OGH vom 28.06.2000, 6Ob144/00w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Baumann, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am verstorbenen August Z*****, wegen Feststellung der Erbhofeigenschaft nach § 1 Anerbengesetz, über den Rekurs des Mag. DDr. Reinhard Selendi, Rechtsanwalt in Wels, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen des erblasserischen Sohnes Christian Z*****, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Wels als Rekursgericht vom , GZ 22 R 35/00d-35, womit der Bechluss des Bezirksgerichtes Wels vom , GZ 2 A 80/99a-30, aufgehoben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Der Erblasser war Alleineigentümer des Landwirtschaftsbetriebes "B*****" in W*****, zu dem land- und forstwirtschaftliche Nutzflächen in S***** und E***** und eine Hofstelle gehören. Der Hof besteht aus einem großen Wohnhaus, einem alten Rinderstall, einem Schweinestall, Garagen und Lagerflächen für land- und forstwirtschaftliche Betriebs- und Futtermittel. Das Liegenschaftsvermögen umfasst 24 ha 37 a 44 m2, sein Einheitswert betrug zum 235.000 S. Zum Todeszeitpunkt waren Betriebsschulden von 4,722.842 S vorhanden. Der Verstorbene war geschieden und führte den Betrieb als Ackerbaubetrieb im Nebenerwerb, wobei er sein Haupteinkommen durch nicht landwirtschaftliche Tätigkeit erzielte. Eine Viehhaltung bestand zuletzt nicht mehr. In früheren Jahren wurde auf dem Hof auch eine intensive Veredelungswirtschaft in Form von Rinder- und Schweinehaltung betrieben, sehr viel Schnaps erzeugt und direkt vermarktet.
Der Erblasser hinterließ fünf volljährige Kinder, die zu je 1/5 des Nachlasses bedingte Erbserklärungen abgaben. Die geschiedene Ehegattin erklärte, auf einem 1965 geschlossenen Ehevertrag und den darin enthaltenen testamentarischen Verfügungen, keine Erbansprüche abzuleiten, keine Erbserklärung abzugeben und keine Forderung an den Nachlass zu stellen. Über das Vermögen des Sohnes Christian Z***** wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Wels vom der Konkurs eröffnet und Mag. Dr. Reinhard Selendi zum Masseverwalter bestellt. Er bestritt die Erbhofeigenschaft des zum Nachlass gehörigen landwirtschaftlichen Betriebes, während sich die übrigen gesetzlichen Erben mit der Feststellung des erblasserischen Sohnes Gerhard Z***** zum Anerben einverstanden erklärten.
Das Erstgericht stellte fest, dass das Nachlassvermögen aus einem Erbhof bestehe und das Anerbengesetz der Abhandlung zugrundezulegen sei. Es stellte noch fest, aufgrund des hohen Zinsenaufwandes für die Schulden des Betriebes ergebe sich für 1998 ein negatives landwirtschaftliches Einkommen von 191.000 S. Der Verbrauch eines vollverpflegten Familienangehörigen in Veredelungsbetrieben betrage im Jahresdurchschnitt 95.835 S pro Person, für zwei Personen somit
191.670 S, worin Verpflegungskosten, Wohnungsmittelwert, Barauslagen und Zahlungen an die bäuerlichen Pensions- und Krankenversicherung beinhaltet seien. Vergleichbare Veredelungsbetriebe hätten 1997 umgerechnet auf eine Eigentumsfläche von 13,4 ha ein Betriebseinkommen von 343.710 S erwirtschaftet. Der Mittelwert der Jahre 1995 bis 1998 ergebe ein Betriebseinkommen von 22.698 S je ha "reduzierter landwirtschaftlicher Nutzfläche". Im Mittel der Jahre 1996 bis 1998 ergebe sich ein durchschnittlicher Verbrauch zweier vollverpflegter Familienangehörigen von 187.881 S pro Jahr.
In rechtlicher Hinsicht bejahte das Erstgericht die Erbhofeigenschaft ungeachtet des negativen Betriebsergebnisses. Die Leistungsfähigkeit des Betriebes sei nach objektiven Kriterien zu bemessen. Nach den Feststellungen reiche eine Fläche von 13,4 ha aus, um ein Betriebseinkommen von 343.710 S zu erzielen. Ziehe man den Durchschnittsertragssatz von 22.698 S pro ha reduzierter landwirtschaftlicher Nutzfläche heran, sei der durchschnittliche Verbrauch zweier Familienangehöriger bereits bei einer landwirtschaftlichen Nutzfläche von 8,4 ha gedeckt. Die (im vorliegenden Fall vorhandene) Restfläche sei zur Schuldenbeseitigung erforderlich, sodass die auflaufenden jährlichen Zinsen zum Wegfall gelangen würden.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Masseverwalters Folge und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes 260.000 S übersteigt und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob eine wegen Überschuldung im Todeszeitpunkt bestehende Ertragslosigkeit die Erbhofeigenschaft jedenfalls ausschließe oder ob auf eine Stärkung der Ertragskraft durch Verkauf von Liegenschaftsteilen Bedacht genommen werden könne.
Der für die Beurteilung der Erbhofeigenschaft maßgebliche Durchschnittsertrag sei als Rechengröße anzusehen; dabei sei ohne Berücksichtigung der konkreten Bewirtschaftung des Erblassers oder des präsumtiven Hofübernehmers nach objektiven Kriterien zu prüfen, ob der zur angemessenen Erhaltung zweier erwachsener Personen erforderliche Ertrag bei einer durchschnittlichen Wirtschaftsführung erwirtschaftet werden kann. Die im Todeszeitpunkt bestehende Schuldenlast könne dabei nicht ausgeklammert werden. Von einer Ertragslosigkeit des Hofes könne aber noch nicht ausgegangen werden, weil objektiv noch die Möglichkeit einer Entschuldung innerhalb eines bestimmten Zeitraumes nach dem Todeszeitpunkt in Betracht zu ziehen sei. Stelle man - wie die bisherige Rechtsprechung - auf den objektiv erzielbaren Durchschnittsertrag innerhalb eines Zeitraumes von drei Jahren ab, müsse - genauso wie dies bei der Berücksichtigung einer möglichen Änderung der Bewirtschaftungsform geschehe - bei der Beurteilung der Rentabilität auf eine Entschuldungsmöglichkeit Bedacht genommen werden. Schließlich ermögliche es auch § 18 AnerbenG dem Anerben, Veräußerungserlöse ab Erhalt des Hofes zur Schuldentilgung zu verwenden, ohne dass eine Nachtragsabhandlung stattzufinden hätte. Es komme daher darauf an, ob unter Berücksichtigung der konkreten Veräußerungschancen innerhalb eines bestimmten festzustellenden Zeitraumes für die Zukunft ein zum Erhalt zweier erwachsener Personen ausreichendes bäuerliches Nettoeinkommen erwirtschaftbar erscheine. Wenngleich die derzeit bestehende Zinsenlast der Feststellung eines Erbhofes entgegenstehe, sei es als Folge der notwendigen Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Hofes nach objektiven Kriterien nicht ausgeschlossen, dass durch Verringerung der Zinsenlast eine dem Gesetz entsprechende durchschnittliche Ertragskraft erreicht werden könnte. Dazu müssten jedoch unter Beiziehung des Sachverständigen Feststellungen über konkrete Maßnahmen getroffen werden, welche Teile der (auch aus Waldparzellen bestehenden) Liegenschaft mit welchem erzielbaren Erlös innerhalb eines bestimmten Zeitraumes veräußert werden könnten und wie sich unter Berücksichtigung einer daraus resultierenden Verminderung der Zinsenbelastung die Nettoertragsverhältnisse gestalten. Zu diesen Fragen sei eine Ergänzung des Sachverständigenbeweises erforderlich. Überdies sei der Sachverständige bei seiner Begutachtung von Vergleichsbetrieben ausgegangen, die Veredelungswirtschaft betreiben und habe ausgeführt, die Aufnahme einer Veredelungswirtschaft sei auch im vorliegenden Betrieb jederzeit möglich. Da zuletzt nur Ackerbau betrieben worden sei, müsse noch dazu Stellung genommen werden, ob der vom Gutachter zugrunde gelegte Ertrag nicht doch eine Umstellung der Bewirtschaftungsart erfordere, die wieder mit Kosten verbunden wäre. Derartige Kosten wären bei der Beurteilung der Rentabilität zu berücksichtigen.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs des Masseverwalters im Konkurs über das Vermögen des erblasserischen Sohnes Christian Z***** ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Der Rekurswerber macht geltend, eine infolge Überschuldung bestehende Ertraglosigkeit schließe die Erbhofeigenschaft in jedem Fall aus.
Erbhof im Sinn des § 1 Abs 1 AnerbenG ist ein mit einer Hofstelle verbundene land- und forstwirtschaftlicher Betrieb, der mindestens einen zur angemessenen Erhaltung von zwei erwachsenen Personen ausreichenden, das Zwanzigfache dieses Ausmaßes nicht übersteigenden Durchschnittsertrag hat. Die Leistungsfähigkeit des zu beurteilenden Hofes ist nach objektiven Kriterien zu prüfen (SZ 58/206; JBl 1997, 250), wobei es auf eine durchschnittliche Wirtschaftsführung und nicht auf die konkrete Bewirtschaftungsart des Erblassers oder des präsumtiven Hofübernehmers ankommt. Maßgeblich ist, welches landwirtschaftliche Nettoeinkommen (als rechnerische Größe) aus dem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers von einem durchschnittlichen Landwirt bei ortsüblicher Bewirtschaftung erzielt werden kann. Unter landwirtschaftlichem Einkommen versteht die Rechtsprechung jenes Einkommen, das sich aus der Summe vom Reinertrag, vermehrt um den Lohnanspruch der Besitzerfamilie und verringert um Schuldzinsen und Ausgedingsbelastungen ergibt (SZ 42/145; SZ 69/143; 6 Ob 16/91; JBl 1997, 250).
Dem Rekurs ist insoweit zuzustimmen, als die festgestellte Schuldenlast bei Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Betriebes zu berücksichtigen ist. Allerdings lässt sich aus den hier bestehenden Schulden allein eine Ertraglosigkeit des Hofes solange nicht ableiten, als ein durchschnittlicher Landwirt nach Verkauf von Liegenschaftsteilen zur Schuldendeckung den vom Gesetz geforderten Durchschnittsbedarf (allenfalls auch durch Umstellung der Betriebsart) erwirtschaften könnte. Die Rechtsprechung hat schon bisher eine nach den örtlichen Verhältnissen mögliche Änderung der Bewirtschaftungsart (und die mit der Umstellung selbst verbundenen Kosten) in die Bewertung der hypothetischen Ertragslage miteinbezogen (SZ 69/143) und einen Zeitraum von etwa drei Jahren für die Beurteilung der Bedarfsdeckung anerkannt (EvBl 1970/132). Auch eine im Einzelfall mögliche Schuldtilgung und deren Einfluss auf die hypothetische Leistungsfähigkeit des Betriebes ist nach den hier anzuwendenden objektiven Gesichtspunkten zu berücksichtigen. Das Rekursgericht hat daher zu Recht auf die Möglichkeit hingewiesen, allenfalls durch Liegenschaftsverkäufe eine Entschuldung herbeizuführen. Bestehen daher konkrete Chancen, Teile der land- oder forstwirtschaftlichen Liegenschaften in absehbarer Zeit zu veräußern und damit die aushaftenden Forderungen zu befriedigen, und kann der festgestellte Durchschnittsbedarf aus dem verbleibenden land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gedeckt werden, wäre die Erbhofeigenschaft ungeachtet der vorhandenen Schulden zu bejahen. Das Anerbengesetz steht einer Veräußerung von Liegenschaften zu Zwecken der Schuldtilgung nicht entgegen. Nach § 18 Abs 3 leg cit unterbleibt eine Nachtragserbteilung unter anderem insoweit, als der Anerbe den den seinerzeitigen Übernahmspreis übersteigenden Mehrerlös zur Erhaltung oder zur Steigerung der Leistungsfähigkeit des Erbhofes verwendet, wozu auch die Schuldtilgung zu zählen ist (Kathrein, Anerbenrecht Rz 4 zu § 18). Den Erläuterungen der Novelle zum Anerbengesetz BGBl 1989/659 (RV, 518 BlgNR 17. GP 5 f) ist überdies zu entnehmen, dass der Gesetzgeber mit der Herabsetzung des erforderlichen Durchschnittsertrages auf die Versorgung von zwei erwachsenen Personen nicht mehr (nur) die Erhaltung eines wettbewerbsfähigen mittleren Bauernstandes, sondern die Erhaltung von landwirtschaftlichen Betrieben schlechthin, somit auch von kleineren Betrieben bezweckte (vgl JBl 1997, 250). Auch diese Erwägungen sprechen nicht gegen eine Veräußerung zu Zwecken der Schuldtilgung, solange noch ein kleinerer, den erforderlichen Durchschnittsertrag erbringender Betrieb erhalten bleibt.
Der Aufhebungsbeschluss des Rekursgerichtes ist somit berechtigt. Das Erstgericht wird die ihm darin aufgetragene Verfahrensergänzung durchzuführen und die Erbhofeigenschaft des vorliegenden land- und forstwirtschaftlichen Betriebes neuerlich zu beurteilen haben.