OGH vom 23.01.2019, 1Ob224/18z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. HoferZeniRennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** L*****, vertreten durch die Dr. Paul Kreuzberger, Mag. Markus Stranimaier Mag. Manuel Vogler Rechtsanwälte Strafverteidiger OG, Bischofshofen, gegen die beklagte Partei Marktgemeinde *****, vertreten durch Mag. Wolfgang Brandstätter, Rechtsanwalt in Bad Hofgastein, sowie die Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. Ö***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch die Vavrovsky Heine Marth Rechtsanwälte GmbH, Wien, 2. Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, und 3. S***** AG, *****, vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 8.641 EUR sA, Beseitigung und Unterlassung, über die Revision der Erstnebenintervenientin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom , GZ 11 R 11/18v56, mit dem das Teilurteil des Landesgerichts Salzburg vom , GZ 14 Cg 103/15g50, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Teilurteil einschließlich der bereits in Rechtskraft erwachsenen Teilabweisung lautet:
„1. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig,
den Ablauf des Oberflächenwassers vom Straßengrundstück ***** KG ***** auf das im Miteigentum des Klägers stehende Grundstück 358/3 KG ***** zu unterlassen;
dem Kläger 746 EUR samt 4 % Zinsen seit zu zahlen;
die widerrechtlich auf dem im Miteigentum des Klägers stehenden Grundstück 358/3 KG *****aufgestellte und im beigeschlossenen, einen integrierenden Bestandteil des Urteilsspruchs bildenden Vermessungsplan *****, schwarz eingezeichnete und mit Punkt 3. bezeichnete Straßenlaterne binnen 14 Tagen zu entfernen,
wird abgewiesen.
2. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“
Die Entscheidung über die auf das Unterlassungsbegehren entfallenden Kosten zweiter und dritter Instanz bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist Miteigentümer der Liegenschaft EZ ***** KG *****, die aus den Grundstücken 358/3 und ./174 besteht. Die Beklagte ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ ***** mit dem Grundstück 1254/1 und der Liegenschaft EZ ***** mit dem Straßengrundstück 1253.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist – wie bereits des Berufungsverfahrens – nur das Begehren auf Unterlassung des Ablaufs von Oberflächenwässer vom Straßengrundstück der Beklagten. Dazu brachte er vor, im südwestlichen Bereich des Grundstücks 358/3 komme es zu einem Anstauen des Oberflächenwassers vom Straßengrundstück 1253, weil nicht für eine entsprechende Entwässerung und Ableitung dieses Oberflächenwassers gesorgt worden sei. Aufgrund des Straßenverlaufs auf diesem Grundstück und der fehlenden Einleitung in einen Abwasserkanal würde sich seit der Straßensanierung das Straßenoberflächenwasser auf einem Teil seiner Liegenschaft stauen. Diese Anstauung übersteige die ortsüblichen Verhältnisse.
Das Erstgericht gab mit seinem Teilurteil dem Unterlassungsbegehren statt und traf dazu folgende Feststellungen:
Die Liegenschaft des Klägers liegt an der Gemeindestraße, die ursprünglich geradlinig auf dem Straßengrundstück der Beklagten bis zu einer Bahnunterführung verlief. Aufgrund von Baumaßnahmen der Beklagten und der Erstnebenintervenientin wurde die Gemeindestraße näher zur Liegenschaft des Klägers verlegt und wird nunmehr in einem Linksbogen durch eine neu errichtete Bahnunterführung auf einem Grundstück der Erstnebenintervenientin geführt. Die Bauarbeiten zur Neuerrichtung der Bahnunterführung wurden von der Drittnebenintervenientin im Auftrag der Erstnebenintervenientin durchgeführt. Die Verlegung der Gemeindestraße samt den dazugehörigen Kanalarbeiten und die Errichtung einer Stützwand hinter dem Bahndamm hat die Drittnebenintervenientin im Auftrag der Beklagten vorgenommen.
Im Zuge der Arbeiten kam es auch zu einer Neuasphaltierung des Altbestands der Gemeindestraße bis zu deren Tiefpunkt, der ca 5 m nach dem südöstlichen Ende der Liegenschaft des Klägers liegt. Am Tiefpunkt der Straße besteht eine Querneigung zu einer aus Betonschalen hergestellten Rinne, die das Oberflächenwasser in eine Wiese leitet. Auf der neu asphaltierten Gemeindestraße befindet sich keine Straßenentwässerung mit Einlaufschächten oder Rohrleitungen. Rund 160 bis 170 m² Fahrbahnoberfläche aus dem Altbestand entwässern zunächst auf das Grundstück 358/3 des Klägers. Der Wasserablauf findet dabei Richtung Südosten entlang der Gartensockelmauer in Richtung Parzelle 358/3 statt; das Wasser fließt an deren Ende auf dieses Grundstück und damit auf den Vorplatz zur Garage des Klägers, wo es sich zunächst auf einer Fläche von ca 20 bis 25 m² sammelt. Dort staut sich das Wasser an der tiefsten Stelle auf maximal rund 7 bis 10 cm und läuft dann zum Tiefpunkt der Straße ab, überströmt die Gemeindestraße und fließt letztlich über das Betonschalengerinne auf der gegenüberliegenden Straßenseite ab. Die Wasseransammlung von 20 bis 25 m² im Süden der Parzelle 358/3 entsteht bereits bei mäßigen Starkregenereignissen. Bei extremen Regenereignissen mit seltenerer Häufigkeit kann diese Fläche größer ausfallen. Auch bei leichteren Regenereignissen fließt das Oberflächenwasser von der Fahrbahn auf das Grundstück des Klägers.
Bereits vor den dargelegten Baumaßnahmen war es vor der Garage des Klägers zur Anstauung von Oberflächenwasser gekommen. Durch den Bau der neuen Straßenunterführung und die Verlegung der Straße wurde die Entwässerungssituation für die Grundparzelle 358/3 des Klägers nicht verschlechtert. Ob durch eine allfällige Veränderung der Höhe der Asphaltoberkante im Zuge der Neuasphaltierung eine Verschlechterung der Situation vor der Garage des Klägers eingetreten ist, steht nicht fest. Rechtlich vertrat es die Auffassung, aufgrund der Straßenneigung zum Grundstück des Klägers stelle der Wasserabfluss eine unmittelbare Zuleitung dar, die er nicht dulden müsse.
Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts. Anrainer hätten grundsätzlich nur die von einer Nachbarliegenschaft ausgehenden natürlich vorhandenen Einwirkungen oder durch Baumaßnahmen erfolgte unmaßgebliche Veränderungen zu dulden. Bei der Wasserzuleitung von der vor den zuletzt erfolgten Straßenbau- und -verlegungsarbeiten bereits vorhandenen Straße handle es sich nicht um den natürlichen Urzustand. Liege eine behördlich genehmigte Anlage vor, sei der beeinträchtigte Grundbesitzer gemäß § 364a ABGB grundsätzlich nur berechtigt, den Ersatz des zugefügten Schadens gerichtlich zu verlangen, auch wenn der Schaden auf Umstände zurückzuführen sei, auf die bei der behördlichen Verhandlung keine Rücksicht genommen worden sei. Öffentliche Straßen seien behördlich genehmigten Anlagen gleichzuhalten, sodass Unterlassungsansprüche nach § 364 Abs 2 ABGB grundsätzlich ausgeschlossen seien. Auch eine behördliche Betriebsanlagengenehmigung berechtige den Anlagenbetreiber aber nicht zu Immissionen jeglicher Art und Intensität. Dazu sei anerkannt, dass die Duldungspflicht des Nachbarn schon nach der ratio der Regelung des § 364a ABGB mit der Reichweite der erteilten Genehmigung begrenzt sei. Behördlich festgesetzte Grenzwerte seien jedenfalls einzuhalten. Auch sonst habe der Nachbar (nur) solche Immissionen hinzunehmen, die für den Betrieb der genehmigten Anlage typisch seien und nicht durch zumutbare Vorkehrungen hintangehalten oder verringert werden könnten.
Die beklagte Partei hätte durch zumutbare Maßnahmen den in ihren Auswirkungen erheblichen Wasserablauf von der Gemeindestraße auf das Grundstück des Klägers verhindern können. Durch derartige Maßnahmen vermeidbare Immissionen seien von einer generellen Anlagengenehmigung in der Regel nicht gedeckt, weshalb der Unterlassungsanspruch grundsätzlich zu bejahen sei, weil eine unmittelbare Zuleitung selbst bei behördlich genehmigten Anlagen im Sinne des § 364a ABGB unzulässig sei, soweit der Nachbar nicht einen besonderen Rechtstitel für diese Zuleitung für sich in Anspruch nehmen könne.
Die Duldungspflicht des § 10 Abs 1 Sbg LStG, der gemäß § 1 Abs 1 lit b) leg cit auch auf Gemeindestraßen anzuwenden sei, komme nicht zum Tragen, weil der Kläger im Sinne der bislang insbesondere zu 1 Ob 31/78 und 7 Ob 66/02k ergangenen Judikatur des Obersten Gerichtshofs, der sich das erkennende Berufungsgericht anschließe, keineswegs dazu verpflichtet sei, den festgestellten unkontrollierten und ungeregelten Abfluss des Wassers auf sein Grundstück zu dulden. Gemäß § 10 Abs 3 Sbg LStG seien Anlagen unter möglichster Schonung der angrenzenden Grundstücke herzustellen. Daraus sowie aus § 10 Abs 2 Sbg LStG ergebe sich daher die grundsätzliche Verpflichtung bei der Errichtung von öffentlichen Gemeindestraßen für eine kontrollierte Entwässerung der Oberflächenwässer von der Fahrbahn zu sorgen. Demgegenüber weise die neu asphaltierte Gemeindestraße keine Straßenentwässerung mit Einlaufschächten und Rohrleitungen auf.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs bei Einwirkungen, die von einer behördlich genehmigten Anlage ausgingen sowie zur Frage, inwieweit ein Straßenanlieger nach § 10 Abs 1 Sbg LStG tatsächlich den Abfluss des Wassers von der Straße auf seinen Grund zu dulden habe, die bisherige Judikatur des Obersten Gerichtshofs uneinheitlich sei und einer Klarstellung bedürfe.
Rechtliche Beurteilung
Die (vom Kläger beantwortete) Revision der Erstnebenintervenientin auf Seiten der Beklagten ist zulässig und berechtigt, weil eine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zu korrigieren ist.
1. Bereits das Berufungsgericht hat die für den vorliegenden Fall maßgeblichen Grundsätze des Nachbarrechts (§§ 364 f ABGB) zutreffend wiedergegeben. Weder die Revisionswerberin noch der Revisionsgegner ziehen in diesem Zusammenhang in Zweifel, dass diese Grundsätze auch im Verhältnis einer öffentlichen Straße zu einem Privatgrundstück zum Tragen kommen (RIS-Justiz RS0010565) und die Straße der Beklagten als behördlich genehmigte Anlage gemäß § 364a ABGB (dazu RIS-Justiz RS0010596) anzusehen ist. Die Beurteilung, dass der durch die Anlage einer Straße hervorgerufene Wasserabfluss eine unmittelbare Zuleitung gemäß § 364 Abs 2 letzter Satz ABGB begründet (vgl dazu RIS-Justiz RS0115461; vgl auch die Nachweise bei Kerschner/Wagner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 364 ABGB Rz 190), wird im Revisionsverfahren nicht in Frage gestellt. Darauf muss aus Anlass des Rechtsmittels der Erstnebenintervenientin nicht näher eingegangen werden.
2.1 Nach § 364 Abs 2 ABGB kann der Eigentümer eines Grundstücks den Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen etwa durch Abwässer insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigen. Bei der Schaffung des § 364a ABGB entschied der Gesetzgeber im Interesse der Volkswirtschaft insoweit jedoch zu Gunsten des Anlagenbetreibers, als die Nachbarn die von einer den einschlägigen Verwaltungsvorschriften entsprechenden und daher behördlich bewilligten Anlage ausgehenden typischen Einwirkungen nicht unter Berufung auf § 364 Abs 2 ABGB untersagen lassen können, sondern auf einen Ausgleichsanspruch zur Abgeltung ihrer durch die Immissionen bewirkten Vermögensnachteile verwiesen werden (vgl nur 1 Ob 47/15s). Unmittelbare Zuleitungen – insbesondere auch von Wasser – sind aber ohne besonderen Rechtstitel unzulässig. Das gilt nach der Judikatur auch, wenn sie von einer behördlich genehmigten Anlage ausgehen (RIS-Justiz RS0010528; RS0010683; Spielbüchler in Rummel, ABGB3§ 364a ABGB Rz 2; Oberhammer in Schwimann/Kodek, ABGB4§ 364a Rz 5; differenzierend Kerschner/Wagner aaO § 364 ABGB Rz 193).
2.2 Liegt eine bewilligte Anlage im Sinn des § 364a ABGB vor, muss der Nachbar über die aus dieser Gesetzesstelle resultierende Duldungspflicht hinaus, eine unmittelbare Zuleitung (zu diesem Begriff ausführlich Kerschner/Wagner aaO § 364 ABGB Rz 186 ff) daher nur hinnehmen, wenn ein besonderer Rechtsgrund dafür vorliegt. Dem Nachbar muss auch insoweit ein Abwehrrecht genommen sein, das ihm sonst nach dem Inhalt seines Eigentums zugestanden wäre.
3.1 Die Bestimmung des § 10 des Salzburger Landesstraßengesetzes 1972, LGBl 1972/119 idgF, hat folgenden Wortlaut:
„(1) Die Besitzer der an die Straße grenzenden Grundstücke sind verpflichtet, den Abfluss des Wassers von der Straße auf ihren Grund, die notwendige Ablagerung des bei der Schneeräumung von der Straße abgeräumten Schnees einschließlich des Streusplitts auf ihrem Grund und die Herstellung von Ableitungsgräben, Sickergruben u. dgl. auf ihrem Besitz mit der im Abs. 2 bezeichneten Ausnahme ohne Anspruch auf Entschädigung zu dulden.
(2) Wenn durch die Herstellung von Ableitungsgräben die bestimmungsgemäße Benutzbarkeit eines Grundstückes wesentlich beeinträchtigt wird, gebührt seinem Eigentümer hiefür eine angemessene Entschädigung. Diese wird, wenn sie nicht im Zuge eines Enteignungsverfahrens begehrt wird und festgestellt werden kann, von der Straßenrechtsbehörde (§ 4) endgültig festgesetzt. Hiebei finden die Bestimmungen des § 15 über die Festsetzung der Entschädigung sinngemäß Anwendung.
(3) Die Anlagen sind unter möglichster Schonung der angrenzenden Grundstücke herzustellen.
(4) Die Bestimmung des Abs. 1 gilt nicht für solche an die Straße angrenzenden Grundflächen, die Zwecken dienen, für die nach anderen Gesetzen ein Enteignungsrecht besteht.“
Diese Bestimmung ist – wie das Salzburger Landesstraßengesetz insgesamt – auf öffentliche Straßen (ausgenommen der Bundesstraßen) und daher auch auf Gemeindestraßen anzuwenden (§ 1 Abs 1 lit b Sbg LStG).
3.2 Vergleichbare Duldungspflichten finden sich sowohl in den einzelnen Landesstraßengesetzen (siehe dazu die Nachweise bei Kerschner/Wagner aaO § 364 ABGB FN 193) als auch in § 24 Abs 2 Bundesstraßengesetz (BStG) 1971, BGBl 1971/268 idgF. Danach sind die Anrainer der Bundesstraßen verpflichtet, den freien Abfluss des Wassers von der Straße auf ihren Grund und die Ablagerung von Schnee [...] zu dulden. Zu dieser Bestimmung wurde bereits ausgesprochen, dass sie eine Legalservitut einräumt (3 Ob 534/90; so auch Kerschner/Wagner aaO § 364a ABGB Rz 106). Als solche stellt sie einen Rechtstitel für die Zuleitung von abfließendem Wasser im Sinne des § 364 Abs 2 letzter Satz ABGB dar.
3.3 Die in § 10 Abs 1 Sbg LStG normierten Duldungspflichten der Besitzer von an die öffentliche Straße angrenzenden Grundstücken sind als eine Legalservitut konzipiert. Auch unmittelbare Zuleitungen sind daher, wenn sie von deren Reichweite erfasst sind, zu dulden. Ein auf das Nachbarrecht gestützter Unterlassungsausspruch kommt dann nicht mehr in Betracht.
4.1 § 10 Abs 1 Sbg LStG war bereits wiederholt Gegenstand von Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs:
Zu 1 Ob 31/78 (SZ 51/184) war Schadenersatz wegen der Überflutung und Verunreinigung eines Kellers mit Fäkalien aufgrund eines Rückstaus in einem unzureichend sanierten Kanalsystem, sodass das Niederschlagswasser nicht mehr aufgenommen werden konnte, und nicht der natürliche Abfluss von Oberflächenwasser zu beurteilen. Dem Einwand, die Anrainerin müsste den Abfluss des ausgetretenen Kanalwassers auf ihre Liegenschaft nach § 10 Abs 1 Sbg LStG dulden, entgegnete der Oberste Gerichtshof, dass diese Bestimmung keineswegs die Verpflichtung zur Duldung unkontrollierten Abflusses von Wasser von der Straße und schon gar nicht zur Duldung des Einfließens von Fäkalien und anderen Abwässern aus einem Hauptkanal als Folge eines Rückstaus wegen unzureichender Kanaldimensionierung rechtfertige.
Der Entscheidung zu 2 Ob 67/84 lag ein Begehren auf Schadenersatz für die Zerstörung einer Mauer durch Schneeräumfahrzeuge, die Eis und gepressten Schnee mit großer Wucht dagegen geschleudert und immer wieder einen dichten Schnee- und Eiswall direkt angepresst hatten, zugrunde. Darin bestätigte der Oberste Gerichtshof grundsätzlich eine Pflicht des Nachbarn zur Duldung der Ablagerung von Schnee auf seinem Grund nach § 10 Abs 1 Sbg LStG, erachtete davon jedoch die konkret zu beurteilende Einwirkung auf die Mauer als nicht mehr gedeckt.
In den Entscheidungen zu 5 Ob 615/89 und zu 1 Ob 29/89 hatte der Oberste Gerichtshof (unter anderem) das Abfließen von Oberflächenwasser zu beurteilen. Mit Hinweis auf die Duldungspflicht des § 10 Abs 1 Sbg LStG verneinte er jeweils einen Unterlassungsanspruch des Anrainers. In der erstgenannten Entscheidung hielt er fest, dass den in dem […] Abfließen von Straßenoberflächenwasser auf an die Straße grenzende Grundstücke zu erblickenden Immissionen die Rechtswidrigkeit fehle. [...] Für die das Abfließen von Oberflächenwasser von der Straße auf ihre Liegenschaft betreffende Duldungspflicht der klagenden Parteien sei es daher unerheblich, ob dadurch die vom Gesetz im § 364 Abs 2 ABGB gezogenen Grenzen überschritten würden oder nicht. Zu 1 Ob 29/89 sprach er aus, dass der geregelte Abfluss der von der Straße gesammelten Wässer und der dort auftretenden Sickerwässer auf den Grund der klagenden Partei […] durch das Gesetz gedeckt und nicht rechtswidrig sei. Sei die unmittelbare Zuleitung durch den gesetzlichen Titel gedeckt, komme es auf die [...] Frage, ob diese durch das Gesetz gedeckte Zuleitung das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreite und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks der klagenden Partei wesentlich beeinträchtige, nicht an.
4.2 Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts liegt zur Duldungspflicht des § 10 Abs 1 Sbg LStG keine Judikaturdivergenz vor. Aus den wiedergegebenen Entscheidungen wird vielmehr deutlich, dass jeweils im konkreten Einzelfall zu prüfen ist, ob eine Einwirkung gegeben ist, die von dieser Anrainerverpflichtung erfasst und damit durch einen besonderen Titel im Sinne des § 364 Abs 2 letzter Satz ABGB gerechtfertigt ist (vgl zum Oö LStG: 4 Ob 239/08p). In einem solchen Fall ist auch eine unmittelbare Zuleitung nicht unrechtmäßig und ein auf deren Unterlassung gerichtetes Begehren abzuweisen.
4.3 Auch aus der Entscheidung zu 7 Ob 66/02k lässt sich der behauptete Rechtsprechungswiderspruch nicht nachvollziehen. Diese Entscheidung erging zu § 21 Abs 3 Oö LStG, nach der die Eigentümer von Grundstücken, die in einem Abstand bis zu 50 Meter neben einer öffentlichen Straße liegen, verpflichtet sind, den freien, nicht gesammelten Abfluss des Wassers von der Straße [...] auf ihren Grund [...] zu dulden. Ihr lag zugrunde, dass im Zuge eines Starkregenereignisses Wasser unter Mitnahme von Feststoffen (Feinteile und 15 % Schotteranteile) über Hänge auf die Straße lief und von dort auf das Grundstück der klagenden Anrainer austrat und dieses mit Schlamm und Schotter verunreinigte, wodurch die Drainage des Garagengebäudes verlegt wurde und Wasser auch in die Garage eindrang. Die Kläger begehrten den Ersatz des Schadens aus dieser Verunreinigung. Unter Hinweis auf 1 Ob 31/78 führte der Oberste Gerichtshof aus, dass eine solche Überschwemmung nicht von der Duldungsverpflichtung des § 21 Abs 3 Oö LStG erfasst ist. Der Abfluss von bloßem Oberflächenwasser war in dieser Entscheidung nicht zu beurteilen.
5.1 Das Begehren des Klägers ist undifferenziert auf Unterlassung des Ablaufs von Oberflächenwasser vom Straßengrundstück auf das in seinem Miteigentum stehende Grundstück 358/3 gerichtet. In dieser Allgemeinheit steht seinem Begehren jedenfalls die Duldungsverpflichtung nach § 10 Abs 1 Sbg LStG entgegen. Es kann nicht zweifelhaft sein, dass die Besitzer der an die Straße grenzenden Grundstücke nach dieser Legalservitut jedenfalls verpflichtet sind, den durch die Anlage der Straße bedingten Abfluss von Niederschlag hinzunehmen. Aber auch in dem konkret festgestellten Ausmaß ist der Abfluss von Niederschlagswasser auf das in seinem Miteigentum stehende Grundstück vom Kläger nach dieser Bestimmung zu dulden:
5.2 Das Berufungsgericht geht von einem „unkontrollierten“ Abfluss von Wasser auf das Grundstück aus, den der Kläger nicht dulden müsse und bezieht sich dabei auf die Entscheidungen zu 1 Ob 31/78 und 7 Ob 66/02k. Im Gegensatz zu den in diesen Entscheidungen beurteilten Sachverhalten handelt es sich im vorliegenden Fall aber um bloßes Oberflächenwasser, das niederschlagsbedingt von der Straße abläuft. Es trifft zwar zu, dass sich das Wasser bei stärkerem Niederschlag flächiger und konzentrierter am unbefestigten Vorplatz der Garage ansammelt als vor dem Straßenbau, doch werden dabei keine Verunreinigungen auf die Liegenschaft transportiert. Nicht übersehen werden darf in diesem Zusammenhang, dass die Konzentration des Wassers am Vorplatz seine Ursache offensichtlich ganz maßgeblich darin hat, dass das Oberflächenwasser zunächst wegen der bis zum Garagenvorplatz verlaufenden Gartenmauer nicht auf die Liegenschaft des Klägers ablaufen kann, sondern dieser entlang rinnt, um sich dann auf die festgestellte Weise am Vorplatz zur Garage zu sammeln. Auch darin zeigt sich, dass es sich letztlich um den regulären Abfluss des durch die Anlage der Straße verursachten Oberflächenwassers handelt, wie er von der Legalservitut des § 10 Abs 1 Sbg LStG erfasst ist.
5.3 Es trifft zu, dass nach § 10 Abs 3 Sbg LStG die Anlagen unter möglichster Schonung der angrenzenden Grundstücke herzustellen sind. Daraus kann aber entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts, die der Kläger in seiner Revisionsbeantwortung aufgreift, keineswegs geschlossen werden, die von diesem Gesetz erfassten öffentlichen Straßen seien verpflichtend mit einer Entwässerungsanlage, bestehend aus Einlaufschächten und Rohrleitungen zu versehen. Bei einer solchen Lesart wäre der in Absatz 1 normierte Legalservitut in Bezug auf Oberflächenwässer nahezu jeder Anwendungsbereich genommen. Regeln für die Errichtung der Straßen enthält vielmehr § 5 Sbg LStG („Vom Bau und von der Erhaltung der Straßen“). Nach Wortlaut und Systematik bezieht sich der Begriff „Anlagen“ in Absatz 3 des § 10 Sbg LStG demgegenüber unzweifelhaft auf die Ableitungsgräben, deren Herstellung der Besitzer eines Grundstücks (bei Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 2 gegen angemessene Entschädigung) gemäß Abs 1 leg cit dulden muss.
5.4 Zusammengefasst ergibt sich, dass der Ablauf von Oberflächenwasser vom Straßengrundstück der Beklagten auf das im Miteigentum des Klägers stehende Grundstück – auch in seiner konkret festgestellten Ausformung – durch die Legalservitut des § 10 Abs 1 Sbg LStG gerechtfertigt und daher zu dulden ist. Ein auf § 364 Abs 2 ABGB gestützter Unterlassungsanspruch kommt damit nicht in Betracht (vgl zur Regelung des § 14 Abs 2 Z 3 Nö LStG: 6 Ob 15/04f). Das führt zur Abweisung des darauf gerichteten Begehrens.
6. Der Revision der Erstnebenintervenientin ist damit Folge zu geben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind in dem aus dem Spruch ersichtlichen Umfang abzuändern.
7. Die Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren beruht auf § 52 Abs 4 ZPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0010OB00224.18Z.0123.000 |
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