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OGH vom 20.12.2016, 4Ob184/16m

OGH vom 20.12.2016, 4Ob184/16m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin G***** E*****, vertreten durch Dr. Silvana Dorner, Rechtsanwältin in Bregenz, gegen den Beklagten K***** E*****, vertreten durch Dr. Arnulf Summer, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen einstweiligen Ehegattenunterhalts, über den Revisionsrekurs der Klägerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom , GZ 3 R 171/16v 38, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Bregenz vom , GZ 7 C 28/15x 31, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Gemäß § 94 Abs 2 ABGB leistet der Ehegatte, der den gemeinsamen Haushalt führt, dadurch seinen Beitrag zum gemeinsamen Lebenshaltungsaufwand. Er hat an den anderen einen Anspruch auf Unterhalt, wobei eigene Einkünfte angemessen zu berücksichtigen sind. Dies gilt nach der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts zugunsten des bisher Unterhaltsberechtigten weiter, sofern nicht die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs, besonders wegen der Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts geführt haben, ein Missbrauch des Rechts wäre.

1.2. Die Bestimmungen des § 94 Abs 2 erster und zweiter Satz ABGB haben das Ziel, dem den Haushalt führenden Ehegatten, der, von geringfügigen Nebenerwerbstätigkeiten abgesehen, seinen Unterhalt nicht durch die Erträgnisse einer eigenen Berufstätigkeit sichern kann, einen Unterhaltsanspruch gegen den anderen Ehegatten bei bestehender häuslicher Gemeinschaft und auch nach ihrer Auflösung – ausgenommen den Fall des Rechtsmissbrauchs – zu gewähren (RIS Justiz RS0009742).

1.3. Bei der Beurteilung, ob Rechtsmissbrauch in diesem Sinn vorliegt, sind stets die Umstände des Einzelfalls maßgeblich (RIS Justiz RS0009766 [T9]).

2.1. Im vorliegenden Verfahren wegen einstweiligen Ehegattenunterhalts haben die Vorinstanzen als bescheinigt erachtet, dass die eheliche Lebensgemeinschaft der Streitteile seit über zehn Jahren durch Auszug des Beklagten aufgehoben ist. Die Klägerin verdient monatlich netto 1.100 EUR, der Beklagte bezieht eine Invaliditätspension von etwa 840 EUR monatlich. Ihm verbleiben nach Abzug der notwendigen Ausgaben und Fixkosten monatlich etwa 100 bis 150 EUR. Der in erster Instanz unvertretene Beklagte wendete gegenüber der Unterhaltsforderung der Klägerin ein, dass er dazu nicht imstande sei und dass auch geringere als die geforderten Zahlungen fast zu seinem Verhungern führten, was als Einwand des Rechtsmissbrauchs zu werten ist.

2.2. Das Rekursgericht hat den Sicherungsantrag auf Leistung eines einstweiligen monatlichen Unterhaltsbeitrags des Beklagten an die Klägerin von 276,48 EUR abgewiesen. Da die Ehegatten bei Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs durch die Klägerin schon seit mehr als zehn Jahren getrennt gelebt hätten und die Klägerin seit der Trennung durchgehend erwerbstätig gewesen sei, sei die durch Fortdauer der Unterhaltspflicht abzusichernde Anpassungsfrist zur beruflichen Neuorientierung bereits abgelaufen. Die Klägerin habe nicht vorgebracht, den Beklagten zu irgendeinem Zeitpunkt zur Wiederaufnahme des gemeinsamen Haushalts aufgefordert zu haben; sie habe von ihm keinen Unterhalt gefordert, sondern eine Erwerbstätigkeit aufgenommen. Daraus sei der Schluss zu ziehen, dass (auch) die Klägerin mittlerweile eine Änderung des einvernehmlich gestalteten Lebenszuschnitts der Ehegatten angestrebt habe. Die Klägerin könne sich daher nicht (mehr) auf den Fortbestand einer „Hausfrauenehe“ und dementsprechend auf einen Unterhaltsanspruch nach § 94 Abs 2 zweiter Satz ABGB berufen. Den Revisionsrekurs hat das Rekursgericht zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen bei mehrjähriger Dauer der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft ein Verlust des Unterhaltsanspruchs nach § 94 Abs 2 zweiter Satz ABGB eintreten könne, zugelassen.

3.1. Der auf gänzliche Antragsstattgebung gerichtete Revisionsrekurs der Klägerin ist ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruchs des Rekursgerichts in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen im Sinn von § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig .

3.2. Die Angemessenheit des Unterhalts richtet sich nach dem einvernehmlich gestalteten Lebenszuschnitt der Eheleute (RIS Justiz RS0009710 [T1]). Wenn das Rekursgericht angesichts der über zehn Jahre bestehenden Trennung der Streitteile und der ebenso lange gegebenen unabhängigen Lebensführung, ohne gegenseitig Ansprüche zu stellen, von einem einvernehmlichen Abgehen der ursprünglich geführten „Hausfrauenehe“ ausgegangen ist, ist dies – auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation der Streitteile (die Klägerin erzielt ein um mehr als 1/3 höheres Einkommen im Verhältnis zum Beklagten) – nicht zu beanstanden und im Einzelfall jedenfalls vertretbar.

3.3. Der Revisionsrekurs der Klägerin ist somit als unzulässig zurückzuweisen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 40, 50 ZPO. Da der Beklagte auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses nicht hingewiesen hat, diente seine Revisionsrekursbeantwortung nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0040OB00184.16M.1220.000