OGH vom 10.05.1994, 4Ob525/94
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Martin L*****, vertreten durch den Sachwalter Erich S*****, dieser vertreten durch Dr.Erich Greger und Dr.Sylvia Hochreiter, Rechtsanwälte in Oberndorf, wider die beklagten Parteien 1.) H***** G*****; 2.) N***** G*****, beide vertreten durch Dr.Karl Wampl, Rechtanwalt in Oberndorf, wegen Räumung, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom , GZ 21 R 415/93-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Oberndorf vom , GZ 2 C 1014/92-15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß das abweisende Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 7.128 S bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin enthalten 1.188 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am geborene Kläger ist mit Beschluß des Erstgerichtes vom , GZ L 4/72-11, wegen Geistesschwäche voll entmündigt worden; der ihm zum Kurator bestellte Rechtsanwalt Dr.Kurt S***** (Beschluß des Erstgerichtes vom , GZ P 14/73-2) war ab sein Sachwalter. Mit Beschluß des Erstgerichtes vom , GZ SW 14/84-57 wurde Dr.Kurt S***** als Sachwalter des Klägers enthoben und Erich S***** unter Betrauung mit der Besorgung aller Angelegenheiten des Klägers zu dessen Vermögenssachwalter bestellt.
Der Kläger war und ist (ua) grundbücherlicher Alleineigentümer der Liegenschaft EZ ***** KG L***** mit dem darauf errichteten einstöckigen Haus L*****. Das Haus enthält je eine Wohnung im Parterre und im Obergeschoß. Die aus drei Räumen bestehende Parterrewohnung bewohnt der Kläger gemeinsam mit seinem Sohn und dessen Lebensgefährtin Anneliese P*****.
Ab etwa 1984 wurde die im ersten Stock gelegene Wohnung erstmals vermietet. Dr.Kurt S***** überließ die Einnahmen aus dieser Vermietung dem Kläger zur freien Verfügung. Im Jahre 1986 war die Wohnung im Obergeschoß wieder bestandfrei und stand leer. Es kam aber nicht zu der in Aussicht genommenen Übersiedlung des - gleichfalls unter Sachwalterschaft stehenden - Sohnes des Klägers und seiner Lebensgefährtin in die Dachgeschoßwohnung. Damals erfuhr der Erstbeklagte über seinen Dienstgeber von der Wohngelegenheit im Haus des Klägers; es kam zur Kontaktaufnahme zwischen den Familien L***** und G*****. Der Kläger gestattete den Beklagten den Einzug in die Dachgeschoßwohnung gegen ein monatliches Entgelt. Seither bewohnen die Beklagten mit ihren drei Kindern die Wohnung im ersten Stock und zahlen als "Miete" regelmäßig monatlich 2.000 S und halbjährlich sogenannte "Betriebskosten" in Höhe von 500 S bzw 1.000 S. Diese Geldbeträge wurden in der Regel dem Kläger selbst bar ausgefolgt und von der Lebensgefährtin seines Sohnes quittiert.
Als Erich S***** am die Agenden von Dr.Kurt S***** übernahm, wurde ihm auch bekannt, daß das Obergeschoß des Hauses bewohnt ist. Er hat diesem Umstand aber damals keine Bedeutung beigemessen, weil er sich in erster Linie für die Verwaltung des Geldvermögens des Klägers zuständig fühlte. Der Sachwalter hielt aber in den darauffolgenden, dem Sachwalterschaftsgericht erstatteten Jahresberichten 1988 und 1989 fest, daß dem Kläger die Einnahmen aus der Vermietung der Dachgeschoßwohnung zur freien Verfügung überlassen worden sind. Ein mit den Beklagten abgeschlossener Mietvertrag ist bisher vom Sachwalterschaftsgericht noch nicht genehmigt worden. Bis zum Jahre 1992 hatten die Beklagten zum Sachwalter des Klägers nur insoferne Kontakt, als sie dieser einmal zur Zahlung der Betriebskosten an ihn aufforderte. Das wies aber der Erstbeklagte mit dem Hinweis darauf zurück, daß er sich weiterhin an die Hausbewohner halten wolle. Die 1992 aufgenommenen Vertragsverhandlungen zwischen dem Sachwalter des Klägers und den Beklagten scheiterten daran, daß diese den Vertragsentwurf des Sachwalters nicht unterfertigten.
Eine räumliche Trennung des Klägers von seinem Sohn wäre notwendig, weil es in letzter Zeit zwischen ihnen wieder zu Schwierigkeiten gekommen ist.
Mit der Behauptung, die Beklagten benützten die Wohnung im ersten Stock seines Hauses mangels eines rechtswirksam zustande gekommenen Mietvertrages ohne gültigen Titel, begehrt der Kläger deren Räumung. Im Hinblick auf den Eigenbedarf für seinen Sohn wäre selbst die Auflösung eines gültigen Bestandvertrages gerechtfertigt.
Die Beklagten beantragen die Abweisung des Räumungsbegehrens. Eine titellose Benützung der Wohnung durch sie liege nicht vor, sei doch der von ihnen mit dem Kläger abgeschlossene Mietvertrag von dessen Sachwalter zumindest konkludent genehmigt worden.
Das Erstgericht wies das Räumungsbegehren des Klägers ab. Zwar sei der Kläger im Hinblick auf seine volle Entmündigung und die anschließende Sachwalterschaft gemäß § 273 Abs 3 Z 3 ABGB geschäftsunfähig gewesen und habe nicht einmal "schwebend unwirksame", also nachträglich genehmigungsfähige Rechtsgeschäfte schließen können, doch hätten seine Sachwalter in Kenntnis des wahren Sachverhaltes die entgeltliche Wohnungsnutzung durch die Beklagten jahrelang widerspruchslos hingenommen. Zwischen ihnen und dem letzten Sachwalter des Klägers sei es daher zu einem schlüssigen Abschluß eines Bestandvertrages gekommen. Ein solcher bedürfe als Maßnahme des ordentlichen Wirtschaftsbetriebes auch keiner gerichtlichen Genehmigung. Im Hinblick auf die obligatorische Nutzungsberechtigung der Beklagten erfolge die Benützung der Wohnung nicht titellos, weshalb auch ein allfälliger Eigenbedarf des Klägers nur eine Aufkündigung, nicht aber das Räumungsbegehren rechtfertigen könne.
Das Berufungsgericht gab dem Räumungsbegehren des Klägers Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Zwischen den Sachwaltern des zur Gänze handlungsunfähigen Klägers und den Beklagten sei ein Bestandvertrag auch nicht konkludent abgeschlossen worden. Daß Dr.Kurt S***** von der Überlassung der Dachgeschoßwohnung an die Beklagten überhaupt Kenntnis hatte, stehe nicht einmal fest. Letzteres treffe zwar auf Erich S***** zu, dieser habe aber den Beklagten gegenüber kein Verhalten gesetzt, welches von diesen gemäß § 863 ABGB als schlüssige Einwilligung zum Abschluß eines Bestandvertrages hätte aufgefaßt werden können. Das gelte auch für die einmalige Einforderung von Betriebskosten durch den Sachwalter, bestehe doch ein entsprechender Anspruch selbst im Falle einer titellosen Benützung.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Beklagten ist berechtigt.
Eine Räumungsklage wegen titelloser Benützung einer Liegenschaft (Wohnung) setzt voraus, daß das Recht des Liegenschaftseigentümers, jeden Dritten von einer Benützung auszuschließen, weder durch einen Mietvertrag noch eine andere obligatorische Vereinbarung, aus der die Beklagten ihr Recht ableiten könnten, beschränkt ist. Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang übersehen, daß sich die Beklagten gar nicht auf einen zwischen ihnen und dem Sachwalter des Klägers als dessen gesetzlicher Vertreter - ausdrücklich oder schlüssig - zustandegekommenen Mietvertrag berufen haben, sondern auf einen mit dem Kläger selbst geschlossenen, vom Sachwalter "zumindest konkludent genehmigten" Mietvertrag. Die Vorinstanzen ziehen auch aus § 273 a Abs 1 Satz 1 ABGB den unzutreffenden Schluß, daß der Kläger gleich Personen unter sieben Jahren ("Kindern") vollkommen geschäftsunfähig war. Nach der Übergangsbestimmung des Art X Z 3 Abs 1 SachwG, BGBl 1983/136, stand er vielmehr als Vollentmündigter nach altem Recht ab einer Person gleich, der ein Sachwalter nach § 273 Abs 3 Z 3 ABGB bestellt worden ist; er war daher einem unmündigen Minderjährigen (Kind zwischen 7 und 14 Jahren) gleichgestellt, also gemäß § 865 Satz 2 ABGB insoweit beschränkt geschäftsfähig, als die Gültigkeit eines von ihm allein abgeschlossenen verpflichtenden Vertrages in der Regel von der Einwilligung des Sachwalters oder zugleich des Gerichtes abhing. Der vom Kläger mit den Beklagten im Jahre 1986 geschlossene Mietvertrag war somit nicht - wie bei einem Kind unter sieben Jahren - absolut nichtig, sondern bis zur Genehmigung durch den Sachwalter schwebend unwirksam (Koziol-Welser9 I 57; Aicher in Rummel, ABGB2 Rz 4, 9 und 12 zu § 21; Pichler in Rummel, ABGB2 Rz 1 zu § 273 a; Rummel in Rummel, ABGB2 Rz 1 zu § 865 ABGB; Schlemmer in Schwimann, ABGB Rz 1 zu § 273 a; Gamerith in NZ 1988, 61 ff [65]). War der Abschluß des Mietvertrages aber eine nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehörige Vermögensangelegenheit im Sinne des § 154 Abs 3 ABGB, bedurfte er gemäß § 282 iVm § 245 ABGB zusätzlich auch noch der gerichtlichen Genehmigung (Pichler aaO Rz 13 zu §§ 154, 154a; Rummel aaO Rz 5 zu § 865). Daß der Kläger schon bei Abschluß des Bestandvertrages im Jahre 1986 im Sinne des § 865 Satz 1 ABGB ganz des Gebrauches der Vernunft beraubt gewesen wäre, was trotz der bestehenden Sachwalterschaft gemäß § 273 Abs 3 Z 3 ABGB wegen der weiter gehenden Rechtsfolgen geprüft werden müßte (Koziol-Welser aaO; Pichler aaO Rz 7 zu § 273; Rummel aaO Rz 1 zu § 865; Gamerith aaO), hat er im erstinstanzlichen Verfahren weder behauptet noch lassen sich den Feststellungen Anhaltspunkte für Zweifel in dieser Richtung entnehmen, haben ihm danach doch die beiden Sachwalter sogar jeweils die Einkünfte sowohl aus dieser als auch aus der früheren Vermietung zur freien Verfügung überlassen.
Die hier demnach zunächst erforderliche nachträgliche Genehmigung des vom Kläger mit den Beklagten geschlossenen Mietvertrages durch den Sachwalter konnte als einseitige Willenserklärung sowohl ausdrücklich als auch stillschweigend entweder den Beklagten oder dem Kläger gegenüber erfolgen (Rummel aaO Rz 8 und 10 zu § 865). Nach den Feststellungen hat jedenfalls der seit bestellte Sachwalter des Klägers diesem in Kenntnis der Vermietung die daraus erfließenden Einkünfte (ohne Einschränkung, also auch für die Zukunft) zur freien Verfügung überlassen. Darin liegt aber eine schlüssige Genehmigung des mit den Beklagten geschlossenen Mietvertrages durch den Sachwalter. Ob der Vertrag damit bereits rechtswirksam geworden ist oder weiterhin schwebend unwirksam blieb, weil er eine Vermögensangelegenheit betraf, die nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb des Klägers gehörte (vgl dazu Dullinger in RZ 1986, 202 ff [203 f]), so daß auch noch seine gerichtliche Genehmigung erforderlich wäre, welche allerdings nur ausdrücklich erfolgen kann (SZ 31/52; JBl 1983, 487 ua), bisher jedoch unterblieben ist, muß hier nicht abschließend entschieden werden: Bis zur Erteilung oder Verweigerung der allenfalls erforderlichen gerichtlichen Genehmigung des Mietvertrages besteht nämlich der Schwebezustand mit Bindung sowohl der Beklagten als auch des Klägers (Pichler aaO Rz 16 zu §§ 154, 154 a; Rummel aaO Rz 6 zu § 865; Steinbauer in ÖJZ 1985, 385 ff [392]) weiter. Daraus folgt aber, daß die Beklagten die Dachgeschoßwohnung selbst dann nicht titellos benützten, wenn der vom Sachwalter bereits genehmigte Mietvertrag auch noch der gerichtlichen Genehmigung bedürfte, wenn und so lange diese nicht ausdrücklich verweigert worden ist (SZ 31/52).
Diese Erwägungen führen bereits zur Wiederherstellung des das Räumungsbegehren abweisenden Ersturteils.
Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens in zweiter und dritter Instanz beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.