OGH vom 19.12.2018, 7Ob239/18z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** S*****, vertreten durch Mag. Robert Haupt, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei G***** AG, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 19.710,41 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 1 R 243/18h-14, mit dem der Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom , GZ 9 C 138/18m-11, zurückgewiesen wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Kosten des Rekursverfahrens.
Text
Begründung:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten unter Berufung auf die unterbliebene Belehrung über ihr Rücktrittsrecht die Rückabwicklung zweier fondsgebundener Lebensversicherungen.
Das Erstgericht unterbrach das Verfahren bis zum Vorliegen einer Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-479/18 über das Vorabentscheidungsersuchen des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien in der Rechtssache 13 C 738/17z.
Das Rekursgericht wies den von der klagenden Partei gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs zurück. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs sei zwar die Unterbrechung eines Verfahrens wegen eines von einem anderen Gericht gestellten Vorabentscheidungsersuchens nicht unanfechtbar, doch überzeuge diese Ansicht nicht, weil der EuGH von einer über den Einzelfall hinausgehenden Wirkung seiner Urteile ausgehe, um eine einheitliche Anwendung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten sicherzustellen. Die vom Obersten Gerichtshof vertretene Auffassung, es stehe dem Erstgericht frei, entweder das Unionsrecht in jeder ihm zutreffend erscheinenden Weise auszulegen oder aber selbst ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten, würde vorliegend zur nicht prozessökonomischen Konsequenz führen, dass das Erstgericht bei einem Erfolg des Rekurses ein eigenes Vorabentscheidungsersuchen formulieren müsste, gegen das sich die Klägerin nicht mit Rekurs zur Wehr setzen könnte. Der Rekurs sei daher unzulässig.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil es mit seiner Entscheidung von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen sei.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin mit dem sinngemäßen Antrag, dem Rekursgericht die Sachentscheidung über den Rekurs aufzutragen. Hilfsweise stellte die Klägerin auch Anträge auf Aufhebung des erstinstanzlichen Unterbrechungsbeschlusses.
Die Beklagte erstattete eine Revisionsrekursbeantwortung mit dem Antrag, den Revisionsrekurs der Klägerin abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und berechtigt.
Die (unmittelbar) auf Art 267 AEUV beruhende Vorlagebefugnis aller Gerichte darf nicht durch Regelungen des nationalen Verfahrensrechts eingeschränkt werden, was zur Unzulässigkeit eines gegen das Vorabentscheidungsersuchen erhobenen Rekurses führt (4 Ob 71/16v; RIS-Justiz RS0106043). Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass auch die Unterbrechung wegen eines von einem anderen Gericht gestellten Vorabentscheidungsersuchens unanfechtbar wäre (4 Ob 71/16v; vgl dazu auch RIS-Justiz RS0114648).
Wenn dieselben Erwägungen betreffend Auslegungszweifel gemeinschaftsrelevanter Vorschriften auch für eine andere Rechtssache gelten, kann es zweckmäßig und geboten sein, mit der Entscheidung bis zu jener des EuGH über ein bereits gestelltes Vorabentscheidungsersuchen zuzuwarten, weil – wie vom Rekursgericht im Grundsatz zutreffend erkannt – von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des EuGH auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle maßgeblich ist (RIS-Justiz RS0110583). Dies ändert aber nichts daran, dass
– abgesehen von der hier von der Klägerin behaupteten Nichtigkeit des erstinstanzlichen Unterbrechungs-beschlusses – insbesondere die Frage der Prozessökonomie einer solchen Vorgangsweise, namentlich ob die Vorlagefragen tatsächlich für die rechtliche Beurteilung im vorliegenden Rechtsstreit entscheidungsrelevant sind, einer Überprüfung zugänglich ist. Diese wird das Rekursgericht bei seiner neuerlichen Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund vorzunehmen haben. Zu diesem Zweck war dem Revisionsrekurs Folge zu geben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 50, 40 ZPO.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00239.18Z.1219.000 |
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