OGH vom 16.12.2015, 3Ob205/15s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei M*****, vertreten durch Mag. Dr. Felix Sehorz, Rechtsanwalt in Wien, wider die verpflichtete Partei R*****, vertreten durch Dr. Franz Unterasinger, Rechtsanwalt in Graz, wegen zwangsweiser Räumung (hier: Aufschiebung), über den Revisionsrekurs der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 39 R 260/15x-47, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom , GZ 6 E 46/11k-43, teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts im Punkt 1. wiederhergestellt wird.
Die verpflichtete Partei ist schuldig, der betreibenden Partei die mit 311,86 EUR bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung (darin enthalten 51,98 EUR an USt) und die mit 373,68 EUR bestimmten Kosten des Revisionsrekurses (darin enthalten 62,28 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Mit rechtskräftigem Urteil vom , das die Mieterin zur Räumung verpflichtet, erwirkte die (am verstorbene) Erblasserin noch zu Lebzeiten die Aufhebung des mit der Verpflichteten bestehenden Mietverhältnisses über eine im Hochparterre gelegene Wohnung im Haus der Erblasserin aus den Gründen des erheblich nachteiligen Gebrauchs und des unleidlichen Verhaltens. Über Antrag der Verlassenschaft nach der Erblasserin bewilligte das Erstgericht am die zwangsweise Räumung des Bestandobjekts. Dem Betreibenden wurde die Verlassenschaft nach der Erblasserin mit Beschluss vom rechtskräftig eingeantwortet.
Am beantragte die Verpflichtete (erneut) die Aufschiebung der Räumungsexekution bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens AZ 19 Cg 23/15i des Rekursgerichts, dem eine am eingebrachte Erbrechtsklage zugrunde liege. Sollte sie damit obsiegen, würde sie Eigentümerin der zu räumenden Liegenschaft werden, sodass die Räumung ohne Grundlage wäre. Diese würde für die Verpflichtete große Nachteile nach sich ziehen.
Der Betreibende sprach sich gegen die Aufschiebung aus.
Das Erstgericht wies den Aufschiebungsantrag ab (Punkt 1.) und setzte den Räumungstermin mit fest (Punkt 2.). Schon nach dem Vorbringen liege bei dem nunmehrigen, bereits dritten Aufschiebungsantrag keiner der Gründe des § 42 EO vor, weil weder Z 1 noch Z 2 leg cit (und auch sonst keiner der taxativ aufgezählten Aufschiebungsgründe) erfüllt seien. Die als Aufschiebungsgrund geltend gemachte Erbschaftsklage könne auch bei dem von der Verpflichteten gewünschten Erfolg nicht unmittelbar zur Einstellung oder Einschränkung der Exekution führen, da die Verfahren sich zwar auf dieselbe Liegenschaft bezögen, jedoch von verschiedenen Gerichten geführt würden.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Verpflichteten teilweise Folge und änderte Punkt 1. des erstgerichtlichen Beschlusses dahin ab, dass bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die eingebrachte Erbschaftsklage Räumungsaufschub gewährt wurde, falls die Verpflichtete eine Sicherheitsleistung von 10.000 EUR erlegt. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteigend und ließ den Revisionsrekurs mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage, ob die auf Herausgabe der zu räumenden Liegenschaft gerichtete Erbschaftsklage einen Aufschiebungsgrund analog zu § 42 Abs 1 EO darstelle, zu.
Nach herrschender Ansicht seien die Aufschiebungsgründe im Gesetz zwar taxativ aufgezählt, die Rechtsprechung lasse aber dennoch im engen Rahmen eine Analogie zu. So habe der Oberste Gerichtshof eine Klage des Wiederkaufsberechtigten iSd § 1068 ABGB deshalb als Aufschiebungsgrund beurteilt, weil die Rechtsgestaltungserklärung wie beim Rücktritt vom Vertrag sofort die Rechtsfolgen auslöse, also unabhängig von der Rechtskraft des angestrebten Urteils (3 Ob 131/02i). Die Erbschaftsklage sei auf Herausgabe der Erbschaft gerichtet; ein siegreicher Kläger werde mit Rechtskraft des Urteils Eigentümer der zum Nachlass gehörenden Sachen und somit rückwirkend Universalsukzessor des Erblassers. Deshalb sei es sachgerecht, die auf Herausgabe der zu räumenden Liegenschaft gerichtete Erbschaftsklage der Verpflichteten analog zu § 42 Abs 1 EO als tauglichen Aufschiebungsgrund zu behandeln: Komme es doch mit Rechtskraft des klagsstattgebenden Urteils im Erbschaftsprozess zur Vereinigung der Position des Eigentümers (und Vermieters) mit derjenigen des Mieters. Dieser Umstand sei im Exekutionsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen. Eine Fortsetzung der Exekution wäre mit der Gefahr eines nicht oder nur schwer ersetzbaren Nachteils für die Verpflichtete verbunden. Die Aufschiebung der Exekution sei aber von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen.
Nach dem Erlag der Sicherheitsleistung durch die Verpflichtete setzte das Erstgericht den Räumungstermin ab.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Betreibenden wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses; hilfsweise wird die Aufhebung und Zurückverweisung an die zweite Instanz begehrt. Der Betreibende macht im Wesentlichen geltend, die Verpflichtete stütze sich auf eine Klageführung, die erst im Fall ihrer rechtskräftigen Stattgebung jenen Einwand begründe, der dem betriebenen Räumungsanspruch entgegenstehen solle. Deshalb lägen die Voraussetzungen für eine Analogie zur Aufschiebung wegen einer Oppositionsklage nicht vor. Ein Erfolg im Erbschaftsstreit würde auch nicht unmittelbar zur Einstellung der Exekution führen; dies wäre aber eine weitere Voraussetzung für eine Aufschiebung nach § 42 EO.
Die Verpflichtete tritt dem in ihrer nunmehr vorgesehenen (§ 65 Abs 3 Z 2 EO idF der EO-Novelle 2014) Revisionsrekursbeantwortung mit den Argumenten des Rekursgerichts entgegen.
Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt , weil das Rekursgericht einschlägige Judikatur des Obersten Gerichtshofs unbeachtet ließ.
Rechtliche Beurteilung
1. Es entspricht der herrschenden Ansicht, dass § 42 EO die Aufschiebungsgründe erschöpfend aufzählt, eine analoge Anwendung auf ähnliche Sachverhalte jedoch zulässig ist, wenn diese ihrer Art und ihrem Gewicht nach so beschaffen sind, dass alles für eine Gleichbehandlung spricht. Eine bloß gewisse Ähnlichkeit mit einem im Gesetz angeführten Beispielfall reicht nicht aus, weil dies nur bei einer demonstrativen Aufzählung genügen würde (RIS-Justiz RS0001466 [T8 und T 10]; RS0008928; Jakusch in Angst ² § 42 EO Rz 33; Deixler-Hübner in Burgstaller/Deixler-Hübner § 42 EO Rz 3).
2.1. § 42 Abs 1 Z 5 EO ermöglicht die Aufschiebung der Exekution ua im Fall der Klageführung nach § 35 EO. Für den Erfolg der Oppositionsklage muss der Umstand, auf den der Kläger seine Einwendungen gegen den Anspruch stützt, wie bei jeder Klage bis spätestens zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz eingetreten sein. Das ist nicht der Fall, wenn erst im Oppositionsprozess ein Gestaltungsrecht ausgeübt wird, dessen Wirkung erst mit Rechtskraft des Urteils eintritt, sodass die Rechtsgestaltung für den Erfolg der Oppositionsklage zu spät käme. Solche Gestaltungsrechte bilden, weil sie gerichtlich geltend gemacht werden müssen, in keinem Fall taugliche Oppositionsklagegründe (RIS-Justiz RS0108542). Da § 42 Abs 1 Z 5 EO den in der Praxis am häufigsten geltend gemachten Aufschiebungsgrund bildet und von den Verpflichteten oft zur Prozessverschleppung missbraucht wird, sind die Voraussetzungen hier besonders streng zu prüfen (3 Ob 152/10i; Deixler-Hübner § 42 EO Rz 11 mwN).
2.2. Die Verpflichtete würde im Fall eines Erfolgs ihrer Klage (erst) mit der Rechtskraft des stattgebenden Urteils rückwirkend zum Universalsukzessor werden; erst mit der Rechtskraft würden Eigentum, Forderungen und sonstige Rechte der Erblasserin auf die Verpflichtete übergehen (3 Ob 320/02h; 3 Ob 219/05k mwN; RIS-Justiz RS0013137; RS0041407; RS0041426; Welser in Rummel/Lukas 4 § 824 ABGB Rz 12; Sailer in KBB 4 §§ 823 824 ABGB Rz 5; Spruzina in
Kletečka/Schauer , ABGB-ON 1.01 § 823 ABGB Rz 12).
Damit stützt die Verpflichtete ihren Aufschiebungsantrag auf eine Klageführung, die erst im Falle ihrer rechtskräftigen Stattgebung jenen Einwand begründen könnte, der dem betriebenen Räumungsanspruch entgegenstehen soll; es entstünde also der Oppositionsgrund erst mit Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung und daher zu spät. Die von der Rechtsprechung geforderte Voraussetzung einer analogen Anwendung eines Aufschiebungsgrundes, dass dieser seiner Art und seinem Gewicht nach so beschaffen sein muss, dass alles für eine Gleichbehandlung spricht, ist daher hier nicht erfüllt (so schon 3 Ob 152/10i [zur Klage auf Abschluss eines Mietvertrags über jenes Bestandobjekt, zu dessen Räumung der Verpflichtete nach dem Exekutionstitel verhalten ist]).
Der rückwirkende Eintritt der Rechtsfolgen eines der Erbschaftsklage stattgebenden Urteils ändert daran nichts, weil dieser eine rechtskräftige Entscheidung voraussetzt und deshalb auch die Rückwirkung nicht vor Schluss der Verhandlung erster Instanz eintreten kann.
2.3. Die vom Rekursgericht referierte E 3 Ob 131/02i ist für den hier zu lösenden Fall nicht einschlägig, weil es dort um die Beurteilung der Ausübung eines Gestaltungsrechts als Aufschiebungsgrund ging, das sofort Rechtsfolgen auslöste, also anders als hier gerade nicht vom Eintritt der Rechtskraft des darüber ergehenden Urteils abhängig war.
3. Die Verpflichtete vertrat in ihrem Rekurs auch den Standpunkt, die Erbschaftsklage sei im Verhältnis zur Räumungsexekution wie eine Klage auf Ungültig- oder Unwirksamerklärung des Titels zu werten, weil bei einem Durchdringen die Berechtigung der betreibenden Partei zur Exekutionsführung wegfallen würde.
Dabei wird jedoch übersehen, dass die (analoge) Anwendung des § 42 Abs 1 Z 1 EO voraussetzt, dass die als Aufschiebungsgrund benannte Prozesshandlung gegen den Exekutionstitel gerichtet sein muss, der der Exekution zugrunde liegt (3 Ob 22/90; Jakusch § 42 EO Rz 36). Das ist aber bei der Erbschaftsklage nicht der Fall, weil der Kläger damit die Rechtsstellung als Universalsukzessor des Erblassers anstelle des eingeantworteten Scheinerben anstrebt (5 Ob 116/12p mwN); das einem solchen Begehren stattgebende Urteil vernichtet nur die durch die Einantwortung geschaffene vorläufige Vermutung, dass der in den Erbschaftsbesitz Eingewiesene der wahre Erbe sei (RIS Justiz RS0041429) und richtet sich daher nicht gegen den hier betriebenen und vor der Einantwortung geschaffenen Räumungstitel.
4. Aus welchen Gründen die Erbschaftsklage „wie eine Wiederaufnahme oder Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen den Titel betrachten werden“ könnte (so die Verpflichtete im Rekurs ohne weitere Begründung) ist nicht nachvollziehbar.
5. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Erbschaftsklage, die auf die Herausgabe (auch) jener Liegenschaft gerichtet ist, auf der sich das Bestandobjekt befindet, zu dessen Räumung die Verpflichtete nach dem Exekutionstitel verhalten ist, die Aufschiebung der Räumungsexekution nicht ermöglicht.
Darauf, ob ein vollständiger Erfolg der Erbschaftsklage zur unmittelbaren Exekutionseinstellung führen könnte oder nicht (vgl RIS-Justiz RS0001806; RS0001420; Jakusch § 42 EO Rz 34), kommt es daher gar nicht mehr an. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, fehlte es hier an der für eine Analogie erforderlichen Voraussetzung einer gebotenen Gleichbehandlung mit den gesetzlichen Aufschiebungsgründen.
Die Abweisung des Antrags auf Räumungsaufschub durch das Erstgericht erweist sich somit als zutreffend und war deshalb wiederherzustellen.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO iVm § 78 EO. Der Betreibende hat Anspruch auf Ersatz der Kosten der Rekursbeantwortung und des Revisionsrekurses.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:0030OB00205.15S.1216.000