OGH vom 13.12.2012, 1Ob234/12m

OGH vom 13.12.2012, 1Ob234/12m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Pflegschaftssache 1. des mj Martin S*****, geboren am *****, und 2. des mj Philip S*****, geboren am *****, über die Revisionsrekurse des Vaters DI N***** S*****, vertreten durch DDr. Wolfgang Doppelbauer, Rechtsanwalt in Wels, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 44 R 24/12y, 25/12w 324, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Hietzing vom , GZ 2 Ps 216/10m 310, mit einer Maßgabe bestätigt wurde und der Rekurs des Vaters gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Hietzing vom , GZ 2 Ps 216/10m 311, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Der ordentliche Revisionsrekurs gegen die mit einer Maßgabe erfolgte Bestätigung des Beschlusses ON 310 und

II. der außerordentliche Revisionsrekurs gegen die Zurückweisung des Rekurses des Vaters gegen den Beschluss ON 311 werden mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Obsorge für den mj Martin, der an Epilepsie und autistischen Zügen leidet, steht allein dem Vater, die Obsorge für den mj Philip steht allein der Mutter zu.

Der Vater beantragte, der Mutter unter Fristsetzung die „nötigen Aufträge“ zur Vornahme einer Blutabnahme in einem bestimmten Krankenhaus zwecks ihrer genetischen Untersuchung sowie zur Unterfertigung eines Überweisungsscheins und einer Einverständniserklärung zur Durchführung der genetischen Untersuchung zu erteilen. Es habe sich herausgestellt, dass Martins Erkrankung genetisch bedingt sei. Für die weitere Therapie sei von Bedeutung, ob es sich um einen schon angeborenen genetischen Fehler oder eine erst nachträglich nach der Geburt entstandene genetische Veränderung handle. Dazu sei eine Blutuntersuchung beider Eltern nötig, um festzustellen, ob auch schon bei diesen die entsprechende genetische Disposition gegeben sei. Die Mutter verweigere jedoch eine solche genetische Untersuchung, die dem Kindeswohl diene, weil sie medizinisch indiziert sei und sich daraus Therapiemöglichkeiten ergeben könnten.

Der Vater verwies auf einen Arztbrief der Medizinischen Universität Graz, Institut für Humangenetik, vom , wonach die Analyse der DNA von Martin „mit dem Vorliegen einer Mikroduplikation am langen Arm von Chromosom 3 im Ausmaß von mindestens 111 Kb“ vereinbar sei. Zur Abklärung der Entstehung und klinischen Relevanz seien weiterführende Untersuchungen zu empfehlen, weil die Mikroduplikation neu aufgetreten oder aber von einem Elternteil vererbt worden sein könne. Um dies abzuklären, sollte die DNA beider Elternteile auf diese Veränderung hin untersucht werden, weshalb um Zusendung entsprechender Blutproben sowie jeweils eines Überweisungsscheins und einer entsprechenden Einverständniserklärung ersucht werde.

Die Mutter trat dem Antrag entgegen, weil die vorgeschlagene genetische Untersuchung laut Auskunft mehrerer namhafter Ärzte medizinisch nicht indiziert und für die weitere Therapie von Martin nicht relevant sei.

Auf Anfrage des Erstgerichts teilte das Institut für Humangenetik der Medizinischen Universität Graz mit Schreiben vom mit, bei Martin gehe es um die Fragestellung, ob der Verlust eines kleinen Abschnitts am Chromosom 3 für die Phänotypauffälligkeiten verantwortlich sei. Eine Untersuchung des genetischen Materials der Eltern könne eine solche Beurteilung häufig erleichtern. Eine Garantie, dass eine genetische Untersuchung der Mutter eine definitive Diagnosestellung erlauben werde, könne aber nicht gegeben werden. Konsequenzen für eine effiziente Behandlung (von Martin) würden sich aus einer genetischen Untersuchung beider Eltern „mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ergeben“.

Der Vater stellte in der Folge den weiteren Antrag, eine „Pflegschaftsverhandlung“ anzuberaumen, um die Wünsche der Kinder betreffend das Besuchsrecht, wie sie dem Kinderbeistand vermittelt worden seien, zu behandeln. Dies sei „ohnehin“ nötig, weil gegenwärtig nur eine vorläufige Besuchsrechtsregelung existiere.

Mit dem Beschluss ON 310 wies das Erstgericht den Antrag des Vaters, der Mutter die nötigen Aufträge zur Vornahme einer genetischen Untersuchung ihrer Person im Zusammenhang mit der Erkrankung von Martin zu erteilen, zurück. Es handle sich um ein rechtlich unzulässiges Begehren, weil ein solcher Auftrag in die verfassungsrechtlich geschützten Rechte der Mutter eingreife und keine Gesetzesbestimmung existiere, die einen solchen Eingriff erlaube bzw eine darauf abzielende Antragstellung gestatte. § 67 SPG finde keine Anwendung, weil diese Bestimmung nur die DNA Untersuchung im Rahmen einer erkennungsdienstlichen Behandlung regle. Im Übrigen gehe aus der Stellungnahme des Instituts für Humangenetik der Medizinischen Universität Graz vom auch hervor, dass sich aus einer genetischen Untersuchung der Eltern mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Konsequenzen für eine effiziente Behandlung von Martin ergeben würden.

Mit weiterem Beschluss ON 311 wies das Erstgericht den Antrag des Vaters auf Anberaumung einer „Pflegschaftsverhandlung“ zurück. Im Verfahren außer Streitsachen sei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht zwingend und nach den Umständen des Einzelfalls derzeit nicht zweckmäßig. Der Vater habe kein Antragsrecht auf Abhaltung einer mündlichen Verhandlung, deren Anordnung eine verfahrensleitende Verfügung sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters gegen den Beschluss ON 310 nicht Folge und bestätigte diesen mit der Maßgabe, dass es den Antrag des Vaters abwies. Seinen Rekurs gegen den Beschluss ON 311 wies es zurück. Rechtlich führte es zur beantragten Gewinnung von Blutproben aus, nach Art 8 Abs 1 EMRK bestehe ein verfassungsrechtlich geschütztes Grundrecht auf Achtung des Privat und Familienlebens. Dieses umfasse unter anderem das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper, also die physische und psychische Integrität des Einzelnen bzw die körperliche Unversehrtheit. Art 3 EMRK sei nur dann betroffen, wenn der Eingriff in die physische Integrität eine bestimmte Schwere erreiche und gleichzeitig eine Missachtung der betroffenen Person zum Ausdruck bringe. Entsprechend dieser Verfassungslage dürften medizinische Behandlungen an einem Patienten nur mit dessen Einwilligung durchgeführt werden, es sei denn, dass der mit der Einholung der Einwilligung des Patienten oder der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters verbundene Aufschub das Leben gefährden würde oder mit der Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit verbunden wäre (§ 8 Abs 3 Krankenanstalten und Kuranstaltengesetz). Die Privatautonomie des Patienten sei auch durch § 110 StGB strafrechtlich geschützt.

Ein Eingriff einer öffentlichen Behörde in das Grundrecht auf Achtung des Privat und Familienlebens sei gemäß Art 8 Abs 2 EMRK unter anderem nur statthaft, wenn dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen sei. § 67 SPG sei keine rechtfertigende Gesetzesbestimmung. Diese Norm regle die DNA Untersuchung eines Menschen im Rahmen seiner erkennungsdienstlichen Behandlung, wenn der Betroffene in Verdacht stehe, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben, und wenn im Hinblick auf diese Tat oder die Persönlichkeit des Betroffenen erwartet werden könne, dieser werde bei Begehung weiterer gefährlicher Angriffe Spuren hinterlassen, die seine Wiedererkennung aufgrund der ermittelten genetischen Informationen ermöglichen würden. Die in § 123 Abs 4 StPO aufgezählten Fälle, in denen eine Blutabnahme oder ein vergleichbar geringfügiger Eingriff ohne Einwilligung des Betroffenen zulässig sei, setzten ebenfalls den Verdacht einer strafbaren Handlung voraus, was hier nicht zutreffe. § 85 AußStrG gelte ausdrücklich nur in Verfahren zur Feststellung der Abstammung. Einer analogen Anwendung auf andere Fälle stehe entgegen, dass ansonsten der Gesetzesvorbehalt gemäß Art 8 Abs 2 EMRK unterlaufen werde. Die zwingend erforderliche gesetzliche Grundlage für einen zulässigen Eingriff in das Grundrecht könne nicht im Analogieweg gewonnen werden. Der diesbezügliche Antrag des Vaters sei mangels gesetzlicher Grundlage abzuweisen.

Ein verfahrensleitender Beschluss sei nach § 45 AußStrG nur mit dem Rekurs gegen die Entscheidung über die Sache anfechtbar. Eine Entscheidung darüber, ob eine mündliche Verhandlung anzuberaumen sei oder nicht, sei das Musterbeispiel einer Entscheidung, die der Stoffsammlung und zweckmäßigen Gestaltung des Verfahrens diene. Dabei handle es sich um einen nicht selbständig anfechtbaren verfahrensleitenden Beschluss; die Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung könne allenfalls als Verfahrensmangel im Rekurs gegen die Entscheidung in der Hauptsache geltend gemacht werden. Der Rekurs des Vaters gegen die Verweigerung der Anordnung einer mündlichen Verhandlung sei mangels selbständiger Anfechtbarkeit daher als unzulässig zurückzuweisen.

Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs hinsichtlich der Zurückweisung des Rekurses gegen den erstinstanzlichen Beschluss ON 311 für nicht zulässig, den ordentlichen Revisionsrekurs hinsichtlich des erstinstanzlichen Beschlusses ON 310 jedoch für zulässig. Es existiere noch keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Rechtsfrage, ob das Pflegschaftsgericht einen Elternteil im Interesse des Kindeswohls zur Vornahme einer medizinischen Behandlung bzw einer prophylaktischen oder diagnostischen Untersuchung, wie etwa einer Blutabnahme, verpflichten könne.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs des Vaters betreffend die Vornahme eines medizinischen Eingriffs bei der Mutter und sein außerordentlicher Revisionsrekurs hinsichtlich der unterlassenen Anberaumung einer Verhandlung.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionsrekurse sind mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.

I. Entgegen dem nach § 71 Abs 1 AußStrG nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts stellt sich hier wegen der gegebenen Umstände die Rechtsfrage, ob das Pflegschaftsgericht im Interesse des Kindeswohls (vgl § 137 Abs 1 und 2 ABGB) einen Elternteil zur Blutabnahme zum Zweck der genetischen Untersuchung verpflichten kann, nicht.

Die genetische Untersuchung der Mutter ist im Interesse Martins nicht geboten, ergibt sich doch aus der Mitteilung des Instituts für Humangenetik der Medizinischen Universität Graz vom , dass sich daraus für dessen effiziente Behandlung „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ keine Konsequenzen ergeben. Damit steht fest, dass die Blutuntersuchung der Mutter für die Heilbehandlung von Martin nicht erforderlich ist. Dass die Blutuntersuchung der Mutter die Diagnose von Martins Erkrankung erleichtern kann (aber nicht muss), betrifft nicht das Kindeswohl, wenn sich daraus keine Konsequenzen für eine erfolgversprechende Behandlung von Martin ergeben. Die Ausführungen des Vaters, die Blutuntersuchungen seien „medizinisch indiziert und dienen zweifellos dem Kindeswohl“ und es liege für „Martin eine Notstandsituation“ vor, gehen nicht vom festgestellten Sachverhalt aus.

Da dem Antrag des Vaters schon die fehlende Förderung des Wohls von Martin entgegensteht, stellt sich die Frage der Rechtsgrundlage für den Eingriff bei der Mutter (vgl Art 8 Abs 2 EMRK) nicht. Sein ordentlicher Revisionsrekurs ist daher mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.

II. Eine mündliche Verhandlung ist im Verfahren über das Recht auf persönlichen Verkehr nicht zwingend vorgeschrieben (§§ 18, 107 AußStrG;1 Ob 157/09h mwN). Es steht dem Gericht frei, eine Tagsatzung über die Sache anzuordnen; das Gericht ist dazu nicht verpflichtet (7 Ob 8/09s = SZ 2009/41 = EF Z 2009/96, 143 [ Beck ]).

Verfahrensleitende Beschlüsse sind, soweit nicht ihre selbständige Anfechtung angeordnet ist, was hier nicht der Fall ist, nur mit dem Rechtsmittel gegen die Entscheidung über die Sache anfechtbar (§ 45 zweiter Satz AußStrG; RIS Justiz RS0120910). Zu den verfahrensleitenden Beschlüssen zählen sonstige den Verfahrensablauf betreffende Verfügungen wie die Anberaumung und Erstreckung einer Tagsatzung ( Fucik/Kloiber aaO § 45 Rz 2; Klicka in Rechberger, AußStrG § 45 Rz 3). Nichts anderes kann für den hier verfahrensgegenständlichen Beschluss des Erstgerichts auf Abweisung des Antrags des Vaters auf Anberaumung einer Verhandlung zur Anhörung des Kinderbeistands in einem (allfälligen) Besuchsrechtsverfahren gelten.

In seinem außerordentlichen Revisionsrekurs zeigt der Vater keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf, sodass dieser zurückzuweisen ist (§ 71 Abs 2 AußStrG).