OGH vom 21.10.2015, 2Ob166/15y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger sowie die Hofrätinnen Dr. E. Solé und Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach Mag. C***** R*****, verstorben am *****, zuletzt wohnhaft *****, über den Revisionsrekurs der Mag. B***** S*****, vertreten durch Diwok Hermann Petsche Rechtsanwälte LLP Co KG in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom , GZ 23 R 243/15f-50, womit der Rekurs der Einschreiterin gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Purkersdorf vom , GZ 1 A 210/13a 45, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Rechtssache an das Rekursgericht zur neuerlichen Entscheidung unter Abstandnahme vom gewählten Zurückweisungsgrund zurückverwiesen.
Text
Begründung:
Der Erblasser verstarb ohne Hinterlassung einer letztwilligen Anordnung; seine gesetzlichen Erben sind die beiden minderjährigen Kinder aus der vormaligen Lebensgemeinschaft mit der Revisionsrekurswerberin.
Im Zeitpunkt seines Todes waren der Erblasser und die Revisionsrekurswerberin Eigentümer eines Liegenschaftsanteils verbunden mit dem Wohnungseigentum an einem Wohnungseigentumsobjekt. Im Laufe des Verlassenschaftsverfahrens ordnete das Erstgericht jeweils rechtskräftig sowohl die Aufnahme des Hälftewohnungseigentums als auch der im Objekt befindlichen Fahrnisse in das Inventar an. In einem Sachverständigengutachten wurde die Eigentumswohnung mit insgesamt 145.000 EUR bewertet, der Übernahmspreis iSd § 14 Abs 2 WEG beträgt daher 72.500 EUR. Der gesamte Reinnachlass laut Inventar beläuft sich auf 735.405,08 EUR (ON 39).
Mit dem nunmehr bekämpften Beschluss trug das Erstgericht der Revisionsrekurswerberin auf, binnen vier Wochen den Übernahmspreis in Höhe des halben Verkehrswerts des Mindestanteils von 72.500 EUR zugunsten der minderjährigen Kinder sicherzustellen. Es sprach weiters aus, dass die Sicherstellung durch Hinterlegung eines Geldbetrags, aber auch durch Einverleibung eines Pfandrechts erfolgen könne. Dieser Beschluss wurde nicht begründet.
Den dagegen erhobenen Rekurs wies das Rekursgericht als unzulässig zurück. § 176 Abs 2 AußStrG sehe ein zweistufiges Vorgehen vor, nämlich zuerst eine fristgebundene Aufforderung zur Sicherheitsleistung und sodann einen unmittelbar in das Vermögen des Belasteten vollstreckbaren Beschluss des Verlassenschaftsgerichts. Der angefochtene Beschluss enthalte keine Begründung, es sei daher nicht klar zu erkennen, ob das Erstgericht damit die erste oder schon die zweite Stufe verwirklichen habe wollen. Nachdem das Erstgericht aber zwei Alternativen der Sicherheitsleistung aufzeige, gehe das Rekursgericht davon aus, dass es sich dabei um die erste Stufe habe handeln sollen.
Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zu, weil fraglich sei, ob § 176 AußStrG auch für den Fall der Sondererbfolge nach § 14 WEG zumindest analog anzuwenden sei. Der Übernahmspreis für den Liegenschaftsanteil des Verstorbenen mache nur rund ein Zehntel des Reinnachlasses aus, eine Beeinträchtigung des Pflichtteils könne daher nicht vorliegen. Die Formulierung des § 176 Abs 1 AußStrG spreche nicht ausdrücklich von Pflichtteilsansprüchen, sondern allgemein von „anderen erbrechtlichen Ansprüchen als die eines Erben“. Dies könne die sich aus der Sonderrechtsnachfolge, wie sie in § 14 WEG geregelt sei, erfließenden Ansprüche mitumfassen. Dazu fehle aber Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.
Die Revisionsrekurswerberin zitiert in der Zulassungsrüge diese Ausführungen des Rekursgerichts und vertritt inhaltlich die Ansicht, dass § 176 AußStrG in der hier vorliegenden Konstellation nicht anzuwenden sei. Eine Gesetzeslücke bestehe nicht, den minderjährigen Erben stehe kein Recht auf Sicherstellung eines etwaigen Anspruchs auf Zahlung des Übernahmspreises zu.
Überdies wird vorgebracht, dass mit dem erstinstanzlichen Beschluss ausdrücklich „aufgetragen“ werde, eine Sicherheitsleistung zu erlegen. Es liege daher Beschwer vor. Dass es sich bei dem Beschluss des Erstgerichts eventuell (noch) um keinen Beschluss, sondern eine reine Mitteilung gehandelt habe, sei eine reine Vermutung des Rekursgerichts.
Eine Revisionsrekursbeantwortung wurde nicht erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig , weil dem Rekursgericht in der Frage, ob es sich beim erstinstanzlichen Vorgehen um einen (selbstständig anfechtbaren) Beschluss handelt, eine aufgreifenswerte Fehlbeurteilung unterlaufen ist; sie ist im Sinne eines in jedem Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrags (7 Ob 269/08x SZ 2009/40; 5 Ob 234/10p SZ 2011/66) auch berechtigt .
1. Grundsätzlich sind nur solche Gerichtsakte anfechtbar, die eine Anordnungs oder Regelungsabsicht enthalten und auf die Erzeugung von Rechtswirkungen gerichtet sind, und daher nicht bloße Ankündigungen, Belehrungen oder Mitteilungen, die noch nicht in die Rechtsstellung des Adressaten eingreifen, etwa die Androhung eines Zwangsmittels oder einer Ordnungsstrafe ( G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 45 Rz 5 und 57). Aufträge, deren Missachtung erst in einer späteren Verfügung Rechtswirkungen zeitigen können, sind kein taugliches Objekt der Anfechtung (RIS Justiz RS0006327 [T4]).
Die Anfechtbarkeit ist nach dem Gesichtspunkt der Beeinträchtigung rechtlicher Interessen zu beurteilen. Bei dieser Prüfung ist kein kleinlicher Maßstab anzulegen (RIS Justiz RS0006327). Die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist mangels ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung nur dort abzulehnen, wo die Rechtsstellung des Beteiligten nicht gefährdet ist (RIS Justiz RS0006327 [T9]).
An dieser Rechtsprechung hat auch das Inkrafttreten des neuen Außerstreitgesetzes nichts geändert (RIS Justiz RS0006327 [T18]).
Mit der hier zu beurteilenden Entscheidung hat das Erstgericht in Beschlussform der Revisionsrekurswerberin aufgetragen, den Übernahmspreis sicherzustellen.
Einem gerichtlichen Auftrag, ein bestimmtes Verhalten zu setzen, ist aber grundsätzlich Anordnungs- und Regelungsabsicht zu unterstellen. Das reine Erscheinungsbild der erstinstanzlichen Entscheidung entspricht daher einem Beschluss. Eine Begründung, aus der sich allenfalls das Gegenteil erschließen könnte, ist nicht vorhanden. Es muss daher von einem Gerichtsakt mit Anordnungs und Regelungsabsicht ausgegangen werden, der insoweit die Revisionsrekurswerberin grundsätzlich beschwert.
2. Gemäß § 45 AußStrG sind Beschlüsse des Gerichts erster Instanz mit Rekurs anzufechten. Verfahrensleitende Beschlüsse sind aber, soweit nicht ihre selbstständige Anfechtung angeordnet ist, nur mit Rekurs gegen die Endentscheidung über die Sache anfechtbar. Dies bedeutet allgemein, dass der Rekurs stets zulässig ist, soweit er nicht ausnahmsweise ausgeschlossen ist ( G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 45 Rz 2).
Die Sachentscheidung im Verlassenschafts-verfahren ist im Regelfall die Einantwortung. Alle im Zuge des dieser Entscheidung vorgelagerten Verfahrens ergehenden Entscheidungen wurden in 6 Ob 140/08v als begrifflich verfahrensleitende Entscheidungen, die nur nach Maßgabe des § 45 AußStrG angefochten werden können, bezeichnet. Allerdings gibt es auch während des Verlassenschaftsverfahrens Beschlüsse, die eine gesonderte Anfechtbarkeit rechtfertigen, wie etwa jener auf Nachlassseperation oder die Genehmigung der Veräußerung von Gegenständen aus der Verlassenschaft oder der Beschluss über die Errichtung eines Inventars (2 Ob 229/09d SZ 2010/69 = RIS Justiz RS0120910 [T5]).
Überdies sind iSd § 45 AußStrG neben Beschlüssen „in der“ bzw „über die“ Sache und verfahrensleitenden Beschlüssen noch „sonstige Beschlüsse“ zu unterscheiden, zu denen Fucik/Kloiber , AußStrG § 45 Rz 2 zB solche über Prozessvoraussetzungen oder die Verfahrenshilfe zählen.
Der hier zu beurteilende Beschluss ist aber in Bezug auf die konkrete Rechtsmittelwerberin kein verfahrensleitender, letztlich zu einer Sachentscheidung führender, sondern ein für sie diese Frage abschließender, somit ein grundsätzlich anfechtbarer „sonstiger Beschluss“ iSd § 45 AußStrG.
Das Rekursgericht hat daher im vorliegenden Fall den Rekurs der Einschreiterin zu Unrecht mangels Beschwer zurückgewiesen, sodass die Entscheidung aufzuheben und dem Rekursgericht die inhaltliche Behandlung des Rechtsmittels, unter Abstandnahme vom gebrachten Zurückweisungsgrund, aufzutragen war.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:0020OB00166.15Y.1021.000