OGH vom 13.12.2012, 1Ob239/12x

OGH vom 13.12.2012, 1Ob239/12x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** M*****, vertreten durch Jazosch : Moser Rechtsanwälte GesbR in Traun, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 26.696,16 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 80/12f 17, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom , GZ 3 Cg 137/11y 9, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.283,70 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Revision ist entgegen dem nach § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

2. Sind gesetzliche Bestimmungen nicht vollkommen eindeutig, enthalten sie Unklarheiten über die Tragweite des Wortlauts und steht zudem eine höchstgerichtliche Rechtsprechung als Entscheidungshilfe nicht zur Verfügung, kommt es im Amtshaftungsverfahren darauf an, ob bei pflichtgemäßer Überlegung die getroffene Entscheidung als vertretbar bezeichnet werden kann (RIS Justiz RS0049951). Die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS Justiz RS0110837) und begründet nur bei einer gravierenden Fehlbeurteilung eine erhebliche Rechtsfrage (RIS Justiz RS0110837 [T2]). Das trifft auf die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, die das Vorliegen einer unvertretbaren Rechtsauffassung verneinte, nicht zu.

3. Nach § 43 Abs 2 StPO (idF BGBl I 2009/52) ist ein Richter unter anderem vom Hauptverfahren ausgeschlossen, wenn er an einem Urteil mitgewirkt hat, das infolge eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs aufgehoben wurde. Im Anlassverfahren war zu klären, ob dies auch für zwei Richter galt, die als Mitglieder eines Jugendschöffengerichts an der Fällung eines unangefochten in Rechtskraft erwachsenen Unzuständigkeitsurteils (§ 261 Abs 1 StPO) beteiligt gewesen waren und in derselben Strafsache als Mitglieder eines Jugendgeschworenengerichts zu entscheiden hatten.

3.1. Dass dieser Fall vom Wortlaut des § 43 Abs 2 StPO nicht erfasst wird und zum Zeitpunkt der Entscheidung im Anlassverfahren die strittige Frage noch nicht durch Judikatur des Obersten Gerichtshofs geklärt war, zieht der Revisionswerber nicht in Zweifel. Er argumentiert vielmehr mit der vom Obersten Gerichtshof in der Folge übernommenen Lehrmeinung eines Autors. Nach dieser seien Rechtsprechung und Lehre zu § 68 Abs 2 zweiter Satz StPO aF, wonach ein zu Unrecht gefälltes Unzuständigkeitsurteil keinen Ausschluss der daran beteiligten Richter für das weitere Strafverfahren bewirke, auf die neue Rechtslage nicht anwendbar. Hievon ausgehend seien aber auch Richter, die ihre Unzuständigkeit rechtskräftig ausgesprochen hätten, immer von dem vor einem Gericht höherer Ordnung zu führenden Hauptverfahren ausgeschlossen. Andernfalls würde man nämlich zu dem Wertungswiderspruch gelangen, dass etwa der ein Unzuständigkeitsurteil fällende Einzelrichter die Sachentscheidung zwar (nach Bestätigung) als Vorsitzender des Schöffensenats, nicht jedoch (nach Aufhebung) als Einzelrichter treffen dürfte.

3.2. Mit dieser Rechtsansicht setze sich zunächst ein nach § 45 StPO ergangener Beschluss des Präsidenten des Strafgerichts erster Instanz, der die Ausgeschlossenheit der betroffenen Richter verneinte, eingehend auseinander. Verwiesen wurde insbesondere auf den Wortlaut des § 43 Abs 2 StPO und auf die Materialien, nach denen die neuen Regelungen über die Befangenheit bzw Ausgeschlossenheit von Richtern keine inhaltliche Änderung, sondern eine Anpassung an die neuen Verfahrensstrukturen und eine systematische Vereinfachung angestrebt hätten. Den bestehenden Wertungswiderspruch habe die Literatur bereits vor der Novellierung der StPO aufgezeigt, der Gesetzgeber habe darauf aber nicht reagiert. Mangelhafte Gesetze seien nicht von den Gerichten zu ergänzen. Auf diese Begründung verwies der in der Hauptverhandlung vor dem Geschworenengericht gefasste Beschluss, in dem nach Rüge der unrichtigen Besetzung des Gerichts die Ausgeschlossenheit der betroffenen Richter (neuerlich) verneint wurde. Nur aus dieser zweiten Entscheidung leitet der Kläger seinen Amtshaftungsanspruch ab.

3.3. Unter gewissen Umständen kann zwar ein Amtshaftungsanspruch berechtigt sein, wenn zum Zeitpunkt einer gerichtlichen Entscheidung höchstgerichtliche Rechtsprechung als Entscheidungshilfe fehlt und das entscheidende Organ nicht auf die herrschende und wohlbegründete Lehre „zurückgreift“ (vgl RIS Justiz RS0110185). Dies trifft aber auf den hier zu beurteilenden Fall nicht zu, in dem ein Gerichtsorgan sorgfältig überlegt und darlegt, warum es eine Lehrmeinung ablehnt (vgl RIS Justiz RS0049912) und andere Gerichtsorgane in derselben Strafsache diese Rechtsansicht übernehmen.

4. Nach § 43 Abs 1 Z 3 StPO ist ein Richter vom gesamten Verfahren ausgeschlossen, wenn andere Gründe vorliegen, die geeignet sind, seine volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen. Diese Bestimmung, die die Generalklausel des § 72 Abs 1 StPO aF sinngemäß übernahm, erfasst alle Fälle der Hemmung einer unparteiischen Entscheidungsfindung durch unsachliche Motive (vgl Lässig , WK StPO § 43 Rz 9 mwN). Der Revisionswerber gesteht selbst zu, dass eine Beteiligung von Richtern an der Fällung eines Urteils im Sinn des § 43 Abs 2 StPO per se nicht notwendigerweise ihre Befangenheit begründen müsse. Auf sonstige Umstände, die objektiv die volle Unvoreingenommenheit der beiden Richter, die an der Fällung des Unzuständigkeitsurteils beteiligt gewesen waren, in Zweifel ziehen und zur Befürchtung Anlass geben sollten, diese könnten sich bei ihrer Entscheidung im Hauptverfahren von anderen als sachlichen Gründen leiten lassen (vgl RIS Justiz RS0096751 [T2]) berief er sich in seinem erstinstanzlichen Vorbringen nicht. In diesem zeigte er somit nicht auf, inwiefern den Mitgliedern des Geschworenengerichts eine unvertretbare Rechtsauffassung vorzuwerfen gewesen sei, wenn sie (auch) das Vorliegen von Ausschlussgründen im Sinn des § 43 Abs 1 Z 3 StPO verneinten.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Die beklagte Partei hat in der Revisionsbeantwortung auf die mangelnde Zulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen.