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OGH vom 25.11.1959, 6Ob359/59

OGH vom 25.11.1959, 6Ob359/59

Norm

ABGB § 971;

ABGB § 974;

ABGB § 975;

Kopf

SZ 32/154

Spruch

Zur Abgrenzung von Rechts- und Sachleihe.

Rückstellungs- und Wiederinstandsetzungspflicht des Prekaristen.

Die Beweisregel des § 975 ABGB. gilt auch für die im § 974 ABGB. normierte Abgrenzung zwischen Prekarium und nicht frei widerruflichem Vertrag.

Entscheidung vom , 6 Ob 359/59.

I. Instanz: Bezirksgericht Kitzbühel; II. Instanz: Landesgericht Innsbruck.

Text

Die Republik Österreich (Bundesstraßenverwaltung) belangte den Beklagten, einen Gerbermeister in St., auf Entfernung eines auf Straßengrund (Parzelle 5818 der EZ. 320 II Grundbuch St.) verlaufenden Abwasserkanals samt Steigschacht sowie Rückversetzung der Kulturfläche des Grundstücks in den Zustand, in dem sie sich im Zeitpunkt der Inangriffnahme der zur Beseitigung der Anlage notwendigen Arbeiten befinde; nach dem Urteilsbegehren war hiefür eine Leistungsfrist von 14 Tagen vorgesehen. Die klagende Partei stützte sich dabei auf ihr Eigentumsrecht einerseits, auf Titellosigkeit des Beklagten andererseits und machte geltend, sie habe sich im Jahre 1955 anläßlich einer Gründenteignung für Straßenbauzwecke den Eheleuten Rudolf und Käthe Z. gegenüber verpflichtet, ihnen als Entschädigung jene Teilfläche der Parzelle Nr. 5818, unter der derzeit der Abwasserkanal des Beklagten verlegt sei, lastenfrei zu übertragen.

Der Erstrichter stellte fest, daß die Gemeinde St. als Ortspolizeibehörde im Jahre 1938 eine Kommissionierung an Ort und Stelle durchführte, die den Zweck verfolgte, dagegen Abhilfe zu schaffen, daß die Abwässer aus dein Gerbereibetrieb des Beklagten infolge Unzulänglichkeit der Versickerungsanlage in den Straßengraben der Bundesstraße flossen; bei dieser Gelegenheit wurde dem Beklagten von Oberbaurat R., dem damaligen Chef des Bundesstraßendienstes Innsbruck-Ost, vorläufig und gegen jederzeitigen Widerruf die unentgeltliche Benützung des Straßengrundes für die später errichtete Kanalanlage gestattet. Ein Bescheid wurde darüber nicht ausgefertigt; die Anlage wurde auch wasserrechtlich nicht genehmigt. Schon anläßlich der Enteignungsverhandlung im Jahre 1955 wurde von Organen der klagenden Partei die Entfernung der Kanalanlage verlangt, weil sich die klagende Partei zur lastenfreien Abtretung von Ersatzgrund an die Eheleute Z. verpflichtet hatte; die strittige Grundfläche steht zwar noch im Eigentum der klagenden Partei, ist aber bereits den Eheleuten Z. übergeben, die darauf eine Gartenanlage errichtet haben. Mit Rücksicht auf diese Feststellungen gab der Erstrichter dem Klagebegehren Folge, unterließ aber die Bestimmung einer Leistungsfrist für die vom Beklagten durchzuführenden Arbeiten (§ 409 Abs. 2 ZPO.).

Das Berufungsgericht teilte wohl die Auffassung des Erstrichters, es handle sich nur um eine dem Beklagten erteilte prekaristische Gestattung, wies aber das Klagebegehren mit der Begründung ab, die klagende Partei habe weder behauptet noch bewiesen, daß sich der Beklagte anläßlich der Gestattung dazu verpflichtet habe, den Kanal zu entfernen und den Grund wiederum in den Zustand zu versetzen, in dem er sich vor Errichtung des Kanals befand: von einer vertragswidrigen Errichtung oder Benutzung des Kanals könne keine Rede sein; schließlich sei auch aus den Bestimmungen des Bundesstraßengesetzes für den Standpunkt der klagenden Partei nichts zu gewinnen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge und stellte das Urteil des Prozeßgerichtes wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Vorauszuschicken ist, daß der Beklagte die ursprünglich aufgestellte Behauptung, es liege eine Gestattung seiner Anlage durch (mündlichen, aber nicht schriftlich ausgefertigten) Bescheid vor, schon in seiner Berufung nicht aufrechterhalten hat. Auch im Revisionsverfahren bemüht er sich nur darzutun, daß es sich nicht bloß um eine prekaristische Gebrauchsgestattung, sondern um einen nach der von den Parteien bestimmten Absicht des Gebrauches zu beurteilenden Leihvertrag (§§ 973, 974 ABGB.) handle; Vertragsgegenstand soll dabei nicht das Grundstück als solches, sondern nur das daran eingeräumte Recht sein. Da die Feststellungen der Unterinstanzen über die Vorgänge bei der Kommissionierung im Jahre 1938 tatsächlich eine Erlassung eines mündlichen Bescheides nicht erkennen lassen, ist in der vorliegenden Entscheidung nur auf die zivilrechtlichen Fragen einzugehen, wobei ohne nähere Prüfung zugunsten des Beklagten unterstellt werden soll, daß er Oberbaurat R. zumindest nach dein Prinzip des Vertrauens auf den äußeren Tatbestand als zum Abschluß einer Vereinbarung namens der klagenden Partei, allenfalls ihrer Rechtsvorgängerin (Reichsstraßenverwaltung), legitimiert ansehen konnte.

Es ist gewiß richtig, daß auch ein Recht als unkörperliche Sache Gegenstand eines Leihvertrages sein kann (Schey, Die Obligationsverhältnisse, I S. 199; Swoboda in Klang 1. Aufl. II/2 S. 696 zu § 971 ABGB.), sofern es einen dauernden Gebrauch zuläßt und nicht höchstpersönlicher Natur ist. Bezieht sich das Recht aber auf eine körperliche Sache, läuft ein solcher Vertrag doch wieder auf eine Sachleihe hinaus, wobei freilich dem Entlehner als Vertragspartner nicht der Eigentümer der Sache selbst gegenübersteht (vgl. dazu Schey a. a. O. S. 204 ff.). Wird eine Vereinbarung über die Einräumung eines Gebrauchsrechtes mit dem Eigentümer der Sache selbst geschlossen, kann als Vertragsobjekt praktisch immer nur die Sache selbst angesehen werden. Die unentgeltliche Überlassung des Gesamtgebrauches eines Grundstückes an einen anderen ist, sofern sie mit dinglicher Wirkung erfolgt, Servitut, sofern sie nur mit obligatorischer Wirkung erfolgt, Leihe (vgl. Swoboda a. a. O.); die unentgeltliche Einräumung eines beschränkten Gebrauchsrechtes an einem Grundstück ist, wenn sie mit dinglicher Wirkung erfolgt, wiederum Servitut, ansonsten ein inhaltlich einer Servitut entsprechender Nutzungsvertrag oder - nach den Umständen des Falles - eine bloß prekaristische Gestattung (vgl. Klang 2. Aufl. II 549 zu § 472 ABGB.). Da der Beklagte die von ihm behauptete Vereinbarung mit dem Eigentümer des Grundstückes selbst geschlossen hat, auf das sich der überlassene Gebrauch bezieht, war Vertragsobjekt jedenfalls die Parzelle selbst.

Um die vorliegende Klage abwehren zu können, hätte der Beklagte den Beweis erbringen müssen, daß ihm ein von der klagenden Partei nicht jederzeit frei widerrufbares Recht zur Ableitung seiner Abwässer über ihre Parzelle zustehe. Dies folgt einerseits aus § 523 ABGB. (vgl. dazu Ehrenzweig 2. Aufl. I/2 S. 302; Klang 2. Aufl. II 604 f. zu § 523 sowie die dort abgedruckte Judikatur), andererseits aus § 975 ABGB; letztere Bestimmung gilt, wie sich schon aus der Reihenfolge und dem Zusammenhang der Vorschriften ergibt, auch für die im § 974 ABGB. geregelte Abgrenzung zwischen Prekarium und nicht frei widerrufbarem Vertrag. Der Hinweis des Beklagten, daß sich aus den Bestimmungen der §§ 323, 324 ABGB. eine Vermutung zugunsten des Rechtsbesitzes ergebe, die stärker sei als die Vermutung der Freiheit des Eigentums der klagenden Partei, geht schon deshalb fehl, weil der bloß faktische Zustand, daß die Abwässerleitung des Beklagten über die Parzelle der klagenden Partei verlegt ist, keineswegs schon den Besitz eines nicht intabulierten, von der klagenden Partei nicht frei widerrufbaren Benützungsrechtes darstellt (vgl. dazu Klang 2. Aufl. II 76 ff. zu §§ 312, 313 ABGB.; SZ. XIV 117, 5 Ob 129/58, 6 Ob 237/59).

Darüber hinaus hat der Erstrichter nicht nur mit Rücksicht auf die Praxis der Straßenverwaltungsbehörde festgestellt. Oberbaurat R. habe nur eine vorläufige, jederzeit widerrufliche Benützungserlaubnis erteilen wollen; er hat vielmehr überdies angenommen, Oberbaurat R. habe dem Beklagten erklärt, er erteile nur eine bedingte, vorläufige Genehmigung, und habe ihm gesagt, welche Schritte er zur Erlangung einer endgültigen Genehmigung Unternehmen müsse. Das Berufungsgericht ist dem im Ergebnis beigetreten. Gewiß handelt es sich dabei nur um Schlußfolgerungen, welche die Unterinstanzen auf Grund der allgemeinen Lebenserfahrungen gezogen haben. Es kommt dabei aber nicht darauf an, ob der Beklagte die Praxis der Straßenverwaltungsbehörde und ihrer Organe kannte bzw. kennen konnte oder nicht, sondern ob die Schlußfolgerungen der Unterinstanzen logisch bestehen können; nur wenn dies nicht der Fall wäre, läge der Revisionsgrund nach § 503 Z. 4 ZPO. vor. Die Schlußfolgerungen der Unterinstanzen sind aber durchaus logisch, weil eine Belehrung des Beklagten durch Oberbaurat R. schon mit Rücksicht auf die Tragweite der in Frage kommenden Gestattung für beide Teile nahe lag. Geht man aber davon aus, daß Oberbaurat R. dem Beklagten sagte, es handle sich nur um eine bedingte, vorläufige Bewilligung, scheidet auch die Möglichkeit aus, dem Beklagten zuzugestehen, er habe nach den Gepflogenheiten des redlichen Verkehrs eine Bindung der Straßenverwaltung durch die Bedürfnisse seines Betriebes annehmen können (§§ 863, 914, 915 ABGB.).

Es ist also davon auszugehen, daß dem Beklagten die Benützung des Straßengrundes für den Abwasserkanal tatsächlich nur prekaristisch gestattet war. Der Auffassung des Berufungsgerichtes, die klagende Partei könne mit dem vorliegenden Begehren ungeachtet des Widerrufes der Benützungsgestattung nicht durchdringen, weil diesbezüglich bei Gestattung der Benützung keine Vereinbarung getroffen wurde, vermag sich der Oberste Gerichtshof nicht anzuschließen. Der Prekarist hat nach Widerruf der Benützungserlaubnis deren Objekt ebenso zurückzustellen wie ein Entlehner (§ 972 ABGB.). Handelte es sich um die prekaristische Einräumung eines beschränkten Benützungsrechtes, hängt es von dessen Eigenart ab, wie weit diese Rückstellungspflicht reicht. Nur für die "naturgemäße Abnützung" des Lehnstückes hat er ebensowenig aufzukommen wie ein Entlehner (vgl. dazu Swoboda a. a. O. sowie zu § 978 ABGB.). Hatte die zugestandene Benützung die Erstellung technischer Vorrichtungen notwendig gemacht, erfüllt der Prekarist mangels einer besonderen Vereinbarung seine Rückstellungspflicht nicht schon damit, daß er die Benützung dieser Vorrichtungen einstellt, sondern erst dadurch, daß er diese entfernt. Schon daraus folgt auch, daß der Beklagte die zur Entfernung seiner Rohrleitung nötige Aufgrabung auch wieder zuzuschütten und den Grund zu planieren hat. Im übrigen muß eine solche Verbindlichkeit bei Inanspruchnahme eines Straßengrundstückes nach den Gepflogenheiten redlichen Verkehrs geradezu als mitbedungen angesehen werden, dies selbst dann, wenn die Aufgrabung nicht die Fahrbahn als solche, sondern nur den Straßengraben betrifft.

Die Unterinstanzen haben wohl auch ausgeführt, die Benützungsbewilligung sei spätestens durch die Klageführung widerrufen worden. Der Erstrichter hat aber ausdrücklich festgestellt, daß die Organe der Straßenverwaltung schon im Jahre 1955 anläßlich der Enteignungsverhandlung vom Beklagten die Entfernung des Kanals im Zusammenhang mit der Entschädigung der Eheleute Z. verlangt haben. Da die Feststellungen des Erstrichters vom Berufungsgericht uneingeschränkt übernommen wurden, gilt dies auch hiefür. Dies hat rechtlich zur Folge, daß die Benützungsbewilligung als schon im Jahre 1955 widerrufen angesehen werden muß. Hat der Beklagte seine Kanalanlage auch seinerzeit rechtmäßig errichtet und bis 1955 rechtmäßig gebraucht, so war die Weiterbelassung auf dem Grund der klagenden Partei seither, wie der Erstrichter zutreffend erkannt hat, widerrechtlich. Dies führt im Sinn der §§ 978, 979 ABGB. zur weiteren Verpflichtung des Beklagten, nach Entfernung der Anlage auch jenen Kulturzustand wiederherzustellen, in dem sich das Grundstück nunmehr (d. h. bei Beginn der Entfernungsarbeiten) befindet. Was schließlich die Frage der Aufnahme einer Leistungsfrist in das Urteil betrifft, läßt sich aus der von der klagenden Partei herangezogenen Entscheidung SZ. XIX 203 hier nichts gewinnen; sie betraf nämlich einen durchaus anders gelagerten Fall, in welchem der Oberste Gerichtshof in die Lage kam, erstmalig im stattgebenden Sinn über ein Urteilsbegehren zu entscheiden, in welchem eine Leistungsfrist nicht vorgesehen war. Im vorliegenden Fall ist vielmehr davon auszugehen, daß die klagende Partei selbst das Unterbleiben der Bestimmung einer Leistungsfrist in keiner Weise bekämpft hat. Da der Beklagte das erstrichterliche Urteil seinem ganzen Inhalt nach angefochten hat, hätte - obgleich seine Berufung diesbezüglich keine Ausführungen enthielt - allenfalls auch in diesem Belang eine Rüge angenommen werden können. Eine solche Auslegung der Berufung erscheint aber nunmehr unmöglich, nachdem sich der Beklagte bei der Berufungsverhandlung gegen den damals gestellten Antrag der klagenden Partei. das Berufungsgericht möge eine Leistungsfrist festsetzen, ausgesprochen hat. Unter diesen Umständen kann der Oberste Gerichtshof in Stattgebung der Revision das angefochtene Urteil nur dahin abändern, daß die Entscheidung des Erstrichters wiederhergestellt wird. Ein Exekutionshindernis stellt das Fehlen der Leistungsfrist nicht dar (JBl. 1934 S. 40, ZBl. 1937 Nr. 29).