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OGH vom 25.03.2010, 2Ob179/09a

OGH vom 25.03.2010, 2Ob179/09a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christine N*****, vertreten durch Dr. Walter Reitmann, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagten Parteien 1. Wilfried H*****, und 2. A*****AG, *****, beide vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 5.722,76 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 211/09k 41, womit ua die Berufung der beklagten Parteien gegen das Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom , GZ 15 C 577/08x-27, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der beklagten Parteien unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

B e g r ü n d u n g :

Die Klägerin begehrte nach einem Verkehrsunfall von den beklagten Parteien Schadenersatz in Höhe von zuletzt 5.722,76 EUR sA.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 4.450 EUR sA statt und wies das (unbezifferte) Mehrbegehren ab. Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung addierte es die einzelnen Schadenspositionen und gelangte nach Abzug eines in dem gegen den Erstbeklagten geführten Strafverfahren bereits zuerkannten Schmerzengelds (rechnerisch richtig) zum letztlich zugesprochenen Betrag.

Die Urteilsausfertigungen wurden den Parteien am zugestellt. Am langte beim Erstgericht ein Antrag der Klägerin auf Berichtigung der ihr zugestellten Urteilsausfertigung ein. In der rechtlichen Beurteilung werde der Gesamtschaden unrichtig mit 450 (statt 4.450) EUR angeführt. Die dem Schriftsatz beigefügte Urteilsausfertigung wich insoweit tatsächlich von der Urschrift des Urteils ab.

In einem Amtsvermerk vom hielt das Erstgericht fest, dass „irrtümlich ein Urteilsentwurf, nicht jedoch die Urteilsendfassung“ an die Parteienvertreter übermittelt worden sei. Am selben Tag richtete es eine Note an den Beklagtenvertreter und forderte diesen zur Vorlage der ihm zugestellten Urteilsausfertigung binnen acht Tagen auf, „da aufgrund eines technischen Gebrechens irrtümlich der Urteilsentwurf und nicht die Urteilsendfassung“ übermittelt worden sei. Die beklagten Parteien kamen diesem Ersuchen fristgerecht nach und retournierten „den irrtümlich übermittelten Urteilsentwurf“. Die vom Erstgericht daraufhin angefertigten Ablichtungen von der Urschrift des Urteils wurden den Parteien am zugestellt.

Am überreichten die beklagten Parteien beim Erstgericht die Berufung. An diesem Tag langte auch die (offenbar per Post eingebrachte) Berufung der Klägerin beim Erstgericht ein.

Das Berufungsgericht wies mit dem angefochtenen Beschluss beide Berufungen als verspätet zurück.

Es führte aus, den Parteien sei am jeweils eine den Mindesterfordernissen des § 417 ZPO und den einschlägigen Regelungen der Geo entsprechende, mit der Langstampiglie des Gerichts (Name der Erstrichterin und Unterschrift der Leiterin der Geschäftsabteilung) versehene Ausfertigung des im Akt erliegenden und von der Erstrichterin unterfertigten Urteils zugestellt worden. Diese Ausfertigungen hätten sich von der Urschrift des Urteils ausschließlich darin unterschieden, dass in der rechtlichen Beurteilung statt des richtigen Gesamtschadensbetrags von 4.450 EUR ein Betrag von 450 EUR angeführt gewesen sei. Im Falle der - hier lediglich faktisch durch Zusendung einer verbesserten Ausfertigung veranlassten - Berichtigung eines Urteils oder dessen Ausfertigungen würden die Rechtsmittelfristen grundsätzlich erst mit der Zustellung der berichtigten Ausfertigungen zu laufen beginnen. Dies gelte jedoch dann nicht, wenn die ein Rechtsmittel ergreifende Prozesspartei auch ohne Berichtigungsbeschluss bzw Zugang einer verbesserten Urteilsfassung keinen Zweifel über den wirklichen Inhalt des richterlichen Ausspruchs haben könne. Die Berichtigung offenbarer, also sofort „ins Auge springender“ Unrichtigkeiten in einer Entscheidungsausfertigung, desgleichen derartiger Abweichungen der Ausfertigung von der Urteilsurschrift, berühre den eigentlichen Urteilsinhalt nicht, ändere nichts am Umfang der bereits eingetretenen Rechtskraft und führe daher nicht zum Neubeginn der Rechtsmittelfrist.

Diese Voraussetzungen träfen auf den vorliegenden Fall zu. Die Mitteilung des Erstgerichts an den Beklagtenvertreter, dass lediglich ein Urteilsentwurf, nicht aber die Urteilsendfassung zugestellt worden wäre, habe deshalb keinen Neubeginn der Berufungsfrist für die beklagten Parteien auslösen können, weil die betreffende (erste) Urteilsausfertigung aufgrund der bereits genannten objektiven Merkmale eindeutig als solche und nicht als „Entwurf“ erkennbar gewesen sei. Im Übrigen läge selbst im Falle einer tatsächlich irrtümlichen Zustellung eines bloß als Entscheidungsentwurf gedachten, als solcher aber nicht erkennbaren Exemplares lediglich ein Berichtigungsfall nach § 419 ZPO vor. Da die Berufungsfrist am geendet habe, seien beide Rechtsmittel verspätet.

Während die Klägerin diese Entscheidung unbekämpft ließ, erheben die beklagten Parteien dagegen Rekurs . Sie streben darin die ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Berufungsgericht zur inhaltlichen Entscheidung über die Berufung an.

Die Klägerin, die keine Rekursbeantwortung (im Sinne einer Gegenschrift) erstattete, trat in einer „Äußerung zum Rekurs der beklagten Parteien“ deren Rechtsmittelanträgen vollinhaltlich bei, sprach sich aber (aus diesem Grund) gegen den Ersatz der Rekurskosten aus.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig, weil gegen den Beschluss, mit dem das Berufungsgericht eine Berufung aus formellen Gründen zurückweist, gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO der Rekurs ohne Rücksicht auf den Wert des Entscheidungsgegenstands und auf das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erhoben werden kann (RIS-Justiz RS0043893). Er ist auch berechtigt.

Die beklagten Parteien machen im Wesentlichen geltend, sie hätten nicht wissen können, in welchem Umfang sich die vom Erstgericht als „Urteilsentwurf“ bezeichnete und von ihnen zurückgeforderte Ausfertigung von der Urschrift des Urteils unterscheide. In einem solchen Fall beginne die Rechtsmittelfrist mit der Zustellung der berichtigten Ausfertigung neu zu laufen.

Hiezu wurde erwogen:

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs beginnen sowohl im Falle einer beantragten als auch einer von Amts wegen verfügten Berichtigung eines Urteils die Rechtsmittelfristen grundsätzlich erst mit der Zustellung der berichtigten Urteilsausfertigung, es sei denn, dass der Rechtsmittelwerber auch ohne Berichtigungsbeschluss keinen Zweifel über den wirklichen Inhalt des richterlichen Ausspruchs haben konnte (1 Ob 392/97x; 2 Ob 61/00k; 8 Ob 54/08m; 4 Ob 79/08h; RIS Justiz RS0041797 [T1]). Die zuletzt genannte Einschränkung soll eine missbräuchliche Verlängerung der Rechtsmittelfrist hintanhalten. Erlangen die Parteien erst durch die Berichtigung einer Entscheidung volle Klarheit über deren Inhalt, dann beginnt die Rechtsmittelfrist erst mit der Zustellung des Berichtigungsbeschlusses bzw der berichtigten Urteilsausfertigung zu laufen (vgl 1 Ob 392/97x; 5 Ob 35/03p mwN).

2. Abweichungen zwischen der Urschrift und der Ausfertigung gerichtlicher Entscheidungen sind durch Berichtigung der Ausfertigung zu beseitigen, die ohne Rücksicht darauf zulässig ist, ob die Abweichungen für die Parteien offenkundig sind (RIS Justiz RS0041601, RS0041530). Bei diesen Abweichungen handelt es sich nicht um Divergenzen zwischen dem Entscheidungswillen und der erklärten Entscheidung, sondern lediglich um eine Nichtübereinstimmung der bereits in Form der Urschrift vorliegenden Entscheidung und der darauf beruhenden Ausfertigung (9 ObA 14/01a; M. Bydlinski in Fasching/Konecny ² § 419 ZPO Rz 10).

3. Ein neuer Fristenlauf kann nach der dargestellten Rechtslage auch dann beginnen, wenn das Gericht innerhalb offener Rechtsmittelfrist die den Parteien zugestellten Urteilsausfertigungen von Amts wegen zur Berichtigung wieder abverlangt. In diesen Fällen kommt es darauf an, ob die Parteien etwa aufgrund einer entsprechenden Mitteilung des Gerichts oder eines bereits ergangenen, ihnen zugestellten Berichtigungsbeschlusses vom Umfang der (beabsichtigten) Berichtigung in Kenntnis gesetzt worden sind. Bleibt für die Parteien ungewiss, in welche Richtung die Berichtigung erfolgen wird, so beginnt die Rechtsmittelfrist gegen das Urteil auch dann erst mit der Zustellung der berichtigten Ausfertigung, wenn die Berichtigung schließlich einen für die Ausfertigung des Rechtsmittels unerheblichen Teil der Entscheidung betrifft (1 Ob 536/77 = JBl 1978, 100; vgl 9 Ob 58/01x; RIS Justiz RS0041797 [T11, T 14 und T 41]).

4. Im vorliegenden Fall rechtfertigte die mit der Abforderung der Urteilsausfertigung verbundene Mitteilung des Erstgerichts an die beklagten Parteien, es sei irrtümlich ein Urteilsentwurf statt der Urteilsendfassung übermittelt worden, lediglich die Vermutung, dass die zugestellte Ausfertigung von der Urschrift abweichen musste. Die beklagten Parteien konnten daher zwar davon ausgehen, dass das Erstgericht eine Berichtigung der Urteilsausfertigung vornehmen werde; es war für sie aber nicht erkennbar, in welche Richtung sie erfolgen wird. In einem solchen Fall kann von einer missbräuchlichen Verlängerung der Rechtsmittelfrist keine Rede sein, erlangten die beklagten Parteien doch erst mit der Zustellung der (wenngleich nur faktisch) berichtigten Ausfertigung volle Klarheit über den Inhalt der Entscheidung, sodass ihnen erst ab diesem Zeitpunkt die Erstattung eines gesetzmäßig ausgeführten Rechtsmittels möglich war. Bei dieser Verfahrenslage wurde durch die Zustellung der berichtigten Urteilsausfertigung eine neue Rechtsmittelfrist in Gang gesetzt.

5. Da sich die Berufung der beklagten Parteien entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts demnach als rechtzeitig erweist, wird dieses meritorisch über das Rechtsmittel zu entscheiden haben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.