OGH vom 27.01.2016, 7Ob231/15v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Parteien 1. D***** C*****, vertreten durch MMag. Philipp Dür, Rechtsanwalt in Wien, und 2. mj W***** C*****, vertreten durch ihre Mutter D***** C***** (erstgefährdete Partei), gegen den Gegner der gefährdeten Parteien M***** C*****, vertreten durch Dr. Florian Arnold, Rechtsanwalt in Wien, dieser vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in Wien, wegen einstweiliger Verfügung gemäß §§ 382b und 382e EO, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Gegners der gefährdeten Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 48 R 327/15s 29, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 402 Abs 4, 78 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wird gemäß §§ 508a Abs 2 Satz 2 und 521a Abs 2 ZPO abgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1.1. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es bei der Beurteilung der Unzumutbarkeit weiteren Zusammenlebens gemäß § 382b EO, was auch für das weitere Zusammentreffen gemäß § 382e EO gilt, auf das Ausmaß, die Häufigkeit und Intensität der bereits angedrohten oder gar verwirklichten Angriffe sowie bei ernst gemeinten und als solche verstandenen Drohungen auf die Wahrscheinlichkeit deren Ausführung an. Je massiver das dem Antragsgegner zur Last fallende Verhalten auf die körperliche und seelische Integrität des Opfers eingewirkt hat, je schwerer die unmittelbaren Auswirkungen und die weiteren Beeinträchtigungen des Antragsgegners sind und je häufiger es zu solchen Vorfällen gekommen ist, desto eher wird unter den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls von einer Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens auszugehen sein. Je leichtere Folgen das Verhalten des Antragsgegners gezeigt hat, je länger es ohne weitere „einschlägige“ Vorkommnisse zurückliegt und je mehr sich der Antragsgegner in der Folge bewährt hat, desto eher wird man dem betroffenen Ehegatten das weitere Zusammenleben zumuten können (7 Ob 127/13x mwN; RIS Justiz RS0110446).
Die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten einer Person unzumutbar ist, stellt grundsätzlich keine Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO dar (vgl RIS Justiz RS0123926, RS0118857).
1.2. Nach ständiger Rechtsprechung soll ein effektiver körperlicher Angriff oder die Drohung mit einem solchen die Ausweisung des Antragsgegners aus der oder ein Rückkehrverbot in die Wohnung rechtfertigen, darüber hinaus aber auch ein sonstiges Verhalten („Psychoterror“) derartige Maßnahmen ermöglichen, wenn es eine Schwere erreicht, die die strenge Maßnahme der einstweiligen Verfügung angemessen erscheinen lässt (3 Ob 198/08a, 10 Ob 7/07p mwN). Von Bedeutung ist dabei nicht ein Verhalten, welches der Durchschnittsmensch „als Psychoterror“ empfände, sondern die Wirkung eines bestimmten Verhaltens gerade auf die Psyche des Antragstellers (RIS Justiz RS0110446 [T4, T 8, T 15]). Die mit dem Gewaltschutzgesetz angestrebte „Entschärfung“ der Voraussetzungen für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung legt es nahe, bei der Prüfung der Voraussetzung der Zumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens zugunsten der Opfer von Gewalttätigkeiten im Familienkreis einen großzügigeren Maßstab anzulegen. Hat der Antragsteller eine erhebliche psychische Beeinträchtigung glaubhaft gemacht, so kann diese Verhaltensweise als Indiz für die Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens sprechen (RIS Justiz RS0110446 [T6]).
Die Gründe für die Unzumutbarkeit eines weiteren Zusammenlebens nach § 382b EO sind verschuldensunabhängig (RIS Justiz RS0110444). Die Unzumutbarkeit des weiteren Zusammenlebens geht in der Regel nicht dadurch verloren, dass der eine Teil das unzumutbare Verhalten des anderen Teils eine Zeit lang hinnimmt (RIS Justiz RS0009481).
1.3. Diese Kriterien sind auch für die Beurteilung der Unzumutbarkeit des weiteren Zusammentreffens nach § 382e EO maßgeblich (RIS Justiz RS0110446 [T16]). Während es nach § 382b EO des Nachweises eines dringenden Wohnbedürfnisses bedarf, ist nach § 382e EO demgegenüber zwingend eine Interessenabwägung vorzunehmen (RIS Justiz RS0127363 [T1]). Der Sicherungsantrag nach § 382e EO ist abzuweisen, wenn die Interessenabwägung zugunsten des Antragsgegners ausgeht, das heißt, wenn schwerwiegende Interessen des Antragsgegners entgegenstehen (vgl RIS-Justiz RS0112179 noch zur alten Rechtslage).
2.1. Die Entscheidungen der Vorinstanzen weichen von diesen Grundsätzen nicht ab. Obwohl über den Antragsgegner ein Betretungsverbot nach § 38a Abs 1 Z 1 SPG verhängt wurde, nachdem er aus Eifersucht die Erstantragstellerin beschimpft und mit dem Umbringen bedroht hatte, besserte sich die Situation nach seiner mit Zustimmung der Erstantragstellerin erfolgten Rückkehr nicht; vielmehr sprach der Antragsgegner dann auch noch Selbstmorddrohungen aus, unternahm einen Selbstmordversuch und wurde erneut weggewiesen. Vor diesem Hintergrund ist die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass den Antragstellerinnen das weitere Zusammenleben und das weitere Zusammentreffen mit dem Antragsgegner nicht zumutbar ist, im Einzelfall nicht zu beanstanden.
2.2. Besondere Interessen des Antragsgegners, die dem nach § 382e EO angeordneten Kontaktverbot sowie Aufenthaltsverbot am Arbeitsplatz der Erstantragstellerin und an der Schule der Zweitantragstellerin entgegenstehen würden, werden von ihm nicht behauptet.
3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
4. Die Revisionsrekursbeantwortung war nicht freigestellt und ist deshalb nicht zu honorieren (RIS Justiz RS0113633).
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00231.15V.0127.000