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OGH vom 06.12.1972, 1Ob257/72

OGH vom 06.12.1972, 1Ob257/72

Norm

ABGB § 285;

ABGB § 531;

ABGB § 914;

Kopf

SZ 45/133

Spruch

Für Art und Ort der Bestattung eines Leichnams ist vor allem der (mutmaßliche) Wille des Verstorbenen maßgebend

Es entspricht dem allgemeinen sittlichen Empfinden, die Ruhe des Toten möglichst ungestört zu lassen. Die Umbettung einer bereits beigesetzten Leiche kann daher nur aus ganz besonderen Gründen verlangt werden

(LGZ Wien, 42 R 280/72; BG Innere Stadt Wien, 30 C 523/71)

Text

Karl F war Ehemann der Erstklägerin. Aus dieser Ehe stammen zwei Kinder, der Zweitkläger und die Drittklägerin. Im Jänner 1970 verließ Karl F die Ehewohnung. Beim Strafbezirksgericht Wien leitete die Erstklägerin gegen die Beklagte, die bei Karl F als Angestellte beschäftigt war, ein Verfahren wegen Ehestörung ein. In einem am abgeschlossenen Vergleich verpflichtete sich die Beklagte, jeden Kontakt mit Karl F zu meiden und von sich aus zu verhindern, daß dieser über das unbedingte notwendige Ausmaß der beruflichen Zusammenarbeit hinausgehe.

Am verfaßte Karl F unter Anleitung seines Rechtsanwaltes Dr Leo F ein handschriftliches Testament, in dem er die Beklagte als Universalerbin einsetzte. Eine Verfügung über Art und Ort der Beisetzung enthielt dieses Testament nicht; es setzte jedoch Dr Leo F zum Testamentsvollstrecker ein.

Karl F beging am Selbstmord. Dr Leo F erhob keinen Einwand dagegen, daß die Beklagte das Begräbnis durchführte; dieses fand dann auch über Veranlassung der Beklagten am auf dem B-Friedhof in Wien statt, nachdem das Erstgericht eine von den Klägern beantragte einstweilige Verfügung, die Durchführung dieses Begräbnisses zu unterlassen, abgewiesen hatte.

Die Kläger begehren, die Beklagten zu verhalten, alle Erklärungen abzugeben, um ihnen die Exhumierung der Leiche des am verstorbenen Karl F aus dem Grab am B-Friedhof und deren Beisetzung im Familiengrab der Erstklägerin auf dem H-Friedhof zu ermöglichen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte im wesentlichen fest: Dr Leo F habe Karl F gegen die Kläger in einem Unterhaltsprozeß und vor der Pflegschaftsbehörde vertreten und dadurch Einblick in die Familienverhältnisse des Ehepaares bekommen. Karl F habe Dr Leo F erklärt, er sei bereits ohne Rücksicht auf die Bekanntschaft mit der Beklagten ehemüde gewesen. Nach Errichtung des Testamentes vom habe Karl F eine Urlaubsreise angetreten und für alle Fälle vorsorgen wollen, da ihm zu diesem Zeitpunkt die Beklagte nähergestanden sei als seine Ehegattin. Eine Stattgebung des Klagebegehrens entspreche nicht dem letzten Willen des Verstorbenen. Das Erstgericht führte dazu aus, der letzte Wille des Erblassers sei dafür maßgebend, wer die Bestattung seiner Leiche durchführen solle. Karl F habe durch die Einsetzung der Beklagten zur Universalerbin deutlich zum Ausdruck gebracht, daß diese auch seine Bestattung durchführen solle. Der Testamentsvollstrecker sei überdies berechtigt und verpflichtet, Aufträge an die Erbin wegen der Bestattung zu erteilen und die Erfüllung des letzten Willens zu überwachen.

Das Berufungsgericht änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es die Beklagte verurteilte, alle Erklärungen abzugeben, um den Klägern die Exhumierung der Leiche des Karl F aus dem Grab am B-Friedhof und deren Beisetzung im Familiengrab der Erstklägerin auf dem H-Friedhof zu ermöglichen. Das Berufungsgericht legte zunächst dar, daß der in den Feststellungen des Erstgerichtes enthaltene Passus, eine Stattgebung des Klagebegehrens entspreche nicht dem letzten Willen des Erblassers, nicht als Feststellung, sondern bereits als rechtliche Würdigung des Sachverhaltes zu verstehen sei. Karl F habe in seiner letztwilligen Verfügung keine Anordnung über sein Begräbnis getroffen und auch mit Dr Leo F nicht darüber gesprochen. Das Erstgericht habe somit mit seiner "Feststellung" nicht den tatsächlichen Willen des Verstorbenen über seine Bestattung zum Ausdruck gebracht, sondern nur aus seinem Verhalten zu seiner Ehegattin vor seinem Tode auf seine allgemeine Einstellung geschlossen. Dieser Schluß des Erstgerichtes sei aber rechtlich nicht haltbar. Eine Verpflichtung und Berechtigung des Testamentsvollstreckers, Aufträge an die Erben wegen der Bestattung zu erteilen und die Erfüllung des letzten Willens zu überwachen, sei nur dann gegeben, wenn der Erblasser ausdrücklich eine letztwillige Regelung bezüglich des Begräbnisses getroffen habe. Da dies nicht der Fall sei, erübrige es sich, seine Zustimmung zur Exhumierung des Leichnams einzuholen. Der Beklagten stehe allein deshalb, weil sie Testamentserbin sei, noch kein Verfügungsrecht über den Leichnam zu. Da nahe Angehörige vorhanden seien, habe die Beklagte kein wie immer geartetes Recht gehabt, den Leichnam des Karl F zu bestatten. Das Bestattungsrecht sei vielmehr ein Persönlichkeitsrecht naher Angehöriger. Die Beklagte habe durch die Bestattung des Leichnams des Karl F einen widerrechtlichen Zustand hergestellt, den zu beheben die Kläger berechtigt seien.

Der Oberste Gerichtshof hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das sogenannte Recht der Totenfürsorge, wie Blume in seinem grundlegenden Aufsatz im AcP 112, 404, die Ordnung des Verfügungsrechtes über den Körper eines Verstorbenen, insbesondere über Art und Ort der Bestattung, nennt, ist weder im österreichischen Recht noch in dem in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Bürgerlichen Gesetzbuch oder im schweizerischen Zivilgesetzbuch ausdrücklich geregelt. Über etliche Grundsätze bestehen in diesem verwandten Rechtsbereich aber doch mehr oder weniger übereinstimmende Auffassungen. So kann es als herrschende Meinung gelten, auch wenn dies Klang in seinem Kommentar[2] II, 2 unter Berufung auf weitere Literatur als strittig bezeichnet (vgl dazu Ehrenzweig[2] I/2, 1), daß der Leichnam in der Regel nicht als Sache, sondern als fortgesetzte Persönlichkeit gilt, solange er noch als Leib einer bestimmten verstorbenen Person anzusehen ist (Weiß in Klang[2] III 19, Bartsch in Klang[1] I/1 1147; vgl Gschnitzer, Erbrecht 5; dagegen etwa Dengler in NZ 1971, 6 f). Daraus ergibt sich, daß seine rechtliche Behandlung, sein rechtliches Schicksal aus dem Erbrecht ausscheidet, der Leichnam ist nicht Verlassenschaftsstück (Weiß aaO). Die Erbeneigenschaft ist zur Klärung der Frage, wem das Recht der Totenfürsorge zukommt, überhaupt ohne Bedeutung (SZ 13/127; Edlbacher in ÖJZ 1965, 453; Gschnitzer aaO; Weiß aaO 21; dagegen allerdings Klang aaO). Primär ist vielmehr der Wille des Verstorbenen zu respektieren (Gschnitzer aaO; Weiß aaO 21), soweit dies mit den bestehenden öffentlichrechtlichen Vorschriften vereinbar ist. Dieser Wille braucht hiebei nicht in einer bestimmten Form kundgetan worden zu sein; es genügen vielmehr auch Tatsachen und Umstände, aus denen ein bestimmter Wille des Verstorbenen über seine Bestattung mit Sicherheit gefolgert werden kann. Nur wenn und insoweit ein erkennbarer Wille des Verstorbenen über Art und Ort der Bestattung nicht vorliegt oder dieser Wille aus öffentlich-rechtlichen Gründen undurchführbar ist, tritt das Recht und die Pflicht der nächsten Angehörigen des Verstorbenen ein, über den Leichnam zu bestimmen, über die Art seiner Bestattung eine Entscheidung zu treffen und die letzte Ruhestätte für ihn auszusuchen. Der Wille des Verstorbenen kann sich also negativ dahin auswirken, daß durch ihn einem durch Sitte oder Gesetz dazu an sich Berufenen das Bestimmungsrecht über seine Bestattung entzogen wird (so die Entscheidung des Reichsgerichtes RGZ 154, 269; in diesem Sinne auch RGZ 108, 217; RGZ 100, 171; RG in DJZ 1904, Spalte 265; vgl auch Keidel in Palandt[31] 1603, Anm 2; Johannsen in BGB-RGRK[11] V 137, Anm 4; Lehmann in Staudinger[11] V/1, 432, Anm 10; Soergel - Siebert[9] V 68, Anm 4; für das schweizerische Recht vgl Meier - Hayoz im Berner Kommentar[4] IV/I/1, 43 Anm 72). Schon Gründe der Pietät erfordern nämlich eine Beachtung des Willens des Verstorbenen, da man in der Regel sagen können wird, daß der Verstorbene selbst am besten gewußt haben wird, wer ihm am nächsten stand (Blume aaO 404 f). Der Wille des Verstorbenen muß dabei keineswegs schriftlich oder sonst in irgendeiner bestimmten Form erklärt worden sein, er kann auch sonstwie ermittelt werden (Johannsen aaO 138, Anm 5), es genügt, den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen zu erforschen (Keidel aaO), wobei auch die Auskunft des Rechtsanwaltes des Verstorbenen von Bedeutung sein kann (RGZ 154, 269). Nach Auffassung des erkennenden Senates ist es aber nicht einmal erforderlich, daß der Verstorbene überhaupt irgendwelche bestimmte Wünsche über seine Bestattung ausdrücklich geäußert hat. Hat er dies nicht getan, ist zu erforschen, wie er mutmaßlich entschieden hätte, wenn er vor seinem Tod einen Wunsch über Art und Ort der Bestattung zu äußern gehabt hätte. Es ist also ähnlich vorzugehen wie dann, wenn nicht feststeht, was bei Abschluß eines Vertrages die Parteien in nicht vorgesehenen Fällen gewollt haben. Ebenso wie dann unter Bedachtnahme auf die Grundsätze des § 914 ABGB eine gerichtliche Vertragsergänzung unter Berücksichtigung der gesamten Verhältnisse vorzunehmen ist (EvBl 1972/200; SZ 26/194 uva), hat auch hier eine Erforschung des hypothetischen Willens des Verstorbenen stattzufinden; der Grundsatz des § 914 ABGB ist nämlich auch zur Ermittlung einseitiger Willenserklärungen (EvBl 1968/182, Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 402) und damit auch bei Erforschung der vermutlichen Absicht eines Verstorbenen über die nach seinem Tode vorzunehmende Bestattung heranzuziehen. Auf seinen mutmaßlichen Willen kann aber unter Umständen auch aus seinem gesamten Verhalten unmittelbar vor seinem Tode geschlossen werden (vgl JBl 1968, 478). Nur dann, wenn sich der mutmaßliche Wille des Verstorbenen nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen läßt, ist der Wille der nächsten Angehörigen in erster Linie der Wille des überlebenden Ehegatten, maßgeblich (RGZ 154, 269; vgl auch SZ 13/127; Keidel aaO; Lehmann aaO 432, Anm 11; Soergel - Siebert aaO 68; Meier - Hayoz aaO 43 Anm 71; siehe auch Weiß aaO 21).

Hat allerdings schon eine Bestattung stattgefunden, ist auch zu berücksichtigen, daß es dem allgemeinen sittlichen Empfinden entspricht, die Ruhe der Toten möglichst ungestört zu lassen (SZ 13/127; vgl RGZ 108, 217). Die Umbettung einer bereits beigesetzten Leiche kann daher nur aus ganz besonderen Gründen verlangt werden (2 Ob 628/56; RGZ 154, 269; RGZ 108, 217; RGZ 71, 20; Johannsen aaO 138, Anm 6). Der Wunsch der Witwe, das Grab mit ihrem verstorbenen Mann zu teilen, wurde allerdings in der Regel als ausreichend anerkannt, um eine Umbettung zu rechtfertigen, kann jedoch in Fällen, in denen die Ehegatten zuletzt getrennt, in Feindschaft und Rechtsstreit lebten, nicht genügen (vgl auch hiezu RGZ 154, 269). Daß die Frau an der Ehe stets festgehalten hat, muß ohne Bedeutung bleiben, da es hier rechtlich nicht auf ihre Ehegesinnung, sondern nur auf den Willen des Verstorbenen - auch des hypothetischen, sofern er mit der erforderlichen Verläßlichkeit zu ermitteln ist - ankommt. Im Zweifel hat es also bei der bereits stattgefundenen Bestattung zu verbleiben.

Im vorliegenden Falle hat Karl F zwar vor seinem Selbstmord keinen bestimmten Wunsch über Ort und Art der Bestattung geäußert, es bestehen aber doch Anhaltspunkte dafür, daß er die Erstklägerin trotz des bestehenden Ehebandes nicht als ihm am nächsten stehend ansah. Die bei einer guten Ehe wohl nächstliegende Annahme, daß ohne ausdrückliche anderweitige Verfügung der Wunsch der Ehegattin auch der des Verstorbenen gewesen sein müßte, ist daher keineswegs selbstverständlich. Das Erstgericht hat auch festgestellt, daß eine Stattgebung des Klagebegehrens, also eine Bestattung im Familiengrab der Erstklägerin oder gar eine Exhumierung zur Umbettung in dieses Grab, nicht dem letzten Willen des Verstorbenen Karl F entspreche. Dem Berufungsgericht ist nun zwar grundsätzlich darin beizupflichten, daß nur die Feststellung von Willenserklärungen Tatsachenfeststellungen, die Auslegung der festgestellten Willenserklärungen hingegen rechtliche Beurteilung ist (8 Ob 241/70; Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 413; Fasching IV, 333), deren Ergebnis im Berufungsverfahren auch ohne Beweiswiederholung anders ausfallen kann als die Beurteilung durch das Erstgericht: im vorliegenden Fall kann aber sowohl nach der Formulierung als auch nach der Einordnung des erwähnten Satzes in das erstgerichtliche Urteil kein Zweifel bestehen, daß das Erstgericht damit nicht die vorhergehenden Feststellungen rechtlich würdigen, sondern eine zusätzliche Tatsachenfeststellung aus dem Ergebnis des Beweisverfahrens treffen wollte, daß nämlich der den Bestattungsort betreffende Wille des Verstorbenen nicht mit der Auffassung der Kläger übereinstimme. Das Erstgericht hat damit gerade die Feststellung getroffen, die nach obigen Rechtsausführungen streitentscheidend sein kann. Wenn das Berufungsgericht diese Tatsachenfeststellung nicht übernehmen wollte, durfte es dies ohne gegenteilige Feststellungen, die wiederum eine Beweiswiederholung voraussetzen, nicht tun.