OGH vom 06.08.2020, 2Ob169/19w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. E***** S*****, vertreten durch Dr. Christoph Gernerth M.M. und andere Rechtsanwälte in Hallein, gegen die beklagte Partei mj A***** A*****, geboren am *****, vertreten durch die Mutter A***** A*****, beide *****, diese vertreten durch Dr. Robert Galler und Dr. Rudolf Höpfinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 11.216,62 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom , GZ 53 R 73/19w-29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Hallein vom , GZ 1 C 674/17d-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 860,58 EUR (darin 143,43 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
[1] Der damals zwölfjährige Beklagte fuhr auf dem *****weg mit seinem Skateboard, wie das auch andere dort wohnende Kinder gelegentlich taten. Diese Straße mit sehr geringem Verkehrsaufkommen hatte Siedlungscharakter, ein Gehsteig war nicht vorhanden. Der Beklagte war allein auf der Straße und fuhr in Richtung der Kreuzung mit der Bundesstraße B *****, nahe dem rechten Fahrbahnrand. Er wollte jedenfalls noch vor dem Kreuzungsbereich wenden. Etwa 11 m vor der Bundesstraße blockierte plötzlich und für ihn überraschend ein Steinchen die Räder seines Skateboards, wodurch er das Gleichgewicht verlor. Er musste nach hinten vom Skateboard absteigen, wodurch dieses vorwärts beschleunigt wurde und in die Kreuzung mit der Bundesstraße rollte. Der Lenker eines sich auf der Bundesstraße der Kreuzung nähernden PKW reagierte auf das vor ihm auf die Fahrbahn rollende Skateboard mit einer Vollbremsung und kam wenige Meter nach der Kreuzung zum Stillstand. Als der dahinter fahrende Kläger die Bremslichter seines Vorderfahrzeugs aufleuchten sah, reagierte er zunächst mit einer „normalen“ Betriebsbremsung. Erst als er die Vollbremsung des Vorderfahrzeugs erkannte, unternahm auch der Kläger eine Vollbremsung, fuhr aber mit ca 20 km/h auf das zum Stillstand gekommene Vorderfahrzeug auf. Er hätte die Kollision vermeiden können, wenn er auf das Aufleuchten der Bremslichter des Vorderfahrzeugs sofort mit einer Vollbremsung reagiert hätte. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Kläger bereits vor dem Aufleuchten der Bremslichter des Vorderfahrzeugs auf das in die Fahrbahn rollende Skateboard reagieren hätte können. Die Haftpflichtversicherung des Beklagten bezahlte an den Kläger einen Teil des ihm entstandenen Fahrzeugschadens.
[2] Der begehrte die Zahlung von 11.216,62 EUR sA an weiterem Fahrzeugschaden und brachte vor, den Beklagte treffe das alleinige Verschulden am Verkehrsunfall. Er hätte nicht auf der Straße mit dem Skateboard spielen dürfen. In seinem Alter hätte er bereits die grundlegenden Vorschriften des Straßenverkehrs beachten müssen.
[3] Der wendete ein, der Unfall sei auf einen nicht ausreichenden Sicherheitsabstand und mangelnde Aufmerksamkeit des Klägers zurückzuführen. Ein allfälliges Verschulden des Beklagten sei durch die bereits geleistete Zahlung abgegolten.
[4] Das wies das Klagebegehren ab. Der zum Unfallzeitpunkt unmündige Beklagte habe gegen § 88 Abs 1 StVO verstoßen. Der Kläger habe entgegen § 18 Abs 1 StVO für eine Bremsung mit abgestufter Intensität einen zu geringen Sicherheitsabstand eingehalten. Das Verhalten eines Unmündigen sei nicht mit der gleichen Strenge zu betrachten, wie das eines Erwachsenen. Berücksichtige man, dass die vom Beklagten befahrene Straße verkehrsarm gewesen sei und keine für ihn erkennbaren anderen Verkehrsteilnehmer in der Nähe gewesen seien und dass auch das Blockieren der Räder des Skateboards durch ein auf der Fahrbahn liegendes Steinchen eher selten sei, sei die Erkennbarkeit, dass sein Verhalten den konkret eingetretenen Schaden herbeiführen könnte, sehr gering gewesen. Eine Haftung des Beklagten für ein Drittel der Schäden des Klägers sei angemessen. In diesem Umfang habe die Haftpflichtversicherung des Beklagten den Fahrzeugschaden bereits ersetzt.
[5] Das teilte die Ansicht des Erstgerichts, bestätigte dessen Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es war der Ansicht, dass der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem Verstoß des Beklagten gegen § 88 Abs 1 StVO und dem Unfall auf der angrenzenden Bundesstraße gegeben sei. Der Lenker eines nachfolgenden Fahrzeugs müsse stets einen so großen Sicherheitsabstand halten, dass er selbst vor einem plötzlich anhaltenden Fahrzeug rechtzeitig anhalten könne. Um nicht beim ersten Aufleuchten von Bremsleuchten am vorderen Fahrzeug voll bremsen zu müssen, hätte der Kläger einen größeren Sicherheitsabstand einhalten müssen. Nur in dieser Weise hätte er sich zunächst eine normale Betriebsbremsung „leisten“ können. Dieses Fehlverhalten begründe einen Verstoß gegen § 18 Abs 1 StVO. Aufgrund der zutreffenden Erwägungen des Erstgerichts sei eine Haftung des Beklagten nach § 1310 ABGB mit einem Drittel angemessen.
[6] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass die Rechtsfragen im Zusammenhang mit § 88 Abs 1 StVO, aber auch der Wahl des richtigen Nachfahrabstands nach § 18 Abs 1 StVO, um nicht beim ersten Aufleuchten der Bremsleuchten eine Vollbremsung machen zu müssen, wie auch die Gewichtung der Haftung im besonderen Anlassfall die Qualität des § 502 Abs 1 ZPO erfüllten.
Rechtliche Beurteilung
[7] Die dagegen gerichtete Revision des Klägers ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nichtzulässig. Weder in der Zulassungsbegründung noch in der Revision wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt:
[8] 1. Das Befahren der Fahrbahn mit einem fahrzeugähnlichen Kinderspielzeug, wozu auch ein Skateboard zählt (vgl RS0124213), begründet einen Verstoß gegen § 88 Abs 1 StVO (2 Ob 183/80 ZVR 1982/2 = RS0027744 [T1]). Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass der Fahrzeugverkehr auf der nahegelegenen Kreuzung vom Schutzzweck dieser Bestimmung erfasst war, bleibt in der Revision naturgemäß unbekämpft. Sie bedarf hier auch keiner Überprüfung, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt.
[9] 2. Nach gefestigter Rechtsprechung ist beim Hintereinanderfahren ein Sicherheitsabstand, der etwa der Länge des Reaktionswegs entspricht, als ausreichend zu bezeichnen, sofern nicht Umstände hinzutreten, die einen größeren Sicherheitsabstand geboten erscheinen lassen (2 Ob 226/18a; 2 Ob 160/16t; RS0074237). Dies beruht auf der Überlegung, dass dem nachfahrenden Lenker dann zusätzlich zu seinem Reaktionsweg noch die Bremsstrecke des vorausfahrenden Fahrzeugs zum Anhalten zur Verfügung steht (so schon 8 Ob 80/75 ZVR 1976/66; 8 Ob 65/74 ZVR 1975/69). Abzustellen ist auch außerhalb des Ortsgebiets (vgl 8 Ob 65/74) auf jenen Reaktionsweg, der benötigt wird, um auf das plötzliche, häufig mit einem Überraschungseffekt verbundene Abbremsen des Vorderfahrzeugs reagieren zu können (2 Ob 270/77 ZVR 1978/303), was auch die Einschätzung der Intensität des dadurch erforderlichen eigenen Bremsmanövers einschließt. Aufmerksamkeit, Geschwindigkeit und Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug stehen beim Lenken eines Kraftfahrzeugs in einem untrennbaren Zusammenhang. Konnte der nachfahrende Lenker sein Fahrzeug hinter einem plötzlich abgebremsten Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig anhalten, war entweder der eingehaltene Sicherheitsabstand zu gering oder er hat verspätet reagiert (vgl 2 Ob 148/82 ZVR 1983/30; 2 Ob 270/77).
[10] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, den Kläger treffe ein Verschulden am Verkehrsunfall, entspricht im Ergebnis der dargelegten Rechtsprechung. Ob der Kläger einen zu geringen Sicherheitsabstand eingehalten oder verspätet (richtig) reagiert hat, ist nicht entscheidend. Daran, dass diese Fahrregeln ein Schadensereignis wie das eingetretene verhindern sollen, kann kein Zweifel bestehen, sodass der erforderliche „Mitverschuldenszusammenhang“ (RS0132048) vorliegt.
[11] Die vom Revisionswerber herangezogene Judikatur betrifft Fälle der Verschuldensteilung zwischen dem entgegen § 21 Abs 1 StVO abbremsenden vorausfahrenden Lenker und dem einen zu geringen Tiefenabstand einhaltenden oder zu spät bremsenden Lenker des nachfahrenden Fahrzeugs (vgl RS0074229) und ist im vorliegenden Fall nicht einschlägig.
[12] 3. Das Verschulden von Kindern ist geringer zu werten, als das von Erwachsenen (RS0026996). Die Festlegung des Ausmaßes des Ersatzes gemäß § 1310 ABGB richtet sich stets nach den Umständen des konkreten Einzelfalls und wirft, von einer aufzugreifenden Fehlbeurteilung abgesehen, dann keine erhebliche Rechtsfrage auf, wenn das Berufungsgericht alle maßgeblichen Umstände in die Billigkeitserwägung einbezogen und ihre Bedeutung nicht verkannt hat (RS0027544).
[13] In der Rechtsprechung wurde bei besonders leichtsinnigem Verhalten unmündiger Minderjähriger gegenüber Sorgfaltsverstößen erwachsener KFZ-Lenker gleichteiliges Verschulden angenommen (RS0026996 [T10, T 11]). Die Ansicht der Vorinstanzen, im vorliegenden Fall sei dem unmündigen Beklagten kein solches Verhalten vorzuwerfen, sodass er, auch unter Berücksichtigung des Bestehens einer Haftpflichtversicherung (9 Ob 181/00h ZVR 2001/82 = RS0027532 [T2]), nach Billigkeit ein Drittel des Schadens des Klägers zu ersetzen habe, ist nicht korrekturbedürftig (vgl 2 Ob 31/15w).
[14] 4. Da es somit der Lösung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision zurückzuweisen.
[15] 5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41, 50 ZPO. Die beklagte Partei hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision ausreichend hingewiesen.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0020OB00169.19W.0806.000 |
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