OGH vom 18.09.2007, 5Ob198/07i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Grundbuchssache des Antragstellers Andreas H*****, geb. *****, vertreten durch Dr. Heidi Bernhart, Rechtsanwältin in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , AZ 47 R 36/07b, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers wird mangels der Voraussetzungen des § 126 Abs 2 GBG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 126 Abs 3 GBG).
Text
Begründung:
Mit Kaufvertrag vom verkaufte Gertraud V*****, geb. , die Liegenschaft EZ ***** GB ***** an den Antragsteller. Das Bezirksgericht Tulln bestellte - aufgrund des Ergebnisses der Erstanhörung vom - der Liegenschaftsverkäuferin mit Beschluss vom Mag. Sigrid Räth zur einstweiligen Sachwalterin, die die finanziellen Angelegenheiten der Betroffenen und deren Vertretung gegenüber privaten Vertragspartnern sowie Behörden und Gerichten zu besorgen hatte. Die im Sachwalterschaftsverfahren beigezogene psychiatrische Sachverständige führte in ihrem Gutachten zum Geisteszustand der Liegenschaftsverkäuferin ua aus:
„Die Frage, ob Frau Gertraud V***** zum Zeitpunkt der Vertragserrichtung am in ihrer Geschäftsfähigkeit beeinträchtigt war, kann aufgrund der fehlenden ärztlichen Stellungnahmen diesen Zeitpunkt betreffend rückwirkend nicht mit Sicherheit bejaht werden. Aufgrund der vorliegenden außenanamnestischen Angaben und medizinischen Unterlagen ist jedoch aus psychiatrischer Sicht mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass bei der Betroffenen bereits Monate vor der ersten Meldung über eine mögliche Geschäftsunfähigkeit vom die Voraussetzungen nach § 273 ABGB vorgelegen haben."
Das Erstgericht bewilligt das Eigentumseinverleibungsgesuch des antragstellenden Käufers.
Das Rekursgericht änderte den Beschluss des Erstgerichts über Rekurs der Liegenschaftsverkäuferin im Sinn der Antragsabweisung ab; es hegte Bedenken gegen die Geschäftsfähigkeit der Liegenschaftseigentümerin bei Vertragsabschluss (§ 94 Abs 1 Z 2 GBG). Die Entscheidung des Rekursgerichts enthält den Ausspruch, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 Euro übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig ist.
In seinem außerordentlichen Revisionsrekurs macht der Antragsteller zur Zulässigkeit seines Rechtsmittels - zusammengefasst - geltend, das Rekursgericht habe bei der Prüfung vorliegender Bedenken im Sinn des § 94 Abs 1 Z 2 GBG die durch die Judikatur des Obersten Gerichtshofs gezogenen Ermessensgrenzen überschritten. Beschränkungen der Verfügungsfähigkeit der Liegenschaftsverkäuferin dürften nur bei „beachtlichen Gründen" wahrgenommen werden. Die - Zweifel an der Geschäftsfähigkeit der Liegenschaftsverkäuferin auslösenden - Eindrücke der Sachwalterschaftsrichterin bei der Erstanhörung seien (erst) 8 Monate nach Vertragsabschluss vorgelegen. Bei dem an der Vertragserrichtung mitwirkenden Notar hätten offenbar keine solchen Zweifel bestanden. Jedenfalls lägen keine „massiven" Bedenken gegen die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit der Liegenschaftsverkäuferin zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vor, weshalb die seinerzeit vorhandene Geschäftsfähigkeit zu vermuten sei.
Rechtliche Beurteilung
Mit diesen Ausführungen macht der Antragsteller keine erhebliche Rechtsfrage geltend:
1. Gemäß § 94 Abs 1 Z 2 GBG hat das Grundbuchsgericht das Ansuchen und dessen Beilagen einer genauen Prüfung zu unterziehen und darf eine grundbücherliche Eintragung nur dann bewilligen, wenn kein gegründetes Bedenken gegen die persönliche Fähigkeit der bei der Eintragung Beteiligten zur Verfügung über den Gegenstand, den die Eintragung betrifft, oder gegen die Befugnis der Antragsteller zum Einschreiten vorhanden ist; Bedenken im Sinn des § 94 Abs 1 Z 2 GBG sind ein innerer Vorgang des über das Ansuchen entscheidenden Rechtspflegeorganes (Richter oder Rechtspfleger), die im Zeitpunkt der Beschlussfassung bestehen oder nicht bestehen können. Es wird dadurch dem Rechtspflegeorgan ein gewisser Ermessensspielraum eingeräumt (5 Ob 175/05d = MietSlg 57.573; 5 Ob 106/92 = NZ 1993, 133 [Hofmeister, 135]).
2. Für die Versagung der Eintragungsbewilligung genügt es, wenn die Beschränkung der Verfügungsfähigkeit aus beachtlichen Gründen anzunehmen ist (1 Ob 95/47 = JBl 1947, 397 = SZ 21/22). Dabei muss, weil dem Grundbuchsrichter beziehungsweise Rechtspfleger Beweisaufnahmen durch Zeugen, Sachverständige oder persönlicher Augenschein verwehrt sind, mit einer kursorischen Feststellung und Überprüfung der „Bedenken" im Sinn des § 94 Abs 1 Z 2 GBG das Auslagen gefunden werden. Ein entsprechend dem § 94 Abs 1 Z 2 GBG „gegründetes Bedenken" gegen die Verfügungsfähigkeit des Liegenschaftseigentümers kann sowohl durch amtliches als auch durch privates Wissen des Grundbuchsrichters ausgelöst werden (Hoyer, Prüfungsrecht und Prüfungspflicht des Grundbuchsrichters, FS Kralik, 223), sofern die Überprüfung des Eintragungshindernisses objektiv möglich ist. Entsprechende Verdachtsmomente sind auch dann von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn sie sich nicht auf eine Eintragung im Grundbuch, sondern beispielsweise - wie hier - auf den Inhalt von Pflegschaftsakten stützen (vgl Bartsch, GBG7, 82), der auch objektiv überprüfbar ist (5 Ob 175/05d = MietSlg 57.573; 5 Ob 1045/91 = RPflSlgG 2330).
3. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass sich
Bedenken gegen die Verfügungsfähigkeit insbesondere auf Grund der
Bestellung eines (einstweiligen) Sachwalters ergeben können, weil sie
eine Behinderung des Betroffenen im Sinn des § 273 Abs 1 ABGB
indiziert (vgl 5 Ob 175/05d = MietSlg 57.573; 5 Ob 1045/91 = RPflSlgG
2330; 5 Ob 185/01v = NZ 2002/546, 376 = [Hoyer, NZ 2002, 379] =
MietSlg 53.624; 5 Ob 207/04h = NZ 2006/36, 176 [Hoyer] = MietSlg
56.608; zum Verfahrenssachwalter vgl auch Feil/Marent/Preisl, Grundbuchsrecht, § 94 GBG Rz 23). Da sich ein Eintragungshindernis aber nur aus „beachtlichen" Bedenken ergeben kann, spielt für die fragliche Bedeutung der Einschränkung der Diskretions- und/oder Dispositionsfähigkeit des Betroffenen, die durch die Überprüfung der Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung indiziert wird, der zeitliche Zusammenhang zur maßgeblichen rechtsgeschäftlichen Erklärung eine nicht unwesentliche Rolle (vgl 5 Ob 175/05d = MietSlg 57.573; 5 Ob 207/04h = NZ 2006/36, 176 [Hoyer] = MietSlg 56.608; 5 Ob 108/97m = NZ 1998/408, 90 [Hoyer]). Die Vermutung, dass jeder erwachsene Mensch voll handlungsfähig ist, aber auch Gründe der Rechtssicherheit gebieten es, die Indizwirkung einer notwendig gewordenen Sachwalterbestellung für eine anzunehmende Beschränkung der Handlungsfähigkeit des Betroffenen maximal auf den Zeitraum von einem Jahr vor dem Bestellungsakt auszudehnen, sofern nicht konkrete Belege für einen bereits länger anhaltenden Zustand beschränkter Handlungsfähigkeit vorliegen (RIS-Justiz RS0060681 [T4]; zu weiter zurückreichenden Bedenken vgl 5 Ob 253/06a = immolex 2007/111, 221). Dieser zeitliche Konnex ist im vorliegenden Fall gegeben.
4. Dass bei dem an der Vertragserrichtung mitwirkenden Notar möglicherweise keine Zweifel an der Diskretions- und/oder Dispositionsfähigkeit einer Vertragspartei vorlagen, kann „Bedenken" im Sinn des § 94 Abs 1 Z 2 GBG nicht schlechthin ausschließen. Ein Notar mag sich zwar aufgrund seiner Berufspraxis eine gewisse Erfahrung beim Erkennen von Mängeln der Geschäftsfähigkeit aneignen können, eindeutige Ergebnisse eines psychiatrischen Gutachtens werden sich dadurch aber in der Regel nicht entkräften lassen. Im vorliegenden Fall folgt aus dem im Sachwalterschaftsverfahren erstatteten psychiatrischen Gutachten, dass bei der Liegenschaftsverkäuferin „mit hoher Wahrscheinlichkeit ... bereits Monate vor der ersten Meldung über eine mögliche Geschäftsunfähigkeit vom die Voraussetzungen nach § 273 ABGB vorgelegen haben". Die Vertragserrichtung erfolgte am , sodass die „hohe Wahrscheinlichkeit" einer Geschäftsunfähigkeit auch für diesen Zeitpunkt gilt.
Eine aufzugreifende Ermessensüberschreitung durch das Rekursgericht liegt demnach nicht vor, womit sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers als unzulässig erweist und zurückzuweisen ist.