OGH vom 16.08.1949, 2Ob155/49
Norm
Strafgesetz § 337;
Kopf
SZ 22/110
Spruch
Die Eisenbahn haftet gemäß § 9 Reichshaftpflichtgesetz über die in den §§ 1 und 3a dieses Gesetzes vorgesehene Ersatzpflicht hinaus nach den Bestimmungen des ABGB., wenn durch das Urteil eines Strafgerichtes das Verschulden eines ihrer Organe festgestellt worden ist.
Die Eisenbahn haftet gemäß § 1313a ABGB. für die Schäden, die den mit dem Betrieb verbundenen Gefahren entsprungen und von einem ihrer in Dienst gestandenen Angestellten verursacht worden sind.
Die Haftung nach § 1315 ABGB. ist gegeben, wenn auch der Angestellte zum erstenmal seine Berufspflicht grob fahrlässig verletzt und sich hiebei als untüchtig erwiesen hat, u. zw. ohne Rücksicht auf sein früheres Verhalten, auf die Ursachen der Untüchtigkeit im konkreten Fall und auf die Unkenntnis des Dienstgebers.
Entscheidung vom , 2 Ob 155/49.
I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.
Text
In der gegen die Republik Österreich (Österreichische Bundesbahnen) und den Schrankenwärter E. erhobenen Klage begehrte die Klägerin den Ersatz des Schadens, der ihr aus einem durch das Verschulden des Schrankenwärters zugestoßenen Unfall entstanden war; sie stützte ihren Anspruch einerseits auf das Reichshaftpflichtgesetz, anderseits auf die §§ 1313a und 1315 ABGB. Das Verfahren wurde auf den Grund des Anspruches eingeschränkt.
Das Prozeßgericht erkannte, daß der Anspruch dem Gründe nach zu Recht bestehe.
Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche, nur von den Bundesbahnen angefochtene Zwischenurteil.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Bundesbahnen keine Folge.
Rechtliche Beurteilung
Entscheidungsgründe:
Beide Unterinstanzen sind davon ausgegangen, daß die Erstbeklagte eine über die in den §§ 1 und 3a RHG. festgelegte Ersatzpflicht hinausgehende Haftung nach den Bestimmungen des ABGB. treffe, weil ein durch strafgerichtliches Urteil festgestelltes Verschulden eines ihrer Organe gegeben ist, für welches die Eisenbahnunternehmung im Sinne des § 9 RHG. einzustehen habe, wo festgelegt ist, daß die gesetzlichen Vorschriften, nach welchen außer in den im Reichshaftpflichtgesetz vorgesehenen Fällen die Eisenbahn den durch eigenes Verschulden entstandenen Schaden zu vergüten habe, weiter in Geltung bleiben.
Dem ist grundsätzlich beizustimmen. § 1 RHG. hat lediglich eine Minimalhaftung zum Gegenstande, durch § 9 werden gesetzliche Bestimmungen, welche nach Sachlage des Falles eine weitere Haftung zulassen, unberührt gelassen (siehe Dr. Georg Eger, Das Reichshaftpflichtgesetz, S. 617, 623, 625). Es sei hier auch auf Pfundtner - Neubert, Bd. II b 42, S. 14, verwiesen, der bei Erörterung des § 9a RHG., eingeführt durch Art. 1 Z. 7 des Gesetzes über die Ausdehnung der Schadenshaftung nach dem Reichshaftpflichtgesetz auf Elektrizitäts- und Gaserzeugungsbetriebe, DRGBl. 1943 I S. 489, ausdrücklich erwähnt, daß § 9a dem § 9 des Reichshaftpflichtgesetzes entspräche und die uneingeschränkte Haftung auf vollen Ersatz bei Verschulden gegeben sei.
Die Unterinstanzen erachteten demzufolge, daß die von der Klägerin bezogenen Bestimmungen der §§ 1313a und 1315 ABGB. hier zur Anwendung zu kommen haben.
Das Berufungsgericht, welches zwar die Rechtsansicht des Erstgerichtes, es befände sich die Eisenbahn bei Erfüllung ihrer Pflicht, für die Sicherheit der Passanten bei Bahnübergängen entsprechende Vorsorge zu treffen, in der Stellung eines Vertragspartners zur Allgemeinheit, ablehnte, hat aber trotzdem in weitergehender Auslegung der Bestimmungen des § 1313a ABGB., gestützt auf Lehre und Rechtsprechung, die Haftung der Bahn für Verschulden ihres Betriebsgehilfen bejaht und auch die Haftung im Sinne des § 1315 ABGB. als gegeben erachtet, auch wenn dieser Gehilfe sonst als tüchtig und ungefährlich zu bezeichnen war; es genüge, daß der Schade aus einer Betriebsgefahr entsprang, von einem unselbständigen Angestellten verursacht wurde, der sich in Ausübung seines Dienstes im Betriebe befunden habe. Hiebei wird auch der Standpunkt vertreten, daß der Zweitbeklagte als untüchtig anzusehen ist, da er, wenngleich für seinen Dienst keine besonderen Voraussetzungen erforderlich waren, in gröblicher Weise seinen denkbar einfachen, aber verantwortungsvollen Dienst im gegebenen Falle vernachlässigt habe.
Die Revision bekämpft diese Anschauung des Berufungsgerichtes, indem sie einerseits die vom Berufungsgerichte angewendete Rechtsansicht der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 1 Ob 500/47, SZ XXI/46, als auf den vorliegenden Fall nicht passend bezeichnet, anderseits sich gegen die Qualifikation ihres, Angestellten, des Zweitbeklagten, als untüchtig wehrt, da es sich um dessen erst- und einmaliges Verschulden handle.
Es mag der Revision zuzugeben sein, daß in dem Falle der Entscheidung 1 Ob 500/47 ein anderer Betrieb als der einer Bahn vorlag, der als gefährlich bezeichnet war. Die Bahn ist auch ein gefährlicher Betrieb; dies ergibt sich schon auch aus der Verurteilung des Zweitbeklagten nach § 337 StG. In der erwähnten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes wird ausgesprochen, es sei unerläßlich, den Unternehmer eines gefährlichen Betriebes für seine Angestellten ohne Rücksicht auf deren Tüchtigkeit haften zu lassen, soweit es sich um die von ihm geschaffene Betriebsgefahr handle. Der Oberste Gerichtshof ging bei dieser Entscheidung davon aus, daß bei einem solchen gefährlichen Unternehmen die analoge Anwendung der Haftpflichtgrundsätze für die Eisenbahn am Platze sei, und brachte zum Ausdruck, daß eben auch die Bahnunternehmung die Gefahr eines aus der Art ihres Betriebes entsprungenen Schadensfalles nicht auf die Öffentlichkeit überwälzen könne, sondern für sie aufzukommen habe, wenn ihr oder einem ihrer Angestellten im Betriebe ein Verschulden nachgewiesen wurde. Der Oberste Gerichtshof sieht sich auch im gegenständlichen Falle nicht veranlaßt, von diesem Gedankengange abzuweichen, der den Erfordernissen der Verkehrsentwicklung entspricht und auch dem österreichischen Rechte vertraut ist (§ 1 des österreichischen Eisenbahnhaftpflichtgesetzes, Ehrenzweig, II/1, § 394, S. 644). Da § 9 RHG. lediglich eine Minimalhaftung festlegt, daneben aber eine weitere Haftung nach anderen Gesetzen (hier also dem ABGB.) zuläßt, ist es verfehlt, wenn die Revision darauf hinweist, daß weder das Reichshaftpflichtgesetz noch die Einführungsverordnung eine Bestimmung über eine uneingeschränkte Haftung enthalte.
Sofern die Revision auch die Heranziehung des Haftungsgrundes des § 1315 ABGB. als verfehlt bezeichnet, weil aus dem einmaligen schuldhaften Verhalten des Betriebsgehilfen auf dessen Untüchtigkeit nicht geschlossen werden könne, ist ihr zu entgegnen, daß § 1315 ABGB. zwischen einer Haftung für eine untüchtige Person und einer Haftung für eine mit Wissen des Betriebsinhabers angestellte gefährliche Person wohl unterscheidet. Für den ersten Fall kommt es auf eine Kenntnis einer Untüchtigkeit nicht an, sondern nur darauf, ob sich der Betriebsangestellte im Einzelfalle als untüchtig erwiesen hat, dessen Untüchtigkeit aber zu vertreten ist. Es hat das Reichsgericht in seiner Entscheidung vom , VII 121, DR. 1945, EvBl. Nr. 29, schon die Ansicht vertreten, daß auch bei einmalig grobfahrlässiger Verletzung seiner Berufspflichten ein Betriebsangestellter als untüchtig im Sinne des § 1315 ABGB. anzusehen ist, gleichgültig, ob er sich bis dahin einwandfrei verhalten hat oder nicht, worauf seine Untüchtigkeit im konkreten Falle zurückzuführen ist und ob der Dienstgeber die Untüchtigkeit kannte oder nicht. Der Oberste Gerichtshof schließt sich ohneweiters dieser Auffassung sowie jener des Berufungsgerichtes an, zu welcher dieses im Hinblick auf die Gründe des strafgerichtlichen Erkenntnisses gekommen ist, die eine Vernachlässigung der Pflichten des Zweitbeklagten als Schrankenwärter festgestellt haben.
Es haftet daher dem angefochtenen Urteil keinerlei Rechtsirrtum an, wenn es die volle Haftung der Erstbeklagten ohne Rücksicht auf die Beschränkung des Reichshaftpflichtgesetzes als gegeben erachtete.