die Beklagte.
Die Beklagte hatte mit mehreren Beherbergungsbetrieben für bestimmte Zeiträume im Jahr 2012 Verträge über Bettenkontingente geschlossen, wobei eine Fixbuchung durch die Beklagte jeweils 28 Tage vor Anreise vereinbart war. Die von der Beklagten mit diesen Beherbergungsbetrieben geschlossenen Verträge enthielten die Bestimmung, dass die ausgewiesenen Zimmerkontingente für die Beklagte zur uneingeschränkten Verfügung gehalten werden und ohne ausdrückliche schriftliche Zustimmung der Beklagten der Beherbergungsbetrieb von dieser Vereinbarung nicht abstehen könne. Zur Absicherung der Exklusivität vereinbarte die Beklagte mit dem Beherbergungsunternehmen Rücktrittsrechte sowie eine Vertragsstrafe.
Die Klägerin reservierte in den selben Betrieben für die selben Termine ebenfalls Bettenkontingente; die Reservierungen der Klägerin erfolgten zu späteren Zeitpunkten als die von der Beklagten geschlossenen Exklusivverträge. Die Beherbergungsbetriebe verstießen damit gegen ihre vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Beklagten.
Auf jeweilige Nachfrage erhielt die Geschäftsführerin der Beklagten von den Beherbergungsbetrieben die Mitteilung, dass noch keine Reservierungen von anderen Reiseveranstaltern vorgenommen worden seien. Die Geschäftsführerin achtete darauf, dass mangels Kapazität bei den Beherbergungsbetrieben keine anderen Reisegruppen in den Hotels Platz finden würden. Die konkurrierenden Reservierungen der Klägerin waren der Geschäftsführerin der Beklagten bis zum Beginn des Verfahrens nicht bekannt.
Im September 2010 versandte die Beklagte die Verkaufsbroschüre und Preisliste, in der zu den Unterkünften, mit deren Betreibern sie die oben genannten Exklusivvereinbarungen abgeschlossen hatte, angegeben war, dass die Beklagte die gesamte zur Verfügung stehende Bettenzahl dieser Betriebe reserviert hätte.
II. Anträge und Vorbringen der Parteien
Zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsbegehrens begehrt die Klägerin , der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu verbieten, bei der Ausübung des Reisebürogewerbes zu behaupten, eine bestimmte Unterkunft werde von ihr zu einem bestimmten Anreisetermin exklusiv angeboten, das heißt, sie könne zu einem bestimmten Anreisetermin nur über die Beklagte gebucht werden, wenn diese Aussage unrichtig sei, insbesondere deshalb, weil die genannte Unterkunft zum angeführten Anreisetermin auch über die Klägerin gebucht werden könne. Die Behauptung exklusiver Buchungsmöglichkeit über die Beklagte sei bei den diesbezüglich genannten Unterkünften unrichtig. Die Klägerin habe selbst die gesamten oder teilweisen Unterbringungsmöglichkeiten in den Semester oder Osterferien 2012 gebucht. Die unrichtigen Behauptungen verstießen gegen § 1 Abs 1 Z 1 und 2, Abs 3 Z 1 und 2 sowie § 2 UWG.
Die Beklagte wendet ein, ihre Geschäftsführerin habe mit sämtlichen strittigen Beherbergungsbetrieben unkündbare Reservierungsverträge abgeschlossen. Sie habe sich jeweils vergewissert, dass in den reservierten Zeiten kein anderer Reiseveranstalter bereits Betten reserviert habe und dies aufgrund des reservierten Kontingents und der zur Verfügung stehenden Bettenkapazität auch nicht mehr könne. Die Verträge der Klägerin mit diesen Beherbergungsbetrieben seien später als die Vereinbarungen der Beklagten geschlossen worden. Die Klägerin und die Unterkunftgeber hätten wissen müssen, dass es gültige und unkündbare Verträge mit der Beklagten gebe und dass eine Reservierung zu Gunsten der Klägerin eine Vertragswidrigkeit bilde. Die Klägerin könne sich daher auf die im Nachhinein geschlossenen Verträge nicht berufen. Da die Beklagte bei Erstellung der Broschüre die erforderliche berufliche Sorgfalt an den Tag gelegt und ihr bis zum Versenden der Broschüre die Verträge der Beherbergungsbetreiber mit der Klägerin nicht bekannt gewesen seien, liege kein objektiv sorgfaltswidriges Verhalten und damit keine unlautere Geschäftspraktik vor.
III. Bisheriges Verfahren
Das Erstgericht wies das Sicherungsbegehren ab. Die beanstandete Exklusivitätsbehauptung sei im Hinblick auf die von der Beklagten früher geschlossenen unkündbaren Reservierungsverträge richtig.
Das Gericht zweiter Instanz bestätigte die Antragsabweisung. Die Beklagte sei den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt nachgekommen, um die von ihr beworbene exklusive Buchungsmöglichkeit abzusichern. Die Beklagte habe sich auf die Vertragstreue ihrer Partner verlassen dürfen. Es liege daher keine unlautere Geschäftspraktik vor.
Der Oberste Gerichtshof hat über einen Revisionsrekurs der Klägerin zu entscheiden, die weiter die Erlassung der beantragten einstweiligen Verfügung anstrebt. Nach der vorläufigen Beurteilung des Senats müsste dieses Rechtsmittel erfolglos bleiben, wenn sich die Beklagte trotz Vorliegens einer objektiv unrichtigen und zur Irreführung des Verbrauchers geeigneten Werbebehauptung darauf berufen kann, nicht entgegen den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht gehandelt zu haben, sodass keine unlautere Geschäftspraktik vorliege.
IV. Rechtsgrundlagen
1. Nach Art 2 lit d RL-UGP bezeichnet der Ausdruck „Geschäftspraktik im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern“ bzw kurz „Geschäftspraktiken“
jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt.
Art 3 Abs 1 RL-UGP, der den Anwendungsbereich dieser Richtlinie umschreibt, lautet wie folgt:
Diese Richtlinie gilt für unlautere Geschäftspraktiken im Sinn des Artikels 5 zwischen Unternehmen und Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts.
Weitere für den Streitfall maßgebende Bestimmungen der RL-UGP lauten auszugsweise wie folgt:
Art 5: Verbot unlauterer Geschäftspraktiken
(1) Unlautere Geschäftspraktiken sind verboten.
(2) Eine Geschäftspraxis ist unlauter, wenn
a) sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widerspricht, und
b) sie in Bezug auf das jeweilige Produkt das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet oder des durchschnittlichen Mitglieds einer Gruppe von Verbrauchern, wenn sich eine Geschäftspraxis an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen.
…
(4) Unlautere Geschäftspraktiken sind insbesondere solche, die
a) irreführend im Sinn der Artikel 6 und 7 oder
b) aggressiv im Sinn der Artikel 8 und 9 sind.
(5) Anhang I enthält eine Liste jener Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen als unlauter anzusehen sind. Diese Liste gilt einheitlich in allen Mitgliedstaaten und kann nur durch eine Änderung dieser Richtlinie abgeändert werden.
Art 6: Irreführende Handlungen
(1) Eine Geschäftspraxis gilt als irreführend, wenn sie falsche Angaben enthält und somit unwahr ist oder wenn sie in irgendeiner Weise, einschließlich sämtlicher Umstände ihrer Präsentation, selbst mit sachlich richtigen Angaben den Durchschnittsverbraucher in Bezug auf einen oder mehrere der nachstehend aufgeführten Punkte täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist und ihn in jedem Fall tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte:
a) das Vorhandensein oder die Art des Produkts;
2. Die in Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken erlassenen, hier nach Ansicht des Senats maßgeblichen Bestimmungen des österreichischen Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) lauten wie folgt:
§ 1. (1) Wer im geschäftlichen Verkehr
1. eine unlautere Geschäftspraktik oder sonstige unlautere Handlung anwendet, die geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil von Unternehmen nicht nur unerheblich zu beeinflussen, oder
2. eine unlautere Geschäftspraktik anwendet, die den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt widerspricht und in Bezug auf das jeweilige Produkt geeignet ist, das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet, wesentlich zu beeinflussen,
kann auf Unterlassung und bei Verschulden auf Schadenersatz in Anspruch genommen werden.
[…]
(3) Unlautere Geschäftspraktiken sind insbesondere solche, die
1. aggressiv im Sinne des § 1a oder
2. irreführend im Sinne des § 2
sind.
(4) Im Sinn dieses Gesetzes bedeutet
1. „Produkt“ jede Ware oder Dienstleistung, …
2. „Geschäftspraktik“ jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Unternehmens, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts zusammenhängt;
[…]
8. „berufliche Sorgfalt“ den Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, bei dem billigerweise davon ausgegangen werden kann, dass ihn der Unternehmer gemäß den anständigen Marktgepflogenheiten in seinem Tätigkeitsbereich anwendet.
§ 2. (1) Eine Geschäftspraktik gilt als irreführend, wenn sie unrichtige Angaben (§ 39) enthält oder sonst geeignet ist, einen Marktteilnehmer in Bezug auf das Produkt über einen oder mehrere der folgenden Punkte derart zu täuschen, dass dieser dazu veranlasst wird, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen, die er andernfalls nicht getroffen hätte:
1. das Vorhandensein oder die Art des Produkts;
[…]
(2) Jedenfalls als irreführend gelten die im Anhang unter Z 1 bis 23 angeführten Geschäftspraktiken.
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- | Vorlagefrage |
Rechtliche Beurteilung
1. Die Bestimmungen des UWG sind richtlinienkonform auszulegen. Damit stellt sich die Frage, wie sich die allgemeine Definition der unlauteren Geschäftspraktik in Art 5 Abs 2 RL UGP zu den speziellen Definitionen der irreführenden oder aggressiven Geschäftspraktiken in den Art 6 bis 9 RL UGP verhält. Die der Neufassung des UWG zugrundeliegende Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/EG) hält in Art 5 Abs 1 fest, dass unlautere Geschäftspraktiken ganz allgemein verboten sind. Nach Art 5 Abs 2 RL UGP ist eine Geschäftspraktik unlauter, wenn sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt widerspricht und geeignet ist, das wirtschaftliche Verhalten eines Durchschnittsverbrauchers wesentlich zu beeinflussen. Insbesondere unlauter sind nach Art 5 Abs 4 lit a RL UGP irreführende Geschäftspraktiken iSv Art 6 und 7 RL UGP; unter allen Umständen unlauter sind nach Art 5 Abs 5 RL UGP jene Geschäftspraktiken, die im Anhang I der Richtlinie genannt sind.
2. Nach Erwägungsgrund 13 der Richtlinie sollen die Regelungen über irreführende (und aggressive) Geschäftspraktiken (Art 6 bis 9 RL UGP) das allgemeine Verbot (Art 5 Abs 1 und 2 RL UGP) „konkretisieren“; (nur) die im Anhang genannten Geschäftspraktiken sollen als unlauter gelten, ohne dass eine Beurteilung des Einzelfalls nach den Art 5 bis 9 RL UGP erforderlich wäre (EG 17).
Nach Art 5 Abs 2 RL-UGP (und § 1 Abs 1 Z 2 UWG) liegt eine unlautere Geschäftspraktik vor, wenn das beanstandete Verhalten den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt widerspricht und geeignet ist, die wirtschaftliche Entscheidung eines Durchschnittsverbrauchers wesentlich zu beeinflussen. Art 6 Abs 1 wie auch Art 8 Abs 1 RL-UGP (und §§ 1a und 2 Abs 1 UWG) übernehmen zwar in etwas veränderter Formulierung das zweite dieser Elemente, indem eine irreführende oder aggressive Geschäftspraktik nur dann vorliegt, wenn der Durchschnittsverbraucher dadurch zu einer sonst nicht getroffenen geschäftlichen Entscheidung veranlasst wird. Keine dieser Bestimmungen verweist aber auf das in Art 5 Abs 2 lit a RL-UGP und § 1 Abs 1 Z 2 UWG geregelte Erfordernis eines Widerspruchs gegen die berufliche Sorgfalt. Das kann unterschiedlich ausgelegt werden: Einerseits könnte angenommen werden, dass ein unter Art 6 bis 9 RL-UGP (§ 2 UWG) fallendes Verhalten die Voraussetzungen des Art 5 Abs 2 lit a RL-UGP jedenfalls erfüllt und daher immer auch gegen die berufliche Sorgfalt verstößt. Nach diesem Verständnis wäre die Geschäftspraktik schon dann unlauter, wenn das beanstandete Verhalten aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers irreführenden oder aggressiven Charakter hat; ob es auch im Widerspruch zu den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt steht, wäre nicht gesondert zu prüfen. Andererseits könnte aber auch die Auffassung vertreten werden, dass bei Vorliegen einer aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers irreführenden oder aggressiven Geschäftspraktik zusätzlich zu prüfen ist, ob das beanstandete Verhalten den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt widerspricht. Nach diesem Verständnis müsste es dem Unternehmer möglich sein, aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu beweisen, dass er die berufliche Sorgfalt eingehalten hat. Für diese Lösung sprechen systematische Überlegungen: Ist der Irreführungstatbestand des Art 6 RL UGP (des § 2 UWG) als Konkretisierung der in Art 5 Abs 2 (§ 1 Abs 1 Z 2 UWG) definierten unlauteren Geschäftspraktik zu verstehen (EG 13; vgl Köhler in Köhler/Bornkamm , UWG 29 § 2 Rz 126) und ist die unlautere Geschäftspraktik durch einen Verstoß gegen die Erfordernisse der beruflichen Sorgfalt definiert, liegt der Schluss nahe, dass bei Einhaltung der Erfordernisse der beruflichen Sorgfalt eine irreführende Geschäftspraktik nicht vorliegen kann. Wird nämlich eine Generalklausel (hier Art 5 Abs 2 RL-UGP und § 1 Abs 1 Z 2 UWG) durch speziellere Regelungen „konkretisiert“, so ist nicht anzunehmen, dass dabei eines der beiden wesentlichen Elemente der Generalklausel unerheblich wird.
3. Die Klärung dieser Rechtsfrage ist im vorliegenden Fall von entscheidender Bedeutung: Die objektiv falsche Behauptung der Beklagten, bestimmte Beherbergungsbetriebe könnten für bestimmte Zeiten ausschließlich über sie gebucht werden, war zweifellos eine Geschäftspraktik iSd Art 2 lit d RL UGP. Sie betraf einen besonderen Aspekt der „Verfügbarkeit“ des von der Beklagten angebotenen Produkts iSv Art 6 Abs 1 lit a RL UGP, nämlich die Frage, ob dieses nur bei der Beklagten oder auch bei anderen Anbietern vorhanden war. Verbraucher wurden durch die behauptete Exklusivität abgehalten, die betreffenden Quartiere auch in Angeboten anderer Veranstalter zu suchen. Darin liegt eine geschäftliche Entscheidung, die sie sonst möglicherweise nicht getroffen hätten (Art 6 Abs 1 RL UGP). Aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers war die Geschäftspraktik daher irreführend. Käme es nur darauf an, wäre das von der Klägerin beantragte Verbot zu erlassen. Anderes würde jedoch gelten, wenn zusätzlich zu prüfen wäre, ob das beanstandete Verhalten den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widersprach (Art 5 Abs 2 lit a RL-UGP). Das war hier nicht der Fall, weil sich die Beklagte die von ihr behauptete Exklusivität vertraglich gesichert hatte. Sie durfte auf die Vertragstreue ihrer Geschäftspartner vertrauen und musste nicht damit rechnen, dass Beherbergungsbetriebe ihre vertraglichen Verpflichtungen verletzen und auch anderen Reisebüros Zimmerkontingente anbieten würden. Ist daher der Verstoß gegen die berufliche Sorgfaltspflicht ein auch bei irreführenden Geschäftspraktiken gesondert zu prüfendes Kriterium, wäre der Antrag der Klägerin abzuweisen.
4. Der Europäische Gerichtshof hatte diese Frage bisher noch nicht zu entscheiden. Der Oberste Gerichtshof konnte sie in der Entscheidung 4 Ob 42/08t ( W. Klaviere ) offen lassen, weil im konkreten Fall nicht nur eine objektive Irreführung, sondern jedenfalls auch eine Verletzung der beruflichen Sorgfalt vorlag.
Im Schrifttum werden beide Auslegungen vertreten: Nordemann (in Götting/Nordemann , UWG § 5 Rn 0.33) führt zur deutschen Rechtslage aus, Tatbestandsvoraussetzung des Irreführungsverbots sei nicht nur die irreführende geschäftliche Handlung, sondern auch der Verstoß gegen die „fachliche Sorgfalt“ (entspricht der beruflichen Sorgfalt) und die Eignung, das wirtschaftliche Verbraucherverhalten zu beeinflussen oder die Mitbewerberinteressen spürbar zu beeinträchtigen. In diesem Sinn prüfte das (deutsche) Oberlandesgericht Jena (2 U 983/08 = NJOZ 2010, 1216) das Kriterium der Verletzung der fachlichen Sorgfalt ungeachtet bejahter Irreführungseignung.
Demgegenüber wird im Schrifttum mehrfach die Ansicht vertreten, bei irreführenden oder aggressiven Geschäftspraktiken sei eine gesonderte Prüfung der Kriterien des Art 5 Abs 2 RL UGP unzulässig ( Heidinger in Wiebe/G. Kodek , UWG [2009] § 1 Rz 13; Köhler , Grenzstreitigkeiten im UWG, wrp 2010, 1293 [1298]; Scherer , Die „Verbrauchergeneralklausel“ des § 3 II 1 UWG - eine überflüssige Norm, wrp 2010, 586 [589]).
Als Gericht letzter Instanz ist der Oberste Gerichtshof zur Vorlage verpflichtet, wenn die richtige Anwendung des Unionsrechts nicht derart offenkundig ist, dass kein Raum für vernünftige Zweifel bleibt. Solche Zweifel liegen hier vor.
Bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist das Verfahren über das Rechtsmittel der Klägerin zu unterbrechen.