OGH vom 10.09.1985, 4Ob355/85
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurzinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl, Dr.Resch, Dr.Kuderna und Dr.Gamerith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A B, Wien 9., Spitalgasse 31,
vertreten durch Dr.Norbert Schöner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei C D Gesellschaft m.b.H., Salzburg,
Kleßheimer Allee 45, vertreten durch Dr.Anton Dick, Dr.Norman Dick, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Unterlassung (Streitwert S 301.000,--) infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgerichtes vom , GZ 5 R 76/85-12, womit der Beschluß des Landesgerichtes Salzburg vom , GZ 2 Cg 384/84-8, abgeändert wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird in Ansehung des an die Beklagte gerichteten Verbotes, Baldrian-Essenz an Letztverbraucher zu liefern und zu verkaufen, bestätigt; im übrigen, also hinsichtlich des allgemeinen Verbotes, Arzneimittel, deren Abgabe ausschließlich Apotheken vorbehalten ist, an Letztverbraucher zu liefern und zu verkaufen, wird er dahin abgeändert, daß insoweit der abweisende Beschluß der ersten Instanz wiederhergestellt wird. Die Beklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Die beklagte GmbH hat am in einem 'DM-Drogerie Markt' im 3.Wiener Gemeindebezirk (u.a.) Merfen-Tinktur gefärbt und Baldrian-Essenz verkauft.
Der klagende Verband sieht in diesem Verhalten eine Verletzung des sogenannten 'Apothekenvorbehalts' nach § 2 der
1. Abgrenzungsverordnung RGBl.1883/152 und damit zugleich einen Verstoß gegen § 1 UWG. Er verlangt deshalb die Verurteilung der Beklagten, das Beliefern von Letztverbrauchern mit Arzneimitteln sowie den Verkauf von Arzneimitteln, deren Abgabe an Verbraucher ausschließlich Apotheken vorbehalten ist, insbesondere pharmazeutischer Spezialitäten wie z.B. Merfen-Tinktur gefärbt und Baldrian-Essenz, zu unterlassen; zur Sicherung dieses Anspruches beantragt er die Erlassung einer inhaltsgleichen einstweiligen Verfügung.
Die Beklagte hat das Begehren, das Beliefern von Letztverbrauchern mit Arzneimitteln sowie den Verkauf von Arzneimitteln, deren Abgabe an Verbraucher ausschließlich Apotheken vorbehalten ist, und ebenso das Beliefern von Letztverbrauchern und den Verkauf von Merfen-Tinktur gefärbt zu unterlassen, ausdrücklich anerkannt; insoweit ist in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am (ON 6 S. 33) ein - in Rechtskraft erwachsenes - Teilanerkenntnisurteil ergangen.
Im übrigen, also hinsichtlich der Baldrian-Essenz, hat die Beklagte die Abweisung des Klagebegehrens beantragt und sich auch gegen den Sicherungsantrag ausgesprochen. Anders als die sogenannte Baldrian-Tinktur mit einem Trockenrückstand von mindestens 3 % dürfe die beanstandete Baldrian-Essenz, deren Trockenrückstand nur 1,34 % betrage, auch in Drogerien angeboten und verkauft werden. Von einem Verstoß gegen § 1 UWG könne auch deshalb nicht gesprochen werden, weil der 1.Abgrenzungsverordnung als einer rein gewerbepolizeilichen Vorschrift kein wettbewerbsregelnder Charakter zukomme. Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag des Klägers zur Gänze ab. Soweit das Begehren auf ein generelles Belieferungs- und Verkaufsverbot für Arzneimittel sowie auf ein Verbot des Belieferns von Letztverbrauchern und des Verkaufes von Merfen-Tinktur gefärbt gerichtet sei, schließe das vollstreckbare Teilanerkenntnisurteil ein weiteres Rechtsschutzbedürfnis des Klägers aus. Daß die beanstandete Baldrian-Essenz eine pharmazeutische Spezialität sei, habe der Kläger nicht glaubhaft gemacht; hingegen sei bescheinigt, daß dieses Produkt einen Trockengehalt von nur 1,34 % aufweist. Der Beweis über die strittige Abgrenzung werde im Hauptverfahren durch Aufnahme eines Sachverständigenbeweises zu erbringen sein. Zu einem vorläufigen Verkaufsverbot durch einstweilige Verfügung reichten die Ergebnisse des Provisorialverfahrens nicht aus.
Das Rekursgericht untersagte der Beklagten, Arzneimittel, deren Abgabe ausschließlich Apotheken vorbehalten ist, insbesondere Baldrian-Essenz, an Letztverbraucher zu liefern und zu verkaufen; zugleich sprach es aus, daß der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstandes S 15.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteigt und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Nach den Bestimmungen der sogenannten 'Abgrenzungsverordnungen' dürfe die Baldrian-Wurzel - als die Grundsubstanz der Baldrian-Essenz - von anderen Geschäften als Apotheken nur in grob zerschnittenem oder gepulvertem oder überhaupt in unverkleinertem Zustand feilgehalten und verkauft werden. Durch die Mißachtung dieser Bestimmungen habe sich die Beklagte einen Wettbewerbsvorsprung vor ihrem gesetzestreuen Mitbewerbern verschafft und damit gegen § 1 UWG verstoßen.
Gegen den Beschluß des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Abweisung des Sicherungsbegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Kläger hat keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil der Frage, ob Baldrian-Essenz auf Grund der sogenannten 'Abgrenzungsverordnungen' nur in Apotheken verkauft werden darf, eine über den Einzelfall hinausgehende, erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 4 Z. 1,§ 528 Abs 2 ZPO zukommt; er ist aber nur zum Teil berechtigt. Als nichtig im Sinne des § 477 Abs 1 Z. 9 ZPO rügt die Beklagte den angefochtenen Beschluß, weil das Rekursgericht bei seiner Entscheidung nur von dem vom Erstgericht als bescheinigt angenommenen Sachverhalt hätte ausgehen dürfen, ein solcher aber hier gar nicht vorliege. Dieser Vorwurf geht schon deshalb fehl, weil die der angefochtenen Entscheidung in tatsächlicher Hinsicht zugrunde liegende Annahme, daß es sich bei Baldrian-Essenz um keine 'grob zerschnittene' oder 'grob gepulverte' Baldrian-Wurzel handelt, ebenso unbestritten ist wie der Umstand, daß die Beklagte eine solche Baldrian-Essenz in einem ihrer Drogerie-Märkte verkauft hat. Mit der weiteren Behauptung, das Rekursgericht habe bei seiner Entscheidung die durch den Rekursantrag des Klägers gezogenen Grenzen seiner Entscheidungsbefugnis überschritten und damit gegen § 405 ZPO verstoßen, rügt die Rekurswerberin keine Nichtigkeit des angefochtenen Beschlusses, sondern einen Verfahrensfehler der zweiten Instanz; ein solcher liegt aber ebensowenig vor wie die im Zusammenhang damit gerügte Aktenwidrigkeit (§ 510 Abs 3 Satz 2,§ 528 a ZPO).
Auch den Rechtsausführungen des Revisionsrekurses kann nicht gefolgt werden. Nach § 2 Abs 1 der - gemäß § 374 Abs 4 GewO bis zur Erlassung der in § 224 GewO vorgesehenen Verordnung auf Gesetzesstufe weiter geltenden - Verordnung vom 17.9.1883 RGBl.152 ('1.Abgrenzungsverordnung') ist das Feilhalten und der Verkauf pharmazeutischer Präparate - mit den in Abs 2 angeführten, hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen - nur in Apotheken gestattet.
§ 3 der Verordnung vom 17.6.1886 RGBl.97 ('2.Abgrenzungsverordnung') nennt zwar unter denjenigen Arzneimitteln, deren Feilhalten und Verkauf anderen Geschäften als Apotheken erlaubt ist, ausdrücklich auch die Baldrian-Wurzel ('Valerianae radix'); gemäß § 6 Abs 2 Satz 1 dieser Verordnung dürfen aber die dem Pflanzenreich entnommenen Artikel - also jedenfalls auch die Baldrian-Wurzel - 'nur in unverkleinertem oder in grob zerschnittenem Zustand, in welchem der betreffende Artikel durch den bloßen Augenschein noch als solcher erkennbar ist, vorrätig gehalten und verkauft werden'. Nach der Verordnung vom 8.12.1895 RGBl.188 ('3.Abgrenzungsverordnung') schließlich dürfen einige der in § 3 der 2.Abgrenzungsverordnung genannten Arzneimittel - unter ihnen auch 'Valerianae radix' - 'auch in grob gepulvertem Zustand verkauft werden'. Die Beklagte ist sich dieser Rechtslage durchaus bewußt; sie meint aber, daß die erwähnte Ausnahmeregelung angesichts der medizinischen Entwicklung der letzten 100 Jahre nicht mehr streng nach ihrem Wortlaut ausgelegt werden dürfe. Die beanstandete Baldrian-Essenz sei in bezug auf Konzentration und Stärke jedenfalls ein 'Weniger' als die Baldrian-Wurzel; sie könne darüber hinaus von jedermann unschwer selbst hergestellt werden, so daß ihr Vertrieb auch anderen Geschäften als Apotheken gestattet sein müsse. Eine solche Gleichstellung der Baldrian-Essenz mit einer 'grob zerschnittenen' oder 'grob gepulverten' Baldrian-Wurzel wäre aber nach Ansicht des erkennenden Senates mit dem Regelungszweck der angeführten gesetzlichen Bestimmungen nicht zu vereinbaren: Wie sich aus § 6 Abs 2 Satz 1 der 2.Abgrenzungsverordnung im Zusammenhang mit der
3. Abgrenzungsverordnung zweifelsfrei ergibt, soll das Feilhalten und Verkaufen der 'dem Pflanzenreich entnommenen' Artikel in anderen Geschäften als Apotheken nur entweder unzerkleinert oder aber in einer solchen Form gestattet sein, daß der betreffende Artikel 'durch den bloßen Augenschein noch als solcher erkennbar' ist, also nur in grob zerschnittenem oder grob gepulvertem Zustand. An dieser 'augenscheinlichen' Erkennbarkeit der Grundsubstanz fehlt es aber immer dann, wenn der Bestandteil einer Pflanze - hier die Baldrian-Wurzel - zu einer Essenz verarbeitet und in dieser Form vertrieben wird.
Daß die Bestimmungen der drei Abgrenzungsverordnungen entgegen der Meinung der Beklagten keine wertneutralen Vorschriften sind, ihre übertretung vielmehr regelmäßig auch geeignet ist, dem betreffenden Unternehmer einen Wettbewerbsvorsprung vor seinen gesetzestreuen Mitbewerbern zu verschaffen, hat der Oberste Gerichtshof schon mehrfach ausgesprochen (ÖBl 1963, 69; ÖBl 1971, 14 u.a.). Auch die Berufung der Beklagten auf ein abweichendes, durch jahrzehntelange Duldung seitens der zuständigen Behörden geschaffenes 'Gewohnheitsrecht' geht fehl; die Abgrenzungsverordnungen sind vielmehr auch heute noch geltendes Recht. Soweit aber die Beklagte unter Hinweis auf die 'jahrzehntelange unbeanstandete übung des redlichen Verkehrs' eine ihr auch subjektiv vorwerfbare Mißachtung dieser Vorschriften in Abrede stellt, kann ihr gleichfalls nicht gefolgt werden: Wie der Oberste Gerichtshof schon mehrfach ausgesprochen hat (ÖBl 1983, 40 u.a.), kommt es bei der Beurteilung der Frage, ob eine Verletzung gewerberechtlicher Vorschriften gegen § 1 UWG verstößt, vor allem darauf an, ob die Auffassung des Beklagten über den Umfang seiner Befugnisse durch das Gesetz so weit gedeckt ist, daß sie mit gutem Grund vertreten werden kann. Der Annahme eines solchen (unverschuldeten) Rechtsirrtums steht aber im vorliegenden Fall schon der klare, zu keinen Zweifel Anlaß gebende Wortlaut der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen entgegen.
Im Recht ist die Beklagte nur insoweit, als sie dem Kläger unter Hinweis auf das vollstreckbare Teilanerkenntnisurteil das rechtliche Interesse an einem (nochmaligen) generellen Verbot, 'Arzneimittel, deren Abgabe ausschließlich den Apotheken vorbehalten ist, zu liefern und zu verkaufen' abspricht. Nur in diesem Umfang war dem Revisionsrekurs Folge zu geben und der abweisende Beschluß des Erstgerichtes wiederherzustellen; im übrigen mußte dem Rechtsmittel ein Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50, 52 ZPO in Verbindung mit §§ 78, 402 Abs 2 EO. Der teilweise Erfolg des Revisionsrekurses mußte dabei schon deshalb unberücksichtigt bleiben, weil er im Vergleich zum eigentlichen Gegenstand des Rechtsmittels - nämlich der Zulässigkeit des Verkaufes von Baldrian-Essenz auch außerhalb von Apotheken - überhaupt nicht ins Gewicht fällt. Der Kläger hat keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.