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OGH vom 24.09.2019, 6Ob143/19a

OGH vom 24.09.2019, 6Ob143/19a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache des Dr. H*****, vertreten durch Dr. Klaus Maleschitz, Rechtsanwalt in Wien, als Verfahrenshelfer, wegen Bestellung eines Erwachsenenvertreters, über die außerordentlichen Revisionsrekurse der betroffenen Person und des Erwachsenenvertreters Dr. H*****, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 44 R 115/19s-470, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Vorinstanzen bestellten Rechtsanwalt Dr. H***** zum gerichtlichen Erwachsenenvertreter sowie zum einstweiligen Erwachsenenvertreter für die Vertretung in gerichtlichen Verfahren, Verwaltungsverfahren und verwaltungsgerichtlichen Verfahren, insbesondere den im Einzelnen aufgezählten anhängigen Verfahren, und ordneten für diesen Wirkungsbereich – mit Ausnahme von Vertretungshandlungen vor ordentlichen Gerichten – einen Genehmigungsvorbehalt an.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobenen Revisionsrekurse des Betroffenen und des Erwachsenenvertreters sind nicht zulässig.

I. Zum außerordentlichen Revisionsrekurs des Erwachsenenvertreters

1. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs wirkt im Außerstreitverfahren nicht absolut (RS0120213 [T4]); sie ist nur dann wahrzunehmen, wenn sie Einfluss auf die Richtigkeit der Entscheidung haben konnte (RS0120213 [T13]). Nach ständiger Rechtsprechung ist das rechtliche Gehör in Verfahren außer Streitsachen auch dann gewahrt, wenn die Partei ihr Vorbringen im Rekurs darlegen konnte (RS0006048 [T4]). Von dieser Möglichkeit hat der bestellte Erwachsenenvertreter Gebrauch gemacht; das Rekursgericht hat zu seinem Vorbringen betreffend die Unzumutbarkeit der Übernahme der Erwachsenenvertretung auch inhaltlich Stellung genommen. Dass die behauptete Gehörsverletzung Einfluss auf die Richtigkeit der Entscheidung haben könnte, wird nicht dargetan (vgl RS0120213 [T21]).

2.1. Rechtsanwälte müssen auch nach § 275 ABGB idF des 2. Erwachsenenschutz-Gesetzes (BGBl I 2017/59) gerichtliche Erwachsenenvertretungen grundsätzlich übernehmen, sofern nicht ein in dieser Bestimmung genannter Ablehnungsgrund vorliegt (vgl RS0123440). Ob die vorgetragenen Argumente des Rechtsanwalts, welche seiner Ansicht nach die Übernahme der konkreten Erwachsenenvertretung unzumutbar machen, im Einzelfall gerechtfertigt sind, wirft grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage nach § 62 Abs 1 AußStrG auf (RS0123440 [T9]).

2.2. Bei mehr als fünf gerichtlichen Erwachsenenvertretungen wird die Unzumutbarkeit gemäß § 275 Z 3 ABGB (widerleglich) vermutet; darüber hinaus müssen die Umstände, die der in Aussicht genommenen Person die Übernahme unzumutbar machen, von dieser konkret geltend gemacht werden (RS0123440 [T8]). Nur eine konkrete individuelle und extreme berufliche Belastung führt zur Unzumutbarkeit gemäß § 275 Z 3 ABGB (RS0123440 [T6]). Allgemeine Behauptungen des als Erwachsenenvertreter in Aussicht genommenen Rechtsanwalts über den Kanzleibetrieb, die nicht über das hinausgehen, was auf jede durchschnittliche Rechtsanwaltskanzlei zutrifft, reichen ebenso wenig aus wie Behauptungen über eine nicht näher konkretisierte Arbeitsbelastung (3 Ob 20/12f; vgl RS0123440), weil andernfalls der verfolgte Gesetzeszweck einer raschen Fürsorge für die Betroffenen nicht gewährleistet werden könnte (3 Ob 20/12f; 3 Ob 19/08b).

2.3. Das Rekursgericht verneinte die vom Erwachsenenvertreter ausschließlich mit der hohen Zahl der hinsichtlich des Betroffenen anhängigen Verfahren begründete Unzumutbarkeit der Übernahme der Erwachsenenvertretung.

2.4. Ausgehend davon, dass der bestellte Erwachsenenvertreter neben dem mit der konkreten Erwachsenenvertretung verbundenen Aufwand gar keine Umstände anführte, die die Übernahme der Erwachsenenvertretung unzumutbar erscheinen ließen, erweist sich die Beurteilung des Rekursgerichts jedenfalls als vertretbar.

Die im Revisionsrekurs geäußerte Befürchtung, durch die Beantragung von Verfahrenshilfe für den Betroffenen werde keine Entlastung des Erwachsenenvertreters erreichbar sein, ist nicht geeignet, eine im Interesse der Rechtssicherheit wahrzunehmende Korrekturbedürftigkeit der angefochtenen Entscheidung aufzuzeigen, da auch dieses Vorbringen keine Belastungsfaktoren nennt, die über den mit der konkreten Bestellung verbundenen Arbeitsaufwand hinausgingen.

3. Gemäß § 243 Abs 3 ABGB (idF des 2. Erwachsenenschutz-Gesetzes) ist die Bestellung mehrerer gerichtlicher Erwachsenenvertreter für eine Person mit jeweils unterschiedlichem Wirkungsbereich grundsätzlich möglich (vgl RS0132528 = 8 Ob 164/18b). Es liegt in der einzelfallbezogenen Ermessensentscheidung des Gerichts, ob das Wohl des Betroffenen eine Mehrfachbestellung erfordert (8 Ob 164/18b). Mit dem Hinweis auf diese Bestimmung wird aber nicht dargetan, dass die hier erfolgte Bestellung eines Rechtsanwalts als Erwachsenenvertreter für die Vertretung des Betroffenen in (sämtlichen) Verfahren für den Vertreter unzumutbar wäre.

II.

1. Die Ablehnung von Richtern kann auch nach einer Entscheidung im Rechtsmittel dagegen erklärt werden (RS0041933 [T29]; RS0042028). In einem solchen Fall ist eine sofortige Entscheidung des Rechtsmittelgerichts nur in den Fällen zulässig, in denen im Rechtsmittel keine konkreten Befangenheitsgründe ins Treffen geführt werden oder die Ablehnung offenkundig rechtsmissbräuchlich erfolgt (RS0042028 [T7, T 15, T 18]). Im vorliegenden Fall traf das Rekursgericht die angefochtene Entscheidung nach Vorlage des Akts mit den (im Vorlagebericht ausdrücklich angeführten, getrennt erhobenen) Rechtsmitteln des Erwachsenenvertreters und des Betroffenen. Vor diesem Hintergrund ist der Vorwurf, bewusst vor Vorlage des Rekurses des Betroffenen entschieden zu haben, offenkundig rechtsmissbräuchlich. Der darauf gegründete Ablehnungsantrag muss daher nicht zum Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung gemacht werden (vgl RS0046015).

2. Die Vorinstanzen kamen zum Ergebnis, dass der Betroffene aufgrund seines Krankheitsbildes die Führung von Verfahren nicht mehr ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen könne. In diesem Zusammenhang werden im außerordentlichen Revisionsrekurs des Betroffenen keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG aufgeworfen. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00143.19A.0924.000

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