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OGH vom 11.10.2010, 6Ob138/10b

OGH vom 11.10.2010, 6Ob138/10b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Klaus-D. Strobach und andere Rechtsanwälte in Grieskirchen, gegen die beklagte Partei E***** H*****, vertreten durch Dr. Josef Kaiblinger, Rechtsanwalt in Gunskirchen, wegen 23.473,20 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 7/10k 98, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom , GZ 2 Cg 214/05f-91, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin erbrachte im Jahr 2002 Werkleistungen in Form von Stahlbauarbeiten an einem Objekt in S*****. Die Korrespondenz zu diesen Werkleistungen wurde zwischen der Klägerin und dem Sohn der Beklagten, dem Liegenschaftseigentümer, geführt; die Beklagte war zu diesem Zeitpunkt fruchtgenussberechtigt.

Die Klägerin begehrt restlichen Werklohn in Höhe des Klagsbetrags, der Sohn der Beklagten sei als deren Vertreter aufgetreten, die Beklagte somit Werkbestellerin.

Die Beklagte bestritt die passive Klagslegitimation, sie habe der Klägerin keinen Auftrag und ihrem Sohn auch nie Vollmacht erteilt.

Im Verfahren erster Instanz sagte der Sohn der Beklagten als Zeuge anlässlich der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom aus, er sei „immer und hier gibt es keinen Zweifel als Bauherr und Eigentümer aufgetreten“; er habe auch den Auftrag erteilt. Ob die Ausgaben für die Baumaßnahmen bei ihm steuerlich geltend gemacht wurden, wisse er nicht. Da solle man seinen Steuerberater fragen, den er „selbstverständlich“ von der Verschwiegenheitspflicht entbinde.

Daraufhin beantragte die Klägerin die Einvernahme des Steuerberaters als Zeugen zum Beweis dafür, „dass die Teilzahlungen, die auf den klagsgegenständlichen Auftrag geleistet wurden, wirtschaftlich nicht dem [ Sohn ] zuzuordnen sind, sondern der beklagten Partei“.

Die Beklagte sprach sich gegen diese Einvernahme aus; der Steuerberater könne nichts zur Frage beitragen, wer tatsächlich Auftraggeber gewesen sei, sie habe jedenfalls nichts mit ihm zu tun, weshalb auch eine Entbindung von der Verschwiegenheitsverpflichtung nicht „angezeigt“ sei.

Das Erstgericht lud den Steuerberater als Zeugen für die Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom ; als Gegenstand der Vernehmung wurde dabei „Wirtschaftliche Zuordnung von Teilzahlungen“ genannt. Als der Steuerberater im Vorfeld dieser Tagsatzung dem Erstgericht schriftlich mitteilte, weder ihm noch seinen Mitarbeitern seien die Parteien dieses Verfahrens bekannt, sollte es sich jedoch um die „Rechtsangelegenheit“ des Sohnes der Beklagten handeln, weise er darauf hin, dass er von diesem nicht von der Verschwiegenheitsverpflichtung entbunden wurde, klärte ihn der Erstrichter ebenfalls schriftlich darüber auf, dass er als Zeuge zu erscheinen habe; „über die Verschwiegenheitspflicht [ sei ] gesondert zu entscheiden“.

Anlässlich der erwähnten Tagsatzung wurde der Steuerberater als Zeuge im Sinn der §§ 321 ff ZPO und zu seinen Generalien befragt. Im Anschluss daran erklärte er, er sei von seinem Mandanten, dem Sohn der Beklagten, nicht von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit entbunden und berufe sich auf diese Verpflichtung. Nachdem ihm der Erstrichter die Zeugenaussage des Sohnes der Beklagten vom hinsichtlich der Entbindung von der Verschwiegenheitsverpflichtung wortwörtlich vorgelesen hatte, wurde die Verhandlung für einige Minuten unterbrochen. Danach erklärte der Steuerberater, er habe während der Unterbrechung mit dem Sohn der Beklagten telefonisch Kontakt gehabt, dieser habe ihm erklärt, ihn nicht von der Verschwiegenheitsverpflichtung zu entbinden. Er berufe sich daher (weiterhin) darauf.

Das Erstgericht entließ den Steuerberater als Zeugen und wies nach Aufnahme der restlichen angebotenen Beweise das Klagebegehren ab. Die Beklagte habe weder unmittelbar noch mittelbar über ihren Sohn der Klägerin einen Auftrag erteilt, sie habe von den Bauarbeiten gar nichts gewusst. Es stützte diese Feststellungen insbesondere auf die Aussagen der Beklagten, des Geschäftsführers der Klägerin und dessen Bruders; die Thematik der Entbindung des Steuerberaters von seiner Verschwiegenheitsverpflichtung erwähnte das Erstgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung mit keinem Wort. In rechtlicher Hinsicht verneinte es auch eine Anscheinsvollmacht des Sohnes der Beklagten.

Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück. Den Rekurs erklärte es gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO für zulässig; es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Verfahrensfrage, bis wann eine Entbindung von der Verschwiegenheitsverpflichtung widerrufen werden könne.

In der Sache selbst vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, der von der Klägerin gerügte Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens liege vor, weil das Erstgericht den Steuerberater nicht als Zeugen einvernommen habe. Dieser sei vom Sohn der Beklagten von seiner Verschwiegenheitsverpflichtung entbunden worden; der Widerruf der Entbindung nach Beginn der Vernehmung des Zeugen sei einseitig nicht mehr zulässig gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Klägerin ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Rechtslage verkannt hat; er ist auch berechtigt.

Einer näheren Auseinandersetzung mit den im Rekurs und in der Rekursbeantwortung aufgeworfenen Fragen zur Entbindung eines Zeugen von seiner Verschwiegenheitsverpflichtung beziehungsweise zum Widerruf einer erfolgten Entbindung bedarf es im vorliegenden Verfahren nicht, weil das Berufungsgericht den angeblichen Mangel des Verfahrens erster Instanz nicht hätte aufgreifen dürfen: Die Klägerin hat sich nämlich anlässlich der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom nicht gemäß § 196 ZPO unverzüglich gegen die Entlassung des Steuerberaters als Zeugen durch das Erstgericht ausgesprochen; vielmehr hat sie sich in die weitere Verhandlung der Sache eingelassen, ohne diese Verletzung zu rügen. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann sich jedoch eine Partei auf eine Verletzung der Vorschriften der §§ 321, 323 und 324 ZPO nur berufen, wenn sie den Vorgang im Sinn des § 196 ZPO gerügt hat (1 Ob 324/50 SZ 23/199; RIS-Justiz RS0037160; Burgstaller , Zur Rügelast nach § 196 ZPO, in Buchegger/Holzhammer , Beiträge zum Zivilprozeßrecht I [1982] 62; Schragel in Fasching/Konecny , ZPO² [2003] § 196 Rz 3).

Das Berufungsgericht hat ausgehend von seiner unrichtigen Rechtsansicht weder die Feststellungs- noch die Rechtsrüge der von der Klägerin erhobenen Berufung erledigt. Dies wird es im fortzusetzenden Verfahren nachzuholen haben.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.