OGH vom 19.03.1998, 6Ob14/98x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F.F***** GesmbH, ***** vertreten durch Dr.Manfred Schiffner und Mag.Werner Diebald, Rechtsanwälte in Köflach, wider die beklagte Partei G***** GesmbH, ***** vertreten durch Dr.Helmut Destaller, Dr.Gerald Mader und Dr.Walter Niederbichler, Rechtsanwälte in Graz, wegen 150.000 S, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom , GZ 6 R 194/97i-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 16 Cg 150/96f-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie einschließlich der in Rechtskraft erwachsenen Teilabweisung des Zinsenmehrbegehrens zu lauten haben:
"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 150.000 S samt 4 % Zinsen seit binnen 14 Tagen zu zahlen.
Das Zinsenmehrbegehren von 7,75 % Zinsen aus S 150.000 seit wird abgewiesen.
Die beklagte Partei hat der klagenden Partei die mit 108.360,60 S (darin 35.340 S Barauslagen und 12.170,10 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin stellte dem Geschäftsführer der Beklagten einen PKW Audi 2,6 E mit einem Zeitwert von 300.000 S für eine Geschäftsreise nach Prag leihweise zur Verfügung. Über den Bestand einer Kaskoversicherung wurde nicht gesprochen, eine solche bestand nur für Österreich. Der PKW wurde am übergeben und als Rückgabetermin der vereinbart. Die Geschäftsreise führte schließlich noch 250 km weiter in Richtung der Grenze zur Slowakei. Im Zielort übernachtete der Geschäftsführer der Beklagten in einem Hotel. Die Rezeptionistin erklärte ihm, der an der Hotelrückseite gelegene Abstellplatz - dieser war von der Straße aus nicht einsehbar - sei gefährlich, da das Einfahrtstor nicht abgeschlossen werden könne und eine Bewachung nicht erfolge. Sie schlug vor, das Fahrzeug auf dem vor dem Hoteleingang befindlichen öffentlichen Parkplatz abzustellen, da diese Fläche durch die Straßenbeleuchtung während der Nachtstunden beleuchtet werde und von der Rezeption aus - sie habe Nachtdienst - eingesehen werden könne. Der Geschäftsführer der Beklagten stellte den PKW an einer von der Rezeption einsehbaren Stelle des Parkplatzes ab und entnahm seine Fahrnisse. Er unternahm keine Versuche, den PKW in der Umgebung des Hotels entgeltlich bewacht oder garagiert abzustellen. Beides wäre möglich gewesen. In der Nacht auf den wurde das Fahrzeug gestohlen. Die Rezeptionistin - auf das Schadensereignis angesprochen - erklärte, sie sei möglicherweise eingeschlafen, habe jedenfalls den Diebstahl nicht bemerkt.
Die Klägerin begehrt 50 % des Zeitwertes. Sie stützt ihr Begehren einerseits auf Verschulden des Geschäftsführers der Beklagten, weil er das Fahrzeug auf einem unbewachten öffentlichen Parkplatz abgestellt habe. Andererseits machte sie die Haftung des Entleihers für casus mixtus im Sinne der §§ 979 und 965 ABGB geltend. Der Geschäftsführer der Beklagten habe durch Überschreitung des vereinbarten Fahrzieles die Möglichkeit des Diebstahls erst geschaffen.
Die Beklagte beantragte Klageabweisung. Ihr Geschäftsführer sei berechtigt gewesen, das Fahrzeug nach Belieben zu nutzen. Er habe es auf Anweisung der Rezeptionistin auf einem beleuchteten, von der Rezeption aus einzusehenden Parkplatz vor dem Hotel abgestellt und damit alle zumutbaren Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Es falle ihm weder Fahrlässigkeit, geschweige denn grobe Fahrlässigkeit zur Last. Beide Teile seien vom Bestand einer Kaskoversicherung ausgegangen. Die Beklagte treffe eine Haftung somit nur dann, wenn auch der Kaskoversicherer leistungsfrei geworden wäre. Im übrigen sei der Anspruch im Sinn des § 982 ABGB erloschen, da die Klägerin erstmals mit Rechnung vom Schadenersatz begehrt habe.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus fest, das der Klägerin angegebene Fahrtziel Prag sei nicht Bedingung für die Übergabe des Fahrzeugs gewesen, und verneinte davon ausgehend die Haftung durch Überschreitung vereinbarter Nutzung. Dem Geschäftsführer der Beklagten liege aber auch kein Verschulden zur Last, da er habe annehmen können, daß der PKW von der Rezeption aus bewacht werde; überdies sei ihm die gewählte Parkfläche als für eine Überwachung geeignet empfohlen worden.
Die Abweisung des Zinsenmehrbegehrens von 7,75 % ab blieb unbekämpft.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Den Entlehner treffe kein Verschulden. Er habe auf den Vorschlag der Rezeptionistin, das Fahrzeug auf dem vor dem Hoteleingang befindlichen Parkplatz abzustellen, der beleuchtet sei und von der Rezeption aus habe eingesehen werden können, vertrauen dürfen. Auch eine Haftung des Entlehners nach § 979 ABGB sei zu verneinen. Nach den getroffenen Feststellungen könne nicht davon ausgegangen werden, daß sich das Ereignis auf einer "außertourlichen" Strecke ereignet habe.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der Klägerin richtet sich erkennbar gegen die Abweisung der Kapitalforderung samt 4 % Zinsen seit . Die Abweisung des Zinsenmehrbegehrens war mangels Anfechtung in der Berufung bereits in Rechtskraft erwachsen. Das Rechtsmittel ist zulässig, weil dem Berufungsgericht bei Beurteilung der Verschuldensfrage eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Es ist auch berechtigt.
Die Revisionswerberin macht geltend, die Entlehnerin habe - obgleich sie sich der Problematik bewußt gewesen sei - naheliegende Überlegungen nicht angestellt und jedermann einleuchtende Maßnahmen unterlassen. Sie habe keine wie immer gearteten Versuche unternommen, den unentgeltlich zur Leihe übergebenen PKW in der Umgebung des Hotels bewacht oder garagiert abzustellen, obgleich Möglichkeiten dafür gegeben gewesen seien. Der ihr obliegende Beweis mangelnden Verschuldens sei somit nicht gelungen.
Den Entlehner trifft nach § 979 ABGB eine im Vertrag begründete Verschuldenshaftung. Er haftet für jede schuldhafte Verletzung seiner Obsorgepflicht, wobei leichte Fahrlässigkeit genügt, und trägt nach § 1298 ABGB die Beweislast, daß er Beschädigung oder Verlust des überlassenen Objektes nicht verschuldet habe (Binder in Schwimann, ABGB2 Rz 5 zu § 979; Schubert in Rummel, ABGB2 Rz 1 und 3 zu § 979; stRsp RIS-Justiz RS0019043; SZ 56/143). Der Entlehner muß zwar keine Vorsichtsmaßnahmen gegen außergewöhnliche Zufälle treffen, aber doch - mit Rücksicht auf die Unentgeltlichkeit der Leihe - auf die Interessen des Verleihers weitgehend Rücksicht nehmen. Dieser Gedanke leuchtet auch aus §§ 973 und 977 ABGB hervor (vgl Stanzl in Klang2 IV/1 687).
Den Entlehner - der auch für seine Leute einzustehen hat - trifft nur dann kein Verschulden, wenn er die im Einzelfall zur Vermeidung der Verletzung gebotenen Vorsichtsmaßnahmen ergreift (Binder aaO Rz 2 und 3 zu § 979).
Wendet man diese Grundsätze auf den hier vorliegenden Sachverhalt an, ist der Beklagten der Beweis der Schuldlosigkeit ihres Geschäftsführers nicht gelungen. Trotz Kenntnis der Diebstahlsgefahr für ausländische PKW in der CSR und Hinweises auf die ungesicherte - weil unversperrte - Abstellmöglichkeit hinter dem Haus parkte er den fast neuen PKW einer bekanntermaßen von Diebstählen im Osten häufig betroffenen Marke der Oberklasse während der Nacht an einer Durchzugsstraße der CSR nahe der slowakischen Grenze, ohne eine garantierte ständige Bewachung sicherzustellen. Er entnahm dem Fahrzeug sämtliche Fahrnisse, gab sich aber mit der Erklärung der Rezeptionistin, der beleuchtete Parkplatz könne von der Rezeption aus eingesehen werden, sie habe Nachtdienst, zufrieden. Er erkundigte sich auch nicht nach einer anderen - sichereren - Abstellmöglichkeit, obwohl ihm die Gefährlichkeit eines nicht versperrten Parkplatzes während der Nachtstunden durch den Hinweis der Rezeptionistin auf die ungesicherte Abstellung im Hof bewußt gemacht wurde. Eine Möglichkeit, das Fahrzeug versperrt oder durchgehend bewacht abzustellen, hätte im übrigen in nächster Nähe bestanden. Er dachte auch nicht an die Möglichkeit kurzer Abwesenheit der Rezeptionistin während der Nachtstunden, geschweige denn daran, daß sie einschlafen oder aus einem anderen Grund abgelenkt sein könnte.
Von der Rezeptionistin eines kleinen Hotels kann nicht erwartet werden, daß sie einen auf einem öffentlichen Parkplatz gegenüber dem Hotel geparkten PKW ständig überwacht, hat sie doch primär eine Reihe mit ihrer unmittelbaren Tätigkeit zusammenhängender Aufgaben gleichzeitig auszuführen. Es liegt daher auf der Hand, daß sie schon aus diesem Grund Parkplatz und PKW während der Nachtstunden nicht ständig im Auge behalten kann. Unter diesen Umständen fällt dem Geschäftsführer der Beklagten jedenfalls leichte Fahrlässigkeit zur Last. Der Beklagte ist damit der ihr obliegende Beweis der Schuldlosigkeit nicht gelungen. Sie hat für den der Klägerin entstandenen Schaden - den gemeinen Wert der Sache im Zeitpunkt ihres Verlustes - einzustehen.
Ob die Entlehnerin die vereinbarte Nutzung überschritten hat und daraus für jenen Schaden haftet, der die Sache beim bedungenen Gebrauch nicht getroffen hätte (§ 978 ABGB), kann daher dahingestellt bleiben.
Einem allenfalls durch Nichtabschluß einer auch für die CSR geltenden Kaskoversicherung begründeten Eigenverschulden der Klägerin wurde schon dadurch Rechnung getragen, daß nur der einen Mitverschuldensanteil von 50 % entsprechende Schadensbetrag geltend gemacht wird.
Der Anspruch der Klägerin ist im Sinn des § 982 ABGB auch nicht erloschen. Diese Bestimmung normiert die Verpflichtung des Verleihers, Mißbrauch oder übertriebene Abnutzung innerhalb von 30 Tagen ab Rückgabe bei sonstigem Anspruchsverlust zu rügen. Andere Ansprüche - wie insbesondere jener auf Rückgabe der Sache - fallen nicht unter diese Fristbestimmung. Der aus verschuldetem Untergang oder Verlust der entliehenen Sache entstehende Ersatzanspruch verjährt vielmehr gemäß § 1489 ABGB in drei Jahren (Schubert in Rummel, ABGB2 Rz 1 und 3 zu § 982 mwN).
Der Revision wird daher in Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen Folge gegeben und der begehrte Ersatz - unter Berücksichtigung des bereits rechtskräftig abgewiesenen Zinsenmehrbegehrens - zugesprochen.
Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der erstinstanzlichen Kosten auf § 43 Abs 2 und § 50 ZPO, bezüglich der übrigen Kosten auf §§ 41 und 50 ZPO. Vorprozessuale Kosten konnten nur im Umfang einer Fahrt in die CSR zuerkannt werden. Diese diente der im vorliegenden Fall notwendigen außergerichtlichen Sammlung von Beweismaterial insbesondere in Form von Fotografien, die zur Beurteilung der Örtlichkeit erforderlich waren (vgl Fucik in Rechberger, ZPO Rz 5 vor § 40). Diese Sachverhaltsaufnahme war jedoch anläßlich nur einer Fahrt durchaus möglich, sodaß die Kosten einer weiteren Sachverhaltsaufnahme als der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht mehr dienlich nicht zuerkannt werden konnten.