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OGH vom 20.10.2005, 3Ob210/05m

OGH vom 20.10.2005, 3Ob210/05m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer, Dr. Zechner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Clara G*****, geboren am und des mj. Elia G*****, geboren am , infolge Revisionsrekurses der Mutter Mag. Nina L*****, vertreten durch Dr. Helene Klaar, Mag. Norbert Marschall Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 42 R 639/04p-69, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 3 P 205/04a-22, abgeändert wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung über den Rekurs des Vaters nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

Gegenstand des Verfahrens ist der Antrag des italienischen Vaters auf Rückführung der noch nicht sechzehnjährigen Kinder, die von ihrer österr. Mutter nach Österreich verbracht wurden, an ihren Aufenthaltsort in Italien. Die Kinder sind österreichische und italienische Staatsangehörige. Ihre Eltern lebten bis in einem - im Eigentum der Mutter stehenden - Einfamilienhaus bei Padua in Lebensgemeinschaft.

Das Erstgericht wies den Rückführungsantrag ab.

Nachdem der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom , AZ 3 Ob 89/05t, den abändernden Beschluss des Gerichts zweiter Instanz aufgehoben hatte, gab dieses Gericht mit der nunmehr angefochtenen Entscheidung dem Rekurs des Vaters teilweise Folge und änderte die erstinstanzliche Entscheidung dahin ab, dass es der Mutter die Rückführung der Kinder nach Italien auftrug.

Das Rekursgericht ergänzte das Beweisverfahren durch Einvernahme der Eltern. Im Zusammenhang mit den vorgelegten Urkunden gelangte es zum Ergebnis, es könne nicht festgestellt werden, der Vater habe den künftigen Aufenthalt der Kinder mit der Mutter in Österreich genehmigt.

Nach Auffassung des Rekursgerichts erübrige sich die Einvernahme weiterer von der Mutter in der Tagsatzung zur mündlichen Rekursverhandlung stellig gemachter Zeugen, weil sich weder aus der Aussage der Mutter selbst noch aus den übrigen vorgelegten Urkunden eine solche Genehmigung ergebe.

Im Zusammenhang mit dem Rückführungshindernis einer schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für die Kinder nach Art 13 Abs 1 lit b HKÜ führte das Rekursgericht aus, der Vater habe in der Rekursverhandlung vom seine vorangehende Erklärung dahin präzisiert, dass er das Haus der Mutter nicht mehr betreten werde, außer wenn es sie ihm gestatte; das Besuchsrecht solle in der Form ausgeübt werden, dass die Kinder vor dem Tor übergeben würden. Er habe auch erklärt, sich an dieser Adresse abzumelden und habe auch tatsächlich per am Meldeamt der Gemeinde einen offiziellen Antrag auf Änderung seines Hauptwohnsitzes eingereicht. Er habe sich zwar am in diesem Haus aufgehalten, wobei dahingestellt bleiben könne, warum dies der Fall gewesen sei. Die Mutter habe am genannten Tag - offenbar um eine Konfliktsituation zu vermeiden - gemeinsam mit ihrer Mutter das Haus wieder verlassen. Die schon im ersten Rechtsgang gegebene Zusage des Vaters sei nur für den Fall gegeben worden, dass die Mutter mit den Kindern zurückkehre, was bisher nicht eingetreten sei. Aus dem in der Rekursverhandlung vorgelegten Schreiben eines italienischen Rechtsanwalts ergebe sich nicht die Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung der Mutter für den Fall ihrer Rückkehr in Italien.

In rechtlicher Hinsicht verneinte demnach das Rekursgericht ein Rückführungshindernis nach Art 13 Abs 1 lit b HKÜ. Diese Bestimmung sei restriktiv zu interpretieren. Es ergebe sich aus dem ergänzend festgestellten Sachverhalt, dass es der Mutter nach den im Einzelfall gegebenen Umständen sehr wohl zumutbar sei, mit den Kindern gemeinsam nach Italien zurückzukehren; da nach wie vor davon auszugehen sei, dass eine Trennung der Kinder von der Mutter einen solchen Trennungsschock ergeben würde, dass sie zu einer schweren Traumatisierung der Kinder führen könnte, komme weiterhin eine Trennung von Mutter und Kindern aus der Sicht des Kindeswohls nicht in Frage. Es werde daher die Rückführung der Kinder an den bisherigen gemeinsamen Aufenthaltsort in Begleitung der Mutter angeordnet. Es scheine nunmehr ausreichend sichergestellt, dass die Mutter der Belastungssituation, mit dem bisherigen Lebensgefährten in einer konfliktreichen Situation wieder unter einem Dach zu wohnen müssen, nicht mehr ausgesetzt sein werde. Sollte der Vater seine Zusagen nicht einhalten und die Mutter bedrohen oder ihr sonst irgendwie Angst einjagen, werde sie sich auch in Italien gegen dessen Eindringen in das Haus wehren können. Die im ersten Rechtsgang beigefügte Bedingung einer Übergabe der Schlüssel sei nicht mehr notwendig gewesen und habe auch nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu entfallen. Sie sei nunmehr durch die Übergabe der Schlüssel ersetzt und durch die Erklärungen des Vaters in der letzten Rekursverhandlung verstärkt worden, sodass sich die Mutter nun auf die alleinige Verfügung über ihr Haus berufen und daher auch auf den Rückzug mit den Kindern vorbereiten könne.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei; die offenen Rechtsfragen seien durch den Obersten Gerichtshof bereits gelöst worden und das Rekursgericht habe sich an der zitierten Rsp desselben orientiert.

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter ist zulässig, weil das Rekursgericht von der aufhebenden Entscheidung im ersten Rechtsgang abwich und dies aus Gründen der Rechtssicherheit eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 14 Abs 1 AußStrG 1854 aufwirft.

Der Oberste Gerichtshof stellte dem Vater die Beantwortung des außerordentlichen Revisionsrekurses frei; mangels Vorlage durch das Erstgericht war ihm nämlich im Zeitpunkt der Freistellung nicht bekannt, dass der Vater ohnehin bereits von sich aus eine an das Erstgericht gerichtete Revisionsbeantwortung eingebracht hatte. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, wäre die nunmehrige Vorlage der bereits eingebrachten Revisionsrekursbeantwortung innerhalb der gesetzten Frist erfolgt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist auch iSd hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

a) Die im Revisionsrekurs geltend gemachten Aktenwidrigkeiten liegen nicht vor.

Zwar ist es richtig, dass im Betreff der Beilage ./11 von einem strafrechtlichen Verfahren wegen „Entführung von Minderjährigen" die Rede ist. Wenn nun das Gericht zweiter Instanz vermeint, daraus ergebe sich nicht die Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung der Mutter für den Fall ihrer Rückkehr nach Italien, dann liegt nicht iSd Rechtsprechung die unrichtige Wiedergabe dieser Urkunde (Zechner in Fasching/Konecny2 § 503 ZPO Rz 169 mwN), sondern allenfalls eine unrichtige Auslegung dieser Urkunde vor, wobei es sich nach einhelliger Meinung um eine rechtliche Beurteilung handelt (Nachweise bei Zechner aaO Rz 218). Keineswegs aktenwidrig kann auch die ergänzende Feststellung sein, wonach sich die Mutter zusammen mit deren Mutter am ihr Haus wegen der Anwesenheit des Vaters wieder verlassen hätte. Der bloße Widerspruch zu ihrer eigenen Aussage begründet keinesfalls eine Aktenwidrigkeit, deren Wesen im Widerspruch zwischen Akteninhalt und in der Entscheidung tragenden wesentlichen Tatsachen liegt (Zechner aaO Rz 159 mwN). Das Rekursgericht konnte sich auf die seine Feststellung sehr wohl stützende Aussage der Großmutter der beiden Kinder stützen, auf die es sich auch tatsächlich berief. Nach den Gesagten kann es noch weniger eine Aktenwidrigkeit darstellen, wenn das Rekursgericht nicht, wie nunmehr von der Mutter begehrt, Feststellungen über die Umstände der Benützung ihres Hauses durch den Vater traf. Noch weniger kann es aktenwidrig sein, wenn die zweite Instanz in Übereinstimmung mit dem Verhandlungsprotokoll (S 8 in ON 33) ausführte, die Zusage des Vaters, das früher bewohnte Haus in Italien nicht mehr zu betreten, sei unter einer Bedingung erfolgt. Auf davon abweichende Feststellungen im ersten Rechtsgang kann es somit nicht ankommen.

b) Zur Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens:

Mit Recht macht aber die Mutter geltend, dass das Rekursgericht insoweit von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abwich, als es - wenn auch nur im Rahmen der Begründung - die Rückführung der Kinder an den bisherigen Aufenthaltsort in Italien in Begleitung der Mutter anordnete. Es kann nun dahingestellt werden, ob dadurch in ihre Grundrechte eingegriffen würde; entscheidend ist, dass nach dem Aufhebungsbeschluss des erkennenden Senats AZ 3 Ob 89/05t gegen die im ersten Rechtsgang erfolgte Entscheidung insoweit keine Bedenken bestanden, als es im Ergebnis der Mutter freigestellt wurde, die Kinder nach Italien zurück zu begleiten und ihre pflegende Erziehung bis zur endgültigen Sorgerechtsentscheidung [durch ein italienisches Gericht] fortzusetzen. Auch wenn in dieser Entscheidung nur vorsichtig davon die Rede ist, das HKÜ biete „wohl" keine Grundlage dafür, dem „entführenden" Elternteil die Begleitung des Kindes an den früheren Aufenthaltsort aufzutragen, wurde die Form der Rückführung bereits im ersten Rechtsgang endgültig geklärt, weshalb es der zweiten Instanz verwehrt war, wenn auch nur in den Gründen, so doch ohne möglichen Zweifel in der angefochtenen Entscheidung zum Ausdruck zu bringen, dass es die Mutter persönlich zur Rückführung der Kinder in ihrer Begleitung verpflichten wollte. Auch wenn das AußStrG 1854 - anders als nunmehr § 71 Abs 4 AußStrG iVm § 61 AußStrG - keine ausdrückliche Anordnung enthält, dass die Vorinstanzen an die in einem Aufhebungsbeschluss geäußerte Rechtsansicht gebunden sind, hatte der Oberste Gerichtshof bereits seine eigene Bindung an die in derselben Rechtssache bereits ausgesprochene Rechtsansicht auch im Außerstreitverfahren bejaht (EFSlg 25.732). Gerade im Hinblick auf die (mit dem neuen AußStrG wiederum beendete) Gleichstellung des Revisionsrekursverfahrens nach dem AußStrG 1854 mit jenem der ZPO durch die ZVN 1989 ist aber davon auszugehen, dass ebenso wie nach § 499 Abs 2 und § 511 Abs 1 ZPO die Vorinstanzen an Rechtsansichten in Aufhebungsbeschlüssen gebunden sind. Abgesehen davon muss § 496 Abs 2 ZPO auch im Außerstreitverfahren zum Tragen kommen, weil sonst die Effizienz des Verfahrens nicht gewährleistet wäre.

Aus den nachstehenden Erwägungen ist es dem Obersten Gerichts allerdings verwehrt, lediglich klarzustellen, dass entgegen der in der Begründung der angefochten Entscheidung zum Ausdruck kommenden Auffassung des Rekursgerichts die Mutter nicht verpflichtet ist, die Kinder persönlich nach Italien zurück zu bringen. Bedauerlicherweise lässt sich ungeachtet der im Aufhebungsbeschluss dargestellten Zwecke des Verfahrens nach dem HKÜ die Aufhebung der Entscheidung des Rekursgerichts und die Zurückverweisung der Pflegschaftssache an dieses nicht vermeiden.

Zutreffend führt nämlich die Mutter als Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens ins Treffen, dass das Rekursgericht die Einvernahme der von der Mutter zur Rekursverhandlung stellig gemachten Zeugen zur Frage der konkludenten Zustimmung des Vaters zum Verbleib der Kinder in Österreich ablehnte. Im Ergebnis ist nämlich der zweiten Instanz eine - jedenfalls unzulässige - vorgreifende Beweiswürdigung vorzuwerfen, wenn dieses mit der Begründung, dass ihrer Ansicht nach eine derartige Zustimmung nicht einmal aus der Aussage der Mutter selbst ableitbar sei, diese Einvernahme ablehnte. Schließlich läuft die Argumentation der zweiten Instanz darauf hinaus, die beantragten Zeugen als unglaubwürdig zu beurteilen, ohne dass diese gehört werden wären. Dies ist aber das Wesen einer vorgreifenden Beweiswürdigung (8 Ob 49/80; RIS-Justiz RS0043308; Rechberger in Fasching/Konecny², § 272 ZPO Rz 10). Dieser Verfahrensmangel führt jedenfalls zur Aufhebung der Entscheidung zweiter Instanz. Diese wird bei der zu wiederholenden Rekursverhandlung die beantragten Zeugen einzuvernehmen und danach die Beweise insgesamt neu zu würdigen haben.

Was die im Revisionsrekurs enthaltenen Neuerungen angeht, ist zu deren Zulässigkeit bereits im Aufhebungsbeschluss AZ 3 Ob 89/05t Stellung genommen worden. Ein Eingehen darauf erübrigt sich im vorliegenden Verfahrensstadium, weil, wie bereits dargestellt, die zweitinstanzliche Entscheidung ohnehin aufzuheben ist.

c) Zur Rechtsrüge:

c1): Zwar lässt sich der angefochtenen Entscheidung nicht entnehmen, dass das Rekursgericht der Ansicht gewesen wäre, die VO EG Nr. 2201/2003 des Rates vom über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und im Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung wäre auf die vorliegende Entscheidung anzuwenden. Dies ist auch nicht der Fall. Nach ihrem Art 72 trat die Verordnung mit in Kraft und galt ab mit Ausnahme der Art 67 bis 70, die schon ab dem gelten. Nach Art 64 der VO gilt diese (soweit hier von Bedeutung) nur für gerichtliche Verfahren, die nach Beginn der Anwendung derselben eingeleitet wurden. Da das vorliegende Verfahren bereits im Jahr 2004 eingeleitet wurde, trifft dies nicht zu. Über die allfällige Vollstreckung ist hier nicht zu befinden.

Unerfindlich bleibt, weshalb auf die privatrechtliche Frage des Vorliegens einer solchen Genehmigung der Verbringung der Kinder durch den Vater nach § 13 Abs 1 lit a HKÜ die für Völkerrecht geltende Wiener Konvention über das Recht der Verträge vom (BGBl 1980/40) anzuwenden sein sollte.

c2): Nicht gefolgt werden kann der Mutter, wenn sie vermeint, es liege das Rückführungshindernis des Art 13 Abs 1 lit b HKÜ schon deshalb vor, weil sie, wie ohnedies bereits im Aufhebungsbeschluss aufgeführt, nicht persönlich zur Rückführung der Kinder gezwungen werden kann. Zwar geht es nicht an, dass die Mutter, die für die Wahrung des Kindeswohls kämpft, ohne hinreichende Begründung iS einer Unzumutbarkeit die Begleitung der Kinder verweigert. Insofern ist der zweiten Instanz durchaus zuzustimmen. Eine endgültige Beurteilung der Frage der Zumutbarkeit durch den Obersten Gerichtshof ist aber nicht angezeigt, weil diese von den Umständen des Einzelfalls abhängt und derzeit noch nicht gesagt werden kann, welche Feststellungen die zweite Instanz als letzte Tatsacheninstanz letztlich im fortzusetzenden Verfahren treffen wird. Aus demselben Grund ist derzeit nicht zu erörtern, ob und wie der Vater der Kinder für den Fall, dass die Mutter die Kinder tatsächlich nicht begleiten sollte, deren Betreuung leisten kann. Dasselbe gilt auch für die Frage der Auslegung der zur Frage der Genehmigung der Verbringung der Kinder durch den Vater von der Mutter vorgelegten Urkunden.

Soweit die Mutter den Verweis des Rekursgerichts auf eine zweitinstanzliche deutsche Entscheidung kritisiert, ist zu sagen, dass nach den Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung das Gericht zweiter Instanz im vorliegenden Fall ohnehin nicht davon ausging, eine Genehmigung iSd Art 13 Abs 1 HKÜ bedürfe der Schriftform oder zumindest der Vorlage dokumentarischen Materials. Schließlich wird in der Folge auch eine stillschweigende Willenserklärung für möglich angesehen. Auf die Richtigkeit dieser deutschen Rechtsansicht ist daher nicht weiter einzugehen.

Reine Spekulation und daher nicht weiter zu berücksichtigen ist die Erwägung, entgegen der Ansicht der zweiten Instanz sei nicht klar, dass eine Obsorgeentscheidung in Italien in nächster Zeit zu erwarten sei und ein unerwünschter Pingpongeffekt zu befürchten sei. Dabei geht die Mutter zum einen davon aus, dass, was - wie im Aufhebungsbeschluss dargelegt - nicht der Fall ist, die Rückführung der Kinder nach Italien die Übergabe an den Vater bedeuten müsse, und überdies von der derzeit nicht belegten Vermutung, die Obsorgeentscheidung in Italien würde zugunsten der Mutter ausfallen.

Da, wie bereits einleitend ausgeführt, eine Verpflichtung der Mutter zur persönlichen Rückführung der Kinder nicht besteht, kommt es auch nicht darauf an, ob der Mutter allenfalls bei Verurteilung wegen Kindesentführung eine Haftstrafe drohen würde. Würde dies allein ein Rückführungshindernis darstellen, könnte das HKÜ im Verhältnis zu Ländern, die Freiheitsstrafen für derartige Entführungsfälle vorsehen, überhaupt nie zur Anwendung kommen (vgl. dazu Siehr, Desavouierung des Haager Kindesentführungsübereinkommens, IPRax 2002, 119; Winkler von Mohrenfels, IPRax 2002, 372 [Replik]). Das widerspräche den Sinn und Zweck des Übereinkommens.

Ebenfalls dem Revisionsrekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung ist - wie im Rechtsmittel zutreffend dargestellt wird - die Behauptung mangelnder Tatsachenfeststellungen zu unterstellen.

Soweit Feststellungen dazu vermisst werden, aus welchem Grund der Vater am im Haus der Mutter in Italien aufhielt, ist auf das bereits zum Vorliegen einer bloß bedingten Zusage dieses Haus nicht zu betreten, Gesagte hinzuweisen. Deshalb liegt der gerügte Feststellungsmangel liegt nicht vor.

Es steht fest, dass der Vater erst per beim zuständigen Meldeamt einen offiziellen Antrag auf Änderung seines Hauptwohnsitzes einreichte. Daraus folgt, dass er eine Abmeldung davor unterließ. Schon deshalb kann in diesem Zusammenhang kein Feststellungsmangel erkannt werden. Ob er damit gegen das italienische Meldegesetz verstieß, ist für die vorliegende Entscheidung ohne jede Bedeutung. Warum das nicht so sein sollte, lässt sich aus den Revisionsrekursausführungen nicht entnehmen. Soweit als Neuerung vorgebracht wird, der Vater sei nach wie vor im Haus der Mutter gemeldet, liegt dagegen eine Neuerung vor, deren Relevanz allerdings nicht ersichtlich ist. Wäre nämlich dieser Umstand auf eine Säumigkeit der zuständigen italienischen Behörde zurückzuführen, läge kein Umstand vor, der für das Wohl der Kinder oder für die Frage der Zumutbarkeit der Rückkehr der Mutter mit diesen nach Italien von Bedeutung wäre. Anders wäre es nur, hätte der Vater allenfalls seinen dokumentierten Antrag wiederum zurückgezogen, was aber gar nicht behauptet wird.

c3): Anders liegt die Sache aber mit der Behauptung, dass sich nun die Kinder seit mehr als einem Jahr in Österreich aufhalten, hier sozial integriert seien, wobei das ältere Kind einen Kindergarten besuche und auch ein inniges Verhältnis zu den mütterlichen Großeltern und sonstigen Verwandten hätten, beide ausschließlich deutsch sprächen und sich nunmehr auch beim jüngeren Kind eine „Wohnidentität" gebildet habe.

Wie bereits zu 3 Ob 89/05t ausgeführt, sind Sachverhaltsänderungen nach Entscheidung erster Instanz (auch vom Obersten Gerichtshof) zu berücksichtigen, wenn dies das Interesse der pflegebefohlenen Kinder erfordert. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung dieser Gefährdung ist nämlich der Zeitpunkt der letztinstanzlichen Entscheidung. Berücksichtigt man, dass nunmehr seit dem Beschluss erster Instanz mehr als zehn Monate (bis zum a.o. Revisionsrekurs mehr als sieben Monate) vergingen, kann diesen neuen, auf ein einzuholendes kinderpsychologisches Sachverständigengutachten gestützten Behauptungen Relevanz nicht abgesprochen werden. Auch diese Neuerungen erfordern daher eine Verfahrensergänzung die aus Gründen der Beschleunigung ebenfalls durch das Gericht zweiter Instanz durchzuführen sein wird.

Zu Unrecht vermeint allerdings die Mutter, eine Rückführung der Kinder komme schon deshalb nicht mehr in Betracht, weil das Herkunftsland zufolge der sozialen Integrierung der Kinder in Österreich nicht mehr international zuständig sei, sondern die internationale Zuständigkeit auf das Zufluchtsland übergegangen sei.

Die als Beleg genannte E 4 Ob 88/98i = SZ 71/61 = ZfRV 1998/52 befasste sich mit der inländischen Gerichtsbarkeit für Obsorgeentscheidungen und den Art 16 und 17 HKÜ, sie ist somit nicht einschlägig. Zu Unrecht beruft sich die Mutter weiters auf die Entscheidung 1 Ob 220/02b = EFSlg 101.448 f. Darin ging es um die Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts in Art 3 HKÜ (also im Zeitpunkt der Entführung). Aus dieser Entscheidung ist daher für die hier zu beurteilende Frage ebenfalls nichts zu gewinnen. Bereits im Aufhebungsbeschluss AZ 3 Ob 89/05t wurde für das vorliegende Verfahren bindend klargestellt, maßgeblich sei, dass der Aufenthalt der Kinder im Entführungsstaat (hier Österreich) auch nicht von Vornherein als auf Dauer angelegt betrachtet werden kann, solange die Möglichkeit besteht, dass der (Mit-)Sorgeberechtigte die Rückführung des Minderjährigen durchsetzt, ehe die soziale Einbindung in das neue örtliche Umfeld stattfand. Gerade dies wird aufgrund der, wie dargelegt, zulässigen Neuerungen im Revisionsrekurs von der zweiten Instanz zu prüfen sein.

Diese Erwägungen müssen erneut zur Aufhebung der zweiten Instanz führen, die demnach das Verfahren wie dargestellt zu ergänzen und erneut über den Rekurs des Vaters gegen den erstinstanzlichen Beschluss zu entscheiden haben wird.