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OGH vom 16.09.2020, 6Ob144/20z

OGH vom 16.09.2020, 6Ob144/20z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K*****, vertreten durch Dr. Mario Petutschnig, Rechtsanwalt in Villach, gegen die beklagte Partei N*****, vertreten durch Mag. Robert Morianz, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Unterlassung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 207/19x-20, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Villach vom , GZ 7 C 115/19d-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 833,68 EUR (darin 138,98 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision nicht zulässig:

Das Berufungsgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob eine rufschädigende Äußerung der Mutter eines Kindes im Beisein dessen Vaters, von dem sie jedoch getrennt ist, immer noch als Äußerung im Familienkreis und damit als nicht öffentlich vorgebrachte Mitteilung im Sinn des § 1330 Abs 2 Satz 2 (gemeint: Satz 3) ABGB gewertet werden kann.

Der mittlerweile getrennten Verbindung des 1982 geboren Sohnes des Klägers (dieser geboren 1950) mit der Beklagten (geboren 1979), die seit geraumer Zeit aufgehoben ist, entstammen zwei Töchter, geboren 2011 und 2012; der Kläger ist somit deren Großvater. Er war von 1996 bis 2005 mit A*****, der Mutter seiner 1993 geborenen Stieftochter, deren Vater Al***** ist, verheiratet; diese Beziehung hatte 1994 begonnen. Die Stieftochter wiederum ist die Mutter eines behinderten Sohnes (geboren 2011), wobei als Grund für diese Behinderung – der Sohn benötigt einen Rollstuhl – Komplikationen bei der Geburt gelten, wovon sowohl der Sohn des Klägers als auch die Beklagte bereits im Jahr 2011 Kenntnis erlangt hatten; Vater dieses Kindes ist D*****.

Nachdem die Enkelinnen des Klägers auffälliges Verhalten gezeigt hatten, das in Richtung sexuellen Missbrauch gedeutet werden konnte, kam es am zu einem rund einstündigen „Blitztermin“ beim Jugendamt, an dem neben zwei Mitarbeitern des Jugendamts der Sohn des Klägers und die Beklagte sowie die Mutter der Beklagten teilnahmen. Gesprochen wurde über Auffälligkeiten im Verhalten der Kinder mit sexuellem Einschlag bzw diesbezüglichem Hintergrund, wobei es das Anliegen der Beklagten war, unbedingt abklären zu lassen, worin dieses Verhalten seine Ursache habe. Im Zuge der Schilderung der Auffälligkeiten bei den Kindern wurde von der Beklagten ein Verdacht dahin geäußert, dass hinter einem allfälligen sexuellen Missbrauch ihrer Kinder der Kläger stehen könne; in weiterer Folge warf die Beklagte dem Sohn des Klägers gegenüber die Frage auf, ob dessen Stieftochter nicht seine Halbschwester sei. Schließlich äußerte die Beklagte, ohne weiter nachzudenken und unbedacht, den Verdacht, der Kläger sei der Vater des behinderten Sohnes seiner Stieftochter, was sie unter anderem mit den Worten tat, es sei schon eigenartig, dass die Stieftochter und deren Sohn vom Kläger finanziell unterstützt würden und dass der Sohn behindert sei. All dies erwähnte sie als Puzzlesteine, die auf einen möglichen Missbrauch der Enkelinnen durch den Kläger hindeuten könnten; jedenfalls der Sohn des Klägers und eine Mitarbeiterin des Jugendamts verstanden diese Äußerungen der Beklagten als Äußerung eines Verdachts auf Inzest durch den Kläger, also dahin, dass dieser nicht nur der Vater des behinderten Kindes seiner Stieftochter sein könnte, sondern auch schon von der Stieftochter selbst, was die Behinderung ausgelöst habe.

Die Verdächtigungen wurden dem Kläger noch am selben Tag von seinem Sohn berichtet. Bis zum hatten die Vaterschaften zur Stieftochter des Klägers und zu deren behinderten Sohn nie in Zweifel gestanden.

Die Vorinstanzen untersagten der Beklagten Äußerungen dahin, der Kläger habe Geschlechtsverkehr mit seiner Stieftochter gehabt.

1.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs rechtfertigt der Schutz des Familienlebens (Art 8 Abs 1 EMRK) unbeschwerte (vertrauliche) Äußerungen innerhalb der Familie auch dann, wenn kein berechtigtes Interesse im Sinne des § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB vorliegt, zumindest wenn keine Gefahr der Weiterverbreitung durch unreife Familienmitglieder besteht (RS0102048; vgl auch RS0107767; vgl auch Kissichin Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 1330 Rz 47). Äußerungen im Familienkreis werden dabei nicht als Teil des Rechtfertigungsgrundes nach § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB gesehen, sondern als Einschränkung des Tatbestands insofern behandelt, als in diesem Fall gar kein „Verbreiten“ einer Tatsachenbehauptung vorliegt (vgl 6 Ob 249/16k).

Bei vertraulichen Äußerungen im Familienkreis gegenüber den eigenen nächsten Angehörigen muss regelmäßig nicht erwartet werden, dass sie tatsächlich in die Umwelt gelangen, wodurch das Ansehen des Beleidigten anschließend beeinträchtigt werden könnte (RS0102048 [T2]). In der Entscheidung 6 Ob 249/16k wurde allerdings klargestellt, dass, wenn die Äußerung des Beklagten nicht seinem eigenen Familienkreis, sondern der Lebensgefährtin des Beleidigten zur Kenntnis gelangt, dies für eine üble Nachrede ausreicht; die für Äußerungen im Familienkreis des Beleidigers entwickelten Grundsätze ließen sich nicht auf Äußerungen gegenüber dem Familienkreis des Beleidigten übertragen.

1.2. Zur Frage, wie weit der „Familienkreis“ in diesem Zusammenhang reicht, kann darauf verwiesen werden, dass etwa die Entscheidung 6 Ob 166/14a eine Äußerung des (dort) Beklagten gegenüber dessen Sohn betraf. In der Entscheidung 6 Ob 238/17v wurde ausgeführt, Voraussetzung für die Privilegierung im Familienkreis sei, dass ein besonderes Naheverhältnis zwischen dem Äußernden und dem Empfänger der Äußerung bestehe; in diesem Sinn wurde von der „beleidigungsfreien Intimsphäre“ gesprochen. Bereits die Entscheidung 6 Ob 37/95 hatte allerdings auf die Gefahr hingewiesen, dass etwa bei zerstrittenen Familien durchaus die Gefahr bestehe, dass die beleidigenden Äußerungen nach außen dringen.

Zu § 111 StGB wird vertreten, ehrenrührigen Äußerungen über Außenstehende „im engen Familien- oder auch Freundeskreis“ fehle die geforderte Mindestpublizität; diese Aussagen erfolgten nämlich innerhalb der „beleidigungsfreien Intim- oder Privatsphäre“, sodass etwa der innerhalb der Familie erhobene Vorwurf, „der Nachbar sei ein Lügner“, mangels nach außen wirkender Publizität straflos bleibe (Lambauerin Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Kommentar zum StGB Vorbem § 111 bis 117 StGB Rz 33). Ehrenrührige Äußerungen, die im eigenen engeren Familienkreis (etwa zwischen Ehegatten oder zwischen Eltern und deren Kindern) über Außenstehende, aber auch über andere Familienmitglieder gemacht werden, erfüllten demnach mangels der erforderlichen Publizität nicht den Tatbestand des § 111 StGB (Tipold in Leukauf/Steininger, StGB4§ 111 Rz 19; vgl auch Kienapfel/Schroll, BT I5 Vorbem § 111 ff Rz 45).

1.3. Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage ist die Beurteilung der Vorinstanzen, wonach es sich beim Sohn des Klägers nicht um einen nahen Angehörigen der Beklagten handelt, der zu ihrem Familienkreis im Sinn der Rechtsprechung gehört, weil er und die Beklagte nie verheiratet waren und die beiden „bereits seit geraumer Zeit“ getrennt leben, jedenfalls vertretbar. Von einer vertraulichen Äußerung im Familienkreis, bei der nicht angenommen werden kann, dass sie nach außen dringt, kann bei dieser Sachlage nicht gesprochen werden, steht doch der Sohn des Klägers diesem jedenfalls näher als der Beklagten (vgl 6 Ob 249/16k: Äußerungen gegenüber der Familie des Beleidigten sind nicht privilegiert). Der von der Revision relevierte strafrechtliche Angehörigenbegriff erscheint dagegen im vorliegenden Fall nicht maßgebend, hängt es doch auch bei § 111 StGB stets von den Umständen des Einzelfalls ab, ob Beleidigungen innerhalb des Familienverbands oder auch eines Freundeskreises tatbildlich im Sinn der § 111 ff sind (vgl Lambauerin Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, Salzburger Kommentar zum StGB Vorbem § 111 bis 117 StGB Rz 37).

2. Auch bei einer Prüfung des Sachverhalts nach § 1330 Abs 2 Satz 3 ABGB bestehen im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte dafür, gegenüber dem Sohn des Klägers von einer Vertraulichkeit auszugehen. Im Gegenteil musste die Beklagte angesichts der Familienverhältnisse realistischerweise geradezu davon ausgehen, dass der Sohn des Klägers diesem sofort von den Vorwürfen erzählen werde.

Abgesehen davon kann auch ein berechtigtes Interesse der Beklagten an der Äußerung nicht erkannt werden, hatte die Beklagte doch Kenntnis davon, wer tatsächlich der Vater der Stieftochter des Klägers und wer der Vater deren Sohnes ist und warum letzterer behindert ist; bei der Besprechung beim Jugendamt ging es außerdem um die Befürchtung, die Enkelinnen des Klägers könnten sexuell missbraucht worden sein, nicht jedoch um einen (allfälligen) geschlechtlichen Verkehr des Klägers mit seiner Stieftochter.

Dazu kommt noch, dass eine Rechtfertigung jedenfalls dann nicht vorliegt, wenn die Äußerung wider besseres Wissen getätigt wird (vgl RS0105665). Immerhin wusste die Beklagte, dass jemand anderer als der Kläger der Vater des behinderten Kindes ist und dass dessen Behinderung auf eine Komplikation bei der Geburt zurückgeht. Dass die Beklagte den Verdacht ohne weiter nachzudenken bzw unbedacht äußerte, vermag daran nichts zu ändern.

3. Die Beklagte meint in ihrer Revision, der Kläger habe durch ihre Äußerung weder einen Schaden oder Einkommensverlust erlitten noch seien sein Kredit, Erwerb oder Fortkommen gefährdet worden. Damit übersieht sie allerdings, dass der Kläger seinen Unterlassungsanspruch auch auf eine Ehrverletzung nach § 1330 Abs 1 ABGB stützt. Die vom Kläger (lediglich) inkriminierte Äußerung, er habe Geschlechtsverkehr mit seiner Stieftochter gehabt, stellt aber jedenfalls eine solche Verletzung dar, enthält sie doch vor dem Hintergrund, er sei der Vater deren Sohnes, die konkreten Vorwürfe, a) dieser Geschlechtsverkehr habe jedenfalls im Jahr 2010 (der Sohn wurde im Juni 2011 geboren) stattgefunden, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die im August 1993 geborene Stieftochter noch minderjährig war, und b) der Kläger habe mit seiner „Stief“tochter Inzest begangen, sei er tatsächlich doch (auch) deren Vater. Im Übrigen setzt sich die Beklagte in ihrer Revision mit dieser Frage nicht näher auseinander, sondern verteidigt lediglich ihren Gedankengang, der Kläger könnte etwas mit dem auffälligen Verhalten ihrer Kinder zu tun haben.

4. Bei Eingriffen in absolut geschützte Güter ist die Wiederholungsgefahr schon bei einem einmaligen Verstoß zu vermuten (RS0008987 [T15]). Die Beweislast für den Wegfall der Wiederholungsgefahr trifft den Verletzer, der diese nur durch eindeutiges Verhalten widerlegen kann (RS0005402 [T7]). Zudem ist es als Indiz für das Vorhandensein einer Wiederholungsgefahr zu werten, wenn der Beklagte im Prozess seine Unterlassungspflicht bestreitet (RS0012055).

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte ein Angebot des Klägers vor Klagseinbringung, sich mit einer Erklärung der Beklagten, Äußerungen dahin, er habe Missbrauch mit seiner Stieftochter begangen, in Hinkunft zu unterlassen, und ein Vergleichsangebot vor Schluss der Verhandlung erster Instanz, mit einer Entschuldigung der Beklagten beim Kläger unter Kostenaufhebung auseinander zu gehen, abgelehnt.

5. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 41, 50 ZPO. Der Kläger hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Der Schriftsatz ist daher als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00144.20Z.0916.000

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