OGH vom 14.06.2012, 3Ob16/12t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei N*****, vertreten durch König Ermacora Lässer Partner, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die verpflichtete Partei J*****, vertreten durch Mag. Robert Peisser, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Forderungsexekution (rückständiger Unterhalt 4.860 EUR und laufender Unterhalt), über den Revisionsrekurs der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom , GZ 1 R 164/11s 29, womit der Rekurs der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Innsbruck vom , GZ 23 E 2976/10y 18, teilweise zurückgewiesen wurde und womit diesem Rekurs teilweise nicht Folge gegeben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der Beschluss des Rekursgerichts wird einschließlich der Kostenentscheidung aufgehoben. Dem Rekursgericht wird die inhaltliche Entscheidung über den Rekurs der betreibenden Partei aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsrekurses sind weitere Kosten des Rekursverfahrens.
Text
Begründung:
Die Betreibende beantragte aufgrund eines Beschlusses des Bezirksgerichts Innsbruck vom zur Hereinbringung einer rückständigen Kapitalforderung von 4.860 EUR sowie des laufenden Unterhalts ab in Höhe von monatlich 270 EUR ua die Pfändung einer dem Verpflichteten gegen die näher bezeichnete Drittschuldnerin zustehenden Forderung, wobei im Exekutionsantrag ausdrücklich auf die Pfändung „bis zur Höhe des pfändbaren Anspruchs“ durch Pfändung und Überweisung zur Einziehung hingewiesen wurde. Ferner beantragte die Betreibende die Erlassung eines Verfügungsverbots an den Verpflichteten und eines Leistungsverbots an die Drittschuldnerin.
Sie führte aus, dass am zwischen der Mutter des Verpflichteten und der Drittschuldnerin (Schwester des Verpflichteten) ein Übergabsvertrag geschlossen worden sei, nach dessen Inhalt die Drittschuldnerin dem Verpflichteten beginnend mit Juni 2006 monatlich netto wertgesichert 1.500 EUR (infolge der vereinbarten Indexierung ab Dezember 2007 monatlich 1.579,73 EUR) als Rente zu bezahlen habe, sofern der Verpflichtete einen Pflichtteilsverzicht abgebe. Ein Pflichtteilsverzicht sei vom Verpflichteten erklärt worden.
Das Erstgericht erließ die Exekutionsbewilligung nach erfolglosem Rekurs des Verpflichteten gegen den Inhalt des Leistungsverbots rechtskräftig antragsgemäß und forderte die Drittschuldnerin unter Verwendung des Formblatts E Dritt 1a (Drittschuldnererklärung Einkünfte aus Arbeitsverhältnis/sonstige wiederkehrende Bezüge) zur Abgabe einer Drittschuldnererklärung auf.
Mit Schriftsatz vom stellte der Verpflichtete den Antrag, die zu Gunsten des Verpflichteten auszubezahlende monatliche Rente im Betrag von derzeit 1.579,80 EUR monatlich (12 x jährlich) als beschränkt pfändbare Forderung festzustellen, in eventu, die Gehaltsexekution hinsichtlich des unbeschränkt pfändbaren Betrags gemäß §§ 291a ff EO freizustellen. Die Rente diene der Sicherung seines Lebensunterhalts. Ein weiteres Einkommen beziehe er nicht.
In der vom Exekutionsgericht anberaumten Tagsatzung am brachte die Betreibende unter Vorlage des in Notariatsaktsform geschlossenen Übergabsvertrags zwischen der Mutter des Verpflichteten und der Drittschuldnerin - vor, dass dem Verpflichteten zumindest seit Juni 2006 ein höchstpersönliches Wohnungsgebrauchsrecht auf Lebenszeit an einer näher bezeichneten, ca 260 m² großen Wohnung eines ebenfalls näher bezeichneten Hauses zustehe. Der Wert dieser ebenfalls von der Drittschuldnerin zur Verfügung gestellten Sachleistung betrage monatlich mindestens 1.500 EUR. Mit Ausnahme der Kosten für Strom, Heizung und Kommunikationseinrichtungen würden sämtliche Betriebskosten ebenfalls von der Drittschuldnerin getragen. Diese wende dafür monatlich 274,23 EUR auf. Die dem Verpflichteten zustehende monatliche Rente von derzeit 1,579,80 EUR falle nicht unter § 290a EO und sei deshalb unbeschränkt pfändbar. Es handle sich um keine Leibrente. Selbst wenn es sich jedoch um eine bloß beschränkt pfändbare Forderung handeln sollte, sei der von der Drittschuldnerin zur Verfügung gestellte Wert der Sachleistung, nämlich das höchstpersönliche Wohnungsgebrauchsrecht, zu berücksichtigen. Von dem unpfändbaren Freibetrag sei der Wert der dem Verpflichteten verbleibenden Sachleistung abzuziehen. Ihm stehe nur der halbe allgemeine Grundbetrag nach § 291b Abs 2 EO iVm § 291a Abs 1 EO zur Verfügung. Es handle sich um eine Exekution wegen Unterhaltsansprüchen. Davon sei überdies der von der Drittschuldnerin für den Verpflichteten monatlich bezahlte Betriebskostenbetrag von 274,23 EUR abzuziehen. Es verbleibe daher kein oder ein allenfalls minimaler Freibetrag in der Größenordnung von ca 20 EUR pro Monat.
Der Verpflichtete entgegnete, dass das Wohnungsgebrauchsrecht nicht werthaltig sei, weil es nicht verwertet werden könne. Darüber hinaus wohne die Tochter der Streitteile ebenfalls in der Wohnung. Der Verpflichtete sei arbeitsunfähig. Er habe kein weiteres Einkommen außer der im Notariatsakt vereinbarten Rente. Für seine Selbstversicherung habe er monatlich 113 EUR zu bezahlen.
Das Erstgericht legte den unpfändbaren Freibetrag gemäß § 292k EO mit 700 EUR (rückwirkend ab ) fest, wies ein Kostenersatzbegehren der Betreibenden für die Teilnahme an der Tagsatzung ab und bestimmte die Kosten des Verpflichteten für den Antrag auf Pfändungsfreistellung mit 250,22 EUR.
Es begründete seinen Beschluss damit, dass das Exekutionsgericht gemäß § 292k Abs 2 (richtig: Abs 1) EO auf Antrag nach freier Überzeugung iSd § 273 ZPO zu entscheiden habe, ob und inwieweit ein Bezug oder Bezugsteil pfändbar sei. Der Verpflichtete beziehe kein Einkommen aus unselbständiger bzw selbständiger Tätigkeit. Zur Bestreitung seines Lebensunterhalts diene ihm lediglich der Anspruch aus dem Übergabsvertrag. Die Exekutionsbewilligung gewähre der Betreibenden die unbeschränkte Pfändung dieses Betrags. Damit verbleibe dem Verpflichteten im Ergebnis kein Geldbetrag zur Lebensführung. Ausgehend von einem Unterhaltsexistenzminimum von 949,50 EUR sowie unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Verpflichtete aufgrund des ihm zustehenden unentgeltlichen Wohnungsgebrauchsrechts keine Auslagen für Wohnungskosten habe, sei die Festsetzung des unpfändbaren Freibetrags in Höhe von 700 EUR angemessen. Die Betreibende habe die behauptete Erkrankung der Tochter des Verpflichteten nicht bestritten. Insofern treffe ihn eine Unterhaltspflicht. Dieser Unterhaltspflicht entspreche der Verpflichtete durch Zurverfügungstellung einer Wohngelegenheit.
Seine Kostenentscheidung gründete das Erstgericht darauf, dass die Betreibende mit ihrem Begehren nicht durchgedrungen sei. Sie sei im Zwischenstreit unterlegen, weshalb sie dem Verpflichteten dessen Kosten für den Pfändungsfreistellungsantrag zu ersetzen habe.
Das Rekursgericht wies den Rekurs der Betreibenden, soweit er sich gegen die Festlegung des unpfändbaren Freibetrags gemäß § 292k EO in Höhe von 700 EUR richtete, zurück und gab im Übrigen dem Rekurs der Betreibenden gegen die Kostenentscheidung des Erstgerichts nicht Folge.
Über Abänderungsantrag der Betreibenden erklärte das Rekursgericht nachträglich den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung des Exekutionsantrags im Zusammenhang mit der Frage der beschränkten Pfändbarkeit einer Forderung fehle und der im Rekurs behauptete Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht ausgeschlossen werden könne.
Rechtlich ging das Rekursgericht davon aus, dass die Betreibende in ihrem verfahrenseinleitenden Exekutionsantrag selbst von der bloß beschränkten Pfändbarkeit der Forderung gegen die Drittschuldnerin ausgegangen sei. Sie habe ausdrücklich die Pfändung der Forderung des Verpflichteten gegenüber der Drittschuldnerin bis zur Höhe des pfändbaren Anspruchs durch Pfändung und Überweisung zur Einziehung beantragt. In diesem Umfang sei die Exekution antragsgemäß bewilligt worden. Dem Argument der Betreibenden, die Rentenforderung sei unbeschränkt pfändbar, stehe die Rechtskraft der Exekutionsbewilligung entgegen. Der über Antrag des Verpflichteten festgestellte unpfändbare Freibetrag ab in Höhe von 700 EUR belaste die Betreibende nicht, stehe ihr doch dadurch ein gegenüber der gesetzlichen Regelung höherer exekutiv abschöpfbarer Teil der Rentenforderung zu. Aus diesen Erwägungen sei der Rekurs der Betreibenden mangels Beschwer zurückzuweisen. Es müsse daher nicht geklärt werden, ob es sich bei der gepfändeten Forderung um eine beschränkt pfändbare Forderung handle. Das Erstgericht habe über den Sachantrag der Betreibenden auf Zusammenrechnung der gepfändeten und beschränkt pfändbaren Geldforderung mit den Ansprüchen des Verpflichteten gegenüber der Drittschuldnerin auf Sachleistungen nicht entschieden. Dieser Antrag sei daher nicht Gegenstand des Beschlusses geworden. Im Übrigen habe die Betreibende die Ansprüche des Verpflichteten auf Sachleistung gegenüber der Drittschuldnerin (Wohnungsgebrauchsrecht, Betriebskosten) nicht gepfändet. Eine Zusammenrechnung iSd § 292 Abs 1 EO könne daher ebenso wenig wie eine Bewertung iSd § 292 Abs 5 EO stattfinden.
Dem von der Betreibenden erhobenen Rekurs im Kostenpunkt gab das Rekursgericht mit der Begründung nicht Folge, dass das Erstgericht dem Verpflichteten für seinen erfolgreichen Antrag auf Pfändungsfreistellung zutreffend Kosten zugesprochen habe.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen von der Betreibenden erhobene Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne des gestellten Eventualantrags auf Aufhebung der Rekursentscheidung auch berechtigt.
Die Betreibende macht in ihrem Revisionsrekurs zusammengefasst geltend, dass das Rekursgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass durch die Exekutionsbewilligung rechtskräftig geklärt worden sei, dass es sich bei der gepfändeten Forderung um eine bloß beschränkt pfändbare Forderung handle. Auch das Erstgericht selbst habe in seinem Beschluss über den Pfändungsfreistellungsantrag des Verpflichteten ausdrücklich auf die unbeschränkte Pfändung der Forderung verwiesen. Das Rekursgericht sei irrig davon ausgegangen, dass das Erstgericht über den Zusammenrechnungsantrag der Betreibenden nicht entschieden habe. Gerade die Berücksichtigung der von der Drittschuldnerin zur Verfügung gestellten Sachleistungen durch das Erstgericht mache das Gegenteil deutlich. Verfehlt sei ferner die Auffassung, dass eine Zusammenrechnung nur stattfinden könne, wenn jede der beschränkt pfändbaren Forderungen auch gepfändet worden sei. Diese Auffassung stehe im Widerspruch zur höchstgerichtlichen Rechtsprechung.
Dazu wurde erwogen:
1. Nicht bloß prozessleitende Beschlüsse sind im Exekutionsverfahren der materiellen Rechtskraft fähig (RIS Justiz RS0124284). Dieser Grundsatz gilt insbesondere für den Exekutionsbewilligungsbeschluss (RIS Justiz RS0002142). Im Anlassfall hat die Betreibende worauf das Rekursgericht zutreffend verwies in ihrem Exekutionsantrag bei Angabe der anzuwendenden Exekutionsmittel (§ 63 Z 3 EO) ausdrücklich auf die beschränkte Pfändbarkeit der monatlichen Rentenforderung des Verpflichteten aus dem Übergabsvertrag verwiesen. Das ergibt sich auch daraus, dass für den Fall, dass wie nun von der Betreibenden behauptet keine fortlaufenden Bezüge gepfändet werden, die Pfändung nur die im Zeitpunkt der Zustellung der Exekutionsbewilligung an den Drittschuldner (§ 294 Abs 3 EO) jeweils schon entstandenen Forderungen erfasst (RIS Justiz RS0115610). Eine solche Einschränkung nahm die Betreibende in ihrem Exekutionsantrag gerade nicht vor. Die Auslegung des Exekutionsantrags durch das Rekursgericht, dass die Betreibende eine iSd § 290a EO beschränkt pfändbare Forderung pfändete, begegnet demnach keinen Bedenken. Da das Erstgericht die Exekution antragsgemäß bewilligte, erstreckt sich die bindende (RIS-Justiz RS0000622) rechtskräftige Exekutionsbewilligung auf eine beschränkt pfändbare Forderung. Ob das Erstgericht nachträglich von einer unbeschränkt gepfändeten Forderung ausging, ist ohne Relevanz, ändert doch die nachträgliche - irrige - Auslegung der Exekutionsbewilligung durch das Erstgericht nichts an ihrem bereits in Rechtskraft erwachsenen Inhalt. Zutreffend ist daher das Rekursgericht davon ausgegangen, dass die Rentenforderung aus dem Übergabsvertrag im vorliegenden Exekutionsverfahren beschränkt iSd § 290a EO gepfändet wurde.
2. Zutreffend ist allerdings, dass nach dem Inhalt des vom Erstgericht gefassten Beschlusses das Erstgericht zumindest implizit nicht bloß über den „Pfändungsfreistellungsantrag“ des Verpflichteten, sondern auch über den - zulässigen (vgl § 292 Abs 5 Z 1 EO iVm § 292 Abs 1 EO) - Zusammenrechnungsantrag der Betreibenden entschieden hat: Das ergibt sich bereits eindeutig daraus, dass das Erstgericht bei Festlegung des unpfändbaren Freibetrags auch die Sachleistungen der Drittschuldnerin berücksichtigte, eine Vorgangsweise, die nur im Zusammenhang mit dem von der Betreibenden gestellten Zusammenrechnungsantrag verständlich ist.
3. Die Auffassung des Rekursgerichts, der Betreibenden fehle ein Rechtsschutzinteresse an der Bekämpfung des erstgerichtlichen Beschlusses, weil über ihren Zusammenrechnungsantrag nicht entschieden worden sei, ist daher unzutreffend.
4. Ebenfalls unzutreffend ist die Auffassung des Rekursgerichts, dass eine Zusammenrechnung iSd § 292 EO nicht stattfinden könne, wenn nicht beide (beschränkt pfändbaren) Forderungen gleichzeitig gepfändet würden: Es entspricht vielmehr der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (3 Ob 3/03t mwN) und der Lehre ( Oberhammer in Angst , EO² § 292 Rz 3; Zechner , Forderungsexekution [2000] § 292 Rz 1 mwN), dass die Zusammenrechnung auch mit beschränkt pfändbaren Forderungen stattfindet, auf die nicht Exekution geführt wird. Sind im Gesamtbezug auch Sachleistungen enthalten, so ist deren Wert auf den unpfändbaren Betrag anzurechnen, wobei jedoch dem Verpflichteten gemäß § 292 Abs 4 2. Satz mindestens der halbe Grundbetrag nach § 291a Abs 1 EO oder § 291b Abs 2 EO iVm § 291a Abs 1 EO zu verbleiben hat ( Mohr , Die Exekutionsordnung Novelle 1991, Ein kurzer Gesamtüberblick, ecolex 1991, 833 [836]). Lediglich absolut unpfändbare Geldforderungen unterliegen keiner Zusammenrechnung mit beschränkt pfändbaren Geldforderungen. Sie müssen dem Verpflichteten ungekürzt verbleiben ( Zechner , Forderungsexekution § 292 Rz 1 mwN; s auch 3 Ob 3/03t).
5. Ganz konsequent hat daher das Erstgericht iSd § 292 Abs 4 EO auf Antrag der Betreibenden die Zusammenrechnung der dem Verpflichteten gegen die Drittschuldnerin zustehenden beschränkt pfändbaren Geldforderungen mit dem Anspruch auf Sachleistungen gegen dieselbe Drittschuldnerin unter Anwendung des § 273 ZPO (§ 292 Abs 5 EO) vorgenommen und den unpfändbaren Freibetrag der Gesamtforderung um den Wert der dem Verpflichteten verbleibenden Sachleistungen gekürzt. Genau diese Vorgangsweise hat die Betreibende in ihrem Rekurs der Höhe nach beanstandet.
6. Das Rekursgericht hat somit zu Unrecht ein Rechtsschutzinteresse der Betreibenden an der meritorischen Behandlung ihres Rekurses verneint. Aus diesem Grund ist der rekursgerichtliche Zurückweisungsbeschluss aufzuheben.
7. Der Kostenvorbehalt in Ansehung der Kosten des Revisionsrekurses beruht auf § 52 ZPO iVm § 78 EO.