OGH vom 22.01.2020, 3Ob214/19w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Dr. Roch als Vorsitzenden sowie den Hofrat Priv.-Doz. Dr. Rassi, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M*****, vertreten durch Dr. Martin Wuelz, Rechtsanwalt in Innsbruck, 2. D*****, vertreten durch MMag. Dr. Erich Lackner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. M*****, vertreten durch Dr. Matthias Lüth, Mag. Michael Mikuz, Rechtsanwälte in Innsbruck, 2. P***** e.V., *****, vertreten durch Mag. Michael Tinzl und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 152.773,70 EUR sA und 126.773,70 EUR sA, über die außerordentliche Revision der zweitklagenden Partei (Revisionsinteresse 118.134,80 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 101/19p-48, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass der Ausbildungsvertrag zwischen der Erstklägerin und dem zweitbeklagten Verein, einem staatlich anerkannten Ausbildungsinstitut für psychosoziale Psychotherapie und Psychoanalyse, keine Schutzwirkungen zugunsten Dritter, konkret des Zweitklägers als des (damaligen) Ehemanns der Erstklägerin entfaltet, stellt schon deshalb keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar, weil die Lehranalyse, in deren Rahmen sich der Erstbeklagte auf ein sexuelles Verhältnis mit der Erstklägerin einließ, aus dem der Zweitkläger seine Schadenersatzansprüche ableitet, unstrittig nicht vom Zweitbeklagten geschuldet, sondern vielmehr Inhalt des zwischen der Erstklägerin und dem Erstbeklagten geschlossenen Lehranalysevertrags war. Damit scheidet aber eine vertragliche Haftung des Zweitbeklagten gegenüber dem Zweitkläger infolge der behaupteten Verletzung der Aufsichtspflicht in Bezug auf die Durchführung der Lehranalyse von vornherein aus.
2. Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass es sich weder beim – lediglich allgemeine Regelungen enthaltenden – Psychotherapiegesetz (vgl RS0027367) noch beim – nicht allgemein verbindlichen – Berufskodex für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten um ein Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB handelt, begründet ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage.
3.1. Seit der Entscheidung 2 Ob 79/00g SZ 74/24 wird in ständiger Rechtsprechung nahen Angehörigen eines Getöteten für den ihnen verursachten „Schockschaden“ mit Krankheitswert ebenfalls Schmerzengeld zuerkannt, weil diese „Dritten“ durch das Erleiden eines Nervenschadens in ihrem absolut geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt und als unmittelbar Geschädigte anzusehen sind. Die Rechtswidrigkeit einer solchen Körperverletzung wird dabei zwar nicht aus dem Schutzzweck der Verhaltensvorschrift, welche die Erstverletzung verhindern soll, aber aus der bei Verletzung absolut geschützter Rechte gebotenen Interessenabwägung abgeleitet. Die Gefahr einer unzumutbaren Ausweitung der Haftung wird dadurch eingegrenzt, dass es eines besonders starken Zurechnungsgrundes bedarf, also die Verletzungshandlung gegenüber dem Angehörigen in hohem Maß geeignet erscheint, einen Schockschaden herbeizuführen. Der Schock muss im Hinblick auf seinen Anlass verständlich sein. Auslöser für die erlittene psychische Erkrankung in diesem Sinne kann aber bei nahen Verwandten auch die Todesnachricht sein, weil bei einer besonders engen persönlichen Verbundenheit, wie sie zwischen nahen Angehörigen typischerweise besteht, die Erstschädigung (Tötung) auch für den dritten Schockgeschädigten so gefährlich ist, dass von einer deliktischen Zufügung des Schockschadens gesprochen werden kann (RS0116865).
3.2. Ersatz für Schockschäden wird darüber hinaus auch bei schwersten Verletzungen naher Angehöriger gewährt (RS0127926). Wertungsmäßig vergleichbare massivste Beeinträchtigungen der immateriellen Interessen naher Angehöriger wurden auch bei Vertauschung eines neugeborenen Kindes auf der Geburtenstation anerkannt (4 Ob 208/17t = RS0132001).
3.3. Zu 9 Ob 1/19s (= RS0127926 [T5, T 6] = RS0116865 [T25, T 26]) wurde jüngst judiziert, dass auch die Verletzung des absolut geschützten Persönlichkeitsrechts der geschlechtlichen Selbstbestimmung (§ 1328 ABGB) und insbesondere auch sexueller Missbrauch von Minderjährigen grundsätzlich eine Tathandlung ist, die – in der Regel abhängig von ihrem Schweregrad – bei der unmittelbar betroffenen Person schwere psychische und seelische Verletzungen oder Traumatisierungen herbeiführen kann, wegen des besonderen Unrechtsgehalts (Vorsatztat) und der möglichen Auswirkungen in der Folge aber auch bei nahen Angehörigen Schockschäden und Belastungsreaktionen im Sinn von krankheitswertigen seelischen Schmerzen auslösen kann; dies aber mit der Einschränkung, dass – wie bei Körperverletzungshandlungen – kein Grund zur Annahme besteht, dass Missbrauchshandlungen in jedem Fall, dh unabhängig von der jeweiligen Art der Verletzungshandlung, der Schwere der Tat und den konkreten Folgen, Ansprüche naher Angehöriger begründen, weil ihre eigene Beeinträchtigung nur als Reaktion auf eine konkrete Tat und ihre Auswirkungen für das Opfer verstanden werden kann. Im konkreten Anlassfall billigte der Oberste Gerichtshof die Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach der geltend gemachte Schockschaden aufgrund zweier Vorfälle, bei denen der Beklagte der damals neuneinhalb Jahre alten Tochter der Klägerin in die Unterhose gegriffen und sie betastet hatte, insbesondere aufgrund ihrer reiferen, eigenständigeren und selbstbewussteren Reaktion, als es ihrem Alter entspräche (Abwehr des Beklagten, umgehendes Verlassen des Tatorts, sofortige Information der Mutter) nicht ersatzfähig ist, weil die von der Rechtsprechung in Bezug auf die Verletzungen des Opfers geforderte hohe Erheblichkeitsschwelle für Schmerzengeldansprüche Dritter noch nicht erreicht wurde.
3.4. Von den Grundsätzen dieser Rechtsprechung ist das Berufungsgericht nicht abgewichen, indem es die Zuerkennung von Schadenersatz für die vom Zweitkläger behaupteten Depressionen aufgrund des – (damals) einvernehmlichen – Geschlechtsverkehrs zwischen der Erstklägerin und dem Erstbeklagten ablehnte, obwohl nach den im Rahmen der Schlüssigkeitsprüfung als wahr zu unterstellenden Klagebehauptungen ein Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses iSd § 212 StGB vorgelegen sei, weil es sich bei den damaligen Liebesgefühlen der Erstklägerin aufgrund der Lehranalyse und der damit verbundenen „Übertragung“ in Wahrheit nicht um ihren freien Willen gehandelt habe.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0030OB00214.19W.0122.000 |
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