OGH vom 29.08.2019, 6Ob141/19g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Außerstreitsache der Antragstellerin S*****, vertreten durch Ferner Hornung & Partner Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen den Antragsgegner Ing. B***** J*****, vertreten durch Kopp Wittek Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Bucheinsicht, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom , GZ 6 R 58/19w-16, womit der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom , GZ 24 Fr 7332/18t-10, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahingehend abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Antragsgegner war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der am zu FN ***** in das Firmenbuch eingetragenen B***** GmbH (im Folgenden „Gesellschaft“). Am trug das Firmenbuchgericht die Auflösung der Gesellschaft aufgrund des Generalversammlungsbeschlusses vom ein. Am wurde die Gesellschaft infolge beendeter Liquidation im Firmenbuch gelöscht. Der Antragsgegner wurde vom Erstgericht zum Verwahrer der Bücher und Schriften der Gesellschaft bestellt.
Die beantragte als Gläubigerin der gelöschten Gesellschaft beim Firmenbuchgericht die Gewährung der Bucheinsicht gemäß § 93 Abs 4 GmbHG. Sie habe die Gesellschaft im Jahr 2013 mit Fassadenarbeiten beauftragt, die die Gesellschaft mangelhaft ausgeführt habe, woraus der Antragstellerin Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche zustünden.
Der anerkannte den geltend gemachten Anspruch auf Bucheinsicht für den Zeitraum des Liquidationsverfahrens ( bis zur Beendigung der Liquidation), bestritt ihn aber für die Zeit davor. Allfällige Ansprüche der Antragstellerin könnten sich ausschließlich aufgrund einer nicht ordnungsgemäß durchgeführten Liquidation und Nichtteilnahme der Antragstellerin am Liquidationsverfahren infolge unterbliebener Verständigung ergeben. Damit habe die frühere Tätigkeit des Liquidators als Geschäftsführer nichts zu tun.
Das gab dem Antragsbegehren zur Gänze statt und trug dem Antragsgegner auf, der Antragstellerin die im Spruch hinsichtlich der Modalitäten näher beschriebene Bucheinsicht in sämtliche Unterlagen der Gesellschaft – ohne Einschränkung auf Unterlagen aus bestimmten Zeiträumen – zu gestatten und behielt sich die Kostenentscheidung bis zur Rechtskraft seines Beschlusses vor. Es ging von der unstrittigen Gläubigerstellung der Antragstellerin aus und begründete den Entfall einer zeitlichen Einschränkung mit der zu den § 91 und 93 GmbHG ergangenen oberstgerichtlichen Judikatur. Nach der Entscheidung 6 Ob 314/03z sei das Einsichtsrecht ein unbeschränktes. Ein allfälliges Geheimhaltungsinteresse zugunsten Dritter hätte der Antragsgegner zu behaupten und bescheinigen gehabt, was er aber nicht getan habe.
Das änderte den Beschluss des Erstgerichts dahingehend ab, dass es der Antragstellerin das Bucheinsichtsrecht nur für den Zeitraum „zurückreichend bis einschließlich das Geschäftsjahr 2013“ gewährte, das Mehrbegehren für die davor liegenden Geschäftsjahre hingegen abwies. Es sei nicht ersichtlich, worin ein schützenswertes Interesse der Antragstellerin bestehen sollte, auch in Geschäftsunterlagen Einsicht zu erhalten, die sich auf Geschäftsjahre vor dem von ihr behaupteten Geschäftsfall bezögen. Insoweit weiche das Rekursgericht von der oberstgerichtlichen Entscheidung 6 Ob 314/03z ab, zumal diese einen Fall betroffen habe, in dem eine GmbH bereits ein knappes Jahr nach Firmenbucheintragung in das Liquidationsstadium getreten sei. Der vor dem Liquidationsstadium liegende Zeitraum, für den der Oberste Gerichtshof das Einsichtsrecht nicht beschränkt habe, habe daher weniger als ein Jahr umfasst. Dass dieser kurze Zeitraum ein spezieller Streitpunkt gewesen wäre, sei der Entscheidung 6 Ob 314/03z nicht zu entnehmen. Im vorliegenden Fall reiche der vor der Liquidation liegende Zeitraum bis zur Gründung der Gesellschaft auf das Jahr 2004 zurück. Wozu der Gesetzgeber in § 93 Abs 4 GmbHG ein über ein Jahrzehnt zurückreichendes Einsichtsrecht hätte normieren wollen, zumal dieses nur die Nichtteilnahme des Gläubigers an der Liquidation ausgleichen solle, sei nicht erkennbar. Ein länger als sieben Jahre zurückreichendes Einsichtsrecht sollte jedenfalls schon durch § 93 Abs 3 GmbHG hinreichend deutlich ausgeschlossen sein.
Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu, weil es der Entscheidung 6 Ob 314/03z nur teilweise gefolgt sei und die dort ausgesprochene zeitliche Unbeschränktheit des Rechts auf Bucheinsicht von Vornherein nur einen kurzen Zeitraum betroffen habe.
Gegen den abweisenden Teil der Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der mit dem Antrag, den Beschluss des Erstgerichts wiederherzustellen.
Der Antragsgegner hat keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht von oberstgerichtlicher Rechtsprechung abgewichen ist; er ist auch berechtigt.
Die Rechtsmittelwerberin macht zusammengefasst geltend, die angefochtene Entscheidung weiche von der Entscheidung 6 Ob 314/03z ab.
Diese Ansicht ist zutreffend.
1. Zunächst ist festzuhalten, dass sich der Antragsgegner weder in erster Instanz noch im Rechtsmittelverfahren substanziiert gegen die Annahme des Erstgerichts, die Antragstellerin sei Gläubigerin der gelöschten Gesellschaft, gewendet hat, weshalb davon auszugehen ist.
2. Nach § 93 Abs 4 GmbHG behalten die Gesellschafter und deren Rechtsnachfolger das Recht auf Einsicht und Benützung der Bücher und Schriften (der gelöschten Gesellschaft). Gläubiger der Gesellschaft können von dem Gerichte zur Einsicht ermächtigt werden.
3.1. Zum Einsichtsrecht der Gläubiger nach § 93 Abs 4 Satz 2 GmbHG ist die Entscheidung 6 Ob 314/03z = RdW 2004, 415 = wbl 2004, 393 = EvBl 2004/147 = ecolex 2004, 718, ergangen.
Eine Entscheidung, die zwar bisher die einzige ist, die aber ausführlich begründet und mehrfach veröffentlicht wurde, zu der gegenteilige Entscheidungen nicht vorliegen und die auch vom Schrifttum ohne Kritik übernommen wurde (vgl Koppensteiner/Rüffler, GmbHG3 [2007] § 93 Rz 11; Wasserer in U. Torggler, GmbHG [2014] § 93 Rz 3; Haberer/Zehetner in Straube/Ratka/Rauter, GmbHG [2016] § 93 Rz 30; H. Foglar-Deinhardstein/Trettnak in FAH, GmbHG [2017] § 93 Rz 19; Gelter in Gruber/Harrer, GmbHG2 [2018] § 93 Rz 29), reicht für das Vorliegen einer gesicherten Rechtsprechung aus (RS0103384).
Diese Kriterien treffen auf diese Entscheidung zu.
3.2. Nach dieser Entscheidung ist das in § 93 Abs 4 GmbHG normierte und hier gegenständliche Recht auf Bucheinsicht grundsätzlich ein unbeschränktes. Allfällige Hindernisse tatsächlicher oder rechtlicher Natur, die sich aus Schutzgesetzen zugunsten anderer Personen ableiten ließen, sind vom Antragsgegner konkret zu behaupten und zu bescheinigen (RS0118727).
Dass der Antragsgegner derartige Hindernisse weder konkret behauptet noch bescheinigt hat, haben bereits die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt.
4. Entgegen den Erwägungen des Rekursgerichts besteht kein Grund, – abweichend von der genannten Entscheidung – hier die Bucheinsicht zeitlich zu begrenzen:
4.1. Die vom Rekursgericht vorgenommene zeitliche Einschränkung lässt sich aus keiner gesetzlichen Bestimmung ableiten. Zutreffend verweist die Rechtsmittelwerberin in diesem Zusammenhang darauf, dass aus der siebenjährigen Aufbewahrungsfrist nach § 93 Abs 3 Satz 1 GmbHG nicht gefolgert werden kann, dass nicht auch in ältere Unterlagen, sofern sie noch vorhanden sind, Einsicht genommen werden kann.
4.2. Aus dem Umstand, dass in der Vorentscheidung aus rein faktischen Gründen der Zeitraum der Bucheinsicht nur sehr kurz war, weil die dort betroffene Gesellschaft schon weniger als ein Jahr nach ihrer Eintragung im Firmenbuch bereits in Liquidation getreten war, lässt sich für den Standpunkt des Rekursgerichts nichts gewinnen: In der Vorentscheidung wurde der Zeitpunkt der Firmenbucheintragung nicht einmal referiert, sodass auch mangels irgendwelcher in die Richtung der Erwägungen des Rekursgerichts gehender Ausführungen des Obersten Gerichtshofs kein Anhaltspunkt dahingehend besteht, die Rechtsausführungen des Senats seien nach der Lebensdauer der betroffenen Gesellschaft zu differenzieren.
4.3. Schließlich überzeugen die Ausführungen des Rekursgerichts nicht, es sei kein schützenswertes Interesse der Antragstellerin ersichtlich, in Geschäftsunterlagen Einsicht zu erhalten, die sich auf Geschäftsjahre vor dem von ihr behaupteten Geschäftsfall bezögen: Zweck des Einsichtsrechts eines Gläubigers der gelöschten Gesellschaft nach § 93 Abs 4 Satz 2 GmbHG ist es, ihm Informationen über trotz Liquidation und Löschung unter Umständen doch noch vorhandenes Vermögen der gelöschten Gesellschaft und somit über einen (teilweisen) Befriedigungsfonds zu verschaffen (vgl RS0118725). Solche Informationen müssen sich aber nicht zwangsläufig nur aus jüngeren Unterlagen, sondern können sich – trotz des Verjährungsrechts – auch aus älteren Belegen ergeben. Beispielsweise kann etwa bei einer GmbH mit einem Gesellschaftergeschäftsführer – wie im vorliegenden Fall – die Verjährungsfrist für Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen den Gesellschafter oder den Geschäftsführer für die Zeit der Interessenkollision gehemmt sein (vgl RS0112302 [T1]).
5. Zusammengefasst liegen die Gründe, die das Rekursgericht für die zeitliche Einschränkung des Einsichtsrechts angeführt hat, nicht vor. Es war somit der Beschluss des Erstgerichts, der im Einklang mit der Leitentscheidung 6 Ob 312/03z die Einsicht (zeitlich) unbeschränkt gewährt hat, wiederherzustellen.
6. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 78 Abs 1 AußStrG (vgl 6 Ob 197/07z ua; Obermaier, Kostenhandbuch3 4.16 mwN).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0060OB00141.19G.0829.000 |
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