Suchen Hilfe
OGH 23.11.2015, 5Ob203/15m

OGH 23.11.2015, 5Ob203/15m

Rechtssatz


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Normen
RS0130625
Im Verfahren auf nachträgliche Überprüfung einer Interimsmaßnahme kann auch der Kinder- und Jugendhilfeträger (hier: für die Gebühren eines beigezogenen Sachverständigen) ersatzpflichtig werden, weil selbst bei Antragstellung (Veranlassung) durch den Elternteil, in dessen Obsorge eingegriffen wurde, die Überprüfung auch im Interesse des Kinder- und Jugendhilfeträgers erfolgt ist, weil die Rechtmäßigkeit der von ihm gesetzten Maßnahme beurteilt wird.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

 Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Höllwerth, die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi als weitere Richter in der Pflegschaftssache der C***** S*****, geboren am *****, wegen § 2 Abs 2 GEG, über deren Rekurs sowie den Rekurs der Mutter I***** N*****, beide *****, Letztere vertreten durch Mag. Klaus Kabelka, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 42 R 443/13b-16, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Akten werden dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zurückgestellt.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien (in der Besetzung gemäß § 8a JN)

1) die Gebühren der von ihm bestellten psychiatrischen Sachverständigen bestimmt,

2) die Buchhaltungsagentur des Bundes angewiesen, den bestimmten Betrag der Sachverständigen nach Rechtskraft dieses Beschlusses aus Amtsgeldern zu überweisen, und

3) ausgesprochen, dass Mutter und Tochter gemäß § 2 Abs 2 GEG die aus Amtsgeldern berichtigte Sachverständigengebühr je zur Hälfte zu ersetzen haben.

Nur gegen die Entscheidung gemäß § 2 Abs 2 GEG (Punkt 3 des Beschlusses) richtet sich der Rekurs der Mutter und der Tochter.

Im vorliegenden Fall hat das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien im Gebührenbestimmungsverfahren funktionell als Erstgericht entschieden, weshalb die Rechtsmittelzulässigkeit nicht nach § 62 AußStrG, sondern nach § 45 AußStrG zu beurteilen und zu bejahen ist (4 Ob 130/13s EF-Z 2014/62 [Beck] = SV 2013, 232 [zust Krammer]).

Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien wird zunächst die bislang unterbliebene Zustellung der Rekurse an den Kinder- und Jugendhilfeträger nachzuholen (§ 48 Abs 1 AußStrG) und sodann die Akten nach dem allfälligen Einlangen einer Rekursbeantwortung oder dem ungenützten Ablauf der Rekursbeantwortungsfrist neuerlich vorzulegen haben.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

 Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Höllwerth, die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi als weitere Richter in der Pflegschaftssache der C***** S*****, geboren am *****, wegen § 2 Abs 2 GEG, über deren Rekurs sowie den Rekurs der Mutter I***** N*****, beide *****, Letztere vertreten durch Mag. Klaus Kabelka, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 42 R 443/13b-16, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Beiden Rekursen wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss, der im Übrigen als unangefochten aufrecht bleibt, wird in seinem Punkt 3) dahin abgeändert, dass er wie folgt zu lauten hat:

„Gemäß § 2 Abs 2 GEG wird bestimmt, dass die Mutter I***** N***** und der Kinder- und Jugendhilfeträger Bundesland Wien (§ 10 Abs 1 B-KJHG 2013), Organisationseinheit MAG ELF Amt für Jugend und Familie (§ 5 Abs 1 WKJHG 2013), dem Bund die zu Punkt 1) bemessenen und aus Amtsgeldern berichtigten Sachverständigengebühren je zur Hälfte zu ersetzen haben.

Text

Begründung:

Einleitend wird zum bisherigen Verfahrensverlauf auf die den Parteien bekannten Entscheidungen dieses Senats vom , GZ 5 Ob 126/11g-87, vom , GZ 5 Ob 152/12g-104, und vom , GZ 5 Ob 33/15m-139 (Zak 2015/488 = iFamZ 2015/172), verwiesen. Zusammengefasst ergibt sich Folgendes:

I***** N***** ist die Mutter der im Jahre 1995 außerehelich geborenen C***** S*****.

Der (früher: Jugendwohlfahrtsträger und nunmehr:) Kinder- und Jugendhilfeträger (Organisationseinheit MAG ELF Amt für Jugend und Familie; folgend nur mehr: KJHT) entzog der Mutter am gestützt auf § 215 Abs 1 Satz 2 ABGB (idF vor dem KindNamRÄG 2013, BGBl I 2013/15, [aF]), die Pflege und Erziehung für die damals mj C***** und brachte diese in einem Krisenzentrum unter.

Die Mutter stellte - soweit hier wesentlich - den Antrag, die Maßnahme des KJHT als „zivilrechtlich rechtswidrig“ festzustellen.

Das Erstgericht erklärte - im dritten Rechtsgang - die vom KJHT für die Zeit von bis gesetzte Maßnahme für zulässig.

Das Rekursgericht gab dem gegen diesen Beschluss des Erstgerichts erhobenen Rekurs der Mutter - nach Wiederholung und Ergänzung des Beweisverfahrens - nicht Folge.

Der Oberste Gerichtshof gab mit Beschluss vom , GZ 5 Ob 33/15m-139, dem Revisionsrekurs der Mutter Folge und stellte fest, dass die vom KJHT am getroffene und bis aufrecht erhaltene Maßnahme, nämlich der Mutter die Pflege und Erziehung der Tochter zu entziehen, unzulässig war.

Das Rekursgericht hatte im Rahmen der Ergänzung des Beweisverfahrens - von Amts wegen - die auch schon vor dem Erstgericht tätig gewesene Sachverständige Mag. Renate Doppel beigezogen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss hat das Gericht zweiter Instanz - funktionell als Erstgericht - in der Besetzung gemäß § 8a JN

1) die Gebühren der von ihm bestellten Sachverständigen bestimmt,

2) die Buchhaltungsagentur des Bundes angewiesen, den bestimmten Betrag der Sachverständigen nach Rechtskraft dieses Beschlusses aus Amtsgeldern zu überweisen, und

3) ausgesprochen, dass Mutter und Tochter gemäß § 2 GEG die aus Amtsgeldern berichtigte Sachverständigengebühr je zur Hälfte zu ersetzen haben.

Rechtlich führte es zum Ausspruch nach § 2 Abs 2 GEG aus, dass gemäß § 42 Abs 1 Satz 1 GebAG iVm § 2 Abs 1 GEG in bürgerlichen Rechtssachen alle Kosten, die aus Amtsgeldern berichtigt werden (§ 1 Z 5 GEG), dem Bund von der Partei zu ersetzen seien, die nach den bestehenden Vorschriften hiezu verpflichtet seien. Mangels einer Vorschrift oder Entscheidung seien diese Beträge von denjenigen Beteiligten zu ersetzen, die sie veranlasst haben oder in deren Interesse die Amtshandlung vorgenommen wurde. Da für das Obsorgeverfahren keine besonderen Kostentragungsregelungen bestünden und eine Kostenersatzentscheidung schon gemäß § 107 Abs 3 AußStrG ausgeschlossen sei, könne es nur auf die Veranlassung der Amtshandlung durch einen Beteiligten oder dessen Interesse an derselben ankommen. Beide Tatbestandsmerkmale würden dabei alternativ gelten und stünden zueinander in keinem Rangverhältnis. Mit Rücksicht auf die im vorliegenden Verfahren bestehende Verpflichtung zur amtswegigen Wahrheitsforschung sei eine Veranlassung durch einen der Beteiligten nur bei Vorliegen besonderer, hier nicht gegebener Umstände anzunehmen. Mangels Vorliegens einer relevant überwiegenden Veranlassung des Sachverständigenbeweises durch eine der Parteien sei letztlich auf das Interesse an der Amtshandlung abzustellen. Nach insoweit übereinstimmender Rechtsprechung der Familienrechtssenate dieses Gerichts werde eine Haftung des gemäß § 215 Abs 1 ABGB einschreitenden KJHT für die Kosten des hierüber durchgeführten Verfahrens grundsätzlich verneint, weil dieser dabei von Gesetzes wegen die Interessen des Kindes zu wahren habe und insoweit keine eigenen Interessen verfolge. Anderes könne höchstens dann gelten, wenn dessen Standpunkt ganz deutlich von den wahren Interessen des Kindes differiere, insbesondere wenn das Einschreiten des KJHT von Anfang an ganz offenkundig zu Unrecht erfolgt sei. Auch wenn der Oberste Gerichtshof nunmehr entschieden habe, dass die vom KJHT getroffene Maßnahme unzulässig war, könne dies nicht in der dazu erforderlichen Krassheit angenommen werden. Es sei daher auszusprechen gewesen, dass die Mutter und ihre mittlerweile volljährige Tochter je zur Hälfte zum Ersatz der Sachverständigengebühren verpflichtet seien.

Nur gegen die Entscheidung gemäß § 2 Abs 2 GEG (Punkt 3 des Beschlusses) richtet sich der Rekurs der Mutter und der Tochter. Die Mutter strebt eine Abänderung dahin an, dass auch der KJHT zum Ersatz der Sachverständigengebühren verpflichtet werde. Die Tochter beantragt die Abänderung des angefochtenen Beschlussteils dahin, dass ihr keine Ersatzpflicht auferlegt werde; hilfsweise begehrt die Tochter den Ausspruch, dass auch der KJHT zum Ersatz verpflichtet werde.

Der KJHT erstattete eine Rekursbeantwortung mit dem Antrag, den Rekursen, soweit darin eine (Mit-)Haftung des KJHT angestrebt werde, einen Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

1. Der erkennende Senat hat in dieser Rechtssache bereits mit seinem Beschluss vom , AZ 5 Ob 203/15m, die Zulässigkeit der Rekurse bejaht, weil im vorliegenden Fall das Gericht zweiter Instanz (folgend nur mehr: Rekursgericht) im Gebührenbestimmungsverfahren funktionell als Erstgericht entschieden hat. Die Rechtsmittelzulässigkeit richtet sich in diesem Fall nicht nach § 62 AußStrG, sondern nach § 45 AußStrG (4 Ob 130/13s SV 2013, 232 [zust Krammer] = EF-Z 2014/62 [Beck]). Die demnach zulässigen Rekurse sind auch berechtigt:

2. Werden Sachverständigengebühren aus Amtsgeldern berichtigt, so sind diese Kosten gemäß § 2 Abs 1 GEG dem Bund von der Partei zu ersetzen, die „nach den bestehenden Vorschriften“ hierzu verpflichtet ist. In Verfahren über die Obsorge findet allerdings gemäß § 107 Abs 5 AußStrG ein Kostenersatz nicht statt und im Verfahren außer Streitsachen kommt auch eine analoge Anwendung des § 40 Abs 1 ZPO nicht in Betracht (4 Ob 130/13s mwN). Das Rekursgericht ist daher zutreffend davon ausgegangen, dass die Gebühren von denjenigen Beteiligten zu ersetzen sind, die sie veranlasst haben oder in deren Interesse die Amtshandlung vorgenommen wurde. Beide Tatbestandsmerkmale gelten alternativ, sodass die Kostenersatzpflicht eines Beteiligten greift, wenn auch nur eines von ihnen zutrifft (4 Ob 130/13s mwN EFSlg 140.751). Ob ein Gutachten im Interesse einer Partei eingeholt wird, ist dabei, wie schon der Gesetzeswortlaut nahelegt, nach der Verfahrenslage im Zeitpunkt des Auftrags an den Sachverständigen und nicht nach dem späteren Ergebnis des Gutachtens zu beurteilen (zutr stRsp zweitinstanzlicher Gerichte vgl etwa 48 R 7/13d EFSlg 140.750; 43 R 536/14p EFSlg 144.740; LG Feldkirch EFSlg 136.672, 136.674, 140.749).

3. Zur Frage der Kostenersatzpflicht in Verfahren über Anträge des KJHT auf Änderung der Obsorge bzw nach § 211 ABGB (idgF) ist die Rechtsprechung zweitinstanzlicher Gerichte nicht einheitlich. Bisweilen wird eine Kostenersatzpflicht des KJHT mit der Begründung, dieser mache keine eigenen Interessen geltend, (grundsätzlich) abgelehnt (43 R 399/06d EFSlg 115.753; 48 R 42/11y EFSlg 132.700; 44 R 512/11m EFSlg 132.702; 43 R 685/11w EFSlg 136.692; 44 R 371/12b EFSlg 136.697; 48 R 30/13m EFSlg 140.764; 48 R 257/14w EFSlg 144.760; LG Salzburg EFSlg 125.394; so auch 4 Ob 130/13s). Zum Teil wird die Kostenersatzpflicht des KJHT nach den Grundsätzen des § 2 Abs 1 GEG (Veranlassung und Interesse) bejaht (44 R 576/06s EFSlg 115.752; 42 R 238/07x EFSlg 118.589; 45 R 560/08y EFSlg 121.728; 45 R 83/09b EFSlg 125.393; 45 R 749/10w EFSlg 132.703). Demgegenüber stützt sich hier das Rekursgericht mit seiner Rechtsansicht auf zweitinstanzliche Rechtsprechung, nach der eine Kostenersatzpflicht des KJHT nur dann in Frage komme, wenn dessen Einschreiten ganz offenkundig zu Unrecht erfolgt sei (42 R 323/11b EFSlg 132.701; 42 R 19/12y EFSlg 136.693; 48 R 30/13m EFSlg 140.766) bzw dessen Standpunkt deutlich von den wahren Interessen des Kindes abweiche (42 R 184/12p WR 1133). Ob letztgenannte Kriterien mit dem Gesetz, das allein auf Veranlassung und Interesse abstellt, vereinbar sind, kann hier dahin stehen und es muss auch sonst zur beschriebenen Judikaturpluralität nicht Stellung genommen werden, weil vorliegend die Kostenersatzpflicht in einem Verfahren zu klären ist, in dem zwar noch nach der Rechtslage vor dem KindNamRÄG 2013 (BGBl I 2013/15) aber qualitativ über einen Antrag im Sinn des nunmehrigen § 107a Abs 2 AußStrG entschieden wurde. Dass in einem solchen Verfahren dieselben Kriterien für Veranlassung und Interesse gelten, wie in den zuvor angesprochenen Obsorgeverfahren, kann nicht einfach unterstellt, sondern muss erst geprüft werden:

4. Gegenstand des Anlassverfahrens war die nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer vom KJHT nach § 215 Abs 1 Satz 2 ABGB aF gesetzten Maßnahme. Inhaltlich geht es dabei um die Frage, ob der KJHT durch die vorgenommene Trennung des Kindes von den Eltern (dem Elternteil) in das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK eingegriffen hat. Dabei ist eine ex-ante-Betrachtung vorzunehmen (5 Ob 152/12g; vgl auch 1 Ob 4/12p). Maßgeblich ist, ob dass Einschreiten des KJHT nach den zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zur Verfügung gestandenen oder im Fall gebotener Erhebungen verfügbaren Beurteilungsgrundlagen gerechtfertigt war (5 Ob 152/12g; 5 Ob 33/15m). Spricht danach das Gericht aus, dass die vom KJHT gesetzte Maßnahme unzulässig war, steht damit ein unzulässiger Grundrechtseingriff fest (Höllwerth, Die neue Prüfung der Interimskompetenz des Kinder- und Jugendhilfeträgers, ÖJZ 2015/52, 392). Daraus folgt, dass Entscheidungsgegenstand und -kriterien eines Verfahrens nach § 107a Abs 2 AußStrG nicht mit jenen in Verfahren auf Änderung der Obsorge vergleichbar sind, ist doch in Letzteren allein zu klären, ob eine Änderung der Obsorgeverhältnisse zum Wohl des Kindes notwendig ist.

5. In Verfahren nach § 107a Abs 2 AußStrG haben nur die Eltern (der Elternteil) und das Kind, nicht jedoch der KJHT ein Antragsrecht (vgl 6 Ob 118/13s iFamZ 2013/169 [Fucik] = JBl 2013, 598 = EF-Z 2013/182; Höllwerth aaO). An der Parteistellung des KJHT im Verfahren und im Fall einer antragstattgebenden Entscheidung auch an seiner Rekurslegitimation, die nach allgemeinen Grundsätzen einen Eingriff in dessen rechtlich geschützte Stellung voraussetzt (vgl Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, § 45 AußStrG Rz 24), besteht allerdings kein Zweifel.

6. Bei dieser Sachlage kommen in einem Verfahren nach § 107a Abs 2 AußStrG infolge ihrer Parteistellung somit grundsätzlich die Eltern (der Elternteil), das Kind und der KJHT unter den in § 2 Abs 1 GEG genannten Voraussetzungen der Veranlassung und/oder des Interesses an der betreffenden Amtshandlung als Ersatzpflichtige in Frage.

7. Zunächst kann ein Interesse der Mutter iSd § 2 Abs 1 GEG an der Aufnahme des Sachverständigenbeweises im vorliegenden Fall nicht zweifelhaft sein, hat sie doch selbst den dieses Überprüfungsverfahren einleitenden Antrag gestellt und damit die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Einschreitens des KJHT angestrebt. Das Rekursgericht hat im Rahmen seiner Verpflichtung zur amtswegigen Klärung aller für seine Entscheidung maßgebenden Tatsachen (§ 16 Abs 1 AußStrG) die Beiziehung einer Sachverständigen für erforderlich erachtet. Diese Beweisaufnahme sollte (neben anderen Verfahrensergebnissen) die Frage zu klären helfen, ob das Einschreiten des KJHT den dafür maßgeblichen Kriterien entsprochen hat. Sie diente damit unmittelbar dem Zweck, die Beurteilungsgrundlagen für die Entscheidung über den von der Mutter erhobenen Antrag zu schaffen. Damit ist jedenfalls ein Interesse der Mutter an dieser Beweisaufnahme zu bejahen und dieses zieht auch deren Kostenersatzpflicht nach sich.

8. Die Tochter war als Partei dem Verfahren beigezogen, hat aber nicht den verfahrenseinleitenden Antrag gestellt und sich auch sonst nicht erkennbar und konkret dem Standpunkt ihrer Mutter oder jenem des KJHT angeschlossen. Gegenstand des Überprüfungsverfahrens war auch nicht - im Unterschied zu Verfahren auf Obsorgeübertragung - die künftige Regelung der Obsorge im Lichte des Kindeswohls, sondern (nur) die retrospektive Prüfung der Rechtmäßigkeit eines in der Vergangenheit erfolgten Einschreitens des KJHT. Hat also die Tochter weder den verfahrenseinleitenden Antrag gestellt noch erkennbar den Standpunkt einer anderen Partei des Überprüfungsverfahrens unterstützt und hat die Entscheidung auch keinen Einfluss auf die aktuelle Obsorgesituation des Kindes, dann besteht ohne sonstige Anhaltspunkte für ein eigenes Interesse des Kindes keine ausreichende Grundlage, die Tochter zum Kostenersatz zu verpflichten. Dem Rekurs der Tochter war daher Folge zu geben und der Ausspruch ihrer Kostenersatzpflicht ersatzlos zu beheben.

9. Bei der Frage einer Kostenersatzpflicht des KJHT ist zunächst zu bedenken, dass diesem im Überprüfungsverfahren kein Antragsrecht dahin zusteht, die Rechtmäßigkeit seines Einschreitens feststellen zu lassen. Dies folgt wohl naheliegend aus dem Gedanken, dass mit den Eltern (dem Elternteil) und dem Kind allein jenen Person die Antragstellung vorbehalten bleiben soll, in deren Grundrechte gegebenenfalls eingegriffen wurde. Allein das fehlende Antragsrecht des KJHT rechtfertigte daher nicht, dessen Interesse an Beweisaufnahmen im Überprüfungsverfahren nach § 107a Abs 2 AußStrG abschließend zu verneinen. Vielmehr ist einziger Gegenstand dieses Verfahrens die Klärung der Frage, ob der KJHT infolge seines Einschreitens (hier noch) nach § 215 Abs 1 Satz 2 ABGB aF (nunmehr: § 211 Abs 1 Satz 2 ABGB nF) eine Grundrechtsverletzung zu Lasten der Eltern (des Elternteils) und des betroffenen Kindes zu vertreten hat. Die Annahme, dass der KJHT an der Klärung der für diese Beurteilung maßgeblichen Tatfragen kein iSd § 2 GEG relevantes Interesse habe, ist nicht gerechtfertigt. In diesem Verfahren strebt der KJHT nämlich nicht - im Unterschied zu Verfahren auf Obsorgeübertragung - zur Wahrung des Kindeswohls die Regelung der künftigen Obsorgeverhältnisse an. Vielmehr eröffnet dieses Überprüfungsverfahren dem KJHT die Möglichkeit, den gegen ihn erhobenen Vorwurf einer Grundrechtsverletzung abzuwehren und damit eine Vorfrage für allfällige künftige, aus seinem Verhalten abgeleitete Ersatzansprüche zu seinen Gunsten zu klären. Bei dieser Sachlage ist auch ein Interesse des KJHT iSd § 2 Abs 1 GEG an der Klärung der maßgeblichen Tatsachengrundlagen und damit auch dessen Kostenersatzpflicht zu bejahen. Diese war in Stattgebung des Rekurses der Mutter auszusprechen.

10. Da die Mutter und der KJHT entgegengesetzte Interessen vertreten, sind sie nicht „zum Ersatz desselben Betrages verpflichtet“ (§ 2 Abs 1 letzter Satz GEG). Sie haften daher nach Kopfteilen und nicht zur ungeteilten Hand.

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2015:0050OB00203.15M.1123.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
EAAAD-53264