OGH vom 19.12.2018, 3Ob216/18p
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.
Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. J*****, 2. I*****, beide vertreten durch Mag. Manuel Krenn, Rechtsanwalt in Rohrbach-Berg, gegen die beklagte Partei B*****, vertreten durch Dr. Walter Müller und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen Feststellung und Unterlassung, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 14 R 71/18m-47, womit das Urteil des Bezirksgerichts Rohrbach vom , GZ 1 C 706/15w-43, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der Beklagten an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Kläger sind Miteigentümer einer an die Liegenschaft der Beklagten angrenzenden Liegenschaft. Zwischen den Hauptgebäuden der beiden Liegenschaften befindet sich ein Grundstücksstreifen, der laut Katasterstand zum Grundstück der Beklagten gehört. Diese streitgegenständliche Fläche ist von der öffentlichen Straße her vorerst offen; nach rund einem Meter wird sie durch eine Mauer unterteilt, wobei eine Tür in eine Hütte mit einem Ausmaß von rund 4 m² führt. Die weitere Fläche ist betoniert; sie ist um ca 80 cm erhöht und steigt in Richtung Nordosten an. Am oberen Ende befindet sich eine ebenfalls betonierte ebene Fläche, auf der sich eine – von der Beklagten im Juli 2015 errichtete – fest verbundene Aluleiter als Ein- und Ausstieg für ein Fenster des Hauses der Beklagten befindet. Auf diese betonierte Fläche mündet auch ein Dachableitungsrohr vom Haus der Kläger.
Die Kläger bzw deren Rechtsvorgänger haben die strittige Fläche zumindest seit dem Jahr 1951 bewirtschaftet. In diesem Durchgang zwischen den beiden Häusern stand ursprünglich im vorderen Bereich zur Straße hin ein Holzverschlag, in dem sich bis zur Errichtung der öffentlichen Kanalisation im Ort ein Klosett befand. In dieser Hütte wurden auch Fahrräder und Mopeds der Rechtsvorgänger der Kläger eingestellt. Außerdem wurde dort Holz gelagert. Einen Schlüssel zur Hütte hatten nur die Kläger bzw ihre Rechtsvorgänger. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte oder deren Rechtsvorgänger den Klägern die Nutzung der streitgegenständlichen Fläche untersagt hätten. Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte oder deren Rechtsvorgänger diese Fläche jemals selbst genutzt hätten.
Die Beklagte erwarb ihre Liegenschaft mit Kaufvertrag vom . Es kann nicht festgestellt werden, dass sie die Liegenschaft im Vertrauen auf das Grundbuch erworben hätte. Vor Abschluss des Kaufvertrags hat sie mit den Klägern nicht über die strittige Grundfläche gesprochen, obwohl diese sie ausschließlich nutzten. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte die strittige Fläche vor Erwerb der Liegenschaft begangen hätte. Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass die Rechtsvorgänger der Beklagten die Liegenschaft im Jahr 1981 ausschließlich im Vertrauen auf die öffentlichen Bücher erworben hätten.
Die Beklagte hat zwei Altpapiertonnen unmittelbar vor dem Eingang zur Hütte auf der strittigen Fläche abgestellt und dort angekettet. Dadurch wird der Zugang zur Hütte verhindert oder zumindest behindert.
Die begehren die Feststellung, dass sie (infolge Ersitzung) Eigentümer dieser Teilfläche seien, und die Verpflichtung der Beklagten, es zu unterlassen, den Zugang der Kläger zu dem Grundstücksstreifen und der darauf befindlichen Hütte zu behindern. Die Kläger und ihre Rechtsvorgänger hätten den strittigen Grundstücksteil zumindest seit den 60erJahren ausschließlich bewirtschaftet. Bis Mitte 2015 habe die Beklagte (wie schon zuvor ihre Rechtsvorgänger im Eigentum der Liegenschaft) überhaupt keinen Zugang zu diesem Grundstreifen gehabt.
Die wendete insbesondere ein, die Nutzung des Grundstücksstreifens durch die Kläger sei nur prekaristisch erfolgt; sie habe das Prekarium per widerrufen. Einer Ersitzung des Liegenschaftsteils stehe die mangelnde Redlichkeit der Kläger und die Unechtheit ihres Besitzes entgegen. Eine allfällige Ersitzung sei durch den gutgläubigen Eigentumserwerb der Beklagten (und außerdem bereits durch jenen ihrer Rechtsvorgänger im Jahr 1981) wirkungslos geworden.
Das gab (im dritten Rechtsgang) dem Klagebegehren statt. Die Kläger bzw deren Rechtsvorgänger hätten die streitgegenständliche Fläche bereits seit 1951 benützt und bewirtschaftet. Im gesamten Verfahren seien keine Anhaltspunkte hervorgekommen, die gegen eine Redlichkeit der Kläger und ihrer Rechtsvorgänger sprechen würden. Damit sei die Ersitzungszeit bereits zum Ende des Jahres 1980 vollendet gewesen. Ihre Behauptung, die Kläger hätten den Grundstücksteil nur aufgrund einer Bittleihe genutzt, habe die Beklagte nicht beweisen können. Der Erwerber sei nicht gutgläubig iSd § 1500 ABGB, wenn ihm die außerbücherliche Rechtslage bekannt gewesen sei, wenn er diese schuldhaft nicht zur Kenntnis genommen habe oder wenn er gebotene und zumutbare Nachforschungen, durch die er die Abweichung der Rechtslage vom Buchstand erkennen hätte können, schuldhaft unterlassen habe. Die Rechtsvorgänger der Beklagten hätten die Liegenschaft im Jahr 1981 nicht im Vertrauen auf das Grundbuch erworben. Dies ergebe sich bereits daraus, dass die Kläger die streitverfangene Fläche ausschließlich genutzt und die damaligen Eigentümer die bücherlichen Eigentumsverhältnisse gar nicht gekannt hätten. Vor Abschluss des Kaufvertrags im Jahr 1998 habe weder die Beklagte noch die Vertragserrichterin (ihre Schwester) Kontakt mit den Klägern aufgenommen, obwohl ihnen nach eigenen Angaben die alleinige Nutzung des Grundstücksteils durch die Kläger bekannt gewesen sei.
Das gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Die Behandlung der Tatsachen- und Mängelrüge der Beklagten sei angesichts der Prozessbehauptungen der Streitteile zu § 1500 ABGB entbehrlich. Die Kläger hätten nämlich den von der Beklagten in erster Instanz erhobenen Einwand des Gutglaubenserwerbs nicht substanziiert bestritten und insbesondere kein konkretes Vorbringen zur Erkennbarkeit von Hinweisen auf fremde dingliche Rechte im Zeitpunkt des Eigentumserwerbs der Beklagten erstattet. Gerade auf die Erkennbarkeit solcher Umstände komme es aber an, weil nur dem Erwerber erkennbare Hinweise auf fremde dingliche Rechte Nachforschungspflichten auslösen könnten.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige, und ließ die ordentliche Revision zu, weil Rechtsprechung zur Reichweite der Behauptungslast in den Fällen des § 1500 ABGB bei Eigentumsersitzung fehle.
In ihrer machen die Kläger zusammengefasst geltend, sie hätten das Vorbringen der Beklagten zu § 1500 ABGB keineswegs bloß unsubstanziiert bestritten. Jedenfalls aber sei dem Berufungsgericht eine unzulässige Überraschungsentscheidung vorzuwerfen.
Die Beklagte beantragt in ihrer , die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags .
1.1. Voraussetzung jeder
Ersitzung ist eine Besitzausübung, welche die volle Zugehörigkeit der Sache zum Ausübenden so sichtbar zum Ausdruck bringt, dass sie eine Besitzausübung dritter Personen nicht zulässt (RIS-Justiz
RS0010101). Für die
Ersitzung einer Landfläche müssen Handlungen gesetzt werden, die den Eigentümer von der Ausübung seines Rechts ausschließen. Die Besitzausübung muss die volle Zugehörigkeit der Sache zum Ausübenden sichtbar zum Ausdruck bringen. Typische Arten der Ausübung des Sachbesitzes an unbeweglichen Sachen sind das Betreten, Verrainen, Einzäunen, Bezeichnen oder Bearbeiten (RIS-Justiz
RS0034276 [T1, T 2]). Für die hier in Frage kommende uneigentliche (lange)
Ersitzung ist die Rechtmäßigkeit des Besitzes nicht erforderlich (§ 1477 ABGB), sie setzt nur die Redlichkeit und die Echtheit des Besitzes voraus (RIS-Justiz
RS0034087 [T1]).
1.2.
Die Beweislast für das Vorliegen der
Ersitzungsvoraussetzungen trifft grundsätzlich den
Ersitzungsbesitzer, der Art und Umfang der Besitzausübung und die Vollendung der
Ersitzungszeit zu behaupten und zu beweisen hat, wobei es jedoch genügt, wenn das Bestehen des Besitzes zu Beginn und am Ende der
Ersitzungszeit feststeht. Hingegen ist es Sache des Gegners, einen in deren Verlauf eingetretenen Verlust des Besitzes oder eine Unterbrechung der
Ersitzung oder ein die
Ersitzung ausschließendes Verhältnis zu beweisen. Auch die Redlichkeit des Besitzes wird vermutet (RIS-Justiz
RS0034251 [T1, T 5 bis T 9, T 11]).
2.1. Nach den – von der Beklagten allerdings in ihrer Berufung bekämpften – Feststellungen des Erstgerichts haben die (unmittelbaren) Rechtsvorgänger der Kläger im Liegenschaftseigentum und in der Folge die Kläger selbst die streitgegenständliche Grundstücksfläche „zumindest seit dem Jahr 1951“ in näher umschriebener Weise (ausschließlich) bewirtschaftet. Da die Rechtsvorgänger (Eltern bzw Schwiegereltern) der Kläger die Liegenschaft jedoch, wie sich aus der unbedenklichen Urkunde Beilage ./17 ergibt, erst mit Kaufvertrag vom erworben haben, bedarf es keiner weiteren Erläuterung, dass entgegen der Ansicht des Erstgerichts die dreißigjährige Ersitzungszeit bei Abschluss des Übergabsvertrags vom noch nicht beendet gewesen sein konnte.
2.2. Selbst wenn man mit dem Berufungsgericht davon ausgeht, dass der damalige Erwerber der nunmehr im Eigentum der Beklagten stehenden Liegenschaft gutgläubig iSd § 1500 ABGB war – was die laufende Ersitzung unterbrochen hätte (RISJustiz RS0034754) –, hätten die Kläger das Eigentumsrecht aber innerhalb von 30 Jahren ab August 1981 ersitzen können; in diesem Fall wären sie im Februar 2015, als die Beklagte sie nach der Aktenlage erstmals zum Abschluss einer Nutzungsvereinbarung aufforderte (Beilage ./7), bereits außerbücherliche Eigentümer der Teilfläche gewesen.
2.3. Der für die
Ersitzung erforderliche gute Glaube fällt weg, wenn der Besitzer entweder positiv Kenntnis erlangt, dass sein Besitz nicht rechtmäßig ist, oder wenn er zumindest solche Umstände erfährt, die zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines Besitzes Anlass geben (RIS-Justiz RS0010184). Entgegen der Ansicht der Beklagten ist in diesem Zusammenhang nicht entscheidend, ob sich Gründe für solche Zweifel aus irgendeinem Beweisergebnis ableiten ließen, sondern nur, ob dies nach den Feststellungen der Fall ist. Auf Basis der erstgerichtlichen Feststellungen bestehen aber keine Anhaltspunkte für eine Unredlichkeit der Kläger.
2.4. Die von der Beklagten behauptete bloß prekaristische Nutzung der strittigen Fläche durch die Kläger und deren Rechtsvorgänger, die die Unechtheit des Besitzes der Kläger iSd § 1464 ABGB zur Folge gehabt hätte, sah das Erstgericht, wie sich aus seinen Feststellungen in Zusammenhalt mit der Beweiswürdigung ergibt, ebenfalls als nicht gegeben an.
3. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass die Kläger nach den Feststellungen des Erstgerichts– vorbehaltlich eines etwaigen gutgläubigen Eigentumserwerbs der Beklagten iSd § 1500 ABGB – infolge Ersitzung außerbücherliche Eigentümer der strittigen Fläche sind.
4.1.
Um den Liegenschaftserwerber des Schutzes des § 1500 ABGB teilhaftig werden zu lassen, ist es erforderlich, dass diesem sowohl im Zeitpunkt des Grundstückserwerbs als auch in jenem der Antragstellung auf Einverleibung seines Eigentumsrechts eine allenfalls vom Grundbuchstand abweichende wahre Sachlage unbekannt war. Der Erwerber wird jedoch nicht geschützt, wenn seine irrige Vorstellung über den Umfang eines fremden Rechts auf Fahrlässigkeit beruht.
Ein den guten Glauben des Bucherwerbers ausschließendes Verschulden kann jedoch nicht schon dann angenommen werden, wenn er es unterlassen hat, die Richtigkeit des Grundbuchstands durch eigene Nachforschungen zu überprüfen. Der Erwerber ist vielmehr erst dann zur eigenen Prüfung verpflichtet, wenn sich besondere Bedenken ergeben, wenn ihm also zur Überprüfung des Grundbuchstands ein konkreter Anlass geboten wurde (RIS-Justiz
RS0034776 [T1, T 2]).
4.2. Auf die Bestimmung des § 1500 ABGB ist nicht von Amts wegen Bedacht zu nehmen; der Erwerber muss sich vielmehr darauf berufen (RIS-Justiz
RS0123034). Dies hat die Beklagte in erster Instanz getan. Für den mangelnden guten Glauben des Liegenschaftserwerbers iSd § 1500 ABGB ist dessen Prozessgegner (behauptungs- und) beweispflichtig; er hat daher Umstände darzulegen und zu beweisen, aufgrund derer der Erwerber Anlass zu Nachforschungen hatte (RIS-Justiz RS0013489; RS0034837).
4.3. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann keine Rede davon sein, dass die Kläger die Behauptung der Beklagten, gutgläubig iSd § 1500 ABGB gewesen zu sein, nicht substanziiert bestritten hätten. Ihr Bestreitungsvorbringen erschöpfte sich nämlich keineswegs in der vom Berufungsgericht zitierten Behauptung, „dass auf Seiten der Beklagten sowie deren Rechtsvorgänger keine Redlichkeit vorliegt“.
Vielmehr bestritten die Kläger (auch) dieses Vorbringen der Beklagten bereits in der Verhandlung vom unter Verweis auf ihr bisheriges Prozessvorbringen (S 3 in ON 8), hielten der Behauptung der Beklagten damit also insbesondere ihren bereits in der Klage dargelegten Prozessstandpunkt entgegen, dass sie bzw ihre Rechtsvorgänger die strittige Fläche seit Jahrzehnten ausschließlich genutzt hätten, während diese bis einige Monate vor Einbringung der Klage (im Oktober 2015) vom Grundstück der Beklagten aus nicht einmal zugänglich gewesen sei.
Dieses Bestreitungsvorbringen der Kläger war schon deshalb ausreichend, weil die Beklagte ihre bereits bei Erwerb der Liegenschaft vorhandene Kenntnis von der (alleinigen) Nutzung der Grundfläche durch die Kläger implizit dadurch eingeräumt hatte, dass sie behauptete, die Kläger hätten die Fläche nur aufgrund eines von ihren Rechtsvorgängern eingeräumten und von ihr weiter gewährten Prekariums genutzt.
4.4. In Hinblick darauf hat aber der Umstand, dass die von der Beklagten behauptete prekaristische Nutzung der Kläger nach den erstgerichtlichen Feststellungen nicht vorlag, zwangsläufig zur Folge, dass sie nicht als gutgläubig iSd § 1500 ABGB angesehen werden kann.
5. Da das Berufungsgericht aufgrund seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht die Mängel- und Beweisrüge der Beklagten nicht behandelt hat, scheidet die von den Klägern primär angestrebte Wiederherstellung des Ersturteils aus; vielmehr ist dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung aufzutragen.
6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0030OB00216.18P.1219.000 |
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