OGH vom 26.02.2020, 1Ob232/19b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N*****, vertreten durch Mag. Britta Schönhart-Loinig, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 20.911,87 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 14 R 72/19i-14, mit dem das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom , GZ 4 Cg 8/19f-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.176 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Anlass des vom Kläger angestrengten Amtshaftungsprozesses ist ein zwischen ihm (als Antragsgegner) und seinen Nachbarn (als Antragsteller) in den Jahren 2016 bis 2018 geführtes Grenzfestsetzungsverfahren nach § 851 Abs 1 ABGB, das zur Festlegung der Grenze zwischen ihren Grundstücken führte. Der Kläger wurde damals von den Gerichten erster und zweiter Instanz zum Ersatz der gesamten Verfahrenskosten und der Kosten der Vermarkung der Grenze verpflichtet.
Den auf diese Kostenentscheidung(en) (als ihn schädigend) gestützten Ersatzanspruch wiesen die Amtshaftungsgerichte übereinstimmend ab.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision nicht zulässig, was nur einer kurzen Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 ZPO):
1. Amtshaftungsansprüche setzen gemäß § 1 Abs 1 AHG ein rechtswidriges und schuldhaftes Organverhalten voraus. Ganz allgemein begründet nur eine unvertretbare Rechtsanwendung Amtshaftungsansprüche (RIS-Justiz RS0049955 [T28]; RS0049912; RS0050216; RS0049951 [T9]). Unvertretbarkeit der Rechtsansicht und damit ein Verschulden des Organs wird in der Regel dann angenommen, wenn die Entscheidung oder Verhaltensweise des Organs von einer klaren Rechtslage oder einer ständigen Rechtsprechung ohne sorgfältige Überlegung der Gründe abweicht (RS0049951 [T4]; RS0049969 [T1]), aber verneint, wenn sie auf einer bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbaren Rechtsauslegung oder Rechtsanwendung beruht (RS0050216 [T2]). Eine bloß unrichtige, aber vertretbare Rechtsauffassung begründet damit mangels Verschulden des Organs keine Amtshaftung (RS0049955 [T9, T 15, T 20, T 26]; RS00499551 [T8]).
2. Der Frage, ob die Entscheidung im Anlassfall richtig war, kommt folglich im Amtshaftungsprozess keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu, wenn sie – wie dies im vorliegenden Fall ohne aufzugreifende Fehlbeurteilung geschehen ist – als jedenfalls vertretbar beurteilt wurde (vgl RS0049951 [T4, T 12]; RS0050216 [T7]; jüngst 1 Ob 184/18t). Das Fehlen von Rechtsprechung zu einer „zwingend[en] – oder auch nur klar[en] – Auslegung der Kostentragungsvorschrift des § 853 Abs 2 ABGB“ vermag daher die Zulässigkeit der Revision nicht zu begründen.
3.1. Der Kläger, der meint, es wäre falsch gewesen, ihm allein alle Kosten aufzuerlegen (richtigerweise hätten sie iSd § 853 Abs 1 Satz 1 ABGB von den Parteien des Außerstreitverfahrens nach Maßgabe der Grenzlinie getragen werden müssen, die Kosten der Rechtsvertretung hätte jede Partei selbst tragen müssen), kann auf eine nach den vorstehenden Erwägungen vorhandene „klare Rechtsprechung“ (von der ein Abweichen – ohne sorgfältige Überlegung der Gründe – Amtshaftungsansprüche auslösen könnte) nicht verweisen. Er zitiert in seiner Rechtsmittelschrift keine einzige Entscheidung. Dennoch hält er die Beurteilung des Berufungsgerichts im Amtshaftungsverfahren über die Vertretbarkeit der Entscheidungen im Anlassverfahren für eine „krasse Fehlbeurteilung“, und zwar deshalb, weil er auf dem Standpunkt steht, eine „Anwendung des § 853 Abs 2 ABGB“, ohne dass ein ruhiger Besitz festgestellt worden sei, sei „denkunmöglich“ und damit unvertretbar. Er beruft sich darauf, dass die Vorschriften der § 851 Abs 1 und 853 Abs 2 ABGB explizit auf den „letzten ruhigen Besitzstand“ hinwiesen und „eben gerade kein ruhiger letzter Besitzstand festgestellt“ habe werden können. Da die Grenze im Anlassverfahren vom Rekursgericht nach billigem Ermessen festgesetzt worden sei, hätte er nicht zum Ersatz der gesamten Kosten verpflichtet werden dürfen.
3.2. § 851 Abs 1 ABGB sieht für die Festsetzung der „wirklich unkennbar geworden oder streitigen“ Grenzen im Außerstreitverfahren zwei Möglichkeiten vor: Zunächst hat die Festsetzung nach dem „letzten ruhigen Besitzstande“ zu erfolgen. Lässt sich dieser nicht feststellen, hat das Gericht „die Fläche nach billigem Ermessen zu verteilen“. Für die Tragung der damit verbundenen Kosten stellt § 853 ABGB in seinem Abs 1 die Grundregel auf, dass sie von den beteiligten Nachbarn nach „Maß ihrer Grenzlinien zu bestreiten“ sind. Davon gibt es aber zwei Abweichungen: Wenn die Grenzerneuerung oder Grenzberichtigung nicht notwendig war, weil die Grenze tatsächlich gar nicht bestritten oder hinlänglich kenntlich gewesen ist, oder weil die anderen Beteiligten zur außergerichtlichen Vermarkung bereit waren, soll sie der [das Verfahren unnötig veranlassende] Antragsteller tragen (Abs 1 leg cit 2. Satz) oder sie können demjenigen (ganz oder teilweise) auferlegt werden, der „das Verfahren durch Störung des ruhigen Besitzes veranlaßt“ hat (Abs 2 leg cit).
3.3. Bei seiner Schlussfolgerung, es sei eine „denkunmöglich(e)“ Auslegung dieser Bestimmung, ihm die Kosten aufzuerlegen, wenn sich ein letzter ruhiger Besitzstand nicht habe eruieren lassen und die Grenze nach billigen Ermessen festgesetzt worden sei, übersieht der Revisionswerber – wie schon bisher und trotz darauf bezugnehmender Erläuterung sowohl der Gerichte im Anlassverfahren, wie auch im Amtshaftungsverfahren – zweierlei:
Nach dem Wortlaut der Bestimmung wird für den Kostenersatz nicht auf das Ergebnis bzw die Art der Grenzfestsetzung und damit darauf zurückgegriffen, ob die Grenze nach „dem letzten ruhigen Besitzstand“ oder nach „billigem Ermessen“ festgesetzt wurde, sondern es wird auf die Veranlassung des Verfahrens abgestellt. Auch wenn der Grenzverlauf nach dem genannten Besitzstand allenfalls nicht mehr ganz exakt zu ermitteln ist, kann doch durchaus feststehen, dass eine Besitzstörung durch den Nachbarn erfolgte und (gerechtfertigter) Anlass für die Einleitung des Verfahrens war.
Sowohl das Gericht erster als auch jenes zweiter Instanz im Anlassverfahren waren davon ausgegangen, dass der Kläger das Grenzfestsetzungsverfahren durch sein Verhalten veranlasst hatte, nämlich durch ein „Hinüberackern“, wobei sie übereinstimmend jenes zuletzt (im Jahr 2016) um (weitere) 20 cm in östliche Richtung erfolgte als Besitzstörung qualifizierten. Durch sein Ackern war es jedenfalls (über mehrere Jahre) zu einer „tendenziellen Verlagerung des Weges“ in „östliche Richtung“ gekommen (wenn sich auch die noch 1976 in der Mitte des Weges befindliche „Besitzgrenze“ aufgrund mehrerer solcher Verlagerungen nicht mehr hatte eruieren lassen). Dass oder warum bezogen auf die (noch genau feststellbare) Ackerung im Jahr 2016 (wiederum um einen bestimmten Bereich weiter in Richtung Osten) die Beurteilung einer Störung des ruhigen Besitzstands iSd § 853 Abs 2 ABGB (jedenfalls in diesem Umfang) unrichtig sein sollte, legt der Revisionswerber, der sich mit dem konkret festgestellten Sachverhalt gar nicht befasst, nicht dar. Auf die Überlegungen der Amtshaftungsgerichte zur Begründung des Rekursgerichts im Grenzfestsetzungsverfahren, welches in seiner Entscheidung ja ausdrücklich („in Bezug auf die Ackerung im August 2016“) auf „diese Besitzstörung“ als Anlass für das Grenzsetzungsverfahren verwiesen hatte und – wie das Erstgericht – davon ausgegangen war, dass diese es war, die die Antragsteller zur Einleitung des Verfahrens bewogen hatte, geht er gar nicht ein. Warum angesichts des Wortlauts von § 853 Abs 2 ABGB („das Verfahren durch Störung des ruhigen Besitzes veranlaßt“ wurde) eine „denkunmögliche“ Auslegung oder die von ihm behauptete „krasse Fehlbeurteilung“ des Berufungsgerichts zur Vertretbarkeit der Entscheidungen im Anlassverfahren vorliegen sollte, vermag der Kläger damit nicht zu erklären; noch weniger, warum es angesichts des festgestellten Sachverhalts und der Motive des Gesetzgebers für die Schaffung der (Ausnahme)Bestimmung des § 853 Abs 2 ABGB (vgl nur JMVBl 1915, 264) sachgerecht sein sollte, die Antragsteller im Anlassverfahren mit Verfahrenskosten zu belasten.
4. Der Bund hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision des Klägers hingewiesen, sodass ihm die Kosten der Revisionsbeantwortung als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig gemäß § 41 ZPO iVm § 50 ZPO zuzuerkennen sind. Der Einheitssatz für die Revisionsbeantwortung beträgt allerdings nur 50 % (§ 23 Abs 1 und 3 RATG).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00232.19B.0226.000 |
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