OGH vom 28.04.1993, 3Ob15/93

OGH vom 28.04.1993, 3Ob15/93

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger, Dr.Angst, Dr.Graf und Dr.Gerstenecker als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei Judith L*****, vertreten durch Dr.Wolfgang Golla, Rechtsanwalt in Wien, wider die verpflichtete Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Wien 2., Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Friedrich Flendrovsky und Dr.Thomas Pittner, Rechtsanwälte in Wien, wegen 12.960,-- S sA und laufender Witwenpension infolge Rekurses der betreibenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien vom , GZ 46 R 653/92-15, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Donaustadt vom , GZ 14 E 3238/92-1, abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die betreibende Partei hat die Kosten des Revisionsrekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten erließ am an die betreibende Partei folgenden Bescheid:

"Der Anspruch auf eine Witwenpension gemäß § 270 in Verbindung mit § 258 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz, Bundesgesetz vom , BGBl. Nr. 189 (ASVG), in der derzeit geltenden Fassung, wird anerkannt.

Die Pension beginnt gemäß § 86 ASVG am .

Die Leistung beträgt ab :

monatlich 4.860,60 S

zuzüglich Ausgleichszulage 273,40 S

Gesamtleistung monatlich brutto 5.134,00 S"

Auf dem Bescheid wurde bestätigt, daß er rechtskräftig ist und keinem die Vollstreckung hemmenden Rechtszug unterliegt.

Im Dezember 1990 richtete die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten an die betreibende Partei ein Schreiben, in dem es hieß:

"Sehr geehrte Frau!

Die Pensionsanpassung wurde durchgeführt.

Ab setzt sich die Pension wie folgt zusammen:

Monatliche Pension

Bruttopension 5.309,30

Ausgleichszulage 690,70

Krankenversicherungsbeitrag 180,00

Auszahlungsbetrag 5.820,00"

Die betreibende Partei stellte auf Grund des angeführten Bescheides und des "einen Bestandteil des Bescheides bildenden Verständigungsschreibens vom Dezember 1990" den Antrag, ihr zur Hereinbringung der rückständigen Witwenpension "(Unterhalt)" für die Zeit vom bis in der Höhe von 17.460,-- S abzüglich einer Zahlung von 4.500,-- S und somit zur Hereinbringung von 12.960,-- S sowie der ab März 1992 am Ersten eines jeden Monats fällig werdenden Pensionsbeträge von 5.820,-- S und der am 1.Mai und 1.Oktober jeweils zusätzlich fällig werdenden Sonderzahlungen von je 5.820,-- S die Exekution durch Pfändung und Überweisung einer näher bezeichneten Forderung der verpflichteten Partei zu bewilligen.

Das Erstgericht bewilligte die beantragte Exekution in Form eines Bewilligungsvermerks gemäß § 112 Abs 1 Geo.

Das Rekursgericht wies infolge Rekurses der verpflichteten Partei den Exekutionsantrag ab und sprach aus, daß der (ordentliche) Revisionsrekurs zulässig sei. Auf Grund der als Exekutionstiteln vorgelegten Urkunden könne die Exekution nicht bewilligt werden, weil sie keinen Leistungsbefehl enthielten, auf Grund des Verständigungsschreibens vom Dezember 1990 überdies deshalb nicht, weil es weder als Bescheid bezeichnet noch von dem vertretungsbefugten Organ unterschrieben sei. Der Versicherte könne sich im Fall der Verweigerung der Leistung durch den Versicherungsträger im Gerichtsweg einen Exekutionstitel beschaffen.

Der von der betreibenden Partei gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat sich bisher mit der Frage, ob die Anspruchsberechtigten auf Grund der Bescheide der Träger der Sozialversicherung gerichtliche Exekution führen können, nicht befaßt. Im Schrifttum hat Hellbling (in ZAS 1971, 47) die Meinung vertreten, daß solche Bescheide nach § 1 Abs 1 Z 2 lit a VVG von den Bezirksverwaltungsbehörden zu vollstrecken seien. Da das Sozialversicherungswesen nach Art 10 Abs 1 Z 11 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache sei, seien die Sozialversicherungsträger in funktioneller Hinsicht als Behörden des Bundes zu betrachten. Derselben Ansicht ist Oberndorfer (in Tomandl, System des Sozialversicherungsrechts 6.2.1 6. ErgLfg 679), soweit es sich um Bescheide von Sozialversicherungsträgern handelt, die eine vollstreckbare Leistungsverpflichtung beinhalten. In jüngerer Zeit hat sich jedoch Konecny (in ecolex 1991, 263) gegen diese Auffassung gewendet und die Meinung vertreten, daß in Leistungssachen erlassene Bescheide der Sozialversicherungsträger weder einen Exekutionstitel nach § 1 Z 12 EO noch einen nach § 1 Abs 1 Z 3 VVG darstellten.

Die gerichtliche Exekution darf nur auf Grund eines Exekutionstitels im Sinn des § 1 EO bewilligt werden. Hievon kommen hier nur die in der Z 12 angeführten Exekutionstiteln in Betracht. Es sind dies "in Angelegenheiten des öffentlichen Rechtes ergangene rechtskräftige Erkenntnisse .... der Verwaltungsbehörden, sofern die Exekution durch gesetzliche Bestimmungen den Gerichten überwiesen ist". Voraussetzung ist also, daß sich aus einer besonderen gesetzlichen Bestimmung die Zulässigkeit der Exekution ergibt. Die Sozialversicherungsgesetze selbst enthalten eine solche Regelung nur für Bescheide, mit denen die Pflicht zur Entrichtung von Beiträgen (§ 64 Abs 1 ASVG;§ 37 Abs 1 GSVG;§ 36 Abs 1 BSVG;§ 16 Abs 1 NVG) oder zur Rückzahlung von zu Unrecht erbrachten Leistungen (§ 107 Abs 4 ASVG;§ 75 Abs 4 GSVG;§ 72 Abs 4 BSVG;§ 38 Abs 4 NVG) auferlegt wird. Da den Sozialversicherungsträgern für diese Bescheide die Einbringung im Verwaltungsweg gewährt wird, können sie gemäß § 3 Abs 3 VVG die Eintreibung unmittelbar beim zuständigen Gericht beantragen. Schon der Umstand, daß eine gleichartige Regelung für die den Anspruchsberechtigten zustehenden Geldleistungen fehlt, legt den Schluß nahe, daß der Gesetzgeber hiefür die Möglichkeit der Exekution nicht vorsehen wollte.

Wie schon Konecny (aaO) überzeugend aufgezeigt hat, ergibt sich die Möglichkeit der Exekution entgegen der Meinung von Hellbling (aaO) auch nicht unmittelbar aus dem VVG. Zuzustimmen ist Hellbling aaO nur insoweit, daß es bei der nach § 1 Abs 1 Z 2 lit a VVG vorzunehmenden Beurteilung, ob ein Bescheid einer Behörde des Bundes oder der Länder vorliegt, einzig auf die Funktion, in der die Behörde tätig wurde, ankommt (Ringhofer, Verwaltungsverfahrensgesetze II 551; Walter-Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht4 Rz 976; Mayer, Die Zuständigekit der Behörden im Vollstreckungsverfahren 5). Die Sozialversicherungsträger sind aber, wie Korinek in Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts 4.1.3 und 4.4.2 ausführlich darlegte und begründete, Selbstverwaltungskörper. Für diese ist aber wesentlich, daß ihnen ein eigener Wirkungsbereich zukommt, in dem sie - wohl der Aufsicht von Bund oder Ländern unterliegend - im Einzelfall weisungsfrei tätig werdend die Gesetze vollziehen (Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts7 Rz 857; Korinek aaO 4.1.3; vgl. für das Amtshaftunsgrecht Schragel, AHG2 25). Die Verwaltungstätigkeit der Sozialversicherungsträger fällt zum größten Teil in ihren eigenen Wirkungsbereich, so etwa auch die Feststellung des Bestandes von Versicherungsleistungen. Werden sie im übertragenen Wirkungsbereich - funktionell also für den Bund - tätig, ist dies aus dem Gesetzeswortlaut ersichtlich (vgl. § 31 Abs 3 Z 8 ASVG). Verwaltungstätigkeit des Selbstverwaltungskörpers im eigenen Wirkungsbereich ist funktionell diesem selbst, nicht aber der sich aus den Kompetenzvorschriften des Bundes-Verfassungsgesetzes ergebenden Gebietskörperschaft zuzuordnen (Mayer aaO). So haftet auch im Bereich der Amtshaftung bei rechtswidriger schuldhafter Schadenszufügung bei hoheitlichem Handeln eines Sozialversicherungsträgers im eigenen Wirkungsbereich dieser und nicht der Rechtsträger Bund (Schragel aaO). Die Bescheide der Sozialversicherungsträger über Leistungsansprüche gehören daher nicht zu den im § 1 Abs 1 Z 2 lit a VVG angeführten Bescheiden.

Sind die Bescheide der Sozialversicherungsträger somit keine Exekutionstitel im Sinn des § 1 EO, so darf die Exekution auf Grund dieser Bescheide schon deshalb nicht bewilligt werden. Auf die Frage, ob der von der betreibenden Partei vorgelegte Bescheid einen ausreichenden Leistungsbefehl enthält und ob die zum Leistungsbefehl ergangene Rechtsprechung (vgl. etwa JBl 1978, 383; EvBl 1975/51; 3 Ob 46/88) zum Tragen kommt, obwohl der Schuldner mit der den Bescheid erlassenden Körperschaft ident ist, kommt es hier nicht an, weshalb hierauf nicht einzugehen ist. Dasselbe gilt für die Frage, ob das Schreiben der verpflichteten Partei vom Dezember 1990 als Bescheid anzusehen ist und ob die Exekution gemäß § 291 c EO idF der EO-Nov 1991 gegebenenfalls zur Hereinbringung künftig fällig werdender Pensionsbeiträge geführt werden könnte. Ebensowenig ist schließlich entscheidend, daß der Anspruchsberechtigte entgegen der vom Rekursgericht vertretenen Meinung keinen gerichtlichen Leistungsbefehl erwirken kann, weil im Fall der Verweigerung der Zahlung durch den Versicherungsträger kein Streit über den Bestand oder Umfang des Anspruchs im Sinn des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG besteht (SSV-NF 1/42, 1/55, 4/89). Dies allein vermag das Fehlen einer die gerichtliche Exekution gewährenden Regelung nicht zu ersetzen.

Hinzuweisen ist noch auf die ständige, mit VfSlg 3259/1957 eingeleitete Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach für das Begehren auf Zahlung eines bescheidmäßig festgestellten öffentlich-rechtlichen Anspruchs gegen einen der im Art 137 B-VG genannten Rechtsräger die in dieser Gesetzesstelle vorgesehene Klage zulässig ist (VfSlg 11.836/1988 mwN). Daraus läßt sich aber ableiten, daß auch der Verfassungsgerichtshof der Meinung ist, der die Leistung feststellende Bescheid sei gegen den Rechtstäger nicht unmittelbar vollstreckbar.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsrekurses beruht auf § 78 EO iVm den §§ 40 und 50 ZPO.