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OGH vom 19.07.2010, 6Ob139/10z

OGH vom 19.07.2010, 6Ob139/10z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Außerstreitsache des Antragstellers N***** N*****, Frankreich, vertreten durch Mag. Hannes Huber, Rechtsanwalt in Melk, als Verfahrenshelfer, gegen die Antragsgegnerin C***** D*****, vertreten durch Dr. Gerhard Taufner und andere Rechtsanwälte in Melk, wegen Rückführung der minderjährigen A***** N*****, geboren am , nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom , GZ 23 R 155/10g 56, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Text

Begründung:

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen der Vater hält deren Verfahren zwar für mangelhaft, legt im außerordentlichen Revisionsrekurs jedoch nicht einmal ansatzweise dar, welche Feststellungen seiner Auffassung nach zu treffen gewesen wären - entstammt das 1995 geborene Mädchen einer außerehelichen Beziehung seiner Eltern, wobei es in den letzten Jahren gemeinsam mit seiner Mutter, jedoch getrennt vom Vater in Frankreich lebte (alle Beteiligten sind französische Staatsangehörige). Das Mädchen hatte alle ein bis zwei Monate Besuchskontakt zum Vater; nach französischem Recht steht allerdings den Eltern die „gemeinsame Obsorge“ zu. Im Mai 2008 zog die Mutter mit dem Mädchen nach Österreich.

Rechtliche Beurteilung

Die Vorinstanzen wiesen den Rückführungsantrag des Vaters nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ) aus mehreren Gründen ab. Dies ist aber allein schon deshalb vertretbar, weil nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS-Justiz RS0106625) Voraussetzung für die Anwendung des Übereinkommens nach dessen Art 3 die Verletzung eines tatsächlich ausgeübten Obsorgerechts oder Mitobsorgerechts ist. Bei einer Trennung der Eltern erfüllt diese Voraussetzung in der Regel nur der Elternteil, bei dem das Kind wohnt; die Ausübung eines bloßen Umgangsrechts genügt nicht. Diese Auffassung hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 6 Ob 135/03a ausdrücklich auch auf den Fall der Obsorge beider Elternteile für anwendbar erklärt und sie erst jüngst (1 Ob 163/09s Zak 2009/661) bekräftigt.

Die von Nademleinsky/Neumayr (Internationales Familienrecht [2007] Rz 09.07) an dieser Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (unter Hinweis auf deutsche Literatur) geübte Kritik, richtigerweise sei die tatsächliche Ausübung der Obsorge iSd Art 3 HKÜ nur in Situationen zu verneinen, in welchen ein sorgeberechtigter Elternteil sich objektiv nicht mehr für das Kind interessiert, bedarf im vorliegenden Fall keiner näheren Prüfung: Die tatsächliche Kontaktausübung zwischen dem Mädchen und seinem Vater erfolgte in Frankreich in einem Ausmaß, welches ein „klassisches Wochenend- beziehungsweise Ferienbesuchsrecht“ bei Weitem unterschritt (vgl dazu 1 Ob 163/09s); außerdem nahm der Vater (jenseits der Besuchskontakte alle ein bis zwei Monate) am Leben des Mädchens keinen Anteil, traf keinerlei Entscheidungen mit und übte insbesondere auch sein Recht nicht aus, den Aufenthalt des Mädchens zu bestimmen. Dies kommt aber der von Nademleinsky/Neumayr erwähnten Konstellation ziemlich nahe.

Damit kommt es aber auf die weiteren im außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers relevierten Fragen nicht mehr an.