OGH vom 21.02.2020, 4Ob23/20s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Priv.-Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** Unternehmen *****, Russland, vertreten durch Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei S***** B.V., *****, Luxemburg, vertreten durch Brauneis Klauser Prändl Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung, Beseitigung, Urteilsveröffentlichung und Rechnungslegung (Stufenklage; Streitwert 112.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 172/14y-436, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Das Verfahren über die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird fortgesetzt.
II. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Zu I.:
Das Revisionsverfahren war bis zur rechtskräftigen Entscheidung des vor dem Hoge Raad behängenden niederländischen Verfahrens über die Revision der hier beklagten Partei vom unterbrochen. Mit Schriftsatz vom legte die klagende Partei die abweisende Entscheidung des Hoge Raad vom vor und beantragte die Fortsetzung des Revisionsverfahrens. Aufgrund der Entscheidung des Hoge Raad ist das hier unterbrochene Revisionsverfahren nunmehr fortzusetzen.
Zu II.:
Die Parteien streiten (nunmehr im dritten Rechtsgang; zum bisherigen Verfahrensablauf siehe 4 Ob 30/15p und 4 Ob 88/18x) um die Rechte an den österreichischen Marken „Moskovskaja“ und „Stolichnaja“ für Wodka. Ursprünglich war ein russischer Staatsbetrieb Inhaber der fraglichen Marken. Im Zusammenhang mit dessen Privatisierung Anfang der 1990er-Jahre und deren Überprüfung ab dem Jahr 2000 stellt sich die Frage, welche der Parteien die materiell Berechtigte aus den strittigen Marken ist.
Die Klägerin führt seit 2003 vor den niederländischen Gerichten gegen die Beklagte ein Verfahren betreffend die Inhaberschaft und die Verletzung der entsprechenden Benelux-Marken. Im niederländischen Verfahren wurde zunächst ein (im Instanzenzug überprüftes) Zwischenurteil über bestimmte Vorfragen gefällt, in dem unter anderem ausgesprochen wurde, dass die fraglichen Benelux-Marken nicht im Weg der Gesamtrechtsnachfolge auf die privatisierte Handelsgesellschaft übergegangen, sondern beim russischen Staatsbetrieb verblieben sind und die Klägerin im Markenstreit aktiv legitimiert ist, sowie dass der Verjährungseinwand der Beklagten nicht stichhaltig ist. Am fällte das Erstgericht das Endurteil im niederländischen Verfahren. In der Begründung dieser Entscheidung wurde ausgeführt, dass kein Grund für ein Abgehen von der bisherigen Beurteilung bestehe, weil das Gericht an die bisher im Verfahren geäußerten Ansichten gebunden sei. Mit Urteil vom bestätigte das Berufungsgericht die Entscheidung des Erstgerichts. Gegen diese Entscheidung erhob die Beklagte am Revision an den Hoge Raad, die nunmehr mit Urteil vom abgewiesen wurde.
Im vorliegenden Verfahren machte die Klägerin mit Klage vom als Rechtsnachfolgerin des ursprünglich berechtigten russischen Staatsbetriebs Unterlassungs-, Beseitigungs-, Urteilsveröffentlichungs- und Rechnungslegungsansprüche im Rahmen einer Stufenklage aus den erwähnten österreichischen Marken aufgrund von in Österreich gesetzten Benützungs- und Verletzungshandlungen der Beklagten geltend.
Die Beklagte behauptet ihrerseits, dass sie – aufgrund einer Gesamtrechtsnachfolge – Inhaberin der fraglichen österreichischen Marken geworden sei.
Das Erstgericht gab mit Urteil vom dem (Haupt-)Klagebegehren statt.
Das Berufungsgericht bestätigte – im nunmehrigen dritten Rechtsgang – diese Entscheidung. Zur Begründung führte es aus, dass die Fragen zur Rechtswirksamkeit der Gesamtrechtsnachfolge der russischen Handelsgesellschaft, zur Möglichkeit der Geltendmachung der Unwirksamkeit der Privatisierung und zur Aktivlegitimation der Klägerin aufgrund der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 4 Ob 88/18x im Sinn des Prozessstandpunkts der Klägerin geklärt seien. Die Ansprüche der Klägerin seien auch nicht nach § 58 Abs 1 MSchG verwirkt. Die Frage, ob ein kumulativer Zuspruch der Ansprüche nach § 53 Abs 1 bis 3 MSchG (angemessenes Entgelt, Schadenersatz, Herausgabe des erzielten Gewinns, Duplum des gebührenden Entgelts) berechtigt sei, könne im Rahmen der Stufenklage erst im Endurteil geklärt werden. Auf eine Verjährung des Rechnungslegungsanspruchs könne sich die Beklagte nicht berufen, weil sie im erstinstanzlichen Verfahren keinen derartigen Einwand erhoben habe.
Rechtliche Beurteilung
Mit ihrer dagegen erhobenen außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf.
I. Zu den Verfahrensmängeln:
1. Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen – wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat – nicht vor.
1.2 Zum geltend gemachten Erörterungs- bzw Begründungsmangel bzw zum Vorwurf der Überraschungsentscheidung im Zusammenhang mit dem Rechtsgutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Vranken zu den Fragen der „vorzeitigen Rechtskraft“ von im Rechtsmittelverfahren überprüften Vorfrageentscheidungen und zur „Identität des streitgegenständlichen Rechtsverhältnisses“ nach niederländischem Recht führt die Beklagte aus, dass
- die vom gerichtlichen Sachverständigen herangezogenen beiden Entscheidungen des Hoge Raad keine Begründung für seine Rechtsansicht hergeben würden,
- der gerichtliche Sachverständige eine eigenwillige Interpretation von zwei jüngeren Urteilen des Hoge Raad vornehme,
- lediglich zwei Urteile noch keine ständige Rechtsprechung begründeten,
- der gerichtliche Sachverständige sich auf keine gefestigte Rechtsprechung oder Lehre stützen könne,
- nach der überzeugenden Ansicht des Privatgutachters Prof. Van Nispen der gerichtliche Sachverständige keine herrschende niederländische Rechtsprechung oder Lehre hinsichtlich der behaupteten Bindungswirkung nachweisen könne und sein Rechtsgutachten von der Rechtspraxis abweiche und
- der Oberste Gerichtshof das IPRG unrichtig anwende, weil er bei der Beurteilung des niederländischen Zivilprozessrechts nicht auf die niederländische herrschende Rechtsprechung abstelle.
Dabei verweist die Beklagte entweder nur in einem Klammerausdruck auf von ihr eingeholte Privatgutachten (zB „vgl Gutachten Van Nispen Beilage ./238 Punkt 7“) oder behauptet dazu nur pauschal, dass das gerichtliche Sachverständigengutachten inhaltlich unrichtig sei (zB „die beharrliche Wiederholung von widersprüchlichen Äußerungen des Gerichtssachverständigen wurden von Prof. Van Nispen, dem anerkanntesten Zivilprozessrechts- und Immaterialgüterrechtsexperten der Niederlande, begründet in Frage gestellt und widerlegt“). An anderer Stelle führt die Beklagte aus, dass angesichts der Tragweite der grundlegenden Einwände von Prof. Van Nispen ein weiteres gerichtliches Gutachten hätte in Auftrag gegeben werden müssen.
1.3 Auch der Rechtsmittelgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens muss vom Rechtsmittelwerber begründet werden. Eine Mängelrüge ist daher nur dann gesetzmäßig ausgeführt, wenn sie darlegt, welchen formellen Verstoß das Gericht begangen haben soll und aus welchen konkreten Umständen der Rechtsmittelwerber diese ableitet. Bei Geltendmachung eines Erörterungsmangels oder einer Überraschungsentscheidung muss daher etwa auch ausgeführt werden, welches zusätzliche oder andere Vorbringen aufgrund der bisher nicht beachteten Rechtsansicht erstattet worden wäre (RS0037300 [T47]). Zudem ist jede Rechtsmittelschrift ein in sich geschlossener selbständiger Schriftsatz, der nicht durch die Bezugnahme auf den Inhalt anderer in derselben oder in einer anderen Rechtssache erstatteten Schriftsätze ersetzt oder ergänzt werden kann (RS0007029; RS0043616; RS0043579). In gleicher Weise sind bloße Verweise im Sinn von Quellenangaben auf eingeholte Privatgutachten unbeachtlich.
1.4 Die Mängelrüge der Beklagten entspricht diesen Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Rechtsmittel nicht. Die Beklagte weist nur pauschal auf die angebliche Richtigkeit oder Begründetheit der von ihr eingeholten Privatgutachten hin. Sie unterlässt es aber konkret darzulegen, worin die Widersprüche zwischen dem gerichtlichen Sachverständigengutachten und den Privatgutachten gelegen sind und von welcher Rechtsprechung oder Lehre das gerichtliche Sachverständigengutachten abweichen soll. Insbesondere lässt sich der außerordentlichen Revision nicht entnehmen, aus welchen Gründen und in welchen Punkten
- das gerichtliche Sachverständigengutachten anderen Gutachten klar widersprechen soll,
- das gerichtliche Sachverständigengutachten eine Bezugnahme auf die Privatgutachten unterlassen soll,
der gerichtliche Sachverständige Hinweise des Privatgutachters Van Nispen nicht ausgeräumt haben soll und daher Fehlschlüsse und Widersprüche des gerichtlichen Sachverständigen vorliegen sollen oder
- der gerichtliche Sachverständige die einschlägige Rechtsprechung ablehnen soll.
1.5 Zum geltend gemachten Erörterungsmangel im Zusammenhang mit an den gerichtlichen Sachverständigen gestellten Fragen führt die Beklagte aus, dass
- der gerichtliche Sachverständige trotz fundamentaler Kritik an seinem Gutachten durch Prof. Van Nispen einen Teil der Fragen schlicht nicht beantwortet habe und
- ihr Gelegenheit hätte gegeben werden müssen, in der mündlichen Verhandlung Fragen an den gerichtlichen Sachverständigen zu stellen.
1.6 Auch dazu ist die Mängelrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt. Die Beklagte verweist wiederum nur pauschal auf die von ihr eingeholten Privatgutachten, ohne jedoch konkret die Fragen anzuführen, die der gerichtliche Sachverständige nicht beantwortet haben soll. Der außerordentlichen Revision lässt sich insbesondere nicht entnehmen, auf welche Fragen aus der Fragenliste der Beklagten der gerichtliche Sachverständige nicht eingegangen und aus welchen Gründen „eine umfassende Würdigung aller Umstände“ unterblieben sein soll. Allein aus dem Umstand, dass die Beklagte kein Rechtsgespräch mit dem gerichtlichen Sachverständigen führen konnte, wird kein Verfahrensmangel begründet; ein Rechtsgespräch ist nicht zwingend vorgesehen.
1.7 Entgegen den Ausführungen der Beklagten kann die Ansicht des Berufungsgerichts, dass eine Verwirkung nach § 58 MSchG einen Verwendungskonflikt zwischen zwei Warenkennzeichen voraussetze, nicht als überraschend qualifiziert werden. Mit dem Wortlaut und den ausdrücklich beschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm müssen sich die Parteien auch ohne Erörterung durch das Gericht auseinandersetzen. Im Übrigen handelt es sich bei dieser Beurteilung des Berufungsgerichts nur um eine Hilfsbegründung, der für die Entscheidung letztlich keine Bedeutung zukommt.
II. Zur Rüge nach der Grundrechte-Charta:
2. Mit dem Argument, dass der gerichtliche Sachverständige einen Teil ihrer Fragen unbeantwortet gelassen und sich das Gericht mit den Argumenten des Privatgutachters Prof. Van Nispen nicht im Detail auseinandergesetzt habe, macht die Beklagte auch einen Verstoß gegen den Grundsatz der Waffengleichheit geltend. Sie erhebe dazu eine materielle Rüge in Bezug auf den Schutz ihrer gegenständlichen österreichischen Marken als geistiges Eigentum im Sinn von Art 17 Abs 2 GRC.
2.1 Zur Darlegung einer Rechtsverletzung nach der Grundrechte-Charta muss vom Betroffenen eine schlüssige Behauptung dahin aufgestellt werden, dass im Anwendungsbereich des Unionsrechts durch Unionsrecht garantierte Grundrechte bzw Freiheiten verletzt wurden und sich dies nachteilig auf seine Rechtsposition ausgewirkt hat (vgl 8 Ob 7/13g mwN). Im Zusammenhang mit Art 17 GRC ist ein schlüssiges Vorbringen darüber zu erstatten,
- worin der unionsrechtswidrige Eingriff in das Eigentum konkret bestand,
- welche Art von Eingriff (Eigentumsentziehung oder Eigentumsbeschränkung) dadurch verwirklicht wurde und
- welche konkrete Rechtsfolge an den Eingriff geknüpft sein soll (2 Ob 123/16a).
2.2 Eine schlüssige Behauptung, wodurch die von ihr ins Treffen geführten Grundrechte konkret verletzt worden sein sollen, insbesondere warum und in welcher Form in ihr Eigentum nach Art 17 GRC eingegriffen worden sein soll, stellt die Beklagte nicht auf. Mit ihren pauschalen Hinweisen auf ein Privatgutachten und angeblich nicht beantwortete Fragen durch den gerichtlichen Sachverständigen erhebt sie keine taugliche Grundrechte-Rüge.
III. Zur Bindungswirkung:
3. Auch dazu lässt sich der außerordentlichen Revision nicht entnehmen, worin konkret
- die unrichtige Ermittlung des ausländischen Rechts,
- die unrichtige Beurteilung zur vorgezogenen Rechtskraft und damit zur Bindungswirkung der niederländischen Entscheidungen und
- die unrichtige Beurteilung zum Erfordernis der Identität des streitgegenständlichen Rechtsverhältnisses nach niederländischem Recht
gelegen sein soll. Durch die bloße Behauptung der Unrichtigkeit des Rechtsgutachtens des gerichtlichen Sachverständigen und angeblicher Widersprüche zu den eingeholten Privatgutachten wird keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt.
Davon abgesehen kann sich die Beklagte – aufgrund der nunmehrigen Entscheidung des Hoge Raad vom – weder auf eine neue bindende Entscheidung eines anderen Gerichts noch auf eine zwischenzeitlich eingetretene Änderung der Rechtslage berufen (vgl RS0037797; 6 Ob 309/05t). Die Frage der Bindungswirkung der in den niederländischen Entscheidungen geklärten Rechtsfragen, wonach
- die Benelux-Marken nicht im Weg der Gesamtrechtsnachfolge auf die privatisierte Handelsgesellschaft übergegangen sind,
- die Klägerin im Markenstreit aktiv legitimiert ist und
- der Verjährungseinwand der Beklagten nicht berechtigt ist,
können – bei Anwendung der EuGVVO – von der Beklagten daher nicht neuerlich zum Gegenstand des Rechtsmittels gemacht werden.
IV. Zum Anwendungsbereich der EuGVVO:
4. Dazu führt die Beklagte aus, dass der Oberste Gerichtshof die Entscheidung des EuGH zu C-551/15, Pula Parking, nicht beachtet habe. Bei den im niederländischen Verfahren entschiedenen Vorfragen handle es sich um zwingend angeordnete Maßnahmen zum Abbau des Außenhandelsmonopols der UdSSR. Die Entmonopolisierungsmaßnahmen seien untrennbar mit der Außen- und Wirtschaftspolitik der UdSSR verknüpft. Die Klägerin sei in Umsetzung eines Dekrets des Präsidenten der Russischen Föderation gegründet und die klagsgegenständlichen Rechte seien der Klägerin durch hoheitliche Akte übertragen worden.
4.1 Soweit die Beklagte auch zu diesem Rechtsmittelpunkt lediglich
- auf die Stellungnahme von Prof. Frauenberger-Pfeiler/Prof. Rechberger, „welche zum integrierenden Bestandteil dieses Schriftsatzes [der außerordentlichen Revision] erhoben wird“ und
- auf ihren Schriftsatz vom „mit dem Gutachten von Prof. Trunk vom “
verweist, sind ihre Ausführungen unbeachtlich. Wie bereits ausgeführt, kann ein Rechtsmittelschriftsatz nicht durch den Verweis auf andere Schriftsätze oder auf bestimmten Urkunden ergänzt werden.
4.2 Was die Beklagte aus der Entscheidung des EuGH zu C-551/15, Pula Parking, ableiten will, lässt sich ihren Ausführungen nicht entnehmen. Diese Entscheidung bezieht sich auf die Einbringlichmachung einer Gebühr (des Entgelts) für die Nutzung eines öffentlichen Parkplatzes in Kroatien. Der EuGH wurde mit der Frage befasst, ob ein von einem Notar durchgeführtes Zwangsvollstreckungsverfahren, das von einer im Eigentum einer Gebietskörperschaft stehenden Gesellschaft zur Betreibung einer nicht beglichenen Gebühr für die Nutzung eines öffentlichen Parkplatzes geführt wurde, in den Anwendungsbereich der EuGVVO 2012 fällt. Der EuGH bejahte diese Frage mit der Begründung, dass offenbar weder die Bestimmung der nicht beglichenen Parkgebühr noch deren Betreibung hoheitliche Befugnisse erfordere. Dazu verwies der EuGH darauf, dass die Parkgebühr auf einem Vertrag beruht und keinen Strafcharakter hat (vgl Rn 35).
Nach dieser Entscheidung kommt es für die Bejahung des Anwendungsbereichs der EuGVVO maßgebend darauf an, ob sich die zu beurteilenden Rechtsfolgen unmittelbar aus der Ausübung hoheitlicher Befugnisse ergeben, oder ob ihnen zivilrechtliche Maßnahmen zugrunde liegen. Dementsprechend hat der EuGH in der Rechtssache C-308/17, Kuhn, ausgesprochen, dass ein Verfahren dann nicht unter die EuGVVO fällt, wenn der Rechtsstreit auf Handlungen zurückgeht, die einer Ausübung hoheitlicher Rechte entspringen (Rn 36).
4.3 Die Berufung der Beklagten auf Entmonopolisierungsmaßnahmen der UdSSR bei Gründung der russischen Handelsgesellschaft begründet keine erhebliche Rechtsfrage. Die in den niederländischen Entscheidungen verneinte Gesamtrechtsnachfolge der Handelsgesellschaft und die aus diesem Grund bejahte Aktivlegitimation der Klägerin bezieht sich nicht auf die Gründung der Handelsgesellschaft im Jahr 1991, sondern auf die Überprüfung der Rechtsnachfolge ab dem Jahr 2000. Diese Beurteilung der niederländischen Gerichte gründet sich auf das russische Sachrecht (Sitzrecht). Dazu lagen die Entscheidungen der russischen Schiedsgerichte (vom bzw ) vor, in denen beurteilt wurde, dass die Rechtsnachfolgeklausel in der Satzung der privatisierten Handelsgesellschaft ungültig war. Dem lag wiederum die Beurteilung zugrunde, dass die Handelsgesellschaft von mehreren juristischen Personen neu gegründet wurde und diese daher durch Neugründung und nicht durch Umwandlung entstanden ist, woraus folgt, dass die Handelsgesellschaft nicht zur Rechtsnachfolgerin des ursprünglichen russischen Staatsbetriebs wurde.
Die Verneinung des Übergangs der Markenrechte auf die russische Handelsgesellschaft beruht somit auf der Beurteilung, dass die Rechtsnachfolgeklausel in ihrer Satzungsbestimmung unwirksam war. Die Beurteilung der Unwirksamkeit einer Rechtsnachfolgeklausel in der Satzungsbestimmung einer Gesellschaft durch ein Schiedsgericht stellt keinen Bezug zu einer von der Beklagten ins Treffen geführten Entmonopolisierungsmaßnahme der UdSSR her. Ein Hinweis darauf, dass die Entscheidungen der russischen Schiedsgerichte im Zusammenhang mit hoheitlichen Sonderbefugnissen gestanden sind, besteht nicht.
V. Zum Ordre public-Einwand der Enteignung:
5. Dazu beruft sich die Beklagte auf eine Verweigerung der Anerkennung der Klagebefugnis der Klägerin wegen Ordre public-Widrigkeit. Die niederländischen Entscheidungen beruhten auf völkerrechtswidrigen Akten, die mit der extraterritorialen Wirkung von Enteignungen vergleichbar seien.
5.1 Auch dazu verweist die Beklagte wieder pauschal auf von ihr eingeholte Privatgutachten sowie auf ihr Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren, im Schriftsatz vom und in der Berufung vom . Insoweit sind ihre Ausführungen unbeachtlich.
5.2 Substanziell enthält die außerordentliche Revision dazu nur die Begründung, dass seit jeher die erforderliche Zustimmung der Ukraine zur Aufteilung des Vermögens der ehemaligen Sowjetunion fehle. Zudem wird ausgeführt, dass eine spätere Änderung des Völkerrechts den einmal erfolgten Völkerrechtsverstoß (durch einseitige Verfügungsakte der Russischen Föderation) nicht rückwirkend beseitigen könne.
Warum daraus ein Verstoß gegen den österreichischen Ordre public folgen soll, lässt sich der außerordentlichen Revision nicht nachvollziehbar entnehmen. Insbesondere unterlässt es die Beklagte, auf den Grundsatz der völkerrechtlichen Kontinuität (vgl dazu 3 Ob 69/11k) einzugehen und auszuführen, warum dieser in Bezug auf die Russische Föderation im gegebenen Zusammenhang nicht gelten soll.
VI. Zum Ordre public-Einwand der Unverjährbarkeit nach russischem Recht:
6. Dazu beruft sich die Beklagte auf eine Verweigerung der Anerkennung der niederländischen Entscheidungen wegen Ordre public-Widrigkeit, weil die niederländischen Gerichte von einer Unverjährbarkeit der Geltendmachung der Nichtigkeit der Umwandlung nach russischem Recht ausgegangen seien.
6.1 Der Hoge Raad beurteilte in seiner Entscheidung zum Zwischenurteil im niederländischen Verfahren, dass die Verjährung der Möglichkeit, sich auf die Ungültigkeit der russischen Umwandlung zu berufen, nicht zum Erwerb der Markenrechte führe und die Verjährungsfrage für die Aktivlegitimation daher nicht relevant sei, nachdem – worauf die Beklagte selbst hinweist – das niederländische Berufungsgericht zum Zwischenurteil ausführte, dass die Frage, ob die Transformation/Privatisierung nichtig sei, sowohl nach niederländischem als auch nach russischem Recht keiner Verjährung unterliege. Im folgenden Endurteil sprach das niederländische Erstgericht aus, dass die Klage nicht verjährt sei.
Die Beklagte begründet nun nicht näher, warum sie meint, dass die niederländischen Gerichte von der Unverjährbarkeit der Geltendmachung der Unwirksamkeit der Umwandlung nach russischem Recht ausgegangen seien. Die Wendung „ob die Transformation/Privatisierung nichtig sei, unterliegt keiner Verjährung“ in der deutschsprachigen Übersetzung einer fremdsprachigen Gerichtsentscheidung kann auch dahin verstanden werden, dass der fragliche Anspruch mangels Zeitablaufs nicht verjährt ist.
Diese Auslegung wird vor allem durch den Hinweis des Gerechtshof s´Gravenhage auf das russische Recht bekräftigt: Die Frage nach der Verjährung der Geltendmachung der Unwirksamkeit der Umwandlung richtet sich nach russischem Recht. In den auch zu dieser Frage vorliegenden Entscheidungen der russischen Schiedsgerichte wurde beurteilt, dass für den Beginn der Verjährungsfrist nach Art 181 ZGB RF (iVm der Übergangsbestimmung in Art 10 des Einführungsgesetzes zum ZGB RF) der Zeitpunkt der tatsächlichen Registrierung der Gesellschaft (am ) relevant ist, weshalb im November 2000 die vom russischen Staatsanwalt eingebrachte Klage noch nicht als verjährt anzusehen sei. Die russischen Schiedsgerichte, deren Entscheidungen den niederländischen Gerichten bekannt waren, sind demnach gerade nicht von einer Unverjährbarkeit des Einwands der Geltendmachung der Unwirksamkeit der Umwandlung nach russischem Recht ausgegangen. Mit der bloß gegenteiligen Behauptung zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf.
VII. Zur Verjährung der Geltendmachung der Unwirksamkeit der Umwandlung nach russischem Recht:
7. Zur Frage, ob sich die von den niederländischen Gerichten verneinte Verjährung auf die Geltendmachung der Unwirksamkeit der Umwandlung nach russischem Recht bezieht, führt die Beklagte in der außerordentlichen Revision aus, dass sich das (österreichische) Berufungsgericht der von Prof. Vranken und Prof. Van Nispen vertretenen Meinung angeschlossen habe, dass der Hoge Raad über die Frage der Verjährung der Befugnis nach russischem Recht, sich auf die Ungültigkeit der Privatisierung zu berufen, gar nicht geurteilt habe.
7.1 Diese Ausführungen, die inhaltlich wieder nur auf Gutachten verweisen, stehen im Widerspruch zur Argumentation der Beklagten, wonach die niederländischen Gerichte von einer Unverjährbarkeit der Geltendmachung der Nichtigkeit der Umwandlung nach russischem Recht ausgegangen seien.
7.2 Mit ihren bloßen Verweisen auf die erwähnten Gutachten vermag die Beklagte auch inhaltlich nicht zu entkräften, dass sich die hier angeführten Entscheidungen der niederländischen Gerichte zur Verjährungsfrage auf die Geltendmachung der Unwirksamkeit der Umwandlung der russischen Handelsgesellschaft durch die Klägerin beziehen.
VIII. Zur Klagebefugnis der Klägerin hinsichtlich der österreichischen Markenrechte:
8.1 Die Frage, ob die Markenrechte des russischen Staatsbetriebs rechtswirksam auf die privatisierte Handelsgesellschaft übergegangen sind oder nicht, betrifft alle Markenrechte gleichermaßen. Auch wenn die niederländischen Gerichte nur über die Benelux-Markenrechte entscheiden konnten, sind die zugrunde liegenden Rechtsfragen für die Markenrechte in allen Schutzländern identisch und damit präjudiziell. Dementsprechend hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 4 Ob 88/18x festgehalten, dass sich zur Klärung der Frage, welche der Parteien materiell Berechtigte aus den strittigen Marken ist, die Vorfrage stellt, welches Unternehmen Rechtsnachfolgerin des russischen Staatsbetriebs ist.
8.2 Auch mit dem Argument, die niederländischen Gerichte hätten die Aktivlegitimation der Klägerin nur auf Basis der in den Niederlanden zulässigen gewillkürten Prozessstandschaft bejaht, vermag die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.
Entgegen den Behauptungen der Beklagten haben die niederländischen Gerichte die Aktivlegitimation der Klägerin unter Heranziehung des IPRG nach russischem Sachrecht (Sitzrecht der russischen Handelsgesellschaft) beurteilt und ausgeführt, dass das russische Recht der Klägerin die Befugnis zur Klagsführung ausdrücklich einräume.
Richtig ist, dass der Klägerin hinsichtlich der in Rede stehenden Marken die Ausübung der Nutzungs- und Verfügungsrechte im Namen der Russischen Föderation übertragen wurde. Nach den Feststellungen umfasst dies allerdings auch die Verfolgung der Markenrechte im Ausland und deren Registrierung, wobei die ausländischen Markenrechte (auch in Österreich) stets zugunsten eines Unternehmens (und nicht für den russischen Staat) registriert wurden.
Dazu hat schon das Erstgericht unbeanstandet darauf hingewiesen, dass nach russischem Recht bei Staatsunternehmen zwischen Eigentum und Rechteinhaberschaft unterschieden werden muss und das Staatsunternehmen an den überlassenen Vermögensgegenständen ein eigentumsähnliches dingliches Recht hat, weshalb der Staatsbetrieb (hier die Klägerin) nach russischem Recht als materiell berechtigte Markeninhaberin anzusehen ist und die Markenrechte auch im eigenen Namen gerichtlich geltend machen kann.
8.3 Nach österreichischem Verständnis betrifft die Aktivlegitimation den Grund des Anspruchs und ist daher eine Frage des materiellen Rechts (RS0122730; RS0107961). Das Argument, die Aktivlegitimation sei öffentlich-rechtlicher Natur und daher jedenfalls nach österreichischem Recht zu beurteilen, begründet daher ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage.
IX. Zur Verwirkung nach § 58 MSchG:
9. Dazu führt die Beklagte aus, dass die fünfjährige Duldungsfrist des § 58 MSchG eine materiell-rechtliche Frist sei, sodass es nicht auf die Einbringung der Klage, sondern auf deren Zustellung ankomme.
9.1 § 58 MSchG setzt den Verwirkungstatbestand des Art 9 Abs 1 der Markenrichtlinie um (RS0125857) und ist daher richtlinienkonform zu interpretieren (RS0075866). Dazu hat der EuGH in der Entscheidung zu C-482/09, Budêjovický Budvar, Rn 37, ausgesprochen, dass jeder außergerichtliche oder gerichtliche Rechtsbehelf, der vom Inhaber der älteren Marke während des in Art 9 Abs 1 der Markenrichtlinie vorgesehenen Zeitraums eingelegt wurde, eine Unterbrechung der Verwirkung durch Duldung bewirkt. Danach kommt es für die Unterbrechungswirkung auf die Einbringung der Klage an (vgl dazu auch RS0034675).
9.2 Auch das weitere Argument der Beklagten, dass die Klägerin frühestens mit dem Abtretungsvertrag vom Inhaberin der Marken geworden sei, ist nicht stichhaltig, weil die Aktivlegitimation der Klägerin von den niederländischen Gerichten unabhängig von diesem Abtretungsvertrag bejaht wurde.
9.3 Auf die weiters bekämpfte Auffassung des Berufungsgerichts, § 58 MSchG sei mangels kollidierender Kennzeichenrechte nicht anwendbar, und auf die Frage, ob die Beklagte die Marken gutgläubig benützt hat oder nicht, kommt es nicht an.
X. Ergebnis:
Mit ihren Ausführungen in der außerordentlichen Revision, die in Bezug auf die bloßen Verweise auf andere Schriftsätze oder auf (Privat-)Gutachten aus formellen Gründen unbeachtlich sind, vermag die Beklagte insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen und auch keine relevanten ungeklärten unionsrechtlichen Fragen darzulegen. Die geltend gemachten Verfahrensmängel und auch die gerügten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor.
Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen. Die Anregung auf Einholung einer Vorabentscheidung war nicht aufzugreifen.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00023.20S.0221.000 |
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Fundstelle(n):
HAAAD-53237