OGH vom 14.02.2008, 2Ob152/07b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Eva W*****, vertreten durch Dr. Alfred Kriegler, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beklagten und Gegner der gefährdeten Partei Josef W*****, vertreten durch Dr. Margit Stüger, Rechtsanwältin in Frankenmarkt, wegen Unterhalt und einstweiligem Unterhalt, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom , GZ 23 R 18/07w-30, womit infolge Rekurses der klagenden und gefährdeten Partei der Beschluss des Bezirksgerichts Hollabrunn vom , GZ 4 C 156/06w-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Die Revisionsrekursbeantwortung wird zurückgewiesen.
2. Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden im angefochtenen Umfang (Abweisung des Antrags auf Gewährung einstweiligen Unterhalts ab ) aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die gefährdete Partei hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens einstweilen selbst zu tragen. Die Kosten des Gegners der gefährdeten Partei im Rechtsmittelverfahren zweiter Instanz sind weitere Kosten des Provisorialverfahrens.
Text
Begründung:
Die Streitteile sind seit miteinander verheiratet. Der Ehe entstammen die am bzw am geborenen Töchter Claudia und Agnes. Der Beklagte und Gegner der gefährdeten Partei (in der Folge: Beklagter) ist Winzer und führte bis 1998 auch einen landwirtschaftlichen Betrieb. Die Klägerin und gefährdete Partei (in der Folge: Klägerin) widmete sich im Einvernehmen mit dem Beklagten dem Haushalt und der Kindererziehung, half nebenbei aber auch im Weinbaubetrieb des Beklagten mit. 1996 begannen die Streitteile ein Haus zu bauen, in welches sie 1998 übersiedelten.
Bis dahin verlief die Ehe weitgehend harmonisch, danach kam es immer häufiger zu Streitigkeiten. Hauptthemen waren dabei vor allem finanzielle Belange und die Kindererziehung. Der Beklagte, der sich auch in der Gemeinde engagierte, war an den Abenden und Wochenenden „oft unterwegs", äußerte sich über die Klägerin herablassend („ich suche mir eine Jüngere"), kam des öfteren alkoholisiert nach Hause, kritisierte seine Kinder, brach nach einem Streit den Kontakt zu seinem Schwiegervater ab und setzte die Klägerin und die Töchter unter Druck, dasselbe zu tun.
Die Klägerin zog sich ihrerseits aus der ehelichen Beziehung immer mehr zurück, die Gesprächsbasis zum Beklagten verschlechterte sich. Zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt („im Herbst"; wahrscheinlich des Jahres 2000) zog sie aus dem gemeinsamen Schlafzimmer aus. Trotz gesundheitlicher Probleme versorgte sie aber weiterhin den Haushalt und half dem Beklagten im Weinbaubetrieb. Im Mai 2000 kam es zu einer vorerst nur freundschaftlichen Annäherung zwischen der Klägerin und dem älteren und verheirateten Bruder des Beklagten mit Treffen zum Mittagessen, gemeinsamen Ausflügen und Spaziergängen, die im November 2002 in ein sexuelles Verhältnis mündete. Fortan nutzten sie jede längere Abwesenheit des Beklagten oder der Ehefrau des Bruders für ihre intime Beziehung.
Im Frühjahr 2003 begann die Klägerin, Buchhaltungskurse zu besuchen, um sich aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Beklagten zu befreien. Dieser hatte das Haushaltsgeld auf 400 EUR reduziert, wobei die Klägerin aber (bis 2004) Zugang zu den Konten hatte. 2003 verbrachten die Streitteile mit ihrer Tochter Agnes einen letzten gemeinsamen Kurzurlaub, „in dem jedoch nur gestritten wurde".
Im Frühjahr 2004 schöpfte der Beklagte Verdacht, dass die Klägerin mit seinem Bruder eine außereheliche Beziehung unterhielt. Am brachte die Klägerin die Scheidungsklage ein, was zur „endgültigen Eskalation in der Beziehung der Streitteile" führte. Nach einer Aussprache mit seiner Frau beendete der Bruder des Beklagten Ende Oktober 2004 die Beziehung zur Klägerin. Im Zuge der Scheidungsauseinandersetzungen kam es zu Handgreiflichkeiten und Drohungen seitens des Beklagten gegenüber der Klägerin und den Töchtern, was zu seiner Wegweisung aus der gemeinsamen Ehewohnung mittels einstweiliger Verfügung (vom ) führte. Die Klägerin wohnt seither mit den beiden Töchtern allein in dem je zur Hälfte im Eigentum der Streitteile stehenden Haus.
Mit ihrer während des anhängigen Scheidungsverfahrens am beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrt die Klägerin rückständigen Unterhalt von 8.168,40 EUR sA für den Zeitraum vom bis sowie laufenden Unterhalt von monatlich 907,60 EUR ab . Mit dieser Klage verband sie den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO, mit welchem sie einen monatlichen einstweiligen Unterhalt von 907,60 EUR ab (gemeint war wohl: ) geltend machte. Die Klägerin brachte vor, der Beklagte leiste seit mit Ausnahme der Zahlungen für Gas und Strom keinen Unterhalt. Seinem monatlichen Einkommen von rund 4.700 EUR stünden Einkünfte der Klägerin von nur 480 EUR aus den Leistungen des Arbeitsmarktservices gegenüber. Sie sei nicht mehr in der Lage, ihren Lebensaufwand zu finanzieren. Mit Rücksicht auf die Sorgepflichten des Beklagten für die beiden noch nicht selbsterhaltungsfähigen Töchter und unter Anrechnung der geleisteten Zahlungen ergebe sich nach der Prozentregel ein Unterhaltsanspruch der Klägerin von monatlich 907,60 EUR.
Der Beklagte wandte ein, die Klägerin habe durch die ehebrecherische Beziehung zu seinem Bruder ihren Unterhaltsanspruch verwirkt. Außerdem bestritt er das Unterhaltsbegehren mit der Behauptung, sein monatliches Nettoeinkommen betrage nur 2.550 EUR. Die Klägerin sei unter Anspannung ihrer Kräfte hingegen in der Lage, monatliche Einkünfte von 1.166 EUR zu erzielen. Nach Abzug des von ihm geleisteten Naturalunterhalts stehe der Klägerin kein weiterer Geldunterhaltsanspruch zu. Die Klägerin verfüge auch über ausreichendes eigenes Vermögen.
Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Es erachtete den eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt als bescheinigt und folgerte in rechtlicher Hinsicht, die Klägerin habe ihren Unterhaltsanspruch verwirkt.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Wie aus dem Gesamtzusammenhang der erstinstanzlichen Entscheidung ersichtlich sei, habe das Erstgericht keineswegs feststellen wollen, dass die Ehe der Streitteile - wie von der Klägerin behauptet - bereits im Jahr 2000 unheilbar zerrüttet gewesen sei. Das Verlassen des ehelichen Schlafzimmers allein lasse ohne Hinzutreten weiterer Umstände noch nicht auf die Zerrüttung der Ehe schließen. Ausgehend von dem als bescheinigt erachteten Sachverhalt erweise sich die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts jedoch als zutreffend. Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zuzulassen, weil sich die Entscheidung lediglich auf Sachverhaltselemente des Einzelfalls stütze.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts, soweit das Sicherungsbegehren ab dem Tag der Antragstellung () abgewiesen wurde, richtet sich der (über Auftrag des Erstgerichts fristgerecht verbesserte) außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im Sinne der Stattgebung des Sicherungsantrags abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist im Hinblick auf die jüngst ergangene Entscheidung 2 Ob 193/06f zulässig. Das Rechtsmittel ist im Sinne des Eventualantrags auch berechtigt.
Die dem Beklagten freigestellte Revisionsrekursbeantwortung ist verspätet.
Zu 1.:
Dem Beklagten wurde die Mitteilung des Obersten Gerichtshofs, dass ihm die Beantwortung des außerordentlichen Revisionsrekurses freistehe (§§ 528 Abs 3 letzter Satz, 508a Abs 2 ZPO iVm §§ 402 Abs 4, 78 EO), samt einer Gleichschrift des Rechtsmittels am zugestellt. Damit begann der Lauf der 14-tägigen Frist für die Beantwortung des Revisionsrekurses (§§ 528 Abs 3 letzter Satz, 507a Abs 2 Z 3 ZPO iVm § 402 Abs 3 und 4, 78 EO). Das Provisorialverfahren ist eine Ferialsache (§ 224 Abs 1 Z 6 ZPO), sodass die verhandlungsfreie Zeit auf den Fristenlauf keinen Einfluss hat (§ 225 Abs 2 ZPO). Die Frist endete somit am . Die am zur Post gegebene Revisionsrekursbeantwortung erweist sich daher als verspätet.
Zu 2.:
Die Klägerin macht geltend, selbst ein sonst als besonders schwere Eheverfehlung zu beurteilendes Verhalten eines Ehepartners begründe dann keine Rechtsmissbräuchlichkeit des Unterhaltsbegehrens, wenn die Ehe aufgrund schwerwiegender Ehewidrigkeiten des anderen Ehepartners schon zerrüttet sei. Maßgeblich sei daher der Zeitpunkt der Zerrüttung der Ehe, zu welchem aber noch keine ausreichenden Feststellungen des Erstgerichts vorhanden seien. Selbst bei Bejahung eines Verwirkungstatbestands hätten die Vorinstanzen den Unterhaltsanspruch der Klägerin jedenfalls, wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 2 Ob 193/06f ausgesprochen habe, auch unter dem Gesichtspunkt des § 68a EheG prüfen müssen.
Hiezu wurde erwogen:
1.) Da die Klägerin ehelichen Unterhalt während aufrechter Ehe begehrt, richtet sich die Beurteilung ihres Anspruchs nach § 94 ABGB. Dessen Abs 2 Satz 2 bestimmt, dass der Unterhaltsanspruch des den gemeinsamen Haushalt führenden Ehegatten auch nach Aufhebung der Haushaltsgemeinschaft bestehen bleibt, sofern nicht seine Geltendmachung, besonders wegen der Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts geführt haben, ein Missbrauch wäre.
Nicht jede schwere Eheverfehlung führt zur Rechtsmissbräuchlichkeit des Unterhaltsbegehrens. Die gesetzlichen Unterhaltsansprüche erlöschen vielmehr nur in besonders krassen Fällen, in denen die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs wegen des Verhaltens des betreffenden Ehegatten grob unbillig erschiene. Maßgebliches Beurteilungskriterium ist dabei, ob das dem unterhaltsberechtigten Ehepartner vorgeworfene Verhalten auf einen völligen Verlust oder eine ihm nahekommende Verflüchtigung des Ehewillens schließen lässt und darauf hinweist, dass der den Unterhalt begehrende Teil nicht nur einzelne aus dem ehelichen Verhältnis entspringende Verpflichtungen missachtet, sondern sich schuldhaft über alle Bindungen aus der ehelichen Partnerschaft hinwegzusetzen bereit ist. Entscheidend ist demnach, ob der den Unterhalt fordernde Teil selbst und aus eigenem Verschulden den Ehewillen (weitgehend) aufgegeben hat und insoweit ein Dauerzustand eingetreten ist (6 Ob 2/05w mwN; 2 Ob 193/06f).
Der Ehebruch und das „fortgesetzte sexuelle Liebesverhältnis" stellen ungeachtet eines bereits anhängigen Scheidungsverfahrens grundsätzlich schwerwiegende Verletzungen der ehelichen Verhaltenspflichten dar (3 Ob 48/97y; 1 Ob 171/02g; 7 Ob 148/04t; 2 Ob 193/06f). Mit dem EheRÄG 1999 hat der Ehebruch aber seinen Charakter als absoluter Scheidungsgrund verloren. Er muss nunmehr zerrüttende Wirkung haben, um ein tauglicher Scheidungsgrund zu sein; bei der Verschuldensabwägung im Scheidungsverfahren kommt ihm nicht in jedem Fall höheres Gewicht zu als anderen Eheverfehlungen - es gelten die allgemeinen Grundsätze (2 Ob 193/06f; Schwimann/Weitzenböck in Schwimann, ABGB3 I § 49 EheG Rz 12). Mit dem Hinweis auf die geänderte Rechtslage wurde im Schrifttum zuletzt mehrfach betont, dass auch die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs - um Wertungswidersprüche zu vermeiden - nur (mehr) auf einen Ehebruch gestützt werden könne, der zur Ehezerrüttung zumindest beigetragen hat (Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht3 138; Kerschner in JBl 2004, 47 [Entscheidungsbesprechung zu 1 Ob 171/02g]; Berka-Böckle, Der verschuldensunabhängige Anspruch nach § 68a EheG - Neue Überlegungen zum Scheidungsunterhalt anhand aktueller Rechtsprechung, JBl 2004, 223 [232]).
Dies entspricht aber ohnedies auch der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs. Danach begründet selbst ein sonst als besonders schwere Eheverfehlung zu beurteilendes Verhalten eines Ehepartners dann keine Rechtsmissbräuchlichkeit des von ihm gestellten Unterhaltsbegehrens, wenn die Ehe aufgrund vorangegangener schwerwiegender Ehewidrigkeiten des anderen schon zerrüttet war; dann stellt auch ein der Zerrüttung folgender Ehebruch des Unterhaltsberechtigten kein Hindernis für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen dar (1 Ob 306/03m; 2 Ob 193/06f; vgl RIS-Justiz RS0107416).
Ob und wann eine Ehe unheilbar zerrüttet ist, ist eine Rechtsfrage, die nach objektiven Maßstäben zu beurteilen und auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen zu lösen ist (RIS-Justiz RS0043423, insb [T6]). Eine unheilbare Zerrüttung der Ehe ist dann anzunehmen, wenn die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten objektiv und wenigstens bei einem Ehegatten subjektiv zu bestehen aufgehört hat (2 Ob 193/06f mwN; RIS-Justiz RS0056832; Schwimann/Weitzenböck aaO § 49 EheG Rz 2).
Entgegen der Ansicht der Klägerin reichen die erstinstanzlichen Feststellungen aus, um beurteilen zu können, dass die Ehe der Streitteile bei Eingehen der ehewidrigen Beziehung der Klägerin zum Bruder des Beklagten, die schon im Mai 2000 begonnen hat und sich ab November 2002 zu einem „fortgesetzten sexuellen Liebesverhältnis" vertiefte, noch nicht unheilbar zerrüttet war. Mag es auch damals schon häufige, überwiegend im Verhalten des Beklagten wurzelnde Streitigkeiten zwischen den Eheleuten gegeben haben und ein gewisses Stadium der Ehezerrüttung erreicht worden sein, so hat die Klägerin den Beklagten doch noch weiterhin im Weinbaubetrieb unterstützt, den Haushalt geführt und mit dem Beklagten noch im Jahr 2003 einen Kurzurlaub verbracht. Warum die Klägerin aus dem Schlafzimmer ausgezogen ist, insbesondere, ob der Beklagte ihr dafür einen konkreten Anlass gab, geht aus den Feststellungen hingegen nicht hervor. Der als bescheinigt erachtete Sachverhalt rechtfertigt demnach die Beurteilung der Vorinstanzen, dass erst das ehewidrige Verhältnis der Klägerin der entscheidende Beitrag zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe war. Im Übrigen hat das Erstgericht ausdrücklich festgestellt, (erst) die Scheidungsklage habe zur „endgültigen Eskalation" der Beziehung geführt.
Zutreffend haben die Vorinstanzen daher die zerrüttungskausale fortgesetzte und hier - weil mit dem Bruder des Beklagten begangene - besonders empfindliche Verletzung der ehelichen Treue durch die Klägerin als Verwirkungstatbestand im Sinne des § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB qualifiziert (vgl 2 Ob 193/06f).
2.) Durch das EheRÄG 1999 wurde der vom Verschulden an der Scheidung unabhängige (nacheheliche) Unterhaltsanspruch nach § 68a EheG neu eingeführt, der nach den Erwägungen des Gesetzgebers „nur für bestimmte Härtefälle als Ausnahmeregelung" gedacht sein soll (vgl 2 Ob 117/06d mit Hinweis auf ErlRV 1653 BlgNR 20. GP 25). Gemäß Abs 3 dieser Bestimmung vermindert sich oder besteht dieser Unterhaltsanspruch aber nicht, soweit die Gewährung des Unterhalts unbillig wäre, weil unter anderem der Bedürftige einseitig besonders schwerwiegende Eheverfehlungen begangen hat. Je gewichtiger die Minderungs- oder Versagungsgründe sind, desto eher ist vom Bedürftigen zu verlangen, seinen Unterhalt durch die Erträgnisse einer anderen als einer zumutbaren Erwerbstätigkeit oder aus dem Stamm seines Vermögens zu decken. Nach dem Bericht des Justizausschusses sollte durch diese Regelung verdeutlicht werden, dass sich eine Unbilligkeit der Unterhaltsgewährung nicht nur - im Sinne eines „Alles oder nichts" - auf das Bestehen des Unterhaltsanspruchs als solches, sondern auch auf die Höhe des Unterhalts (vermindernd) auswirken kann. Das Gericht sei nun durch die Schaffung eines beweglichen Systems in die Lage versetzt, zur Verwirklichung der Einzelfallgerechtigkeit nach den jeweiligen Gegebenheiten des Falls den Unterhalt stufenlos zwischen der Abdeckung des Lebensbedarfs und der gänzlichen Versagung auszumessen (JAB 1926 BlgNR 20. GP 4; vgl dazu etwa Koch in KBB2 § 68a EheG Rz 6).
Der erkennende Senat ist in der bereits mehrfach zitierten Entscheidung 2 Ob 193/06f = JBl 2007, 579 = EF-Z 2007/65 = iFamZ 2007/80 nach eingehender Befassung mit dem einschlägigen Schrifttum zu dem Ergebnis gelangt, dass vor dem Hintergrund des § 68a Abs 3 EheG bei einem auf § 94 Abs 2 ABGB gestützten Unterhaltsanspruch die Bejahung der rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung nicht mehr - wie nach der bisherigen Judikatur (1 Ob 608/95; RIS-Justiz RS0009670) - zur gänzlichen Versagung des Unterhaltsanspruchs führen muss, sondern auch die Minderung dieses Unterhaltsanspruchs möglich sein soll. Es sei, so die Begründung des Senats, nicht einzusehen, warum ein Ehegatte, dem trotz einseitig begangener besonders schwerwiegender Eheverfehlungen unter den weiteren Voraussetzungen des § 68a EheG nach der Scheidung ein reduzierter Unterhaltsanspruch zustehen könnte, für die Zeit der (noch) aufrechten Ehe jeglichen Anspruch verlieren soll. Insoweit erscheine die in der Lehre geforderte Berücksichtigung der „neuen Wertungen des § 68a EheG" bei der Beurteilung des Rechtsmissbrauchs nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB sachgerecht. Dabei richte sich die an die Bejahung der - weiterhin nach den in der Rechtsprechung entwickelten Kriterien primär zu prüfenden - Frage rechtsmissbräuchlichen Unterhaltsbegehrens anknüpfende Entscheidung, ob der Rechtsmissbrauch den Verlust oder die Minderung des Unterhaltsanspruchs zur Folge hat bzw in welchem Ausmaß der Anspruch allenfalls zu mindern ist, nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls. Es bedürfe einer umfassenden Interessenabwägung, in welche - ohne dass ein „theoretisches Unterhaltsverfahren nach § 68a EheG" erforderlich wäre - neben den zur Bejahung des Rechtsmissbrauchs führenden Eheverfehlungen jedenfalls auch das Verhalten des unterhaltspflichtigen Ehepartners, die Dauer und Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft, das Wohl vorhandener Kinder sowie der Bedarf des ansprechenden Ehegatten einzubeziehen seien. Diese Grundsätze hätten auch im Provisorialverfahren über das Begehren einstweiligen Unterhalts nach § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO zu gelten.
Der erkennende Senat hält an dieser Rechtsansicht fest. Demnach bedarf es aber auch im vorliegenden Fall einer nach den dargelegten Kriterien vorzunehmenden umfassenden Interessenabwägung, die wegen des Fehlens jeglicher Feststellungen zu den Einkünften der Streitteile, deren Vermögensverhältnisse, den Bedürfnissen der Töchter und zum Lebensbedarf der Klägerin noch nicht möglich ist.
Dies führt zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen. Das Erstgericht wird im fortzusetzenden Provisorialverfahren die Rechtslage mit den Parteien zu erörtern und den Sachverhalt im Sinne obiger Ausführungen zu ergänzen haben. Erst nach der daran anschließenden Interessenabwägung wird im Sinne der dabei zu beachtenden Wertung des Gesetzgebers (vgl die bereits zitierten Gesetzesmaterialien zu § 68a EheG) beurteilt werden können, ob ein Härtefall vorliegt, welcher trotz der einen Verwirkungstatbestand nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB begründenden Eheverfehlung der Klägerin den Zuspruch (allenfalls geminderten) Unterhalts ausnahmsweise rechtfertigen kann.
Die Kostenentscheidung gründet sich hinsichtlich der Klägerin auf § 393 Abs 1 Satz 1 EO, hinsichtlich des Beklagten auf §§ 78, 402 Abs 4 EO,§ 52 Abs 1 ZPO.