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OGH vom 17.01.2001, 6Ob336/00f

OGH vom 17.01.2001, 6Ob336/00f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Landesgerichtes Feldkirch zu FN 78355d eingetragenen Willy H*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Gesellschaft und ihrer Geschäftsführer Karl Heinrich H***** und Ralph H*****, alle vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh und Dr. Hanno Lechner, Rechtsanwälte in Bregenz, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom , GZ 3 R 256/00x-44, womit der Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch vom , GZ 15 Fr 9286/99y-40, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

2. Die Anträge der Revisionsrekurswerber auf

a) Einleitung eines Vorabentscheidungs- verfahrens gemäß Art 234 EG bei dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH),

b) Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gemäß Art 89 Abs 2 B-VG bei dem Verfassungsgerichtshof und

c) Aussetzung des Zwangsstrafenverfahrens bis zur Entscheidung des EuGH über ein schon gestelltes Vorabentscheidungsersuchen des Landesgerichtes Wels werden zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Geschäftsführer der Gesellschaft mbH sind ihrer Offenlegungspflicht für das Geschäftsjahr 1998 nicht nachgekommen. Über die beiden Geschäftsführer wurden Zwangsstrafen von je 5.000,-- S verhängt. Wegen fortgesetzter Säumnis verhängte das Erstgericht neuerlich Zwangsstrafen von je 15.000,-- S. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung im Einklang mit der oberstgerichtlichen Judikatur und wies die Anregungen, beim Europäischen Gerichtshof eine Vorabentscheidung einzuholen und beim Verfassungsgerichtshof ein Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten, zurück.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Gesellschaft ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Soweit sich der Revisionsrekurs gegen die Zurückweisung der Anträge auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens bei dem EuGH und eines Gesetzesprüfungsverfahrens bei dem VfGH richtet, ist er schon deshalb nicht berechtigt, weil den Rechtsmittelwerbern kein Antragsrecht zukommt. Sie können die Einleitung dieser Verfahren nur anregen (EvBl 1999/69; 6Ob 126/00y). Im Übrigen ist das Rekursgericht nicht von der von ihm zitierten Vorjudikatur des Obersten Gerichtshofs, an der festzuhalten ist, abgewichen. In zahlreichen Vorentscheidungen wurde die Auffassung vertreten, dass die handelsrechtlichen Offenlegungsvorschriften und ihre Durchsetzung mit Zwangsstrafen, die auch repressiven Charakter haben, verfassungskonform sind und dass gegen die Umsetzung der Publizitätsrichtlinie (68/151/EWG) und der Bilanzrichtlinie (78/660 EWG) durch die österreichischen Offenlegungsvorschriften keine Bedenken bestehen. Die Richtlinien selbst wurden als vertrags- und grundrechtskonform beurteilt. Die einzig erhebliche Rechtsfrage wird im Rahmen der an den Obersten Gerichtshof gerichteten Anregung auf Einholung einer Vorabentscheidung releviert. Das Landesgericht Wels habe in einem Zwangsstrafenverfahren zur Klärung der schon angeführten Rechtsfragen ein Vorabentscheidungsverfahren eingeleitet. Bis zur Entscheidung des EuGH seien andere Zwangsstrafenverfahren auszusetzen. Zu dieser noch nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragenen Frage einer allfälligen Unterbrechungspflicht ist Folgendes auszuführen:

§ 90a GOG erlaubt einem Gericht, das beim EuGH einen Antrag auf Fällung einer Vorabentscheidung gestellt hat, bis zum Einlangen der Vorabentscheidung nur solche Handlungen oder Entscheidungen, die durch die Vorabentscheidung nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten. Das Gesetz verbietet also nur dem anfragenden Gericht eine Sachentscheidung. Die Rechtsansicht der Revisionsrekurswerber führte dazu, schon der Anfrage des nationalen Gerichts die Präjudiz- und Bindungswirkung zuzuerkennen, die erst der Entscheidung des EuGH zukommt. Ein solches Ergebnis entbehrt der rechtlichen Grundlage und könnte auch nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz gerechtfertigt werden. Auch die grundsätzlich gegebene Rückwirkung einer Vorabentscheidung des EuGH führt zu keiner anderen Beurteilung. Der EuGH entscheidet im Vorabentscheidungsverfahren über die Gültigkeit oder die Auslegung von Gemeinschaftsrecht. Sein Urteil bindet das nationale Vorlagegericht. Es entfaltet aber über den Ausgangsrechtsstreit hinaus eine rechtliche Bindungswirkung dahin, dass alle Gerichte der Mitgliedsstaaten die vom EuGH vorgenommene Auslegung oder seine Feststellung der Ungültigkeit eines Gemeinschaftsrechtsaktes zu beachten haben (Niedermühlbichler, Verfahren vor dem EuG und EuGH Rz 298). Das Gemeinschaftsrecht sieht zwar keine formelle "erga omnes Wirkung" der EuGH-Entscheidungen vor. Die über den konkreten Einzelfall (Anlassfall) hinausreichende Präjudizwirkung ist aber aus zahlreichen Entscheidungen des EuGH abzuleiten (Schima, Das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH 80 mwN; Dauses, Handbuch des Eu-Wirtschaftsrechtes Rz 137; Hakenberg/Stix-Hackl, Handbuch zum Verfahren vor dem EuGH2 64). Vorabentscheidungen des EuGH haben grundsätzlich die zeitliche Wirkung ex tunc (Dauses aaO Rz 127; Hakenberg aaO; Schima aaO 83; Niedermühlbichler aaO Rz 299), es sei denn, der EuGH beschränkt in seinem Spruch die zeitliche Zurückwirkung.

Die rekurrierenden Geschäftsführer leiten aus der dargestellten über den Ausgangsfall hinausgehenden faktischen Bindung aller Gerichte an Vorabentscheidungen des EuGH ("erga omnes Effekt") eine Verpflichtung der Gerichte ab, ihr Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH im gleichgelagerten, schon anhängigen Vorabentscheidungsverfahren zu unterbrechen. Dazu führen sie den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz ins Treffen. Es dürfe nicht sein, dass nur die im Sprengel des den EuGH anrufenden Landesgerichts Wels ansässigen Unternehmen von der Unterbrechung ihres Zwangsstrafenverfahrens profitierten, andere Unternehmen aber der Offenlegungspflicht nachkommen müssten. Mit diesen Rekursausführungen wird das Ergebnis angestrebt, dass schon das Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen Gerichts alle übrigen Gerichte dahin binde, sich der Rechtsansicht des Anfragegerichtes anzuschließen, also selbst eine Anfrage an den EuGH zu richten, jedenfalls aber keine meritorische Entscheidung zu treffen, sondern das Verfahren auszusetzen. Die von einem Höchstgericht zu lösende Rechtsfrage, ob eine Vorlagepflicht im Sinne des Art 177 EG-Vertrag (jetzt Art 234 EG) besteht, hätte dann ein untergeordnetes Gericht zumindest für die Zeit bis zur Entscheidung des EuGH bindend entschieden. Für eine derart weitreichende Unterbrechungswirkung fehlt jede Rechtsgrundlage im Gemeinschaftsrecht, in der Judikatur des EuGH und im nationalen österreichischen Recht (ebenso 6 Ob 337/00b).