OGH vom 20.12.2018, 4Ob181/18y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*****Wettbewerbsschutzverband *****, vertreten durch Prof. Dr. Johannes Hintermayr und andere, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei v***** AG, *****, Schweiz, vertreten durch Haslinger Nagele & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen Unterlassung (Streitwert 33.000 EUR), Beseitigung (Streitwert 1.000 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 1.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom , GZ 4 R 100/18f-20, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Linz vom , GZ 4 Cg 116/17x-16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.197,80 EUR (darin enthalten 366,30 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, der die Überwachung und Sicherung des freien wirtschaftlichen Wettbewerbs sowie die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen bezweckt. Die Beklagte, eine Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz, betreibt eine Online-Plattform, auf der weltweit Tickets für Veranstaltungen gehandelt werden können. Neben der Website mit der Domain „www.*****.com“ hat sie auch eine Website unter der Domain „www.*****.at“ eingerichtet.
begehrte, es der Beklagten zu verbieten, auf der für den österreichischen Markt ausgerichteten Website „www.*****.at“ oder einer ähnlichen Website in Österreich die Tätigkeit eines Kartenbüros für öffentliche Veranstaltungen auszuüben oder sich an einer solchen Tätigkeit registrierter v*****User zu beteiligen, sofern sie oder die registrierten v*****User in Österreich über keine Gewerbeberechtigung als Kartenbüro verfügen. Zu diesem Hauptbegehren stellte der Kläger sieben Eventualbegehren sowie ein Urteilsveröffentlichungs- und ein Beseitigungsbegehren. Dazu brachte er vor, dass die Beklagte in Österreich laufend gegen Bestimmungen des UWG verstoße, indem sie ohne Berechtigung das Gewerbe eines Kartenbüros ausübe und/oder sich am rechtswidrigen gewerblichen Kartenverkauf zu überhöhten Preisen durch Private (registrierte v*****User) ohne Gewerbeberechtigung beteilige. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergebe sich aus Art 5 Nr 3 LGVÜ II; diese Bestimmung erfasse auch Klagen wegen unlauteren Wettbewerbs.
erhob die Einrede der fehlenden internationalen und international örtlichen Zuständigkeit, weil der Sprengel des angerufenen Gerichts weder Handlungsort noch Erfolgsort im Sinn des Art 5 Nr 3 LGVÜ II sei. Ein Unterlassungsanspruch, der darauf gerichtet sei, „etwas überall zu unterlassen“, habe keine besonders enge Beziehung zu einem bestimmten Gericht. Gemäß Art 2 LGVÜ II seien daher die Gerichte an ihrem Sitz in der Schweiz international und örtlich zuständig.
Das Erstgericht wies die Klage wegen fehlender internationaler und örtlicher Zuständigkeit zurück. Die Verpflichtung, etwas überall zu unterlassen, weise keine besonders enge Verknüpfung mit einem bestimmten Gericht auf. Der BGH habe sich in der Entscheidung zu I ZR 43/14 dieser Judikaturlinie angeschlossen.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers statt und änderte den angefochtenen Beschluss dahin ab, dass es die Unzuständigkeitseinrede der Beklagten verwarf und dem Erstgericht die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens auftrug. Gleichzeitig sprach es aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 4 Ob 203/08v betreffe einen Verstoß gegen das UWG. Darin habe das Höchstgericht im Zusammenhang mit einer Verbandsklage ausgesprochen, dass ein lauterkeitsrechtlicher Verstoß einen Angriff auf die österreichische Rechtsordnung bedeute und die Zuständigkeit nach Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 begründe. Auf diese Judikaturlinie könne sich auch der Kläger stützen. Eine Aussage dahin, dass die Verpflichtung, etwas überall zu unterlassen, keine besonders enge Verknüpfung mit einem bestimmten Gericht aufweise, lasse sich den von der Beklagten ins Treffen geführten Entscheidungen des BGH nicht entnehmen. Der ordentliche Revisionsrekurs sei mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der der Beklagten, die auf eine Wiederherstellung des die Klage zurückweisenden Beschlusses des Erstgerichts abzielt.
Mit seiner – durch den Obersten Gerichtshof freigestellten – beantragt der Kläger, den Revisionsrekurs der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts ist der Revisionsrekurs zulässig, weil zum Zuständigkeitstatbestand für Deliktsklagen nach Art 5 Nr 3 LGVÜ II (Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 bzw Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012) mit Bezug auf eine Verbandsklage weitere Klarstellungen durch den Obersten Gerichtshof geboten sind. Der Revisionsrekurs der Beklagten ist aber nicht berechtigt.
In ihrem Revisionsrekurs führt die Beklagte aus, dass ihre OnlinePlattform weltweit abrufbar sei. Die bloße Abrufbarkeit sei aber nicht geeignet, einen Erfolgsort im gesamten Staatsgebiet in Österreich zu begründen. Der Kläger könne auch keinen Schaden im eigentlichen Sinn geltend machen, der an einem einzigen Ort anknüpfe. Er könne überhaupt nur geltend machen, dass die Beklagte eine (ihm gegenüber allenfalls bestehende) Unterlassungsverpflichtung nicht eingehalten habe. Für einen solchen Fall stehe der Zuständigkeitstatbestand des Art 5 Nr 3 LGVÜ II nicht zur Verfügung. Auch ein Angriff auf die Rechtsordnung liege nicht vor, weil die Beklagte keine Rechtsverletzung begangen habe, zumal sie am Sitz ihres Unternehmens über die erforderliche gewerberechtliche Genehmigung für den Betrieb eines Kartenbüros verfüge.
Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:
1. Die hier für die internationale Zuständigkeit maßgebende Bestimmung des Art 5 Nr 3 LGVÜ II entspricht inhaltlich Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 bzw Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012. Die einschlägige Judikatur vor allem des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zur EuGVVO ist daher auch für den Anlassfall maßgebend.
2. Nach der Grundregel des Art 2 Abs 1 LGVÜ II sind Personen, die ihren (Wohn-)Sitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit grundsätzlich vor den Gerichten dieses Vertragsstaats zu verklagen.
Nach Art 5 Nr 3 LGVÜ II kann eine Person, die ihren (Wohn-)Sitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, in einem anderen Vertragsstaat verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, und zwar vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Mit der Wendung „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“ ist sowohl der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs (Erfolgsort) als auch der Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens (Handlungsort) gemeint (EuGH C523/10, Wintersteiger, Rn 19; C375, Kolassa, Rn 45; C12/15, Universal Music, Rn 28; C27/17, Lithuanian Airlines, Rn 28).
Bei (mit Substanz- oder Vermögensschäden) kommt es für den Erfolgsort auf den Eintritt des Primärschadens an; auf Folgeschäden kann hingegen nicht abgestellt werden (EuGH C27/17, Lithuanian Airlines, Rn 31).
3.1 Unter Art 5 Nr 3 LGVÜ II (EuGVVO 2001) fallen auch Ansprüche wegen der Verletzung von Persönlichkeitsrechten sowie Ansprüche nach dem UWG, MSchG, MuSchG, PatG, UrhG oder KartG (RISJustiz RS0115357; Leible in Rauscher, EuZPR - EuIPR4 Art 7 Brüssel IaVO Rz 110; Brenn, Europäischer Zivilprozess Rz 75). Bei Persönlichkeitsverletzungen, Eingriffen in Immaterialgüterrechte oder wettbewerbs- bzw lauterkeitswidrigen Verhaltensweisen handelt es sich nach der ShevillDoktrin (EuGH C68/93, Shevill) um , für die besondere Grundsätze gelten. Dazu sowie konkret zu Lauterkeitsverstößen im Internet haben der EuGH und der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt Stellung genommen.
3.2 In der Rechtssache C509/09 und C161/10, eDate Advertising und Martinez, sprach der EuGH aus, dass bei Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch Inhalte auf einer Website der Verletzte nach Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 die Möglichkeit hat, die Haftungsklage auf Ersatz des gesamten Schadens entweder im Niederlassungsstaat des Urhebers (Herausgebers) der Veröffentlichung oder vor den Gerichten jenes Mitgliedstaats zu erheben, in dem sich der Mittelpunkt der Interessen des Verletzten befindet. Die Klage kann auch vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet ein im Internet veröffentlichter Inhalt zugänglich ist oder war; dies gilt allerdings nur für den Schaden, der im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts verursacht wurde.
Mit dieser Entscheidung dehnte der EuGH in Erweiterung der ShevillFormel die Anknüpfungskriterien für die (international örtliche) Zuständigkeit bei Verletzung von Persönlichkeitsrechten im Internet um den Interessenmittelpunkt des Klägers aus. Der Ort, an dem eine Person den Mittelpunkt ihrer Interessen hat, entspricht im Allgemeinen ihrem gewöhnlichen Aufenthalt (vgl Brenn, Rechtsverletzung im Internet – Zur internationalen Zuständigkeit bei Persönlichkeitsverletzungen im Internet und zur kollisionsrechtlichen Bedeutung des Herkunftslandsprinzips der ECRL, ÖJZ 2012/52, 493 [494]). Daraus ergibt sich nach Wahl des Klägers – neben dem allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten – zusätzlich auch ein Klägergerichtsstand am gewöhnlichen Aufenthalt des Verletzten sowie die internationale Zuständigkeit im Veröffentlichungs- bzw Verbreitungsstaat; dies ist der Mitgliedstaat, in dem ein im Internet veröffentlichter Inhalt ist, also werden kann.
3.3 In der Entscheidung C-523/10, Wintersteiger, bejahte der EuGH bei behaupteten Markenrechtseingriffen im Internet die Zuständigkeit des Registerstaats, wenn die Website in diesem Staat abrufbar ist und der Kläger behauptet, dass dadurch seine Markenrechte verletzt wurden.
3.4 In der Entscheidung C-360/12, Coty Germany (Rn 55 ff), dehnte der EuGH seine immaterialgüterrechtliche Rechtsprechung auf das Lauterkeitsrecht aus. Zum Erfolgsort habe er in Bezug auf Schäden, die aus Verletzungen eines Rechts des geistigen und gewerblichen Eigentums folgten, bereits klargestellt, dass die Verwirklichung des Schadenserfolgs in einem bestimmten Mitgliedstaat voraussetze, dass das Recht, dessen Verletzung geltend gemacht werde, in diesem Mitgliedstaat geschützt sei. Dieses Erfordernis sei auf die Fälle übertragbar, in denen es um den Schutz eines solchen Rechts durch ein innerstaatliches Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb gehe. Daher könne ein Rechtsstreit über einen Verstoß gegen das betreffende Gesetz vor die [nationalen] Gerichte gebracht werden, sofern die in einem anderen Mitgliedstaat begangene Tat einen Schaden im Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts verursacht habe oder zu verursachen drohe. Insoweit habe das angerufene Gericht zu beurteilen, inwieweit die im Ausgangsmitgliedstaat begangenen Handlungen das [nationale] Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb verletze.
3.5 In der Entscheidung C27/17, Lithuanian Airlines, sprach der EuGH aus, dass sich bei wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen nach Art 101 und 102 AEUV der Erfolgsort nach dem Ort des durch die beanstandeten Verhaltensweisen richte.
Auch diese kartellrechtlichen Überlegungen des EuGH sind für den hier vorliegenden Fall relevant. In Rn 41 des zitierten Urteils verweist der EuGH auf den angestrebten Gleichklang der Zuständigkeitsregeln (EuGVVO) und der Regeln zum anwendbaren Recht (Rom IIVO). Die Bestimmung des Ortes der Verwirklichung des Schadenserfolgs solle „mit den Kohärenzanforderungen der Rom IIVO im Einklang stehen“; nach Art 6 Abs 3 Rom IIVO sei bei Schadenersatzklagen im Zusammenhang mit einer den Wettbewerb einschränkenden Handlung das Recht des Staates anzuwenden, dessen Markt beeinträchtigt werde oder beeinträchtigt werden könne (vgl dazu auch die Schlussanträge des Generalanwalts zu C352/13, Rn 75). Diese Erwägungen gelten auch für unlautere Wettbewerbshandlungen, für die nach Art 6 Abs 1 Rom IIVO ebenfalls das Recht des beeinträchtigten Marktes zur Anwendung gelangt.
4.1 Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung zu 4 Ob 82/12f im Zusammenhang mit lauterkeitsrechtlichen Ansprüchen unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des EuGH zu C68/93, Shevill, und C509/09 und C161/10, eDate Advertising und Martinez, ausgesprochen, dass die Zuständigkeit (nach Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001) schon dann begründet sei, wenn ein bestimmter Inhalt im Staat des angerufenen Gerichts im Internet gewesen sei oder auf andere Weise verbreitet worden sei und der Kläger behaupte, dass diese Zugänglichkeit oder Verbreitung eine lauterkeitsrechtlich relevante Auswirkung auf den Markt dieses Staates habe.
4.2 In der Entscheidung zu 4 Ob 45/16w hat der Oberste Gerichtshof (zu Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001) unter Bezugnahme auf die Entscheidung des EuGH zu C360/12, Coty Germany, zu einem im Internet begangenen Lauterkeitsverstoß ausgesprochen, dass die Gerichte des Staates, dessen Rechtsordnung verletzt worden sein solle, am besten in der Lage seien, diesen Verstoß zu beurteilen. Es reiche aus, wenn der Kläger schlüssig behaupte, dass durch einen derartigen Verstoß die Gefahr bestehe, dass sich der Schadenserfolg im Bezirk des angerufenen Gerichts verwirkliche. Ob die Website auf diesen Staat ausgerichtet sei oder ob der Verstoß tatsächlich vorliege, sei nicht Gegenstand der Zuständigkeitsprüfung. Die Zuständigkeit sei allerdings auf den im Inland eingetretenen Schaden beschränkt.
4.3 In der Entscheidung zu 4 Ob 137/16z hat der Oberste Gerichtshof zu einer urheberrechtlichen Verletzungshandlung ausgesprochen, dass sich nach der Rechtsprechung des EuGH (zu Art 7 Nr 2 EuGVVO 2012) die internationale Zuständigkeit der Gerichte jenes Landes ergebe, in dem das Recht, dessen Verletzung geltend gemacht werde, geschützt sei, wobei das Erfolgsortgericht nur für den im Staat des angerufenen Gerichts eingetretenen Schaden zuständig sei. Bei Verletzungen im Internet, die sich nicht auf das Gebiet eines Staates einschränken lassen, entstehe überall dort ein Schaden, von wo aus auf das geschützte Werk werden könne.
5.1 Aus den referierten Entscheidungen, insbesondere aus der Entscheidung des EuGH zu C360/12, Coty Germany, folgt zusammenfassend, dass bei einem Verstoß gegen das nationale Lauterkeitsrecht die internationale (örtliche) Zuständigkeit für eine Deliktsklage nach Maßgabe des Erfolgsorts im Verletzungsstaat gegeben ist. Der Verletzungsstaat ist jener Staat, in dem sich die Verletzungshandlung auswirkt (beeinträchtigter Markt) und daher gegen das nationale Lauterkeitsrecht verstößt. Bei einer „Internet-Tat“ kommt es allein auf die der rechtsverletzenden Website im Verletzungsstaat an.
5.2 Diese Voraussetzungen sind im Anlassfall gegeben. Der Kläger behauptet einen Verstoß der Beklagten gegen § 1 Abs 1 Z 1 UWG wegen unlauterer Wettbewerbshandlungen (Verkauf von Tickets für in Österreich stattfindende Veranstaltungen ohne Gewerbeberechtigung), die sich auf dem österreichischen Markt zu Lasten der gesetzestreuen Mitbewerber auswirkten. Ob die beanstandete Website auf Österreich ausgerichtet ist, bleibt für die zuständigkeitsrechtliche Frage ohne Bedeutung; diese Frage wäre aber ohnedies zu bejahen, weil die Beklagte ihre Website auch unter der TopLevelDomain „.at“ in deutscher Sprache für österreichische Kunden und für österreichische Veranstaltungen betreibt (vgl dazu RISJustiz RS0125001 [T2]).
5.3 Der Umstand, dass auf die beanstandete Website überall im Internet zugegriffen werden kann, spricht entgegen der Ansicht der Beklagten nicht gegen die Heranziehung des Deliktsgerichtsstands nach Maßgabe des Erfolgsorts. Der Oberste Gerichtshof hat bereits zu 4 Nc 3/08s (= RISJustiz RS0111094 [T3]) ausgesprochen, dass Art 5 Nr 3 LGVÜ II nicht nur die internationale, sondern zugleich die (internationale) örtliche Zuständigkeit regelt. Kann auf die beanstandete Website in ganz Österreich zugegriffen werden und kann sich die behauptete unlautere Handlung daher in ganz Österreich nachteilig auswirken, so hat der Kläger die Wahl, seine Klage bei einem der in Betracht kommenden sachlich zuständigen Gerichte in Österreich einzubringen.
6.1 Auf die Entscheidung des EuGH zu C256/00, Besix, kann sich die Beklagte nicht berufen, weil sich diese Entscheidung auf den Gerichtsstand des vertraglichen Erfüllungsorts bei mehreren Orten, an denen tatsächlich erfüllt wurde, bezieht. Für den hier fraglichen Zuständigkeitstatbestand ex delicto kann aus dieser Entscheidung nichts abgeleitet werden.
6.2 Unverständlich ist auch die Argumentation der Beklagten in Bezug auf die Entscheidung des BGH zu I ZR 43/14: Bis zu dieser Entscheidung war es Rechtsprechung des BGH, dass der Erfolgsort im Sinn des Art 5 Nr 3 LGVÜ II im Fall von Wettbewerbsverletzungen im Internet dann im Inland gelegen sei, wenn sich der Internetauftritt auf den inländischen Markt auswirken soll (vgl BGH I ZR 94/13). In der Entscheidung zu I ZR 43/14 hat der BGH – zu § 32 dZPO, der nach seinem Inhalt der Bestimmung des Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 entspricht – unter Hinweis auf die Judikatur des EuGH Folgendes ausgesprochen:
„Der Erfolgsort einer unerlaubten Handlung im Sinn von § 32 ZPO ist bei einer behaupteten Verletzung des Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte durch ein öffentliches Zugänglichmachen des Schutzgegenstands über eine Internetseite im Inland belegen, wenn die geltend gemachten Rechte im Inland geschützt sind und die Internetseite (auch) im Inland öffentlich zugänglich ist. Es ist dagegen nicht erforderlich, dass der Internetauftritt bestimmungsgemäß (auch) im Inland abgerufen werden kann. An seiner abweichenden Auffassung hält der Senat im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH nicht fest.“
Die Beklagte irrt, wenn sie meint, der BGH habe seine Rechtsprechung eingeschränkt und lasse die Abrufbarkeit einer Website für die Begründung der Zuständigkeit nach Art 5 Nr 3 LGVÜ II nicht mehr genügen. Tatsächlich kommt es nach der neuen Rechtsprechung des BGH – so wie nach der Rechtsprechung des EuGH und des Obersten Gerichtshofs – nur auf die Abrufbarkeit der rechtsverletzenden Website im Inland an; der BGH ließ lediglich das Element „bestimmungsgemäß“ entfallen.
7. Der Gerichtsstand für Deliktsklagen differenziert nicht danach, in welcher Rechtsschutzform die Klage erhoben wird. Er steht für sämtliche Ansprüche aus unerlaubten Handlungen zur Verfügung und unterscheidet insbesondere nicht danach, worauf die Ansprüche im Einzelnen gerichtet sind und welches Rechtsschutzziel sie verfolgen (RISJustiz RS0115357; 4 Ob 137/16z). Daher fallen auch (vorbeugende) Unterlassungsklagen unter den in Rede stehenden Deliktsgerichtsstand.
1. Im Anlassfall ist zu klären, ob die dargelegten Grundsätze für die Bestimmung der Zuständigkeit nach dem Erfolgsort im Sinn des Art 5 Nr 3 LGVÜ II auch für eine Verbandsklage – in Bezug auf sonst unlautere Wettbewerbshandlungen, also im unternehmerschützenden Lauterkeitsrecht – gelten. Dazu ist vor allem fraglich, ob die Erwägungen in der Entscheidung des EuGH zu C167/00, Henkel, auf die vorliegende Verbandsklage übertragbar sind.
2.1 In der zitierten Entscheidung hatte der EuGH eine Unterlassungsklage des VKI in Bezug auf die Verwendung missbräuchlicher Klauseln in AGB zu beurteilen, für die der klagende Verband den Deliktsgerichtsstand des Erfolgsorts in Anspruch nahm. Der EuGH führte dazu in den Rn 42 f aus:
„Der Begriff des schädigenden Ereignisses in Art 5 Nr 3 [EuGVÜ bzw EuGVVO 2001] ist nämlich weit zu verstehen und erfasst daher im Bereich des Verbraucherschutzes nicht nur Sachverhalte, in denen ein Einzelner einen individuellen Schaden erleidet, sondern unter anderem auch Angriffe auf die Rechtsordnung durch die Verwendung missbräuchlicher Klauseln, deren Verhinderung die Aufgabe von Organisationen wie dem Kläger ist. Nur diese Auslegung lässt sich mit der Zielsetzung von Art 7 der Richtlinie 93/13/EG über missbräuchliche Vertragsklauseln in Einklang bringen. Die Wirksamkeit der dort vorgesehenen Klagen auf Unterlassung der Verwendung unzulässiger Klauseln wäre erheblich beeinträchtigt, wenn diese Klagen nur im Staat der Niederlassung des Gewerbetreibenden erhoben werden könnten.“
2.2 Nach dieser Entscheidung des EuGH tritt bei einer Verbandsklage der „Angriff auf die Rechtsordnung“ an die Stelle des „individuellen Schadens“ bzw – bei Verletzung von Immaterialgüterrechten oder ähnlichen Rechten – an die Stelle der Verletzung individueller Rechte. Das zentrale Begründungselement des EuGH besteht darin, dass ansonsten die Effektivität der in der Richtlinie 93/13/EG vorgesehenen Verbandsklage beeinträchtigt wäre.
3. Mit der hier zu klärenden Frage hat sich auch der Oberste Gerichtshof bereits beschäftigt.
In dem der Entscheidung 4 Nc 3/08s zugrunde liegenden Fall klagte ein Verband im Bereich des unternehmerschützenden Lauterkeitsrechts eine in der Schweiz ansässige Beklagte im Zusammenhang mit ihrer Website auf Unterlassung des lauterkeitswidrigen Verhaltens im Inland. Der Oberste Gerichtshof bejahte die internationale Zuständigkeit mit der Begründung, dass sich die Beklagte nach den Klagsbehauptungen für das Angebot ihrer Leistungen ihrer Website bediene, auf die an jedem Ort im Inland zugegriffen werden könne. Das Unterlassungsbegehren ziele auf eine Unterbindung der den Klagsgrund bildenden Vermittlungsleistungen in Österreich ab; insofern beziehe sich das Begehren auch auf die Website der Beklagten. Die inländische Gerichtsbarkeit gemäß Art 5 Nr 3 LGVÜ liege damit vor.
Die Entscheidung 4 Ob 203/08v betraf eine auf Irreführung gestützte Verbandsklage. Der Oberste Gerichtshof referierte zunächst die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache zu C-167/00, Henkel, und führte in der Folge aus, dass auch bei irreführenden Angaben zur Entgeltlichkeit von Internetdiensten und bei Verletzung von Informationspflichten (nach dem ECG) in Bezug auf diese Dienste im Geschäftsverkehr in Österreich ein „Angriff“ auf die österreichische Rechtsordnung vorliege, der nach den Erwägungen der Entscheidung des EuGH zu C-167/00, Henkel, die Zuständigkeit nach Art 5 Nr 3 EuGVVO begründe. Auf welchem technischen Weg dieser Angriff erfolgt, sei unerheblich.
4. In der Literatur führen Micklitz/Rott (in Dauses/Ludwigs, Handbuch des EUWirtschaftsrechts44 Rz 813) aus, dass für die im Anhang der Richtlinie 2009/22/EG über Unterlassungsklagen genannten Richtlinien, insbesondere die werberechtlichen Richtlinien, nichts anders gelte als nach der Entscheidung des EuGH zu C167/00, Henkel, weil auch „Verstöße gegen das Lauterkeitsrecht“ international privatrechtlich dem Deliktsrecht zuzuordnen seien.
Michailidou (Internationale Zuständigkeit bei vorbeugenden Verbandsklagen, IPRax 2003, 223 [226]) hält den „terminus technicus“ des Schadens „Angriff auf die Rechtsordnung“ bei Verbandsklagen allgemein für ausreichend, um die Zuständigkeit nach Art 5 Nr 3 EuGVVO 2001 zu begründen.
Wagner (in Stein/Jonas, Kommentar zur ZPO22, Art 5 EuGVVO Rz 137) hält die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache zu C167/00, Henkel, für den passenden Anknüpfungspunkt moderner Formen des kollektiven Rechtsschutzes durch Verbandsklagen.
Thole (Die internationale Zuständigkeit für Vertragsstrafe- und Unterlassungsklagen von Wettbewerbsverbänden, IPRax 2015, 65 [68]) sowie auch Mankowski (in MüKomm zum UWG2, Teil II Rn 489 f) vertreten die Ansicht, dass vom „Angriff auf die Rechtsordnung“ auch andere Formen wettbewerbswidriger Verhaltensweisen erfasst seien, wenn der nationale Gesetzgeber einem Verband Unterlassungsansprüche einräume.
5.1 Dass sich der EuGH in der Rechtssache zu C167/00, Henkel, ausdrücklich auf den Verbraucherschutz bezogen hat, ist darin begründet, dass diese Entscheidung eine Unterlassungsklage in Bezug auf die Verwendung missbräuchlicher Klauseln in AGB und damit die verbraucherschützende Richtlinie über missbräuchliche Vertragsklauseln betraf.
Der in dieser Entscheidung zum Ausdruck gelangende Grundsatz ist jedoch verallgemeinerungsfähig: Verbandsklagebefugnisse sind nicht nur in der erwähnten Richtlinie 93/13/EG über missbräuchliche Vertragsklauseln, sondern zudem in der RLUGB 2005/29/EG (Art 11 Abs 1) sowie allgemein (für die im Anhang aufgezählten Richtlinien) in der Richtlinie 2009/22/EG über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (zuvor Richtlinie 98/27/EG) vorgesehen. Der Zweck der (auch) unionsrechtlich vorgesehenen Ausdehnung der Klagebefugnisse auf Verbände besteht darin, den Rechtsschutz zur Wahrung der kollektiven Verbraucherinteressen sowie der Allgemeininteressen zu verbessern und effektiver zu gestalten. In den aufgezählten Bereichen sind die befugten Verbände bei Verstößen gegen materiellrechtliche Bestimmungen der genannten Richtlinien zur Klagsführung berechtigt. Auch in diesen Fällen ist die Tätigkeit der Verbände darauf gerichtet, Angriffe auf die Rechtsordnung zu unterbinden. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 4 Ob 203/08v hat im Einklang mit diesen Erwägungen die zuständigkeitsrechtlichen Grundsätze der Entscheidung des EuGH zu C167/00, Henkel, auf irreführende Angaben zur Entgeltlichkeit von Internetdiensten sowie auf die Verletzung von Informationspflichten (nach dem ECG) ausgedehnt. Hinzu kommt, dass aus der genannten Entscheidung des EuGH der Grundgedanke abgeleitet werden kann, dass zwischen einer Verbandsklage und der Geltendmachung von Individualansprüchen ein zuständigkeitsrechtlicher Gleichklang bestehen und immer dann, wenn für die Individualklage ein besonderer Zuständigkeitstatbestand besteht, dieser auch für die Verbandsklage in Anspruch genommen werden können soll. Nur auf diese Weise kann der auch im Unionsrecht als Grundsatz vorgesehene Rechtsschutz durch Verbandsklagen in effektiver Weise sichergestellt werden.
5.2 Der Oberste Gerichtshof gelangt daher – im Einklang mit den dargelegten (unwidersprochenen) Literaturmeinungen – zum Ergebnis, dass bei einer Verbandsklage der „Angriff auf die Rechtsordnung“ im Sinn der Entscheidung des EuGH zu C167/00, Henkel, auch im unternehmerschützenden Lauterkeitsrecht für die Begründung der Zuständigkeit nach Maßgabe des Erfolgsorts im Sinn des Art 5 Nr 3 LGVÜ II (bzw EuGVVO 2001) heranzuziehen ist. Demnach sind auch Verbandsklagen sowohl nach dem Verbraucherschutzrecht als auch nach dem Lauterkeitsrecht von Art 5 Nr 3 LGVÜ II (bzw EuGVVO 2001) erfasst. Der Begriff des „schädigenden Ereignisses“ ist weit auszulegen und erfasst nicht nur Sachverhalte, in denen ein Einzelner einen individuellen Schaden (oder Rechtsnachteil) erleidet, sondern auch „Angriffe auf die Rechtsordnung“ (wie zB die Verwendung missbräuchlicher Vertragsklauseln oder durch lauterkeitswidriges Verhalten), die mittels Verbandsklage im kollektiven Verbraucherinteresse oder im Allgemeininteresse abgestellt werden sollen (vgl dazu auch Brenn, Europäischer Zivilprozess Rz 76).
Zusammenfassend ist für den Anlassfall festzuhalten, dass das Erstgericht für die vorliegende Verbandsklage (Hauptbegehren) nach Art 5 Nr 3 LGVÜ II zur allfälligen Abstellung wettbewerbswidriger Handlungen der Beklagten in Österreich international zuständig ist. Hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit hat der klagende Verband die Wahl, seine Klage bei einem der in Betracht kommenden sachlich zuständigen Gerichte in Österreich einzubringen.
Dieses Ergebnis steht mit der Rechtsprechung des EuGH und den darin zum Ausdruck gelangenden Grundsätzen zur Verbesserung des Rechtsschutzes im Rahmen von Verbandsklagen im Einklang. Die Anregung der Beklagten auf Einholung einer Vorabentscheidung war daher nicht aufzugreifen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 Satz 3 iVm § 41 ZPO. Die Beklagte ist im Zwischenstreit über die internationale (örtliche) Zuständigkeit unterlegen.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00181.18Y.1220.000 |
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