OGH vom 07.04.2011, 2Ob17/11f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der Betroffenen H***** K*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Betroffenen, vertreten durch den Sachwalter Dr. M***** B*****, Rechtsanwalt *****, gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom , GZ 1 R 380/10f 111, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Montafon vom , GZ 2 P 36/01h 106, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Text
Begründung:
Seit November 2001 ist ein Rechtsanwalt Sachwalter der Betroffenen. Er wurde zur Regelung der finanziellen Angelegenheiten, die über das monatliche Einkommen der Betroffenen hinausgehen, sowie zur Vermögensverwaltung und Regelung sämtlicher rechtlicher Angelegenheiten und Vertretung bei Ämtern, Behörden und Gerichten bestellt.
Nunmehr beantragt die Betroffene die Umbestellung des Sachwalters dahingehend, dass ihre Tochter als Sachwalterin bestellt werde. Der bisherige Sachwalter habe ihr zwar zu Beginn der Vertretungstätigkeit durch Rückabwicklung von abgeschlossenen Grundstücksgeschäften große finanzielle Vorteile verschafft. Seither habe es aber keine anwaltliche Tätigkeit mehr gegeben. Der Sachwalter sei lediglich mit der Verwaltung ihres Liegenschaftsvermögens (¼-Grundstücksanteil) und des Barvermögens betraut, das Pensionseinkommen verwalte die Betroffene selbst. Der Sachwalter, der eine hohe Entschädigung erhalte, habe in der Vergangenheit immer wieder die Entnahme von Geld aus dem Barvermögen verweigert.
Das Erstgericht hielt fest, dass die Tochter wegen einer Interessenkollision nicht als Sachwalterin in Frage komme, und ersuchte das Institut für Sozialdienste um die Übernahme der Sachwalterschaft für die Betroffene bzw Erstattung eines Clearing-Berichts.
Das Institut äußerte sich dahingehend, dass sich die Tochter in einer schwierigen finanziellen Situation befinde und die weitere Finanzierbarkeit ihres Hauses fraglich sei. Im Hinblick auf die angespannte finanzielle Situation, die indirekt auch auf die weitere Wohnmöglichkeit der Betroffenen wirke, sei der Umbestellungsantrag durchaus auch finanziell motiviert. Die für den bisherigen Sachwalter zu bezahlende jährliche Entschädigung von zuletzt 1.244,41 EUR sei aus Sicht der Betroffenen eine einsparbare Größe. Im Hinblick auf den Verkehrswert ihres Miteigentumsanteils am Haus des Sohnes und des vom Sachwalter verwalteten Sparvermögens von rund 5.300 EUR sei es durchaus vertretbar, dass die Betroffene daraus angemessene Beiträge zum Erhalt der gewohnten und bevorzugten Wohnform im Haus der Tochter beitragen möchte. Da das Interesse der Betroffenen am Erhalt dieser Wohnmöglichkeit mit den diesbezüglichen Interessen der Tochter geradezu identisch sei, scheine keine Interessenkollision vorzuliegen. Dem gegenüber befinde sich der derzeitige gleichzeitig für den Sohn der Betroffenen bestellte Sachwalter möglicherweise selbst in einer potentiellen Interessenkollision. Einerseits müsse er die ebenfalls stark gefährdete weitere Finanzierung der Wohnmöglichkeit des Sohnes in dessen Haus aufrecht erhalten und gleichzeitig den vertretbaren Wunsch der Betroffenen nach weiterem Wohnen im Haus der Tochter unterstützen. Die Tochter genieße offenbar das volle Vertrauen der Betroffenen. Es werde daher angeregt, den bisherigen Sachwalter zu entheben und die Tochter zur Sachwalterin zu bestellen.
Der mit dem Enthebungsantrag konfrontierte Sachwalter brachte vor, dass der Hintergrund dieses Antrags darin zu sehen sei, dass er es ablehne, Ratenrückstände der Tochter aus dem Vermögen der Betroffenen abzudecken, weil damit keine dauernde Sanierung der Finanzen der Tochter möglich wäre, zumal sie ein Kreditobligo bedienen müsse, welches ihre finanziellen Möglichkeiten überschreite. Der Umbestellungsantrag sei unberechtigt, weil kein Fehlverhalten des Sachwalters vorliege.
Das Erstgericht enthob den bisherigen Sachwalter und bestellte die Tochter der Betroffenen zur Sachwalterin zur Besorgung derselben Angelegenheiten wie ihr Vorgänger. Rechtliche Angelegenheiten seien derzeit keine zu regeln. Die Betroffene wünsche die Umbestellung auf die Tochter. Diese führe auch die Personensorge zur Zufriedenheit der Betroffenen. Die Reihenfolge der Tatbestände in § 279 ABGB sei als Reihung der Prioritäten zu verstehen und eine nahestehende Person stehe als Sachwalter an erster Stelle. Somit lägen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Umbestellung vor. Von der Interessenkollision der Tochter ist in dem Beschluss nicht mehr die Rede.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig. Es führte aus, dass Zahlungen aus dem Vermögen der Betroffenen ¼-Liegenschaftsanteil sowie 3.672,37 EUR an Sparvermögen zur Schuldentilgung der Tochter wegen der dazu erforderlichen Genehmigung durch das Gericht ohnedies nicht in Frage kämen, die Betroffene hingegen zur freien Verfügung über ihr monatliches Einkommen berechtigt sei. Damit stehe es ihr jedenfalls frei zu entscheiden, ob sie diese monatlichen Einnahmen in den Konsum investiere oder allenfalls zur Mithilfe bei der Rückzahlung des auf dem Haus der Tochter, in dem sie bei dieser wohnhaft sei, sichergestellten Darlehens verwende. Ob damit eine dauerhafte Finanzierung der Rückzahlungsverpflichtungen der Tochter möglich sein werde, sei nicht wesentlich, sondern ausschlaggebend sei das Wohl der Betroffenen, die seit 23 Jahren im Haus der Tochter wohne. Eine Übersiedlung gegen ihren Willen entspräche nicht ihrem Wohl. Da unzulässige Eingriffe der neuen Sachwalterin in das Vermögen der Betroffenen ebensowenig zu erwarten seien wie die Besorgung von Angelegenheiten, die vorwiegend Rechtskenntnisse voraussetzten, entspreche die Umbestellung dem Wohl der Betroffenen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Betroffenen, vertreten durch den bisherigen Sachwalter, mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben.
Der Sachwalter macht (für die Betroffene) geltend, dass keine Änderung der Sach und Rechtslage eingetreten sei, die eine Umbestellung in der Person des Sachwalters erfordert hätte. Hinsichtlich der Tochter der Betroffenen liege eine Interessenkollision vor, zumal diese bestrebt sei, Sparvermögen der Betroffenen zur Tilgung ihrer Bankverbindlichkeiten zu der sie nach gegenwärtiger Lage nicht in der Lage sei heranzuziehen. Die Tochter, welche ihre eigenen Finanzen nicht im Griff habe, sei daher zur Vermögensverwaltung und rechtlichen Vertretung der Betroffenen vor Ämtern und Behörden vorderhand ungeeignet.
Die Betroffene selbst hat sich nicht zum Rechtsmittel ihres Sachwalters geäußert.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.
Gemäß § 279 Abs 2 bis 4 ABGB ist einer behinderten Person eine geeignete, ihr nahestehende Person zum Sachwalter zu bestellen. Ist eine solche nicht verfügbar, so ist ein geeigneter Verein mit dessen Zustimmung zum Sachwalter zu bestellen. Kommt auch ein Verein nicht in Betracht, so ist vor allem dann, wenn die Besorgung der Angelegenheiten vorwiegend Rechtskenntnisse erfordert ein Rechtsanwalt oder Notar zu bestellen.
Im vorliegenden Fall wurde im Jahr 2001 ein Rechtsanwalt zum Sachwalter der Betroffenen bestellt. Dieser hat sich erfolgreich der Regelung der Vermögensverhältnisse der Betroffenen angenommen. Derzeit stehen keine besonderen rechtlichen Agenden an. Eine Übertragung der Sachwalterschaft auf eine andere Person wäre daher zur Einhaltung der Reihung des § 279 ABGB begründbar. Allerdings bedarf es dazu einer geeigneten Person oder eines geeigneten Vereins, auf die/den die Sachwalterschaft übertragen werden könnte.
Die Tochter kommt als Sachwalterin der Betroffenen nicht in Betracht, wie das Erstgericht zunächst richtig erkannt hatte. Sie befindet sich selbst in einer schwierigen finanziellen Lage und ist daher nicht geeignet, die Vermögensverwaltung Dritter (sei es auch von Angehörigen) zu übernehmen.
Dem Argument, dass Vermögensverfügungen ohnehin der gerichtlichen Zustimmung bedürften (sodass es offenbar einerlei ist, wer als Sachwalter tätig wird), ist insoweit nicht beizutreten. Auch wenn es eine gerichtliche Kontrolle gibt, kann nur eine geeignete Person bestellt werden.
Die hier gegebene Sachlage erfordert das Tätigwerden eines Sachwalters, der sich insbesondere bemüht der Betroffenen eine abgesicherte Wohnmöglichkeit zu verschaffen. Der bisherige Sachwalter wäre dazu grundsätzlich in der Lage und es liegt ihm auch keine Pflichtverletzung zur Last, die eine Abberufung rechtfertigen würde. Allerdings könnte der Umstand, dass der Sachwalter diese Funktion gleichzeitig für den Sohn der Betroffenen ausübt der offenbar selbst in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt und Mehrheitseigentümer der Liegenschaft ist, dessen Viertelanteil die Betroffene besitzt , im Hinblick auf allfällige künftige Interessenkollisionen doch dafür sprechen, der Bestellung eines anderen (und kostengünstigeren) Sachwalters für die Betroffene den Vorzug zu geben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher aufzuheben. Das Erstgericht wird im fortzusetzenden Verfahren zweckmäßigerweise zunächst nochmals den bereits befragten Verein zu kontaktieren haben, um zu erfahren, ob der Verein zur Übernahme der Sachwalterschaft bereit ist. Das Übernahmeersuchen des Erstgerichts blieb bisher nämlich ohne (eindeutige) Antwort.