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OGH vom 02.08.2012, 4Ob19/12s

OGH vom 02.08.2012, 4Ob19/12s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl. Ing. M***** H*****, vertreten durch die Kerres Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Mag. Helmut Rieger, Rechtsanwalt in Wien, und die Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. I***** AG, 2. I***** GmbH, beide *****, vertreten durch die Dorda Brugger Jordis Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 3. MMag. Dr. K***** P*****, vertreten durch die Brandl Talos Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 76.284,16 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 71.014,16 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 164/11m 29, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

Der Kläger erwarb über Vermittlung der Beklagten I*****- und I*****-Aktien. Am trat der Vertreter des Klägers an den Vorstand der Beklagten mit dem Ansinnen heran, die Aktien zu verkaufen. Dieser riet ihm trotz Kenntnis von für die Kursentwicklung nachteiligen Umständen und trotz Bestehens eines Interessenkonflikts der Beklagten wegen ihres (über Tochtergesellschaften gehaltenen) hohen Eigenbestands vom Verkauf ab. Der Kläger hätte, wenn er von den Befürchtungen der Beklagten oder auch nur von deren Interessenkonflikt in Kenntnis gesetzt worden wäre, alle Aktien sofort verkauft und nicht auch noch 2000 I*****- auf I*****-Aktien umgeschichtet. Hätte der Kläger seine Aktienbestände am verkauft, hätte er einen höheren Verkaufserlös erzielt als beim tatsächlich erfolgten Verkauf am .

Der Kläger macht den Differenzschaden wegen rechtswidriger Beratung geltend.

Die Beklagte bestritt die Fehlberatung.

Die Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren im Wesentlichen statt. Die Beklagte habe sich in einem Interessenkonflikt befunden, den sie hätte offenlegen müssen. Dem Kläger stehe ein Schadenersatzanspruch in Höhe der Differenz zwischen dem hypothetischen Verkaufspreis im Schädigungszeitpunkt und dem tatsächlichen Kaufpreis zu.

Die Beklagte macht in der Zulassungsbeschwerde ihrer außerordentlichen Revision geltend, das Berufungsgericht habe die künftige Entwicklung des Vermögens des Klägers bei einer Alternativveranlagung außer Betracht gelassen. Es sei festzustellen, welche Wertpapiere der Kläger im Falle der Wiederveranlagung den vereinbarten Anlagezielen entsprechend gekauft hätte. Deren Wertentwicklung wäre der Schadensberechnung zugrunde zu legen.

Rechtliche Beurteilung

Mit diesen Ausführungen zeigt die Beklagte jedoch keine erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf.

1. Der Kläger begehrt Geldersatz nach Verkauf der Papiere. Nach ständiger Rechtsprechung ist sein Schaden durch Differenzrechnung zu ermitteln, bei der der tatsächliche Vermögensstand jenem gegenüberzustellen ist, der sich bei korrekter Beratung ergeben hätte (4 Ob 62/11p; RIS-Justiz RS0108267). Der Einwand der Revision nimmt Bezug auf die jüngere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, die bei Ermittlung des Schadens auf die ohne Fehlberatung gewählte Alternativanlage abstellt, weil nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden könne, dass der Anleger bei richtiger Beratung eine völlig risikolose Veranlagung vorgenommen hätte; für die Höhe des Schadenersatzes seien daher Veräußerungserlös und Kurs der Alternativanlage entscheidend (6 Ob 231/10d; 4 Ob 28/10m). Diese Argumente treffen aber nur unter der Voraussetzung zu, dass der Kläger bei korrekter Beratung überhaupt veranlagt hätte. Mag dies auch bei einem vorgefassten Anlageentschluss regelmäßig der Fall sein, so trifft es auf die im vorliegenden Fall beabsichtigte Veräußerung der Anlage, die dann aufgrund einer mangelhaften Beratung unterblieb, nicht zu.

2. Die Frage des hypothetischen Verhaltens des Anlegers bei Vorliegen von Entscheidungsalternativen ist auf den Zeitpunkt der Anlageentscheidung zu beziehen (vgl P. Bydlinski , ÖBA 2008, 159 [168]). Es ist zu fragen, wie der Anleger bei richtiger Beratung disponiert hätte. Im gegenständlichen Fall wäre die Disposition des Klägers wie durch die Vorinstanzen festgestellt im Verkauf der Immobilienaktien gelegen. Der Kläger suchte den Geschäftsführer der Beklagten in der Absicht auf, die Anlage zu veräußern. Die schadensauslösende Pflichtwidrigkeit der Beklagten lag nicht in einer Fehlberatung anlässlich einer Anlageentscheidung, die den Kläger veranlasst hätte, ein „falsches“ statt ein „richtiges“ Wertpapier zu erwerben, sondern in der Fehlberatung anlässlich des vom Kläger beabsichtigten Verkaufs der Wertpapiere, die ihn zum Behalten derselben veranlasste. Rechtmäßiges Verhalten der Beklagten (richtige Beratung) hätte dazu geführt, dass der Kläger die gegenständlichen Immobilienaktien sofort verkauft hätte.

3. Der hier zu beurteilende Fall ist daher von jenen zu unterscheiden, die davon ausgehen, dass der Beklagte den Verkaufserlös für den Kläger wieder veranlagt hätte (vgl 4 Ob 28/10m). In diese Richtung enthält der im vorliegenden Fall festgestellte Sachverhalt keinen Hinweis. Auch die Beklagte hat in erster Instanz diesbezüglich keine konkreten Behauptungen erhoben.

4. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, das den Schaden in der Differenz zwischen dem hypothetischen Verkaufspreis zum Zeitpunkt der Fehlberatung und dem in der Folge tatsächlich erzielten Preis erblickte, ist daher nicht zu beanstanden.