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OGH vom 11.08.2005, 2Ob172/05s

OGH vom 11.08.2005, 2Ob172/05s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Dr. Baumann, Hon. Prof. Dr. Danzl und Dr. Veith als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Songül Y*****, geboren am , vertreten durch den Magistrat der Stadt Wels (Jugendwohlfahrt), über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichtes Wels als Rekursgericht vom , GZ 21 R 118/05k-U-13, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Wels vom , GZ 25 P 98/01a-U-6, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der Vater wurde mit Beschluss des Erstgerichtes vom zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltes von EUR 150,-- ab für die Minderjährige verpflichtet. Nach den der Unterhaltsfestsetzung zugrunde gelegten Angaben der Mutter als Vertreterin des Kindes (§ 185 Abs 3 AußStrG aF) war der Vater damals in Marchtrenk als Lagerarbeiter mit einem monatlichen Nettoeinkommen von rund EUR 1.050,-- beschäftigt.

Die Mutter, die ebenso wie der Vater und das Kind türkische Staatsangehörige ist, beantragte als Vertreterin des Kindes am beim Erstgericht die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 4 Z 3 UVG. Sie brachte vor, dass der Vater seit in der Justizanstalt Wels in Untersuchungshaft sei. Vor der Inhaftierung habe er zunächst in Marchtrenk gearbeitet, dann habe er „AMS" bezogen. Die Mutter erhalte Sozialhilfe von EUR 233,-- monatlich, das Kind besuche die Hauptschule und sei dringend auf Unterhaltsleistungen angewiesen.

Das Erstgericht bewilligte Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG für die Zeit vom 1. 2. bis in der jeweiligen Höhe nach § 6 Abs 2 UVG (EUR 220,-- monatlich). Es begründete die Entscheidung damit, dass dem Unterhaltsschuldner auf Grund einer Anordnung in einem strafgerichtlichen Verfahren seit die Freiheit entzogen worden sei und er deshalb seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommen könne. Das Kind habe daher Anspruch auf Haftvorschüsse.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz Folge und änderte den erstgerichtlichen Beschluss dahin ab, dass der Unterhaltsvorschussantrag abgewiesen wurde. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, und führte im Wesentlichen Folgendes aus:

Nach den Urteilen des , in der Rechtssache Offermanns (Slg 2001, I-2261), vom , C-255/99, in der Rechtssache Humer (Slg 2002, I-1205) und vom , C-302/02, in der Rechtssache Effing handle es sich beim Unterhaltsvorschuss nach dem österreichischen UVG um eine Familienleistung iSd Art 4 Abs 1 lit h der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (in der Folge: VO 1408/71). Aus diesen Entscheidungen sei abzuleiten, dass alle EWR-Bürger mit gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich unter denselben Voraussetzungen wie Inländer Anspruch auf eine solche im Recht des Mitgliedstaats vorgesehene Leistung haben, soweit sie unter den persönlichen Anwendungsbereich der VO 1408/71 fallen (10 Ob 36/05z; RIS-Justiz RS0115844). Die Verordnung garantiere Arbeitnehmern, Selbständigen, Arbeitslosen und Studenten (VO 307/1999 vom ) im Bereich der sozialen Sicherheit in einem bestimmten Rahmen die gleiche Behandlung wie inländischen Beschäftigten. Neben der Familienangehörigen-Eigenschaft sei daher in erster Linie entscheidend, ob ein Elternteil des Kindes in eine - in Bezug auf Familienleistungen - von der VO 1408/71 erfasste Gruppe falle. Sei das nicht der Fall, sei nationales Unterhaltsvorschussrecht anzuwenden. Hierin sei der nationale Gesetzgeber grundsätzlich frei zu entscheiden, an welche Tatbestände er die Auszahlung von Unterhaltsvorschüssen knüpfe (10 Ob 36/05z mwN). Grundsätzlich falle eine Person, die zumindest einen Elternteil habe, der tätiger oder arbeitsloser Arbeitnehmer iSd Art 2 Abs 1 iVm Art 1 lit f Z 1 der VO 1408/71 sei, in den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung (1 Ob 289/01h; 4 Ob 260/02t; 6 Ob 183/04m).

Auf Grund des Assoziationsabkommens der EWG mit der Türkei (Abk 64/733 vom , ABl 1964, 3687) iVm dem Assoziationsratsbeschluss Nr 3/80 vom und des darin festgelegten Diskriminierungsverbotes bzw Gleichbehandlungsgebotes hätten türkische Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen in gleicher Weise Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse wie Unionsbürger, sofern sie sich in einem Mitgliedstaat aufhalten (6 Ob 183/04m; Neumayr, Das Unterhaltsvorschussrecht nach den EuGH-Entscheidungen, ÖA 2002, 53 f). Da im vorliegenden Fall beide Eltern und das Kind türkische Staatsangehörige seien, sei zu prüfen, ob zumindest ein Elternteil tätiger oder arbeitsloser Arbeitnehmer im Sinne der VO 1408/71 sei. Diese Eigenschaft der Eltern werde vom Rekurswerber unter Hinweis darauf, dass eine Drittschuldnerabfrage hinsichtlich der Mutter kein Ergebnis erbracht und der Vater nur bis Notstandshilfe bezogen habe, bestritten.

Die Mutter habe bei der Antragstellung als damalige Vertreterin des Kindes selbst angegeben, Sozialhilfebezieherin zu sein. Ein Sozialhilfebezieher sei aber kein arbeitsloser Arbeitnehmer im Sinne der Verordnung (RIS-Justiz RS0118044; 10 Ob 36/05z). Hinsichtlich des Vaters hätten die Erhebungen des Rekursgerichtes ergeben, dass er tatsächlich nur bis Notstandshilfe bezogen habe. Diese sei wegen eines bevorstehenden Auslandsurlaubes eingestellt worden. Seither habe der Vater keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung mehr bezogen. Die Erhebungen hätten auch ergeben, dass der Vater seit in Untersuchungshaft gewesen sei und sich im Anschluss daran seit nach Rechtskraft seiner Verurteilung in Strafhaft befinde.

Da die Mutter als Sozialhilfebezieherin keinesfalls in die von der genannten Verordnung erfasste Gruppe der tätigen oder arbeitslosen Arbeitnehmer falle, stelle sich die Frage, ob der Vater dieser Gruppe zuzurechnen sei.

Zum für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz sei der Vater als Untersuchungshäftling jedenfalls nicht Arbeitnehmer gewesen. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass er nach Beendigung des Notstandshilfebezuges am wieder in einem Dienstverhältnis gestanden hätte und ein solches nach wie vor aufrecht wäre. Der Vater könne aber auch nicht als arbeitsloser Arbeitnehmer angesehen werden. Gemäß § 12 Abs 1 AlVG gelte in Österreich als arbeitslos, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden habe. Als arbeitslos im Sinne dieser Bestimmung gelte jedoch gemäß § 12 Abs 3 lit e AlVG insbesondere nicht, wer eine Freiheitsstrafe verbüße oder auf behördliche Anordnung in anderer Weise angehalten werde. Anspruch auf Arbeitslosengeld habe gemäß § 7 Abs 1 Z 1 AlVG nur, wer der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe, wobei nach § 7 Abs 2 AlVG nur derjenige der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe, der eine Beschäftigung aufnehmen könne und dürfe und arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitslos sei. Der Vater sei daher weder arbeitslos, noch habe er Anspruch auf Arbeitslosenentgelt oder Notstandshilfe, weil Letztere gemäß § 33 Abs 1 AlVG nur Arbeitslosen, die den Anspruch auf Arbeitslosengeld erschöpft hätten, gebühre und nach § 33 Abs 2 AlVG nur dann zu gewähren sei, wenn der Arbeitslose der Vermittlung zur Verfügung stehe, was im vorliegenden Fall keinesfalls zutreffe. Für den Fall der Arbeitslosigkeit versichert seien gemäß § 66a Abs 1 AlVG nur Personen, die sich auf Grund eines gerichtlichen Urteiles in Strafhaft befänden und ihrer Arbeitspflicht gemäß § 44 StVG nachkämen.

Der Oberste Gerichtshof habe bereits wiederholt ausgesprochen, dass es für den Anspruch eines Kindes auf Unterhaltsvorschuss nicht genüge, dass ein Elternteil beschäftigungslos sei. Für die Qualifikation eines arbeitslosen Arbeitnehmers im Sinne der VO 1408/71 müsse auch feststehen, dass der Elternteil Arbeitslosengeld oder eine sonstige Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung beziehe (10 Ob 36/05z; 6 Ob 183/04m; 4 Ob 260/02t; 1 Ob 289/01h). Da somit kein Elternteil des antragstellenden Kindes tätiger oder arbeitsloser Arbeitnehmer im Sinne der VO 1408/1 sei, sei nationales Unterhaltsvorschussrecht anzuwenden. Damit habe aber die Antragstellerin, die weder österreichische Staatsbürgerin noch staatenlos sei, gemäß § 2 Abs 1 UVG keinen Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zuzulassen gewesen, weil eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zur Frage, ob bei Aufenthalt des Kindes und der Eltern mit jeweiliger EWR- bzw türkischer Staatsangehörigkeit in Österreich und Anhaltung des Vaters in Untersuchungshaft Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG auch dann zu gewähren seien, wenn kein Elternteil tätiger oder arbeitsloser Arbeitnehmer iSd VO 1408/71 sei, fehle.

Gegen diese Rekursentscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im stattgebenden Sinne abzuändern.

Eine Rechtsmittelbeantwortung wurde nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Rechtsmittelwerberin macht im Wesentlichen geltend, türkische Bürger mit gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich hätten unter denselben Voraussetzungen wie Inländer Anspruch auf eine im Recht des Mitgliedstaates vorgesehene Familienleistung; im Falle der Haft sei weder ein inländischer noch ein ausländischer Unterhaltspflichtiger als arbeitsloser Arbeitnehmer im Sinne der VO 1408/71 zu qualifizieren.

Der erkennende Senat hält die Entscheidung des Rekursgerichtes und deren Begründung für zutreffend, weshalb es gemäß § 71 Abs 3 Satz 2 AußStrG nF ausreicht, auf deren Richtigkeit hinzuweisen (vgl weiters Neumayr in Schwimann I3 § 1 UVG Rz 32 ff). Den Rechtsmittelausführungen ist kurz noch Folgendes entgegenzuhalten:

Das im Verhältnis zur Türkei assoziationsrechtlich geltende Gleichbehandlungsgebot kommt nicht schlechthin türkischen Staatsbürgern, sondern nur türkischen Arbeitnehmern sowie deren Familienangehörigen, die sich in einem Mitgliedstaat aufhalten, zugute. Für den Arbeitnehmerbegriff gilt auch hier die Wanderarbeitnehmer-Verordnung 1408/71, wonach es auf die Pflichtversicherung in einem Zweig der Sozialversicherung ankommt (Neumayr aaO Rz 24, 34). Dass ihr Vater im maßgeblichen Zeitpunkt tätiger Arbeitnehmer gewesen wäre, behauptet die Rechtsmittelwerberin selbst nicht. Sie verneint auch ausdrücklich selbst, dass ein Häftling als arbeitsloser Arbeitnehmer im Sinne der VO 1408/71 (vgl Neumayr aaO Rz 25) zu qualifizieren wäre. Ob nicht nur ein Untersuchungshäftling, sondern auch ein Strafgefangener aus dem persönlichen Anwendungsbereich des Assoziierungsrechtes fällt, kann diesmal auf sich beruhen, weil die Rechtsmittelwerberin auch nicht (als allenfalls im Interesse des Kindeswohles zulässige Neuerung) geltend gemacht hat, ihr Vater sei während seiner aktenkundigen Strafhaft vom 18. 3. bis seiner Arbeitspflicht gemäß § 44 Strafvollzugsgesetz nachgekommen, weshalb Versicherungspflicht nach dem vom Rekursgericht zitierten § 66a Arbeitslosenversicherungsgesetz bestanden hätte.

Dem Revisionsrekurs war somit ein Erfolg zu versagen.