OGH vom 30.01.2018, 1Ob223/17a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers Mag. Dr. J***** E***** K*****, gegen den Antragsgegner N***** K*****, wegen Erlassung eines Übergabeauftrags, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 38 R 253/17b-7, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 45 C 359/17d-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Der Antragsteller beantragte die Erlassung eines gerichtlichen Auftrags zur Übergabe eines im Sprengel des Bezirksgerichts Leopoldstadt gelegenen Bestandgegenstands, wonach der Antragsgegner schuldig sei, dem Antragsteller das Bestandobjekt geräumt zu übergeben. Gemäß Punkt XVIII des Mietvertrags sei das angerufene Bezirksgericht Innere Stadt Wien als zuständiges Gericht vereinbart worden.
Das angerufene Erstgericht stellte dem Antragsteller den Antrag mit dem Hinweis zurück, es sei gerichtsbekannt, dass er Vermieter zahlreicher Wohnungen sei, weshalb Angaben dazu zu machen seien, warum ihm keine Unternehmerstellung im Sinn des KSchG zukomme. Weiters sei anzugeben, warum eine Gerichtsstandsvereinbarung trotz Verbrauchereigenschaft des Beklagten zulässig gewesen sei, etwa weil er zum Zeitpunkt der Vereinbarung seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Ort der Beschäftigung im Sprengel des angerufenen Gerichts hatte. Der Mietvertrag sei vorzulegen.
Der Antragsteller erklärte in seiner Äußerung, dem Verbesserungsauftrag nicht zu entsprechen. § 14 KSchG sei nur auf Klagen, nicht jedoch auf Übergabeaufträge anzuwenden. Der Antragsgegner habe zeitlich mit dem Mietvertrag zusammenfallend „Flüchtlingsstatus“ erhalten. Er habe bei Abschluss des Mietvertrags keinen Wohnsitz im Inland gehabt. Schon sein Name lasse erahnen, dass er auch keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt habe. Im Falle des Terminablaufs werde wegen der verzögerten Räumung ein Amtshaftungsanspruch erhoben werden.
Das Erstgericht wies den Antrag auf Erlassung des Übergabsauftrags wegen örtlicher Unzuständigkeit zurück. Obwohl gerichtsbekannt sei, dass der Antragsteller Vermieter zahlreicher Wohnungen ist, habe er dem Auftrag, dazu ergänzendes Vorbringen zu erstatten, nicht entsprochen. Der Antragsgegner habe zum Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses im Sprengel des angerufenen Bezirksgerichts weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt oder Ort der Beschäftigung gehabt. Dass der Antragsteller Vermieter zahlreicher Wohnungen sei, sei gerichtsbekannt, weshalb § 14 KSchG anzuwenden sei, der sich gegen Verbrauchern nachteilige Gerichtsstandsklauseln wende. Der Schutzgedanke umfasse jegliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmern, somit auch Übergabsaufträge. Da sich der Ort des Bestandobjekts außerhalb des Sprengels des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien befinde, mangle es an der örtlichen Zuständigkeit.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss; es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR nicht übersteige und der Revisionsrekurs gemäß § 528 Abs 2 Z 1 ZPO jedenfalls unzulässig sei. § 14 KSchG, der die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen für Klagen eines Unternehmers gegen einen Verbraucher regle, der seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat oder hier beschäftigt ist, sei angesichts des Gesetzeszwecks nicht nur auf Klagen anzuwenden, sondern auch auf gerichtliche Aufkündigungen oder einen Auftrag zur Übergabe/Übernahme des Bestandgegenstands, denen die Funktion einer Klage zukomme. Gemäß § 41 Abs 2 JN habe die amtswegige Prüfung der Zuständigkeit in bürgerlichen Streitsachen aufgrund der Angaben des Klägers zu erfolgen, sofern diese dem Gericht nicht bereits als unrichtig bekannt sind. Es sei schon für die Zuständigkeit amtswegig zu klären, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung wirksam getroffen werden konnte oder ob ein Verstoß gegen § 14 Abs 1 KSchG vorliegt, habe doch der Antragsteller schon im Antrag auf Erlassung eines Übergabeauftrags auch die entsprechenden Negativvoraussetzungen zu seiner Unternehmereigenschaft zu behaupten oder jene Umstände anzuführen, aufgrund derer die Gerichtsstandsvereinbarung dennoch zulässig ist. Der Antragsgegner werde als „Angestellter“ bezeichnet. Diese Angabe im Zusammenhang mit dem gerichtsbekannten Umstand, dass der Antragsteller Vermieter zahlreicher Wohnungen ist, legten die Unternehmereigenschaft des Klägers sowie die Verbrauchereigenschaft des Beklagten nahe. Zur Frage des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts im Inland zum Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses habe der Antragsteller lediglich die Vermutung aufgestellt, dass dieser keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt habe. Aus dem Vorbringen, dass dem Antragsgegner zeitgleich mit Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung Flüchtlingsstatus zuerkannt worden sei, liege ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland nahe, da im Regelfall ein Asylantrag nur im Inland und nur persönlich gestellt werden könne. Es wäre am Kläger gelegen gewesen, ein konkretes Vorbringen zu einem (abweichenden) gewöhnlichen Aufenthalt zu erstatten, was aber nicht geschehen sei.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobene – als „außerordentlicher“ bezeichnete – Revisionsrekurs des Antragstellers ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts nicht jedenfalls unzulässig, weil es auch im Übergabsverfahren materiell um die Frage einer allfälligen Räumungsverpflichtung geht, weshalb auch Entscheidungen über einen Übergabsauftrag unter die Ausnahmebestimmung des § 502 Abs 5 ZPO fallen (RIS-Justiz RS0043001). Der Revisionsrekurs erweist sich allerdings als nicht zulässig, weil der Rechtsmittelwerber nicht aufzuzeigen vermag, dass die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO abhinge.
Zutreffend wendet sich der Revisionsrekurswerber nicht mehr gegen die vom Rekursgericht durch mehrere Belegstellen gestützte Auffassung der Vorinstanzen, dass § 14 KSchG auch im Rahmen des Verfahrens über einen Übergabsauftrag Anwendung findet, weil eine gerichtliche Aufkündigung gemäß § 571 Abs 2 ZPO in ihrer Funktion einer Klage gleichgestellt sei; der Übergabsauftrag erfüllt verfahrensrechtlich die gleiche Funktion wie die gerichtliche Kündigung (RIS-Justiz RS0044915).
Soweit er sich mit der Zuständigkeitsprüfung nach § 41 JN auseinandersetzt und erklärt, es erschließe sich ihm nicht, inwiefern die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung amtswegig – ohne Einwendung des Gegners – zu klären sei, übersieht er offenbar den klaren Wortlaut des § 14 Abs 2 KSchG, nach dem ua das Fehlen der örtlichen Zuständigkeit des Gerichts „in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen“ ist. § 41 Abs 2 JN enthält im Übrigen eine Einschränkung der Bindung an die Angaben des Klägers bei der a-limine-Prüfung, soweit es sich um dem Gericht als unrichtig bekannte Behauptungen handelt. Diesen sind unvollständig bleibende Angaben zur Zuständigkeit gleichzuhalten. Sie sind gegebenenfalls durch die gerichtsbekannten Tatsachen zu ergänzen.
§ 14 Abs 2 KSchG, der die Möglichkeit von Zuständigkeitsvereinbarungen einschränkt, setzt einen Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher voraus. Nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs ist die Unternehmereigenschaft bei einem Vermieter gegeben, wenn dieser über eine größere Zahl von Bestandobjekten verfügt und diese im Rahmen einer organisierten Geschäftstätigkeit vermietet (vgl nur RIS-Justiz RS0065317). Die Vorinstanzen haben die Qualifikation des Klägers, der im Übrigen als Rechtsanwalt tätig ist, als Unternehmer bejaht und dieser Auffassung insbesondere den Umstand zugrunde gelegt, dass es dem Erstgericht – erkennbar aufgrund seiner amtlichen Tätigkeit – bekannt ist, dass er Vermieter zahlreicher Wohnungen ist.
Dass gerichtsnotorische Tatsachen – gerade auch bei amtswegiger Prüfung – der gerichtlichen Entscheidung zugrunde zu legen sind, ergibt sich aus § 269 ZPO. Aus Gründen des rechtlichen Gehörs trifft das Gericht allerdings die Verpflichtung, seine Absicht, eine solche Tatsache zu verwerten, der betreffenden Partei zur Kenntnis zu bringen und ihr die Möglichkeit einer Stellungnahme einzuräumen (vgl nur die Judikaturnachweise bei Rechberger in Rechberger4§ 269 ZPO Rz 4). Dem hat das Erstgericht im vorliegenden Fall entsprochen. Der Kläger, dem eine konkrete Aufklärung zweifellos leicht möglich gewesen wäre, hat es aber ausdrücklich verweigert, dem gerichtlichen Verbesserungsauftrag nachzukommen, und zum Umfang seiner Vermietungstätigkeit geschwiegen. Er kann sich daher nicht dadurch beschwert erachten, dass das Erstgericht seiner Entscheidung die ihm bekannten Tatsachen zugrunde gelegt hat. Auch im Rechtsmittelverfahren, in dem der Kläger eine ausreichende Tatsachengrundlage für die Annahme einer unternehmerischen Tätigkeit in Zweifel zieht, vermeidet er es im Übrigen weiterhin, die maßgeblichen Tatsachen offenzulegen.
Dass es sich beim Antragsgegner zum Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses um einen Verbraucher handelte, ist nicht strittig. Das Gericht zweiter Instanz hat angesichts des (ergänzten) Antragsvorbringens angenommen, dass der Antragsgegner zum damaligen Zeitpunkt seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hatte, allerdings nicht im Sprengel des angerufenen Gerichts. Auch dies wird im Revisionsrekurs nicht mehr in Zweifel gezogen.
Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0010OB00223.17A.0130.000 |
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