TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 17.02.2015, 4Ob187/14z

OGH vom 17.02.2015, 4Ob187/14z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** O*****, vertreten durch Mag. Markus Dörfler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Gheneff Rami Sommer Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung sowie 4.000 EUR sA (Gesamtstreitwert 36.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 32.000 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 56/14f 12, womit das Teilurteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 11 Cg 107/13t 8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das erstgerichtliche Teilurteil zu lauten hat:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, es zu unterlassen, das folgende Lichtbild vom Kläger zu veröffentlichen, sofern der Kläger erkennbar ist:

/Dokumente/Justiz/JJT_20150217_OGH0002_0040OB00187_14Z0000_000/image001.jpg

wenn nicht zeitgleich und räumlich verbunden auf den Freispruch von der Mordanklagte hingewiesen wird.

2. Die beklagte Partei ist schuldig, den klagsstattgebenden Teil des Teilurteils (ausschließlich der Kostenentscheidung) binnen 14 Tagen nach Rechtskraft auf eigene Kosten mit Fettumrandung, gesperrt gedruckter Fettdrucküberschrift 'IM NAMEN DER REPUBLIK' sowie mit gesperrt und fett gedruckten Namen der Prozessparteien, im Übrigen jedoch mit Normallettern auf der Website www.heute.at oder, sollte die genannte Internetadresse geändert werden, auf jener Website, mit der anstelle der Internetadresse www.heute.at verwendeten Internetadresse, in einem Fenster in der Größe eines Viertels der Bildschirmoberfläche, die bei Eingabe der Internetadresse www.heute.at bzw der anstelle dieser Internetseite www.heute.at eingegebenen Internetadresse in der Adresszeile des Webbrowsers unmittelbar erscheint und sich weder verkleinern lässt noch sich automatisch verkleinert, nicht in Form eines Pop Up Fensters, dauerhaft und ununterbrochen für die Dauer von 30 Tagen zu veröffentlichen.

3. Die beklagte Partei ist schuldig, den klagsstattgebenden Teil dieses Teilurteils (ausschließlich der Kostenentscheidung) binnen sechs Monaten nach Rechtskraft auf eigene Kosten mit Fettumrandung, Fettdrucküberschrift 'IM NAMEN DER REPUBLIK' sowie mit gesperrt und fett gedruckten Namen der Prozessparteien, im Übrigen jedoch mit Normallettern, im redaktionellen Teil einer Mittwochsausgabe der Tageszeitung 'Heute' im Ausmaß einer Viertelseite zu veröffentlichen.

4. Die Kostenentscheidung wird der Endentscheidung vorbehalten.“

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war des Mordversuchs angeklagt. Das beklagte Medienunternehmen berichtete am Prozesstag in seinem Printmedium hierüber und veröffentlichte dabei auch das vom Kläger beanstandete Lichtbild, das ihn im Gerichtssaal in Handschellen anlässlich seiner Vorführung durch zwei Exekutivbeamte zeigt. In dem durch das Lichtbild illustrierten Artikel wird über ein gegen den Kläger geführtes Strafverfahren wegen Mordversuchs berichtet. Der Kläger hat weder der Aufnahme des Fotos, noch dessen Veröffentlichung und schon gar nicht der Berichterstattung zugestimmt.

Bereits am Tag nach dem Erscheinen des beanstandeten Fotos mit Artikel wurde der Kläger freigesprochen. Eine Berichterstattung der Beklagten über diesen Freispruch erfolgte nicht, und zwar weder in den gedruckten Ausgaben des von der Beklagten herausgegebenen Mediums, noch in dessen Online Ausgabe, in der der Artikel samt Foto in gleicher Art wie in der Printversion veröffentlicht wurde und nach wie vor zum Abruf bereit gehalten wird.

Der Kläger begehrt, die Beklagte zur Unterlassung der Veröffentlichung des beanstandeten Lichtbilds vom Kläger zu verpflichten, sofern er auf diesem erkennbar ist; darüber hinaus erhob er ein Veröffentlichungs-und Schadenersatzbegehren. Die Bildnisveröffentlichung sei rechtswidrig, eine Abwägung der Interessen des Klägers mit dem Veröffentlichungsinteresse gehe zu seinen Gunsten aus. Der Artikel samt Bild sei noch immer online abrufbar.

Die Beklagte wendete ein, der Bericht sei wahr und sie habe weder den Identitätsschutz des Klägers noch die Unschuldsvermutung verletzt.

Das Erstgericht gab dem Unterlassungs und Veröffentlichungsbegehren mit Teilurteil statt. Die den Kläger eindeutig identifizierende Bildnisveröffentlichung habe seine Interessen verletzt, sehe man ihn doch, wie er in Handschellen zu einem Strafverfahren vorgeführt werde. Die Beklagte könne sich nicht auf ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit stützen, weil ein solches am Aussehen des Klägers nicht bestehe. Die Urteilsveröffentlichung sei zur Aufklärung des Leserpublikums erforderlich und entspreche dem Talionsprinzip.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinn der gänzlichen Abweisung des Unterlassungs und Veröffentlichungsbegehrens ab und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil die Anwendung der Leitlinien der Rechtsprechung auf den konkret zu beurteilenden Sachverhalt nicht von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung sei.

Es fehle an jenen besonderen Umständen, anhand derer dem Kläger trotz des schwerwiegenden Verdachts des mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohten versuchten Mordes nach den Wertungen des § 7a MedienG dennoch Identitätsschutz zukäme. Ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit über die Weiterungen des dem Strafprozess zugrunde liegenden Vorfalls bestehe. Im Artikel werde auch der Standpunkt des Klägers, in Notwehr gehandelt zu haben, deutlich zum Ausdruck gebracht. Eine Entwürdigung sei mit seiner Darstellung in Handschellen nicht verbunden. Letztlich sei die unterbliebene Folgeberichterstattung über den Freispruch irrelevant.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers, mit der er das Unterlassungs und Veröffentlichungsbegehren weiter verfolgt, ist im Hinblick auf das Fehlen einer Rechtsprechung zur Maßgeblichkeit einer fortdauernden Abrufbarkeit eines Artikels im Rahmen der Kriminalberichterstattung im Internet zulässig; das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

Durch § 78 UrhG soll jedermann gegen einen Missbrauch seiner Abbildung in der Öffentlichkeit, also namentlich dagegen geschützt werden, dass er durch die Verbreitung seines Bildnisses bloßgestellt, dass dadurch sein Privatleben der Öffentlichkeit Preis gegeben oder sein Bildnis auf eine Art benützt wird, die zu Missdeutungen Anlass geben kann oder entwürdigend oder herabsetzend wirkt (RIS Justiz RS0078186). Das schutzwürdige Interesse des Abgebildeten an der Verhinderung einer Verbreitung seines Bildnisses macht die Verbreitung grundsätzlich unzulässig; behauptet allerdings auch derjenige, der das Bild verbreitet, ein Interesse an dieser Verbreitung, dann müssen die beiderseitigen Interessen gegeneinander abgewogen werden. In solchen Fällen kann daher die Bildnisveröffentlichung nur durch ein im Rahmen einer Interessenabwägung gewonnenes höhergradiges Veröffentlichungsinteresse des Bildverbreiters gerechtfertigt sein (zuletzt etwa 4 Ob 3/11m mwN).

Bei der Auslegung von § 78 UrhG sind die Wertungen des § 7a MedienG zu berücksichtigen (RIS Justiz RS0122587, vgl RS0121817). Erwachsenen, die eines Verbrechens verdächtig sind oder wegen eines solchen verurteilt wurden, kommt der Identitätsschutz nach § 7a MedienG demnach nur dann zu, wenn durch die Veröffentlichung ihr Fortkommen (unter Bedachtnahme auf die Umstände der Tat sowie deren Verfolgung und Bestrafung) unverhältnismäßig beeinträchtigt werden kann. Fehlt diese Voraussetzung, dann ist nach § 7a Abs 1 MedienG wegen des Zusammenhangs des (angeblichen) Verbrechens mit dem öffentlichen Leben ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung des Bildes (und anderer Angaben zur Identität) gegeben (RIS Justiz RS0108482, vgl RS0077767). Die Auffassung, dass unter „Fortkommen“ die gesamte künftige Lebensgestaltung des Betroffenen zu verstehen sei, müsste dazu führen, dass ein Identitätsschutz umso eher zu bejahen wäre, je abstoßender und mit umso strengerer Strafe das Verbrechen bedroht ist, dessen der Betroffene verdächtigt oder deswegen er verurteilt wurde. Eine Bejahung des Identitätsschutzes bei besonders spektakulären Kapitalverbrechen steht aber in unüberbrückbarem Gegensatz zu § 7a MedienG. Diese Bestimmung zeigt, dass der Gesetzgeber bei Verbrechen Erwachsener grundsätzlich ein Informationsinteresse anerkennt und den Betroffenen nur unter bestimmten Voraussetzungen als schutzwürdig erachtet (RIS Justiz RS0111376).

Die Prüfung, ob berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden, ist darauf abzustellen, ob die geltend gemachten Interessen des Abgebildeten bei objektiver Prüfung des einzelnen Falls als schutzwürdig anzusehen sind (RIS Justiz RS0078088). Die berechtigten Interessen des Abgebildeten werden verletzt, wenn er auf erniedrigende Art abgebildet wird. Die Abbildung eines wegen Mordes Angeklagten in Handschellen muss nicht in diesem Sinn erniedrigend wirken, weil der Umstand, dass der Kläger mit Handfesseln abgebildet ist, nur den Schluss zulässt, dass das Foto noch vor Verhandlungsbeginn aufgenommen worden sein muss (RIS Justiz RS0113494, RS0109988).

Werden durch die beanstandete Bildnisveröffentlichung berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt, so ist der Einwand der Beklagten zu untersuchen, ob ihr Interesse an der Bildnisveröffentlichung überwiegt (RIS Justiz RS0077224). Die Interessenabwägung zwischen dem Persönlichkeitsschutz des Abgebildeten und dem Veröffentlichungsinteresse des Mediums als Ausfluss der freien Meinungsäußerung fällt bei einem im Kern wahren Sachverhalt gewöhnlich zugunsten des Mediums aus (RIS Justiz RS0122489). Ein Bildbericht über einen erweislich wahren Sachverhalt ist auch dann zulässig, wenn er für den Betroffenen nachteilig, bloßstellend oder herabsetzend wirkt (RIS Justiz RS0112084).

In die Interessenabwägung können nur Umstände einbezogen werden, die bereits im Zeitpunkt der Bildnisveröffentlichung vorgelegen sind. Ein der Bildnisveröffentlichung nachfolgender Freispruch des Betroffenen kann daher nicht berücksichtigt werden (4 Ob 110/00f). Das Berufungsgericht hat daher mit Blick auf die beanstandete Veröffentlichung der Abbildung des Klägers im Printmedium der Beklagten zu Recht auf den Zeitpunkt der Bildnisveröffentlichung am zweiten Verhandlungstag abgestellt, als der Kläger des versuchten Mordes angeklagt und die Strafverhandlung darüber anhängig war, der Ausgang des Verfahrens aber noch nicht feststand. Insoweit ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Interessenabwägung, die zu einem Überwiegen des Veröffentlichungsinteresses führte, nicht zu beanstanden und wäre das auf die Veröffentlichung der Abbildung des Klägers in Printmedium der Beklagten gestützte Unterlassungsbegehren des Klägers daher tatsächlich unberechtigt.

Die Besonderheit des vorliegenden Falls liegt allerdings darin, dass die beanstandete Abbildung des Klägers auch in der Online Ausgabe des Mediums der Beklagten veröffentlicht wurde und der Bericht im Online Archiv der Beklagten (zumindest bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Verfahren erster Instanz) weiter zum Abruf bereit gehalten wird. Das passive Bereithalten von Berichten in Online Archiven ist noch immer als Veröffentlichung zu werten, zumal jedermann zu diesem Online Archiv Zugang hat, sofern er in der Lage ist, sich des Internets zu bedienen. Dies trifft auf einen stetig größer werdenden Anteil der Gesamtbevölkerung zu.

Der Kläger wies schon in der Klage darauf hin (und wiederholte dies in seiner Berufungsbeantwortung), dass die beanstandete Abbildung samt Berichterstattung über die Mordanklage sowohl in der Papierausgabe als auch online im Rahmen der Medien der Beklagten veröffentlicht wurde und noch immer online abrufbar sei. Die über den Online Artikel Auskunft gebende Urkunde legte der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren vor, die Beklagte gestand deren Echtheit und Richtigkeit zu. Um die Berechtigung der vom Kläger erhobenen Begehren abschließend beurteilen zu können, ist daher zu klären, ob durch die fortdauernde Bildnisveröffentlichung durch Bereithalten des beanstandeten Artikels im Online Archiv der Beklagten nach wie vor berechtigte Interessen des Klägers verletzt werden und ob dies bejahendenfalls durch ein überwiegendes Veröffentlichungsinteresse der Beklagten aufgewogen werden kann. Diese Frage ist in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs noch nicht beantwortet worden.

In Deutschland wird es grundsätzlich als zulässig erachtet, Berichte mit Bildnissen, die zum Zeitpunkt ihrer ursprünglichen Veröffentlichung zulässig waren, bei heutiger Interessenabwägung jedoch nicht erneut veröffentlicht werden dürften, in einem Online Archiv dauerhaft zum Abruf vorzuhalten ( Engels in Ahlberg/Götting , Beck'scher Online Kommentar zum Urheberrecht, § 23 Rn 9).

Dem Vorhalten von bebilderten Beiträgen im Internet stehe jedenfalls dann das Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten nicht entgegen, wenn aus der Art und Weise, wie sie bereitgehalten werden, nur eine geringe Breitenwirkung folge, sie eindeutig als Altmeldungen erkennbar seien und die Bilder allein das damalige Aussehen des Straftäters illustrierten. Es bestehe ein anerkennenswertes Interesse der Öffentlichkeit nicht nur an aktuellen Informationen, sondern auch an der Möglichkeit, vergangene zeitgeschichtliche Ereignisse zu recherchieren, sodass die Medien auch durch das Vorhalten von Beiträgen ihre Aufgabe, an der demokratischen Willensbildung mitzuwirken, erfüllten. Durch ein Verbot der Archivierung von Berichterstattung würde nicht nur Geschichte getilgt, sondern vor allem der Gebrauch der Medienfreiheit unzulässig eingeschränkt. Das Bestehen einer Pflicht zur laufenden Kontrolle der persönlichkeitsrechtlichen Zulässigkeit von Altmeldungen würde wegen des damit verbundenen Aufwands dazu führen, dass die Verlage entweder ganz von einer Archivierung absehen oder bereits bei der Erstveröffentlichung bestimmte Informationen ausklammern würden, die das weitere Vorhalten des Beitrags später rechtswidrig werden lassen könnten, an deren Mitteilung die Öffentlichkeit aber im Zeitpunkt der erstmaligen Berichterstattung ein schützenswertes Interesse habe (BGH VI ZR 243/08, Rn 23 ff; VI ZR 330/11, Rn 17 ff; VI ZR 4/12, Rn 22 ff; Engels aaO; Wandtke/Bullinger , KunstUrHG § 23 Rn 22).

Ein passives zum Abrufen Bereithalten von bebilderten Altberichten über Straftäter wird in Deutschland demnach als zulässig angesehen, sofern das Archiv der Dokumentation historischer und kultureller Ereignisse dient. Insoweit bestehe auch keine Prüfungspflicht, Archive in regelmäßigen Abständen durchzusehen und seinerzeit zulässige Berichterstattungen aufgrund des Anonymitätsinteresses ehemaliger Straftäter zu sperren ( Dreier/Specht in Dreier/Schulze 4 , UrhG,§ 23 Rn 17 mwN zur Rsp). Hinzu komme, dass die Abrufzahlen archivierter Artikel so gering seien, dass das Anonymitätsinteresse der Betroffenen durch die fortdauernde Abrufbarkeit nur marginal betroffen sei ( Wandtke/Bullinger aaO). Zu VI ZR 4/12 hielt der Bundesgerichtshof an seiner bisherigen Rechtsprechung zur Zulässigkeit des Bereithaltens eines Beitrags in dem für Altmeldungen vorgesehenen Teil eines Online Archivs fest. Dieser Fall unterschied sich allerdings von dem hier zu beurteilenden dadurch, dass die dort Beklagte dem Bericht über ein gegen eine bestimmte Person geführtes Strafverfahren einen Nachtrag beigefügt hatte, in dem auf die Einstellung des Verfahrens hingewiesen wurde.

Das unveränderte Bereithalten einer Berichterstattung über einen erkennbar nicht abgeschlossenen Vorgang dort ein nicht abgeschlossenes Ermittlungsverfahren in einem Online Archiv wurde aber dann als unrechtmäßig erkannt, wenn sich die Tatsachen, über die berichtet wurden, als überholt erweisen, das Ermittlungsverfahren etwa eingestellt wurde. Für die Rechtmäßigkeit der Berichterstattung sei es dann notwendig, dass sie um die neuen Tatsachen ergänzt werde (OLG Düsseldorf I 15 U 79/10, MMR 2011, 554).

Die bisherige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den Verfahrensausgang betraf lediglich den Zeitpunkt der ursprünglichen Berichterstattung, zu dem das Ergebnis des Verfahrens noch offen war und daher keine unzulässige Persönlichkeitsrechtsverletzung begründete. Ob die mit der Bildnisveröffentlichung verbundene Preisgabe der Identität des Betroffenen dessen Fortkommen unverhältnismäßig beeinträchtigt und damit dessen berechtigte Interessen verletzt, ist nach den im Zeitpunkt der Bildnisveröffentlichung gegebenen Umständen zu beurteilen. Dabei ist auf den Verfahrensstand und die Konkretisierung des Tatverdachts, die Schwere (Strafbarkeit) der Tat, aber auch auf die Tatumstände und die berufliche und soziale Stellung des Verdächtigen Bedacht zu nehmen. Je größer der Tatverdacht, je spektakulärer die Tat, desto geringer der Schutz des Betroffenen (RIS Justiz RS0113492). In die Interessenabwägung können nur Umstände einbezogen werden, die bereits im Zeitpunkt der Bildnisveröffentlichung vorgelegen sind. Ein der Bildnisveröffentlichung nachfolgender Freispruch des Betroffenen kann daher nicht berücksichtigt werden (4 Ob 110/00f).

Im Anlassfall ist aber (auch) die Bereithaltung des seinerzeit berechtigterweise veröffentlichten Artikels samt Lichtbild (siehe oben) zu beurteilen, welche als fortdauernde Veröffentlichung anzusehen ist, zumal für jedermann bis heute (zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung im erstinstanzlichen Verfahren) der Abruf möglich ist. Seit der Veröffentlichung im Printmedium der Beklagten haben sich die Umstände aber insoweit maßgeblich geändert, als der Kläger von dem Vorwurf des versuchten Mordes rechtskräftig freigesprochen wurde. Es geht daher hier nicht nur darum, dass durch die fortlaufende Bereithaltung der seinerzeitigen Berichterstattung über eine Straftat und ihren Täter an einen historischen Sachverhalt erinnert wird, sondern dass ein die berechtigten Interessen des Klägers zweifellos verletzender inzwischen unrichtig gewordener Eindruck aufrechterhalten wird, der dem historischen Sachverhalt nicht entspricht. Dies lässt sich auch nicht mit einem Veröffentlichungsinteresse der Beklagten rechtfertigen. Dieses kann sich nur auf die Veröffentlichung eines zutreffenden historischen Sachverhalts beziehen, etwa auf die gegen den Kläger erhobene Mordanklage und den darauffolgenden Freispruch in der Hauptverhandlung, nicht aber auf einen einen gänzlich unrichtigen Eindruck hervorrufenden bloßen Teil des historischen Geschehens. Es kann hier auch nicht von einem unzumutbaren Aufwand für die Beklagte ausgegangen werden, wird ihr doch nicht auferlegt, auf unbestimmte Zeit laufend eine allfällige Rechtswidrigkeit durch geänderte Tatumstände zu überprüfen, sondern lediglich den zeitnahen Abschluss eines begonnenen Verfahrens zu beobachten (Beendigung des Strafverfahrens gegen den Kläger durch Freispruch am Folgetag der Veröffentlichung im Printmedium).

Diese Erwägungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die fortdauernde Bereithaltung der Bildberichterstattung über eine gegen den Kläger erhobene Mordanklage im Online Archiv des Mediums, in dem dieser Bericht in der Druck und der Online Ausgabe erschienen ist, über den Zeitpunkt der Beendigung des Strafverfahrens hinaus, ist nur dann durch das Veröffentlichungsinteresse im Sinn der Meinungs und Medienfreiheit gerechtfertigt, wenn zugleich und räumlich verbunden auf den Freispruch von der Mordanklage hingewiesen wird.

Da die Beklagte den Bildbericht über die gegen den Kläger erhobene Mordanklage und die Eröffnung der Hauptverhandlung darüber fortdauernd zum Abruf bereit hält, ohne gleichzeitig und räumlich verbunden auf den in der fortgesetzten Hauptverhandlung erfolgten Freispruch des Klägers hinzuweisen, erweist sich das auf § 81 UrhG gestützte klägerische Unterlassungsbegehren in der vom Gericht im Sinn des klägerischen Vorbringens zu präzisierenden Fassung (RIS Justiz RS0039357, RS0041254) als berechtigt. Gemäß § 85 Abs 1 UrhG war dem Kläger auch die begehrte Urteilsveröffentlichung zuzusprechen, weil diese Veröffentlichung ein geeignetes Mittel zur Beseitigung der Nachteile ist, die die unberechtigte Bereithaltung des beanstandeten Bildberichts im Online Archiv der Beklagten für den Kläger mit sich gebracht hat oder noch mit sich bringen könnte (RIS Justiz RS0077338, RS0077305).

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 52 ZPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:0040OB00187.14Z.0217.000