OGH vom 14.06.2007, 2Ob15/07f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Veith, Dr. Grohmann und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wolfgang M*****, vertreten durch Dr. Tassilo Neuwirth, Dr. Alexander Neurauter und Dr. Martin Neuwirth, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten Parteien
1. Gerhard M*****, 2. Franz M*****, 3.
A*****Versicherungs-Aktiengesellschaft, *****, alle vertreten durch Dr. Peter Paul Wolf, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 13.000 sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom , GZ 13 R 97/06i-17, womit das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom , GZ 5 Cg 51/05f-13, abgeändert wurde, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 862,15 (darin enthalten EUR 143,69 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Begründung:
Am ereignete sich in H***** ein Verkehrsunfall, an dem der Erstbeklagte als Lenker eines vom Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten PKW sowie Sabine N***** als PKW-Lenkerin beteiligt waren. Der Erstbeklagte geriet infolge Alkoholisierung und überhöhter Geschwindigkeit auf die Gegenfahrbahn und stieß frontal gegen das von Sabine N***** gelenkte Fahrzeug, das in Brand geriet. Dabei wurde Sabine N***** getötet. Das Alleinverschulden am Unfall und somit am Tod von Sabine N***** trifft den Erstbeklagten.
Der Kläger begehrte EUR 13.000 sA als Trauerschmerzengeld. Der Erstbeklagte habe grob fahrlässig gehandelt. Zwischen dem Kläger und der Getöteten habe eine Lebensgemeinschaft bestanden. Die Beklagten bestritten das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft, weshalb dem Kläger kein Schmerzengeld zustehe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und traf folgende wesentliche Feststellungen:
Sabine N***** war freundlich, kommunikativ und beliebt. Sie kannte den Kläger schon sehr lange, die Freundschaft vertiefte sich allmählich und etwa eineinhalb bis zwei Jahre vor dem Unfall ging die Getötete eine intime Beziehung zum Kläger ein. Die Beziehung war harmonisch und frei von Streit, getragen von gegenseitiger Hilfsbereitschaft, besonders bei landwirtschaftlichen Tätigkeiten. Ohne dass sie konkret an Heirat gedacht hätten, war jedenfalls eine Lebenspartnerschaft geplant.
An den Wochenenden wohnte Sabine N***** gewöhnlich beim Kläger in M*****. Für die Zukunft war ein gemeinsamer Hausbau in A***** geplant. Unter der Woche wohnte Sabine N***** in A*****, wo sie ein eigenes Zimmer hatte. Die Eltern von Sabine N***** betreiben unter Mithilfe der Geschwister der Verstorbenen in A***** ein Weingut mit einem Heurigen, der in der Regel fünfmal im Jahr für etwa zwei Wochen geöffnet ist. Während der Öffnungszeiten arbeitete die ganze Familie mit, besonders auch Sabine N***** und der Kläger. Sabine N***** sollte nach der Pensionierung ihrer Mutter den Heurigenbetrieb übernehmen.
Das Paar unternahm öfters miteinander Ausflüge und Kurzurlaube. Sie reisten etwa nach London, Ischgl, Polen, Kärnten und zum Stubenbergsee. Die finanziellen Aufwendungen dafür trug jeder Teil selbst. Beide Teile waren berufstätig und hatten ein eigenes Einkommen. Wenn sie in M***** waren, aßen sie mit der Familie des Klägers, in A***** mit Familie N*****. Gewöhnlich finanzierten beide Teile ihre Bereiche selbst, wenn nicht besondere Gelegenheiten wie etwa Geburtstage anstanden.
Sabine N*****s Tod versetzte den Kläger in tiefe Trauer, die er bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz noch nicht überwinden konnte. In der ersten Zeit verlor er jede private und berufliche Perspektive und wusste nicht mehr, wie sein Leben weitergehen werde. Bis etwa November 2004 konnte er sich beruflich mit Hilfe seiner Mitarbeiter wieder so weit festigen, dass er an seinen Arbeitsplatz bleiben wollte und seine Trauer durch gesteigerte Arbeitsleistung kompensieren konnte. An Festtagen sowie am Geburts- und Sterbetag von Sabine N***** kam die Trauer immer wieder hoch.
Rechtlich vertrat das Erstgericht, bei grob schuldhafter Tötung eines Menschen stehe nach neuerer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes den nahen Angehörigen auch dann ein Trauerschmerzengeld zu, wenn sie durch den Todesfall keine Beeinträchtigung mit Krankheitswert erlitten hätten. Der Erstbeklagte habe den Unfall grob fahrlässig verursacht. Der Kläger sei Lebensgefährte der Getöteten gewesen und daher anspruchsberechtigt. Auch der Höhe nach sei das Begehren angemessen.
Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne einer Klagsabweisung ab. Für den Begriff der Lebensgemeinschaft seien drei Kriterien maßgeblich, nämlich die Eheähnlichkeit, die Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft und eine gewisse Dauer. Die „Dauer" sei bereits erfüllt, wenn die Partner ein längeres Zusammenleben beabsichtigten. Das eine oder andere Element könne weniger ausgeprägt sein oder sogar zur Gänze fehlen. Die auf eine gewisse Dauer angelegte eheähnliche Beziehung müsse nicht sämtliche Kriterien einer Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft erfüllen, lasse sich aber auch nicht auf ein einziges dieser Elemente reduzieren (RIS-Justiz RS0069673, RS0047000; 8 Ob 127/02p mwN). Dass sich die Verstorbene an den Wochenenden beim Kläger am Hof seiner Eltern aufgehalten und beide mit der Familie des Klägers gegessen hätten, bedeute noch nicht, dass sie in einem gemeinsamen Haushalt bzw in häuslicher Gemeinschaft - wie zur Lebensgemeinschaft in § 123 Abs 8 lit b iVm § 123 Abs 7 ASVG oder § 67 Abs 2 VersVG gefordert - gelebt hätten. Vielmehr hätten beide in häuslicher Gemeinschaft mit ihren jeweiligen Familien gelebt und einander besucht. Eine Wohngemeinschaft habe nicht bestanden. Da sich die Getötete und der Kläger für gewöhnlich ihre Bereiche selbst finanziert hätten, könne trotz der gegenseitigen Hilfsbereitschaft bei landwirtschaftlichen Tätigkeiten auch von einer Wirtschaftsgemeinschaft keine Rede sein. Die bloße Mithilfe im Betrieb des Partners oder der Familie des Partners bedeute noch kein gemeinsames Wirtschaften wie in einer - zB von § 14 Abs 3 MRG geforderten - in wirtschaftlicher Hinsicht gleich einer Ehe eingerichteten Haushaltsgemeinschaft. Mangels Vorliegens dieser beiden Kriterien habe daher zwischen Sabine N***** und dem Kläger keine Lebensgemeinschaft bestanden.
Der Oberste Gerichtshof habe bereits mehrfach klar gestellt, dass der Gefahr des Ausuferns von Angehörigenschmerzengeldansprüchen durch enge Begrenzung des anspruchsberechtigten Personenkreises zu begegnen sei. Hinterbliebene Eltern oder Kinder sowie Ehegatten gehörten zum engsten, typischerweise schutzwürdigen Angehörigenkreis. Hingegen fielen Geschwister in den Grenzbereich des anspruchsberechtigten Personenkreises. Die Gefahr einer unzumutbaren Ausweitung der Haftung werde dadurch eingegrenzt, dass es eines besonders starken Zurechnungsgrundes bedürfe, also die Verletzungshandlung gegenüber dem Angehörigen in hohem Maße geeignet erscheine, einen Schockschaden herbeizuführen (2 Ob 79/00g = ZVR 2001/52; 2 Ob 84/01v; 2 Ob 141/04f; 2 Ob 90/05g ua). Zur Begründung, weshalb auch Lebensgefährten vom anspruchsberechtigten Personenkreis umfasst seien, führe der Oberste Gerichtshof in 8 Ob 127/02p aus, der Angehörigenbegriff müsse solche Personen erfassen, bei denen in der Rechtsordnung eine typische Verbindung mit der verstorbenen Person in einer Weise verankert sei, dass auch dem schädigenden Dritten gegenüber der Schockschaden als typische Folge seiner Verletzungshandlung angesehen werden könne. Zu fordern sei, dass dies auch nach außen hin zum Ausdruck kommen müsse, weil es sonst - aus Beweisgründen - dem Lebensgefährten anheim gestellt wäre, sich jeweils zu seinen Gunsten auf seine Stellung zu berufen oder nicht. Da die Stellung eines Lebensgefährten von der Rechtsordnung mehrfach erfasst und vom Gesetzgeber und der Judikatur der Beziehung der Lebensgefährten zueinander zu deren Gunsten auch gegenüber Dritten Gewicht zugemessen werde, hätten auch Lebensgefährten Anspruch auf Ersatz von Schock- oder Trauerschäden. Im Gegensatz zur Stellung von Lebensgefährten sei die Stellung von durch eine Liebesbeziehung verbundenen Paaren, die weder verheiratet seien noch in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft miteinander lebten, weder von der Rechtsordnung noch von der Judikatur erfasst. Gerade darauf stelle der Oberste Gerichtshof aber bei Einbeziehung der Lebensgefährten in den anspruchsberechtigten Personenkreis ab. Nach der bisher vorliegenden höchstgerichtlichen Judikatur zähle der Kläger daher als Partner oder als „Lebenspartner", jedoch nicht Lebensgefährte, nicht zum Kreis der anspruchsberechtigten Personen. Bejahte man dies aufgrund der festgestellten äußerst harmonischen und guten Beziehung zwischen dem Kläger und Sabine N***** und aufgrund seiner bis jetzt noch nicht überwundenen Trauer über deren Tod, könnte der Grundsatz des Obersten Gerichtshofes, dass der Gefahr des Ausuferns von Ansprüchen durch enge Begrenzung des anspruchsberechtigten Personenkreises zu begegnen sei, nicht mehr aufrecht erhalten werden. In diesem Fall gäbe es nämlich keine objektiven Anknüpfungspunkte mehr, sondern müsste jeder Person, der ein entsprechender Nachweis gelinge, Schadenersatz zugestanden werden. Dies wäre aber weder mit den Empfehlungen und Entschließungen des Europarates über die Vereinheitlichung der Rechtsbegriffe des Schadenersatzes bei Körperverletzung und Tötung - in welchem von einem sehr engen, weder Geschwister noch Lebensgefährten umfassenden Angehörigenbegriff ausgegangen werde -, noch mit den innerstaatlichen Regelungen, die keinen Ersatz des „bloßen" Trauerschadens für jedermann vorsähen, vereinbar.
Das Berufungsgericht erklärte die Revision für zulässig, weil es sich bei der Frage, ob auch Paare, die zwar eine Lebensgemeinschaft planten, aber noch nicht in einer solchen lebten, zum Kreis der anspruchsberechtigten Personen hinsichtlich des Ersatzes des bloßen Trauerschadens zählten, um eine Rechtsfrage von erheblicher, über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung handle. Dazu existiere keine höchstgerichtliche Judikatur.
Dagegen richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen.
Die Beklagten beantragen in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichtes mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig.
Seit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom , 8 Ob 127/02p = SZ 2002/110 = ZVR 2002/96 (Karner), ist anerkannt, dass auch Lebensgefährten zum engen Kreis der Angehörigen gehören, die im Falle der Tötung eines Menschen Anspruch auf Schmerzengeld für einen durch den Tod erlittenen „Schockschaden" (mit Krankheitswert; 2 Ob 212/04x; RIS-Justiz RS0116865; RS0116866) oder einen vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachten (bloßen) Trauerschaden (ohne Krankheitswert) (RIS-Justiz RS0115189 [T6]) haben. In 8 Ob 127/02p hat der Oberste Gerichtshof nicht ausdrücklich ausgesprochen, dass eine Person, die zwar eine gewisse Nahebeziehung zum Getöteten hatte, jedoch kein Lebensgefährte desselben war, keinen Anspruch auf Schmerzengeld für Trauer- oder Schockschäden wegen des Todes der nahestehenden Person habe; der Oberste Gerichtshof hat sich jedoch in dieser Entscheidung ausführlich und eingehend mit dem Begriff des Lebensgefährten befasst und aufgrund bestimmter gesetzlicher Grundlagen (zB § 14 Abs 3 MRG,§ 123 Abs 7 und 8 ASVG sowie § 67 Abs 2 VersVG) den Begriff des Lebensgefährten näher definiert und abgegrenzt. Daraus ergibt sich aber ohne Weiteres, dass eine Person, die mit dem Getöteten weder (nah) verwandt noch verheiratet noch deren Lebensgefährte war, keinen Anspruch auf Schmerzengeld wegen eines erlittenen Trauer- oder Schockschadens hat.
Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes liegt daher zur maßgeblichen Rechtsfrage bereits eine ausreichende Judikatur des Obersten Gerichtshofes vor. Aus den schon vom Berufungsgericht zutreffend ausgeführten Gründen ist an dieser Rechtsprechung festzuhalten.
Die Beurteilung, ob das Bestehen einer Lebensgemeinschaft zu bejahen ist, stellt - abgesehen von einer krassen Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen - in der Regel keine vom Obersten Gerichtshof zu lösende Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS-Justiz RS0047000 [T9]). Angesichts der vom Berufungsgericht zutreffend dargestellten Grundsätze zum Bestehen einer Lebensgemeinschaft kann von einer krassen Verkennung der Rechtslage durch das Berufungsgericht hinsichtlich einer allfälligen vormaligen Lebensgemeinschaft zwischen Sabine N***** und dem Kläger nicht gesprochen werden.
Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 502 Abs 1 ZPO war die Revision daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Die Beklagten haben in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.