OGH vom 25.01.1996, 6Ob507/96
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Kellner, Dr.Schwarz und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Ludwig B*****, Pensionist, 2.) Augustine B*****, im Haushalt, ***** beide vertreten durch Dr.Heinrich Berger, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, wider die beklagte Partei Gertrude B*****, im Haushalt, ***** vertreten durch Dr.Ursula Schwarz und Dr.Gerda Schildberger, Rechtsanwältinnen in Bruck an der Mur, wegen Räumung, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Berufungsgerichtes vom , GZ 1 R 226/95-22, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Kindberg vom , GZ 1 C 59/93-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur Verhandlung und Urteilsfällung zurückverwiesen.
Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Beklagte hatte 1970 mit dem Sohn der Kläger die Ehe geschlossen. Der Ehe entstammen zwei 1972 und 1976 geborene Töchter. Die Eheleute bewohnten eine Wohnung im Haus der Kläger. Aus dieser zog der Gatte der Beklagten 1986 aus. Die Ehe wurde am rechtskräftig geschieden. Die Beklagte beantragte am beim Erstgericht die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und die Zuweisung der ehelichen Wohnung. Sie sei auf die Weiterbenützung der Wohnung im Haus ihrer Schwiegereltern angewiesen. In dieser Wohnung hätten die Beklagte und ihr Gatte erhebliche Investitionen getätigt. Das Aufteilungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.
Mit ihrer am beim Erstgericht eingelangten Klage begehren die Kläger die Räumung der Wohnung. Diese werde von der Beklagten titellos benützt. Das Zusammenleben der Kläger mit der Beklagten sei auf Grund deren aggressiven Verhaltens unerträglich. Die Beklagte werde durch die Räumung keineswegs der Obdachlosigkeit ausgesetzt (ON 1). Die Wohnung sei von den Klägern ihrem Sohn und der Beklagten nur prekaristisch überlassen worden (S 2 in ON 3).
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Die Wohnung sei der Beklagten und ihrem Gatten "rechtsverbindlich zur Verfügung gestellt" worden. Die Eheleute hätten erhebliche Investitionen in der Wohnung getätigt. Die Beklagte benütze die Ehewohnung nicht titellos. Sie bewohne seit 1970 das Haus der Kläger. Sie habe gemeinsam mit ihrem Gatten den ersten Stock des Hauses mit Investitionen von mehr als 1,000.000 S ausgebaut und als Ehewohnung eingerichtet. Nach der Scheidung ihrer Ehe mit dem Sohn der Kläger habe sie einen Antrag nach §§ 81 ff EheG gestellt. Sie habe einen Anspruch auf Fortbenützung der Ehewohnung auf Grund ihres Aufteilungsanspruches. Es seien die Kläger, welche sich anstößig verhielten und gegenüber der Beklagten mit Beleidigungen reagierten. Der Sohn der Kläger leiste nur 6.200 S monatlich an Unterhalt. Damit könne die Beklagte keine Wohnung mieten.
Das Erstgericht wies die Klage ab.
Es stellte zu dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt im wesentlichen noch fest, daß die Kläger und die Beklagte einander aus dem Wege gingen. Es sei schon jahrelang zu keinen Streitigkeiten mehr gekommen. Eine andere Wohnmöglichkeit stehe der Klägerin (gemeint: Beklagten) nicht zur Verfügung. Ihr fehlten die finanziellen Mittel für eine andere Wohnung. Eine Wohnungnahme bei ihrem Bruder oder ihrer Mutter sei nicht möglich und zumutbar.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, daß ein unleidliches Verhalten der Beklagten nicht feststellbar gewesen sei. Aus § 97 ABGB werde ein Anspruch des auf die Ehewohnung angewiesenen Ehegatten auf deren Benützung abgeleitet. Dieser Anspruch bestehe während der Ehe und setze sich bei rechtzeitiger Antragstellung nach den §§ 81 ff, 95 EheG im Aufteilungsanspruch fort. Dem auf titellose Benützung gestützten Räumungsbegehren könne der im Aufteilungsanspruch fortlebende Benützungsanspruch entgegengehalten werden, solange über den Aufteilungsanspruch noch nicht rechtskräftig abgesprochen worden sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger nicht Folge. Es übernahm die erstinstanzlichen Feststellungen und teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß sich der Anspruch gemäß § 97 ABGB nach Scheidung der Ehe im Hinblick auf die Gestaltungsmöglichkeiten nach § 82 Abs 2,§ 87 Abs 2 und § 88 EheG im Aufteilungsanspruch fortsetze. Es stehe fest, daß die Beklagte auf die Ehewohnung angewiesen sei. Es komme nicht darauf an, ob der bedürftige Ehegatte seine Ansprüche aus einer Vereinbarung der Ehegatten anläßlich der Scheidung herleite. Die Kläger könnten sich auch nicht darauf berufen, daß die Wohnung prekaristisch überlassen worden sei. Ein Widerruf des Prekariums auch gegenüber dem Sohn der Kläger sei nicht einmal behauptet worden.
Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige und daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Mit ihrer außerordentlichen Revision beantragen die Kläger die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen dahin, daß der Räumungsklage Folge gegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Beklagten wurde die Erstattung einer Revisionsbeantwortung freigestellt; sie hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Kläger ist zulässig und im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.
Wenn ein Ehegatte über die Wohnung, die der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des anderen Ehegatten dient, verfügungsberechtigt ist, so hat dieser einen Anspruch darauf, daß der verfügungsberechtigte Ehegatte alles unterlasse und vorkehre, damit der auf die Wohnung angewiesene Ehegatte diese nicht verliere (§ 97 ABGB). Die Vorinstanzen haben den von der Beklagten geltend gemachten Anspruch nach § 97 ABGB anerkannt und die Klage abgewiesen.
Wohl trifft es zu, daß der Anspruch gegenüber dem verfügungsberechtigten Ehegatten, alles zu unterlassen, damit der andere Ehegatte die Ehewohnung nicht verliert, auch Drittwirkung gegenüber einem dolosen Dritten (der mit dem Ehegatten zusammenwirkt) äußert (SZ 60/281; EFSlg XXVIII/8), von einem bösgläubigen Zusammenspiel kann aber bei einer prekaristischen Überlassung der Ehewohnung an beide Ehegatten keine Rede sein, dieser Fall ist mit demjenigen eines schlechtgläubigen Erwerbs der Liegenschaft durch einen Dritten (vgl 4 Ob 529/94) nicht vergleichbar.
Der auch im Aufteilungsverfahren nach den §§ 81 ff EheG fortwirkende Benützungsanspruch an der Ehewohnung nach § 97 ABGB (SZ 58/126) setzt eine Verfügungsberechtigung des anderen Ehegatten an der Wohnung voraus. Diese Verfügungsberechtigung kann auf Eigentum, Wohnungseigentum, persönlicher Dienstbarkeit, Baurecht, Bestandrecht, Leihe, Genossenschaftsrecht, Dienstrecht oder auf Bittleihe (Prekarium) beruhen (Pichler in Rummel ABGB I2 Rz 1 zu § 97 unter Berufung auf Schwind, EheR2, 78). § 97 ABGB ist mit Blickrichtung auf die richterlichen Gestaltungsrechte nach § 87 EheG auszulegen. Dem sich auf § 97 ABGB stützenden Ehegatten können nie mehr Rechte eingeräumt werden, als dem anderen Ehegatten zustehen. Im Fall des hier von den Klägern behaupteten Prekariums (§ 974 ABGB) könnte ein fortwirkender Benützungsanspruch der Beklagten an der Ehewohnung nur dann bejaht werden, wenn das Prekarium noch nicht widerrufen worden wäre. In der Räumungsklage ist ein Widerruf gegenüber der Beklagten zu erblicken. Damit steht aber ein Widerruf auch gegenüber dem Sohn der Kläger noch nicht fest. Dieser könnte sich gegen einen Widerruf des Prekariums durch seine Eltern allerdings nicht zur Wehr setzen (vgl Schwind EheR2 78). Die Vorinstanzen haben keine Feststellungen zum Rechtsgrund der Wohnungsüberlassung an beide Ehegatten, also weder zum Prekarium noch zum von der Beklagten behaupteten entgeltlichen Wohnrecht (S 4 in ON 4) getroffen. Das Berufungsgericht ging ausdrücklich von einer Unschlüssigkeit des Klagsvorbringens aus, weil nicht einmal behauptet worden sei, daß das Prekarium auch gegenüber dem Sohn der Kläger und geschiedenen Ehemann der Beklagten widerrufen worden wäre. Es trifft zu, daß der auf § 97 ABGB gestützte Anspruch der Beklagten voraussetzt, daß das ihrem Ehegatten prekaristisch eingeräumte Benützungsrecht noch aufrecht, also noch nicht widerrufen ist (MietSlg 40.078).
Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht mit den Parteien den Rechtsgrund der Wohnungsüberlassung an beide Ehegatten zu erörtern und die Kläger zur Klarstellung ihres Vorbringens anzuleiten haben. Danach werden die erforderlichen Feststellungen zu treffen sein, die eine verläßliche Beurteilung der nach dem übereinstimmenden Parteiwillen vereinbarten Wohnungsbenützung durch die Beklagte und ihren Ehegatten erlauben (vgl dazu MietSlg 40.078 und 42.060).
Der Vorbehalt der Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO.