OGH vom 15.10.1952, 2Ob635/52
Norm
Handelsgesetzbuch § 346;
Kopf
SZ 25/261
Spruch
Bedeutung der Klausel "franko Waggon".
Entscheidung vom , 2 Ob 635/52.
I. Instanz: Bezirksgericht Lienz; II. Instanz: Landesgericht Innsbruck.
Text
Der Beklagte verkaufte dem Kläger am einen Waggon Fichtenschnittholz und verpflichtete sich zur Lieferung der Ware franko Waggon S. Das Schnittholz wurde am auf dem Holzlagerplatz des Beklagten vermessen. Hiebei wurden die Bretter, die der Kläger übernehmen sollte, vom Kläger nach Güteklassen angezeichnet und zu einem besonderen Stapel aufgeschlichtet. Da der Beklagte die Bretter nicht, wie der Kläger verlangte, sofort liefern konnte, wies der Kläger den Beklagten an, das Holz erst nach vorangegangenem Abruf zu liefern. Entgegen dieser Vereinbarung brachte der Beklagte das Holz, ohne eine Anordnung des Klägers abzuwarten, im Jänner oder Feber 1945 zur Bahnstation S., wo es jedoch nicht verladen werden konnte, da kein Waggon zur Verfügung stand. Anläßlich des Zurückflutens der deutschen Truppen im April 1945 machte der Kläger den Beklagten auf die Gefahr eines Verlustes des Holzes aufmerksam und ersuchte ihn, die Bretter wegzuführen. Der Beklagte unternahm aber nichts. Die Bretter gingen beim Zusammenbruch des Deutschen Reiches verloren. Der Kläger beantragt, den Beklagten schuldig zu erkennen, ihm einen Waggon Fichtenschnittware in den vereinbarten Maßen zum gesetzlich vorgeschriebenen Tagespreis im Dezember 1944 franko Waggon S. zu liefern.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Klausel franko Waggon S. sei nach den Handelsgebräuchen so zu verstehen, daß damit im Zweifel der Ort genannt sei, bis zu welchem der Verkäufer die Ware kostenfrei und unter Tragung sämtlicher Gefahren zu bringen habe. Ein Gefahrenübergang wäre bei der Verladung nur dann eingetreten, wenn der Käufer in Annahmeverzug geraten wäre. Eine Übergabe der Ware habe nicht stattgefunden, sodaß der Beklagte die Gefahr des Unterganges zu tragen habe.
Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Der Vorgang bei der Vermessung der Bretter könne nur als Übergabe im Sinne des § 426 ABGB. angesehen werden. Die Klausel "franko Waggon" lasse nicht darauf schließen, daß als Erfüllungsort der Bahnhof S. vereinbart worden sei. Diese Klausel könne sich ebenso auf die Regelung der Bezahlung der Transportkosten beziehen. Der Beklagte habe den Vertrag mit der Übergabe an seinem Lagerplatz erfüllt. Überdies sei die Ware durch die Aussonderung der zur Übernahme der bestimmten Bretter auf bestimmte Einzelstücke eingeschränkt worden. Die ursprüngliche Gattungsschuld sei damit in die Schuld einer bestimmten Sache umgewandelt worden. Da die ausgesonderten und ausgewählten Fichtenbretter nicht geliefert worden seien, sei der Kaufvertrag im Sinne der §§ 1048 und 1064 ABGB. als nicht geschlossen anzusehen. Dem Kläger stehe lediglich offen, allfällige Ansprüche gegen den Beklagten auf Schadenersatz infolge Vernachlässigung der diesem obliegenden Verwahrerpflichten im Sinne des § 1061 ABGB. zu erheben.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge und stellte das erstgerichtliche Urteil, ausgenommen den Kostenausspruch, wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Rechtsrüge des Revisionswerbers ist begrundet. Gemäß § 346 HGB. ist unter Kaufleuten in Ansehung der Bedeutung und Wirkung von Handlungen und Unterlassungen auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche Rücksicht zu nehmen. Ob der Beklagte als Kaufmann im Sinne des Handelsgesetzbuches anzusehen ist, wurde im Verfahren nicht erörtert. Wenn aber auch der Handelsbrauch nur unter Kaufleuten gilt, so ist doch bei allen Willenserklärungen die Verkehrssitte zu berücksichtigen, sofern diese Verkehrssitte auch im Verkehr mit Nichtkaufleuten besteht. Im vorliegenden Fall wurde festgestellt, daß der Ausdruck "franko Waggon" im Holzhandel die Bedeutung hat, daß der Verkäufer bis zur Verladung im Waggon die Gefahr zu tragen hat. Dieser Ausdruck entspricht einer der im zwischenstaatlichen Handelsverkehr üblichen Klauseln, die von der Internationalen Handelskammer im Jahre 1936 unter der Bezeichnung Incoterme in französischer, deutscher und englischer Sprache veröffentlicht wurden (Nr. 92 ihrer Drucksorten). Den Incoterme haben vorbehaltlos zahlreiche Staaten, u. a. Deutschland und Österreich zugestimmt. Der Ausdruck "frei (franko) Waggon" (franco Wagen, free on rail) bedeutet nunmehr im zwischenstaatlichen Verkehr u. a. auch, daß der Verkäufer alle Kosten und Gefahren bis zu dem Zeitpunkt zu tragen hat, in dem der beladene Waggon der Eisenbahngesellschaft ausgehändigt worden ist (Baumbach - Duden, Kurzkommentar zum HGB., 8. Aufl., S. 517). Es besteht kein Anlaß, in dieser Hinsicht im vorliegenden Fall dem von den Streitteilen verwendeten Ausdruck eine andere Bedeutung beizulegen, als sie im innerstaatlichen und zwischenstaatlichen kaufmännischen Verkehr üblich ist. Der Beklagte hat sich selbst als routinierter Holzhändler bezeichnet, der über den Vorgang bei der Übernahme des Holzes und deren Rechtsfolgen keinesfalls im Zweifel gewesen sei. Er kann sich daher nicht darauf berufen, daß er sich über die Bedeutung des Ausdruckes "franko Waggon" im unklaren gewesen ist.
Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der früher in derselben Sache ergangenen Entscheidung darauf verwiesen, daß der Beklagte die Gefahr des Unterganges des Holzes zu tragen hat, wenn die Übergabe in Erfüllung des Kaufvertrages durch Waggonverladung in S. zu geschehen hatte. Da der Beklagte den Kaufvertrag franko Waggon, also erst durch die Verladung in den Waggon zu erfüllen hatte, kommen die gesetzlichen Bestimmungen über die Verteilung, den Übergang der Gefahr und über die Folgen der Gefahrtragung, die nachgiebiges Recht sind, nicht in Betracht. Es steht den Parteien frei, einen früheren oder späteren Zeitpunkt des Gefahrenüberganges festzusetzen oder einen Stichtag zu vereinbaren, bis zu welchem der Veräußerer die Gefahr und die Lasten zu tragen hat. Die Klausel würde um ihre Bedeutung gebracht, wenn der Verkäufer nach der Vermessung und Aussonderung nur mehr im Falle eines Verschuldens schadenersatzpflichtig wäre. Da der Beklagte für die Erfüllung des Vertrages durch Verladung am Bahnhof in S. einzustehen hat, ist das Klagebegehren begrundet.