OGH vom 22.12.2011, 2Ob153/11f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am verstorbenen J***** K*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der erblasserischen Töchter 1. mj L***** S*****, geboren am ***** 2004, 2. mj A***** S*****, geboren am ***** 2005, und 3. mj S***** S*****, geboren am ***** 2010, sämtliche vertreten durch ihre Mutter D***** S*****, diese vertreten durch Dr. Johann Eder und andere Rechtsanwälte in Salzburg, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom , GZ 53 R 57/11p 70, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Zell am Ziller vom , GZ 3 A 62/11d 27, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom , GZ 3 A 62/11d 58, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird in seinem Ausspruch über die Bestellung eines Kollisionskurators ersatzlos aufgehoben.
Im Übrigen, also in seinem Ausspruch über die Bestellung eines Verlassenschaftskurators, wird der angefochtene Beschluss bestätigt.
Text
Begründung:
Der im Alter von 28 Jahren verstorbene Erblasser hinterließ seine drei minderjährigen Töchter und deren Mutter D***** S*****, mit der er nicht verheiratet war. In einer (möglicherweise formungültigen) „Testamentserklärung“ vom hatte er verschiedene Verfügungen getroffen und seine Lebensgefährtin sowie die Kinder mit dem auf einem bestimmten Grundstück befindlichen „Anwesen“ bedacht.
In den Nachlass fallen (ua) drei Liegenschaften samt landwirtschaftlichem Betrieb, ein Einzelunternehmen („J***** Restaurant/J***** Aparthotel“) und Geschäftsanteile an zwei GmbHs, nämlich der J***** GmbH (eine Ein-Mann-GmbH) und der A***** GmbH (Stammeinlage 5.400 EUR), an der auch D***** S***** beteiligt ist (Stammeinlage 1.800 EUR).
Anlässlich der Todesfallaufnahme vom beantragte die Lebensgefährtin, sie zur Verlassenschaftskuratorin zu bestellen, um die in den Unternehmensbetrieben und der Landwirtschaft des Verstorbenen laufend anfallenden Geschäfte erforderlichenfalls mit Genehmigung des Verlassenschaftsgerichts vornehmen zu können. Sie begründete dies mit der voraussichtlich längeren Dauer des Verlassenschaftsverfahrens, dringenden Geschäftshandlungen und der Eignung ihrer Person.
In seinem „Vorlagebericht“ vom empfahl der Gerichtskommissär dem Erstgericht wegen zu erwartender Interessenkollisionen zwischen Mutter und Kindern die Bestellung eines Kollisionskurators und auch die Bestellung einer rechtskundigen und in Wirtschaftsfragen erfahrenen Person zum Kurator der Verlassenschaft.
Nach Erörterung mit der Lebensgefährtin bestellte das Erstgericht einen Rechtsanwalt sowohl zum Kollisionskurator zur Vertretung der Kinder „im gegenständlichen Verlassenschaftsverfahren“ als auch zum Verlassenschaftskurator.
Ersteres begründete es damit, dass im Verlassenschaftsverfahren die Interessen der mj Kinder mit jenen ihrer Mutter als gesetzliche Vertreterin kollidieren würden. Zu letzterem meinte es, dass das Verlassenschaftsvermögen „rechtlich und wirtschaftlich sehr komplex und daher nicht leicht überschaubar“ sei und das Verlassenschaftsverfahren längere Zeit in Anspruch nehmen werde. Da aber dringende Rechtshandlungen anstünden, sei ein Verlassenschaftskurator zu bestellen, wobei die Bestellung einer rechtskundigen Person geboten sei (ON 27).
Am Tag nach dieser Beschlussfassung gab die hierbei (und in der Folge) durch einen Notar als Erbenmachthaber vertretene Lebensgefährtin namens der Kinder die bedingte Erbantrittserklärung aufgrund des Gesetzes zu je einem Drittel des Nachlasses ab. Des weiteren stellte sie den Antrag auf Ausstellung einer Amtsbestätigung gemäß § 172 AußStrG, wonach sie zur Vertretung der Verlassenschaft iSd § 810 ABGB berechtigt sei.
Mit Beschluss vom erkannte das Erstgericht seinem Beschluss ON 27 die vorläufige Verbindlichkeit zu. Am berichtigte es den Beschluss ON 27 durch Korrektur der darin angeführten Gesetzesstellen (ON 58).
Das von den Kindern angerufene Rekursgericht bestätigte den Beschluss ON 27 und wies den gegen den Beschluss ON 58 gerichteten Rekurs (rechtskräftig) zurück. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.
Zum Erfordernis eines Kollisionskurators führte es aus, aufgrund der Beteiligung der Lebensgefährtin an der A***** GmbH sei eine Kollision mit den Interessen der Kinder konkret zu befürchten. Bedürfe es aber der Bestellung eines Kollisionskurators, sei auch die Bestellung der Lebensgefährtin zur Verlassenschaftskuratorin unmöglich. Könnte doch auch hier bei der Verwaltung des Nachlasses bis zur Einantwortung eine Kollision nicht ausgeschlossen werden. Die Verlassenschaft benötige aber jedenfalls einen Vertreter, wobei die Bestellung eines rechtskundigen Kurators zweckmäßig sei.
Gegen diese Rekursentscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Kinder mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der (ersatzlosen) Aufhebung der vorinstanzlichen Beschlüsse. Hilfsweise wird die Beseitigung der Bestellung eines Verlassenschaftskurators und die Beschränkung des Aufgabenbereichs des Kollisionskurators auf „die Vertretung der Verlassenschaft in ihrer Eigenschaft als Gesellschafterin der A***** GmbH“ begehrt.
Der bestellte Kurator machte von der ihm eingeräumten Möglichkeit einer Revisionsrekursbeantwortung keinen Gebrauch.
Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Vorinstanzen die für die Bestellung eines Kollisionskurators maßgeblichen Kriterien verkannten. Er ist auch teilweise berechtigt.
Die Kinder machen geltend, die Bestellung des Verlassenschaftskurators sei ohne gesetzliche Grundlage erfolgt. Gemäß § 810 ABGB stehe ihnen die Vertretung der Verlassenschaft zu, die Voraussetzungen des § 173 AußStrG lägen nicht vor. Die angenommene Interessenkollision zwischen den Kindern und ihrer Mutter bestehe nicht. Auch der Begründung des angefochtenen Beschlusses sei nicht zu entnehmen, weshalb eine solche konkret zu befürchten sei.
Rechtliche Beurteilung
Hierzu wurde erwogen:
I. Zur Vertretung der Kinder im Rechtsmittelverfahren:
In der Entscheidung 2 Ob 174/08i hat der Senat die Ansicht vertreten, dass auch im Außerstreitverfahren in einem Zwischenstreit um die Prozessvoraussetzung der gesetzlichen Vertretung von deren Vorliegen auszugehen sei. Hier liegt eine vergleichbare Verfahrenssituation vor. Es schadet daher nicht, wenn die Lebensgefährtin des Erblassers in diesem Rechtsmittelverfahren namens ihrer Kinder einschreitet.
II. Zum Verlassenschaftskurator:
1. § 810 Abs 1 ABGB gewährt den erbantrittserklärten Erben ein subjektives Recht auf die Benützung, Verwaltung und Vertretung der Verlassenschaft. Diese Befugnisse kommen ihnen ex lege zu, solange das Verlassenschaftsgericht nichts anderes anordnet (2 Ob 243/07k; 2 Ob 1/08y; 2 Ob 148/10v; RIS Justiz RS0008167; Sailer in KBB³ § 810 Rz 2).
Im vorliegenden Fall wurde allerdings noch vor der Antretung der Erbschaft ein Verlassenschaftskurator bestellt. Die gesetzliche Grundlage hierfür findet sich in § 156 Abs 1 AußStrG (vgl 7 Ob 135/08s; Mondel , Kuratoren im Verlassenschaftsverfahren, NZ 2007/67, 289). Das Erstgericht war zu dieser Maßnahme der Vertretungsvorsorge nicht nur befugt, sondern sogar verpflichtet, hat es doch stets von Amts wegen die im Interesse des Nachlasses gelegenen erforderlichen Verfügungen zu treffen, ohne an einen Antrag gebunden zu sein (7 Ob 253/08v; RIS Justiz RS0007581). Ein Verlassenschaftskurator ist demnach auch dann zu bestellen, wenn der Erbe die Erbschaft noch nicht angetreten hat, aber bereits dringende Verwaltungs oder Vertretungshandlungen erforderlich sind (RIS Justiz RS0007770; vgl Mondel aaO 296).
2. Nach der Aktenlage besteht kein Zweifel, dass das Erstgericht möglichst rasch für eine Vertretung des Nachlasses zu sorgen hatte, zumal die Lebensgefährtin des Erblassers mehrfach selbst die Dringlichkeit einer solchen Maßnahme wegen der laufend anfallenden Geschäfte in den erblasserischen Unternehmen betonte (vgl AS 53, 69 f). Die Bestellung eines Verlassenschaftskurators ist somit im für die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz zu Recht erfolgt. Sein Amt erlischt erst mit der Rechtskraft seiner Enthebung ( Sailer aaO § 810 Rz 4; Mondel aaO 299). Gegen die Person des bestellten Kurators wird im Revisionsrekurs nichts vorgebracht.
III. Zum Kollisionskurator:
1. Ein Kollisionsfall iSd § 271 ABGB setzt voraus, dass eine materielle Kollision, nämlich eine konkrete Gefährdung der Interessen des minderjährigen Kindes vorliegt. Maßgeblich für das Erfordernis der Bestellung eines Kollisionskurators ist daher, dass aufgrund des objektiven Sachverhalts eine gesetzmäßige Vertretung des Kindes wegen eines zu befürchtenden Widerstreits an Interessen nicht zu erwarten ist (10 Ob 23/08t; 2 Ob 253/08g; 2 Ob 128/10b mwN; RIS Justiz RS0049033 [T3], RS0058177 [T2]). Dabei genügt schon die Gefahr einer Interessenkollision, wenn also eine Gefährdung der Interessen des Kindes bloß möglich ist (4 Ob 71/08g mwN; RIS Justiz RS0107600).
2. Der Erblasser hinterließ eine als „Testamentserklärung“ bezeichnete letztwillige Anordnung, deren Formgültigkeit zwar fraglich ist, nach deren Inhalt aber sowohl die Kinder als auch deren Mutter bedacht worden sind. Bei dieser Sachlage stellt sich die Frage, ob nicht zumindest so lange die Gefahr einer das gesamte Verlassenschaftsverfahren betreffenden Interessenkollision besteht, als einander widersprechende Erbantrittserklärungen der Kinder und ihrer Mutter nicht auszuschließen sind. Im Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz lagen weder Erklärungen über den Erbantritt noch über die Ausschlagung der Erbschaft vor (§ 157 Abs 1 AußStrG). Nach der Aktenlage hat sich die Mutter bis jetzt ihres Erbrechts nicht entschlagen. Eine Frist nach § 157 Abs 2 AußStrG hat der Gerichtskommissär bisher nicht gesetzt.
3. Laut 1 Ob 568/79 = EvBl 1979/214 soll schon das Vorliegen einer Erbengemeinschaft zwischen Minderjährigem und gesetzlichem Vertreter einen Interessenwiderstreit begründen, der die Bestellung eines Kollisionskurators erforderlich macht. Mondel (aaO 290 FN 17) verweist darauf, dass diese Ansicht auf veralteter Rechtslage beruhe und mangels Prüfung des Vorliegens einer materiellen Kollision nicht mehr aufrecht erhalten werden könne.
Der Auffassung Mondels ist zuzustimmen. Die bloße Tatsache, dass Mutter und Kinder als präsumtive Erben in Betracht kommen können, begründet vorerst nur eine formelle Kollision. Dass die Mutter bisher entgegen den Interessen der Kinder gehandelt hätte, geht aus dem Akt nicht hervor. Ein konkreter Interessenkonflikt würde etwa auftreten, wenn tatsächlich widerstreitende Erbantrittserklärungen vorliegen sollten. Dann wäre (nur) für das Verfahren über das Erbrecht (§§ 160 ff AußStrG) ein Kollisionskurator (und gemäß § 173 AußStrG erforderlichenfalls ein Verlassenschaftskurator) zu bestellen. Aus der bloßen Existenz der „Testamentserklärung“ lässt sich hingegen (noch) keine materielle Interessenkollision ableiten.
4. Was nun die (geringe) Beteiligung der Lebensgefährtin des Verstorbenen an der GmbH anlangt, wäre ein Kollisionsfall in diesem Teilbereich allenfalls denkbar, wenn die Kinder, vertreten durch ihre Mutter, auch als Vertreter des Nachlasses fungieren würden, weil sie dann die vorerst auf den ruhenden Nachlass übergegangenen gesellschafterlichen Rechte und Pflichten (durch ihre Mutter) wahrzunehmen hätten (vgl Koppensteiner/Rüffler , GmbHG³ § 76 Rz 15). Dabei könnten auch den Geschäftsanteil des Erblassers betreffende Entscheidungen zu treffen sein (zur Ausübung des Stimmrechts durch den Verlassenschaftskurator vgl jüngst 6 Ob 99/11v mwN).
Derzeit ist aber jedenfalls auch im Teilbereich der Angelegenheiten der Gesellschaft kein Kollisionskurator erforderlich, weil die mit dem Geschäftsanteil des Erblassers verbundenen Rechte und Pflichten nicht durch die Kinder, sondern durch den bestellten Verlassenschaftskurator auszuüben sind.
IV. Ergebnis:
Aus den dargelegten Erwägungen ist die angefochtene Entscheidung in teilweiser Stattgebung des außerordentlichen Revisionsrekurses dahin abzuändern, dass bei gleichzeitiger Bestätigung der Bestellung eines Verlassenschaftskurators die Bestellung eines Kollisionskurators mangels materieller Kollision ersatzlos zu beseitigen ist.